D
ie Huren sind langweilig.
Ihre nackten Körper sorgen kaum für Reiz, und ihr bettelnder Blick bei allem, was man ihnen zuwirft, wird mit jedem Mal armseliger.
Zwei Frauen setzen sich nacheinander auf mich, stöhnen, als würde ich sie für einen Porno filmen, und reiten mich, weil ich schon zu müde bin, sie zu ficken. Ich weiß nicht mal ihre Namen, fällt mir auf. Sie sind weiß, blond und dumm, und sie unterscheiden sich nicht von den hundert anderen Bitches auf diesem Campus.
Bald habe ich sie alle durch.
Und keine konnte mich halten.
Meine Finger, an denen die Siegelringe prangen, graben sich in das Muskelfleisch der einen, treiben sie über meinen Schwanz, auf dass ich endlich abspritze und in diesem einen Moment der Erlösung mehr empfinde als Hass.
Ich bin mit Verachtung im Blut geboren worden. Oder vielleicht hat die stete Verachtung meines Vaters dazu geführt, dass ich seinen Hass übernehme wie eine Krankheit. Er hat meine Mutter gehasst.
Er hat mich gehasst.
Und ich hasse jeden, der es wagt, meiner Vergeltung im
Weg zu stehen.
Meiner Rache an ihm und dem, was er uns
angetan hat.
Ich weiß, dass mein Vater etwas plant, um mich endgültig zu vernichten. Um seinen eigenen Sohn zu entmachten, weil er keine Ehre kennt.
Mein Vater gründet nicht einfach eine verdammte Stiftung aus dem Nichts und schert sich im Anschluss einen Dreck darum, ob die Stipendiaten auch in Kingston studieren – oder von uns vertrieben werden. Nein. Er hat einen anderen Grund als sein ungezähmtes Samariter-Gen.
Ich glaube, diesen Grund zu kennen.
Und deswegen werde ich dafür sorgen, dass keine
von ihnen, keine einzige Stipendiatin, jemals ihren verschissenen Abschluss schafft.
Auch nicht du.
Nach außen hin denkt der gesamte Campus, es ginge mir darum, die Gerechtigkeit herzustellen. Die verarmten Stipendiaten dafür zu bestrafen, dass sie es wagen
, nach Kingston zu kommen, obwohl sie nicht einen Cent dafür bezahlt haben, hier sein zu dürfen.
Aber ehrlich?
Die kleinen, unschuldigen verarmten Stipendiatinnen sind nichts weiter als Spielfiguren im Kampf gegen den Mann, der mir alles nehmen will. Mein Vater. Wäre er nicht, wären mir die Fotzen und ihre männlichen Pendants aus der Unterschicht fucking egal.
Chapeau, Tyrell.
Du denkst beim Ficken an deinen Dad.
Such dir das nächste Mal eine Bessere.
Sofort blitzt das Bild des kleinen Trailerparkmädchens vor meinem inneren Auge auf. Etwas an dir ist so unschuldig, dass ich meine Hände um deine zarte Pulsader legen will, um dir den Atem zu rauben. Da ist genügend Trotz und Stärke in deinem Blick gewesen, dass es nicht langweilig werden wird, oder?
Nein. Du bist nicht langweilig.
Du bist besonders.
Schokoladenfarbene Augen, ein hochgebundener Pferdeschwanz, Klamotten aus dem Walmart, die nicht verbergen konnten, wie heiß sie ist.
Eine echte Challenge?
Gibt es so etwas für mich?
Den King?
Ich lasse die Bitches meinen Schwanz sauber lecken, bevor ich mich vom Sessel erhebe und meinen Gürtel schließe. Die Anwesenden im Raum sind es schon gewöhnt, dass ich bei helllichtem Tag ungeniert vor ihnen vögle. Mir ist es zu mühsam, eine stille Ecke zu suchen. Das hier ist gewissermaßen mein
Thronsaal, also kann ich mich darin auch aufführen wie ein gottverdammter König.
Der Raum im ersten Stock des Hauptgebäudes ist nur für solche zugänglich, die sich qualifiziert haben. Nach der Reihe aus Gemälden unserer Vorfahren, im Herzen des Campus, befindet sich die
Tür
.
Hölzern, gewaltig, groß genug, dass Riesen hindurchpassen würden.
Eine Tür, die für jeden verschlossen bleibt, der nicht fähig genug ist. Klug genug. Tapfer genug. Und all der Scheiß, den sich unsere vernunftverliebten Stock-im-Arsch-Großväter für uns ausgedacht haben.
Der Saal hinter den magischen Türen ist wie jeder andere in Kingston altmodisch eingerichtet und mit Büchern zugepflastert. Bücher um Bücher um Bücher stehen in den endlos hohen Regalen und verstauben nur deshalb nicht, weil Pinch, der buckelige Hausmeister, sie Woche für Woche mit seinem affigen Putztuch abwedelt.
Wir haben die Räumlichkeiten etwas entfremdet. In der Mitte stand ehemals ein langer Tisch, der Platz für zwölf Männer bot. Wir haben ihn entsorgt und fünf der Stühle vor
den drei bodentiefen Buntglasfenstern positioniert.
Wer eintritt, könnte glauben, er befände sich in einem Thronsaal. Einem Thronsaal für fünf Könige. Ich gehe hinüber und setze mich auf den Stuhl in der Mitte, werfe ein Bein entspannt über die Lehne. Ich brauche keinen Thron, keinen Saal, keine verfickten Anhänger, um zu wissen, dass mir diese Universität gehört, wie sie all meinen Vorfahren gehört hat. Ich bin
diese Universität.
Eduard Kingston hat sie vor dreihundertfünfzig Jahren gegründet. Meine Mutter ist eine Kingston, auch wenn sie den Namen nicht mehr trägt. Das blaue Blut der amerikanischen Elite fließt durch unsere Adern. Seit Jahrhunderten herrscht unsere Familie über das Land.
Und ausgerechnet mein Vater will verhindern, dass wir das auch weiterhin tun …
Wären es dieselben Zeiten wie damals, müsste ich mir meinen Platz an der Spitze nicht erst erkämpfen. Ich hätte ihn einfach geerbt. Nichtsdestotrotz habe ich jeden einzelnen Meilenstein bewältigt, um meinen Vorfahren folgen zu können, und bin kurz davor, mit dem Abschluss am College in die wirklichen
Geheimnisse der Kingston University eingeweiht zu werden.
Diese Position wird mir niemand nehmen.
Schon gar nicht eine der mickrigen Stipendiatinnen, die ohne die Hilfe der Stiftung meines Vaters nicht einmal einen Fuß
auf den Campus setzen könnten.
Die Flügeltür kracht effektheischend auf und drei Männer betreten den Raum.
Zayn und Reece flankieren Sylvian. Als würden sie ihn abführen, nicht ihn begleiten.
In Sylvians Miene kämpfen die Schatten. Ich schaue auf die Uhr, sie sind spät dran.
Im Raum drehen sich ein paar Gesichter zu den Neuankömmlingen um. Einige aus dem inneren Kreis
dürfen sich
hier aufhalten. Oft lernen wir gemeinsam in den Sesseln oder an den einzelnen Tischen, was wirklich effektiv ist. Oder wir holen uns wie eben Mädchen vom Campus, die für ein paar Stunden die Luft des Ruhms atmen dürfen, bevor sie als Hure verbannt werden. Ein paar Bauern
befinden sich unter den Typen, die nun zu Sylvian, Reece und Zayn hinübersehen. Junge Studenten, die sich dafür qualifiziert haben, Sklaven zu spielen.
Sie sind hilfreich und armselig. Im Vergleich zu uns sind sie nichts.
»Musstest du mich herbeordern wie einen Verbrecher?«, fragt Sylvian und bleibt ein paar Schritte entfernt stehen.
Ich zünde mir eine Nach-dem-Fick-Zigarre an. Romeo sitzt neben mir und reicht mir wie auf Kommando einen Aschenbecher. Manchmal fühle ich mich wie ein Pate.
Jemand, der hart, aber fair regiert.
Nur dass die Mafia für Familien wie unsere Hunde sind, die man auf dem Spielplan umherschiebt und ihnen zur Belohnung ein paar Knochen zuwirft.
Reece und Zayn nehmen auf ihren Stühlen Platz. In derselben entspannten Haltung wie ich.
»Sag du es mir, Sylvian«, erwidere ich spröde. »Musste ich? Oder wärst du auch so gekommen?«
Sylvian mahlt mit dem Kiefer. Niemand hat in meinem Leben denselben Stellenwert wie er. Nicht einmal Romeo kommt an ihn heran. Und Romeo ist mein Schatten.
Müsste ich einen von beiden erschießen, ich würde nicht einmal zögern
und Romeo sofort eine Kugel in den Kopf jagen.
Aber ich bin angepisst. Er ist zu dir gegangen und hat dich vor uns gewarnt. Das macht dich gleich noch einmal reizvoller. Aber ich will nicht, dass mein bester Freund mir deinetwegen in den Rücken fällt. Sylvian hat Geheimnisse vor mir. Das Semester ist keinen Tag alt und er hat schon sämtliche Prinzipien der Kings mit seiner Arroganz gefickt.
Wo soll das hinführen?
Wieso ist er nicht einfach ehrlich und gibt zu, dass er nie dazulernen wird?
Er versucht dich zu beschützen, aber kein Mädchen ist vor ihm sicher.
Schon gar nicht du.
»Was hast du zu ihr gesagt?«, frage ich interessiert. »Ich meine, hast du ihr wirklich alles erklärt, damit sie weiß, was dieses Semester mit ihr passieren wird? Oder warst du so freundlich, uns nicht ganz so tief mit deinem Verrat zu ficken?!
«
»Sie ist nicht die Richtige, Jax«, gibt Sylvian gepresst von sich, nicht ohne vorher in jedes einzelne unserer Gesichter zu blicken. Er versucht sich zu rechtfertigen. Scheiße. Ich bin nicht der Einzige, der etwas Besonderes in dir sieht, kann das sein?
»Verschon sie. Sie wird sonst brechen.«
»Uuh, sie wird ›brechen‹«, äffe ich ihn nach und Zayn lacht. »Etwas, das uns natürlich niemals in den Sinn käme. Wer will schon die kleinen, miesen Stipendiatinnen ›brechen‹, die von dem Geld meiner Familie ein Studium in den Arsch geschoben bekommen, das sie nicht verdienen? Danke für den Hinweis, Sylvian, dann werden wir uns das natürlich zu Herzen nehmen. Nicht! Du Scheißbastard!«
Die letzten Worte fluten den Raum und jeder blickt auf. Die Bauern, die Mitglieder, selbst Romeo, der normalerweise abwesend vor sich hinstarrt, solange nichts Wichtiges geschieht.
»Fick dich, Jax.« Sylvians Stimme ist leise und er erwidert schamlos meinen Blick. Eine Wand aus Unverständnis baut sich zwischen uns auf.
Was hat er getan, Belle?
Er will um jeden Preis, dass du gehst? Weiß er denn nicht, wie interessant er dich damit macht? Noch einmal viel interessanter als der Funke, den unser kurzes Aufeinandertreffen erzeugt hat?
Ich hebe die Hand und Romeo beugt sich wie auf
Kommando zu mir herüber. »Schick die Leute weg«, raune ich ihm zu. Sofort steht er auf und geht zu den Sitzgruppen hinüber, um unsere Kommilitonen aufzuscheuchen.
Ich bin neugierig geworden. Wenn nicht sogar ein bisschen angepisst. Es ist besser, wenn das folgende Gespräch unter uns Kings bleibt. Nach dem, was ich weiß, hat Sylvian Amabelle wochenlang beobachtet und tut es jetzt noch, ohne mir etwas von ihr zu erzählen.
Ich kenne ihn und seine Anwandlungen. Er ist kein Stalker. Er lässt seine Opfer nicht wissen, dass er sie beobachtet, und er steht auch nicht in Hauseingängen oder verfolgt sie durch die Straßen. Er lässt es sie nicht einmal spüren,
dass er Interesse hat. Eigentlich tut er nichts anderes als das, was jeder vollverknallte Supertrottel tun würde, der keine Eier in der Hose hat, um seinen Schwarm anzusprechen: sie aus der Ferne beobachten.
»Was ist so interessant an ihr?«, frage ich beiläufig und nehme einen tiefen Zug aus der Zigarre, sodass das Knistern der Glut in der Luft hängt. »Sylvian, du weißt, dass wir neugierig werden, wenn du dich so benimmst.«
»Nichts ist interessant
«, behauptet er und blickt mir selbstbewusst entgegen. Nur er würde es wagen, sich mir entgegenzustellen. Nicht einmal Reece hätte ohne Zayn den Mumm dazu. »Wir finden eine Bessere. Sie ist nicht geeignet. Weder für deine kranken Spiele noch für meine oder für Crescents. Es wird kein Spaß sein. Es wird einfach nur armselig.«
»Du hast Romeo in deiner Aufzählung vergessen.«
Sylvian tritt vor, die Zähne zusammengebissen und die Augen verengt. »Wenn Romeo sie auch nur anrührt …
«
Ich lege den Kopf in den Nacken und lache. »Scheiße, du bist ja richtig verknallt in Amabelle
.«
Romeo befindet sich weit genug entfernt, doch auch sonst wäre Sylvian egal, was Romeo über ihn denkt. Die beiden
hassen sich bis aufs Blut, seitdem sie sich im letzten Jahr bei einer … Sache uneinig waren. Ich komme gut damit zurecht, die Streithähne auf Abstand zueinander zu halten, verstehe aber, wenn Sylvian Romeo von irgendwem
fernhalten will.
Romeo – mein Schatten – ist ein bissiger Werwolf. Mein verlängerter Arm für alles Grausame, was auf diesem Campus geschieht und geschehen muss, und doch ein wenig zu ungezähmt für die Regeln des Clubs.
Ein Grund, weshalb ich mich in letzter Konsequenz immer für Sylvian entscheiden würde.
»Ich bin weit davon entfernt, etwas zu fühlen
«, setzt Sylvian unser Gespräch fort. »Ich habe aus dem letzten Jahr gelernt. Wir können nicht mit jeder Frau spielen, bis sie daran zugrunde geht. Es geht nicht immer nur um unseren Spaß, Jax. Ihre Mom vegetiert in ihrem Trailer nur noch vor sich hin, selbst eine Topfblume bringt mehr zustande als sie. Mable hat eine Schwester. Wenn wir sie zerstören, zerstören wir ihre minderjährige Schwester gleich mit. Geht das in deinen kranken Schädel oder ist dir selbst das egal?«
Ein Stich in meiner Brust zeigt mir, dass ich nie erwartet hätte, Sylvian auf diese Weise reden zu hören. Er stellt mich hin, als wäre ich ein Monster und er der Heilige. Ich bin kein fucking Monster, Amabelle. Ich bin ein König. Und was ich tue, ist nur dafür da, meine Untertanen zufriedenzustellen.
»Du nennst sie Mable.« Dieser kleine Umstand ist mir nicht entgangen. »Du hast sogar schon einen Spitznamen für sie. Toll.«
Normalerweise verwenden wir nur einen Kosenamen für euch: Dole. Im britischen Slang gibt es dieses fantastische Wort, das ›Doll‹, Puppe, und ›Dole‹, Almosen, perfekt miteinander verbindet. Warum also tut Sylvian so, als hättest du bereits mehr Stellenwert als alle anderen ›Doles‹?
»Du wirst mir gefälligst sofort erzählen, was dieser Scheiß hier soll!« Ich zeige um mich und meine damit, dass er vor uns
steht wie auf einer Anklagebank und nicht neben uns sitzt, auf dem Platz, an den er gehört. Habe ich ihn verloren? Und was muss ich tun, um ihn zurückzugewinnen?
Während wir anderen unsere Ferien in den Hamptons, Europa und Russland verbracht haben, war er hier, hat sich in einem seiner Stammclubs verschanzt und ein Mädchen belauert, dessen bloße Existenz mich schon rasend macht.
Er hat dich beschattet, Amabelle. Aber warum?
Als er nicht antwortet, richte ich mich auf.
Warum tust du mir das an, Sy?
Dabei kennt dieser Wichser mich besser als meine rechte Gehirnhälfte die linke. Er weiß, dass ich Amabelle nur anzusehen brauche, um sie zu wollen. Wenn es Sylvian genauso geht, könnten wir viel Spaß zusammen haben …
Aber mein bester Freund hat irgendein Geheimnis daraus gemacht, wer Amabelle ist und wie sie aussieht. Er hat sie beobachtet und mir nichts davon erzählt.
Er hat dich vor mir verborgen.
Ob er schon vergessen hat, wem er ewige Loyalität schuldet?
Ich habe ihn von der Straße aufgelesen wie einen Hund. Ohne mich wäre er nichts.
»Du willst mir ernsthaft weismachen, dass du den ganzen Sommer über ein Mädchen gestalkt hast, nur um am ersten Tag des Semesters festzustellen, dass du sie nicht willst? Ich bin nicht derjenige von uns beiden, der sich die kranken Spiele ausdenkt, du kleiner, lügnerischer Bastard. Du
bist es. Stell mich nicht als den alleinigen Täter hin, und sag mir gefälligst, warum du ausgerechnet sie
beschützen willst.«
Es ist wahr, Belle. Wie ich eben sagte: Wäre mein Vater nicht, wärt ihr mir fast egal. Aber die anderen Kings … Sie hassen euch aus niedereren Gründen als ich. Sylvian ist normalerweise ganz vorne mit dabei, wenn es darum geht, euch zu zerstören.
Und jetzt?
Hast du in ihm das Gewissen geweckt?
»Ich habe sie nicht gestalkt«, knurrt er und verschränkt die Arme vor der Brust. Ich spüre die Energie, die von ihm ausgeht. Sie ist wie ein Orkan, der auf mich zuprescht. Er ist normalerweise verschlossen wie ein fucking Stein. Lässt niemanden an sich heran. Sylvian ist gebrochen. Er ist ein Opfer seiner eigenen schlechten Gefühle, seiner Selbstgeißelung und seines blinden Hasses. »Ich sage dir, dass wir es nicht tun sollten. Nimm es an oder ignorier es. Aber ich werde nicht mitmachen. Ich bin raus.«
Er ist erwachsen geworden. Niedlich. Ich habe auch keine Lust mehr, zu spielen. Ich bin die ganzen Spiele leid. Für mich ist der Ernst der Reiz. Vielleicht wäre es an der Zeit, ihm mehr zu erzählen. Vielleicht sollte ich ihn darüber aufklären, warum ich das alles mache. Es gibt einen Grund. Einen Grund für alles. Der weit darüber hinausgeht, dass uns langweilig ist. Aber ist er schon bereit dafür, die Wahrheit zu erfahren?
Kann ich ihm mein größtes Geheimnis anvertrauen?
Oder weiß er es vielleicht sogar längst?
»Was meinst du mit ›raus‹?«, fragt Reece ihn spöttisch. »Willst du nach dem College doch nicht deinen Master in Kingston machen, Sy?«
»Natürlich werde ich ihn machen«, zischt er. »Und niemand von euch wird mich daran hindern.«
»
Sicher?«, frage ich und schlendere auf ihn zu. »Überleg dir gut, was du sagst, Silvano. Ich bin nicht derjenige von uns beiden, der seinen Sommer in einem stickigen Club verbracht und ein Mädchen aus der Ferne beobachtet hat. Wie oft hast du dir vorgestellt, dass sie einen Trip von dir kauft, ein bisschen Kokain, und dir auf einem dreckigen Klo einen runterholt?« Ich lächle, weil ich weiß, dass er sich genau das vorgestellt hat. Er ist besessen von ihr. Wie er sie angesehen hat, als sie ihr Wohnheim verlassen hat. Im Schatten wartend, um ja nichts zu verpassen. Sylvian ist nicht der einzige gute Beobachter. Auch ich weiß, was um mich herum geschieht.
»Wenn du nicht willst, dann spielst du eben nicht mit. Dann kannst du das ganze Semester damit verbringen, zu lernen. Nur leider weiß ich, dass du es nicht aushalten wirst. Du brauchst
es. Du willst
sie. Diese kleine Trailerparkschlampe versuchst du nicht vor mir
zu beschützen. Sondern vor dir
. Ich kenne dich, mein teurer Freund, und du und ich haben dieses fucking Spiel nicht nur erfunden. Wir haben es gelebt.
Niemand von uns beiden kann damit einfach aufhören. Wir sind
dieses Spiel. Es ist längst Realität geworden.«
Sylvian sieht mich an und weiß, dass ich recht habe. Amabelle vor uns beschützen zu wollen war ein schwacher Versuch, seinen inneren Dämonen nicht nachzugeben. Wir sind die Kings. Ohne ihn bin ich nichts und er ist ohne mich noch weniger. Uns stellt sich niemand in den Weg.
Nicht einmal unser eigenes fucking Gewissen.
Es stimmt, Amabelle. In meiner Brust schlagen zwei Herzen. Ich habe ein hehres Ziel vor Augen und werde jeden beseitigen, der sich mir in den Weg stellt. Aber ich habe auch … meine Freunde. Sylvian. Reece. Zayn und Romeo. Und da gibt es etwas, das uns alle bei diesem Spiel verbindet. Das uns zusammenschweißt und jeden unserer dunkelsten Abgründe befriedigt.
Deswegen können wir nicht einfach damit aufhören.
Selbst wenn ich meinen Vater besiege.
Wir könnten niemals damit aufhören, uns Opfer zu suchen.
Es ist eine Sucht. Es ist krank. Und ich bin mir sicher; du wirst es lieben.
»Sag mir, Sylvian«, flüstere ich in die Stille hinein und umkreise ihn wie ein Wolf, der seinen Gefährten zum Spielen auffordern will. »Wie oft hast du dir vorgestellt, was passieren wird, wenn sie nach Kingston kommt? Was hast du dir ausgemalt? Lüg mich nicht an, ich weiß, dass du sie in Gedanken schon nackt vor dir gesehen hast. Vor uns
. Wie wir sie uns teilen.
Ihre geistig zurückgebliebene Mutter und die kleine, verwahrloste Schwester sind dir scheißegal, wenn
Amabelle in Gedanken vor dir kniet, deinen Schwanz bläst und wir ihr dabei zusehen. Ist es nicht so?«
Sylvians hohe Kieferknochen spannen sich an. Alles, was ich sage, ist wahr, und vermutlich geht es in seinem Kopf noch weitaus schlimmer zu. »Das ändert nichts daran, dass es aufhören muss.«
»Was muss aufhören, Sy?«, frage ich ihn ironisch. »Du hast verfickt noch mal Geheimnisse vor uns, ja, das muss aufhören! Du bist kein Stalker. Du bist kein Typ, der die Schatten sucht. Du bist ein verdammter King. Was hat dich an der Kleinen so sehr fasziniert, dass du nicht einmal uns die Wahrheit erzählen willst?«
Sylvian schweigt. Er schweigt oft, und ich muss mir in solchen Momenten zusammenreimen, worüber er nachdenken könnte. Das hilft mir nicht weiter.
»Okay, hör zu, Silvano. Wir schließen eine Wette ab.«
Er horcht auf und auch die Kings auf den Stühlen regen sich. Wetten sind Spiele höchster Relevanz. Man wettet nicht einfach so. Sie sind bindend. Gefährlich. Tödlich
, mitunter.
Ich halte Sylvian die Hand hin. »Wer sie zuerst bekommt, entscheidet über ihr Schicksal.«
Er schnaubt. »Du hast gar nichts kapiert
, Jax. Ich werde sie nicht
anrühren.«
Nicht nur ich lache. Niemand von den anderen Kings glaubt ihm diesen Scheiß. »Dann wette ich mit dir, dass du es nicht aushalten wirst. Du wirst es nicht aushalten, sie nicht zu vögeln. Wenigstens ihren kleinen, zarten Mund. Du wirst es wollen. So sehr, dass nicht einmal dein ›neues Ich‹ dich davon abhalten können wird, sie dir zu nehmen.«
Sylvians Miene bleibt hart.
»Und während du noch mit dir kämpfst und haderst, wird sie mich schon längst gefickt haben. Was auch immer du ihr sagst und was auch immer sie über mich erfährt, am Ende wird sie sich auf mich einlassen. Und ich werde der Erste sein.«
Jetzt leuchten seine Augen auf. »Du wirst verlieren.«
»Ach?«
»Ich wette, dass sie mich wählt. Selbst wenn ich mich das gesamte Semester über von ihr fernhalte.« Ein sprödes Lächeln umzuckt seine Lippen. Er greift nach meiner Hand und drückt sie fest. »Wenn ich gewinne, ist sie raus. Mable wird studieren und die Stiftung deiner Familie wird den Scheiß zahlen. Bis sie ihren verdammten Abschluss hat.«
»Niedlich«, säusele ich. »Was hat sie nur an sich, dass du plötzlich ein Herz zeigst?«
»Abgemacht, Tyrell?«
»Die Wette gilt, Silvano.«
Er lässt mich sofort los, als hätte er sich an mir verbrannt.
Reece atmet tief durch und streckt locker seine Beine aus. »Seid ihr fertig mit dem Schwanzvergleich? Soll ich wetten, dass sie keinen von euch wählt?«
»Nicht nötig«, brummt Sylvian, steckt die Hände in die Taschen und wendet sich ab. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, setzt er sich auf einen der Lesesessel.
Reece runzelt die Stirn, aber ich rauche einfach weiter.
»Lasst ihn leiden«, empfehle ich den anderen. »Er wird der Erste sein, der Amabelle verdirbt, wenn es so weit ist. Habt ihr schon eure Laborzuteilungen für dieses Jahr?«