A
m nächsten Morgen ist es, als würde mich der Geruch von Sprengkörpern wecken. Der Rauch und Gestank von Bomben und Krieg. Auch wenn es keinen gibt, weiß ich, dass ich ihn auf psychologischer Ebene begonnen habe.
Ich fühle mich nicht gewappnet, als ich mein Wohnheimzimmer verlasse. Was ich getan habe, war gewagt. Vielleicht beweisen die Kings Humor und lachen einfach darüber.
Vermutlich aber nicht.
»Hey, Trailerparkgirl«, ruft Rachel aus der Küche, als ich daran vorbeigehe.
Ich bleibe stehen, schließe die Augen und frage mich, ob ich das wirklich will.
Ob ich mit ihr sprechen will.
Mit irgendjemandem sprechen will.
Rachel ist nicht allein. Neben ihr sitzt Brittany und rührt in ihrer Schale Müsli, ohne einen Bissen zu nehmen.
»Du hast verloren.« Rachel nickt zum schwarzen Brett, das uns Stipendiatinnen seit Wochen über die Arena
auf dem Laufenden hält.
Interessiert lese ich den neuen Ausdruck, der in der Mitte neben dem Semesterplan auf dem Brett prangt.
Meine Punkte stehen auf 1500. Die tausend Punkte sind neu, aber über meinen Namen ist ein großes ›disqualifiziert‹ aufgestempelt. Rachel hat 2230 Punkte, Brittany und Lien jeweils zwischen 1400 und 1600.
Da ich 1500 Punkte für eine gewonnene Pokerrunde und die Nacht bekommen habe, frage ich mich, was die anderen für ihren Punktestand tun mussten. Doch kaum habe ich darüber nachgedacht, ist es mir schon wieder egal.
»Und?«, frage ich Rachel und drehe mich um. »Bist du jetzt glücklich darüber, dass auf meinem Namen ein ›disqualifiziert‹ steht? Ich meine, freut es dich aus tiefstem Herzen, wenn ich gehen muss?«
Rachel hebt die Schultern. »Warum nicht? Wir anderen haben von Anfang an für unsere Punkte gearbeitet
und du hast einfach mit den Kings rumgehurt. Tolle Leistung.«
»Und du nicht?«, frage ich zuckersüß. »Ist es für dich nicht wie Prostitution, jeden halbwegs erwachsenen Typen in dein Zimmer zu lassen und für ihn die Beine zu öffnen? Wegen eines Spiels
von drei völlig verblendeten Egomanen, deren Lebensziel darin zu bestehen scheint, das Kindergartenniveau bis ins hohe Alter zu halten?«
»Fick dich einfach, Mable. Du bist nichts Besseres, nur weil du dich für etwas Besseres hältst!«
»Das habe ich auch nie von mir behauptet! Aber du schon! Gerade eben! Statt dass wir uns verbünden, lasst ihr euch gegenseitig ausspielen. Ihr wisst, dass nur eine
gewinnen kann, oder? Also was bringt es, wenn ich gehe? Ich werde nicht die Letzte sein.«
Rachel verzieht die Augenbrauen und scheint mir erneut Wortkotze ins Gesicht spucken zu wollen, also hebe ich die Hand, bedeute ihr, dass mich ihr Gerede nicht interessiert, und verlasse fluchtartig die Küche.
Okay. Keine Unterstützer. Keine Verbündeten. Was tue ich jetzt?
Kaum nähere ich mich den Hauptgebäuden der Universität,
begegnen mir feindselige Blicke von allen Seiten.
»Du bist disqualifiziert«, wird mir von allen Seiten gesagt.
»Verschwinde, Dole, du hast verloren.«
»Du kannst hier nicht rein.« Ein massiger Sportler stellt sich mir in den Weg, als ich das Hauptgebäude für meine Vorlesung in Lineare Algebra betreten möchte. »Zutritt nur für Studenten.«
Ich sehe ihn unter halb verschlossenen Lidern genervt an und frage mich, ob das alles ernst gemeint sein kann. An dem Handgelenk des ›Türstehers‹ prangt eine dicke Patek und seine Jogginghose hat Louis-Vuitton-Embleme.
»Okay, entschuldige, habe das nicht mitbekommen.«
Irgendein verwöhntes Rich Kid macht einen auf Türsteher? Ich habe mich noch nie von Türstehern aufhalten lassen. Was glauben die, wer ich bin? Ein Mäuschen, das auf einer einsamen Insel aufgewachsen ist? Ich habe in einem Trailerpark
meine Kindheit und Jugend verbracht. Ich war, seitdem ich denken kann, auf mich allein gestellt. An meiner Middle School gab es Schießereien, jeden Tag wurde ein anderer Spind aufgebrochen und gefilzt. Scanner und Drogenhunde an den Eingängen. Ich bin an ihnen vorbeigekommen wie an den Türstehern an den Eingängen zu Diskotheken. Vielleicht habe ich viel gelernt, sehr, sehr viel gelernt, aber ich war auch aus. Ich hatte Spaß.
Ich war in Gegenden unterwegs, in die sich diese elitären Idioten vermutlich nicht einmal hineintrauen würden.
Ohne mir weitere Gedanken zu machen, nehme ich den Hintereingang und sitze kurz darauf im Hörsaal.
Mister Louis-Vuitton-Muskelprotz bemerkt mich beim Hineinkommen und sein fleischiges Gesicht verzieht sich zu einer hyänenähnlichen Grimasse.
Ich ignoriere es.
Nach der Vorlesung – die ich in der vordersten Reihe verbracht habe, damit der Professor weitere Attacken
mitbekäme, auch wenn ich mir keine Hoffnungen mache, dass er mich beschützen würde – wird mir dafür die Tür nach draußen blockiert.
Eine ganze Gruppe aus Studenten sieht mich an, als wäre ich Abschaum, während sie vor der Tür stehen, nachdem der Professor gegangen ist. Sie lassen alle durch, die gehen wollen, nur nicht mich.
»Du darfst gehen, wenn du uns deinen Zopf als Preis gibst.« Eine schwarzhaarige Tussi lächelt mich böse an und streckt die Hand aus. Schnell greife ich an mein Haarband. Sie wollen mich nicht wirklich dazu bringen, mein Haar abzuschneiden, oder?
Sie wollen.
»Gib uns deinen verdammten Zopf oder wir lassen dich nicht durch!«, kreischt sie.
Sie ist es wohl nicht gewohnt, dass jemand ihr nicht alles gibt, wonach sie verlangt.
Ich weiche klugerweise zurück. Es gibt einen zweiten Ausgang in der oberen Ebene. Ich muss nur die Stufen nach oben …
Doch sie lassen mich nicht entkommen.
Auf halber Strecke den Hörsaal hinauf werde ich zurückgerissen.
Männerhände packen mich, schleifen mich mit sich. Ich schreie und kämpfe und brülle, und bekomme im nächsten Moment eine Hand auf meinen Mund gedrückt.
Sie zerren mich zu dritt zum Pult, drücken mich zu Boden und befummeln meine Kleidung.
»Wollen wir doch mal sehen, ob sie wirklich so schlecht fickt, wie die Kings sagen.« Der Türsteher von eben grinst mich schäbig an und reißt an meiner Hose. »Ob sie die tausend Punkte wert ist, die sie bekommen hat? Dumm genug, nicht zu hören, ist sie schon mal.«
Die schwarzhaarige Tussi lacht, und der Laut beißt sich in
meine Ohren, während ich versuche, die Typen von mir abzuschütteln.
Das passiert nicht wirklich.
Das passiert nicht.
Sie würden niemals so weit gehen.
Niemals!
Aber ihre Egos sind noch kleiner, als ich dachte. Meine Hose wird heruntergerissen, der Reißverschluss des Türstehers geöffnet. Ich erstarre innerlich, gebe meinen Widerstand auf, weil Panik sich in meinem Kopf zu Untätigkeit verdichtet. »Bitte, lasst mich los«, wimmere ich in der Hoffnung, es würde helfen.
Wieder lachen sie. Sie alle.
Umstehen mich, blicken auf mich herunter. Hässliche Gesichter, in teuerste Kleidung gehüllt und einen abtrünnigen Spaß in den Augen, den ich niemals nachvollziehen können werde.
Ich presse die Augen zusammen, bete, dass es vorbeigeht und nicht wehtun wird. Bereite mich innerlich darauf vor, grob benutzt zu werden. Bereite mich auf den Schmerz vor, versuche die Hände auf mir zu erdulden, versuche es schnell hinter mich zu bringen. Als ich einen weichen Schwanz an meinen Schenkeln spüre, muss ich einsehen, verloren zu haben.
Ich habe verloren.
Ich werde aufgeben müssen.
Das hier geht zu weit.
Viel zu weit.
»Genug!«
Erleichterung durchströmt mich, als die Jungs mich urplötzlich loslassen.
Sie gehen drei Schritte zurück, lassen mich liegen, als wäre ich unappetitliches Aas. Schnell greife ich nach meiner Jeans, ziehe sie mir über. Ich merke, dass ich die letzten Sekunden
gar nicht wahrgenommen habe. Wie in einem Schock, wie bei einem Unfall, habe ich von außen zugesehen. Hätten sie mich wirklich vergewaltigt?
Vor allen?
»Welche Regeln gelten in Kingston?« Jaxon ist allein. Er kommt die Treppe des Hörsaals hinunter, gelassen und elegant. Seine dominante, unangreifbare Energie flutet den Raum. Ein Mann, zu dem jeder andere aufsieht. Der eine Macht ausstrahlt, die den gesamten Raum schwängert wie der Duft nach Prestige und Reichtum. »Ich glaube, sie wurden gerade missachtet.«
»Sie ist in die Vorlesung gegangen, obwohl sie ausgeschieden ist!«, verteidigt sich der Türsteher und zeigt mit einem Finger auf mich, als wäre ich ein Tier.
Mit klopfendem Herzen rapple ich mich auf.
Jaxon kommt Schritt für Schritt die Treppe herunter, die Hände in den Taschen seiner Chino. »Ich glaube, heute werden uns noch ein paar mehr verlassen als Dole.«
»Was?«, fragt der Türsteher ungläubig. Die anderen Studenten stehen da, verunsichert, und geben keinen Ton mehr von sich.
»Wir können es nicht zulassen, dass wichtige Regeln auf diesem Campus nicht eingehalten werden. Weder von armseligen Stipendiatinnen, die sich für etwas Besonderes halten, noch von fetten Ärschen wie dir. Du bist raus, Hilbredge.«
Hilbredge sieht aus, als hätte Jaxon ihm mitten ins Gesicht geschlagen. Seine Haut wird bleich und seine Augen glasig. »Aber sie ist ’ne verfickte Hure und …«
»Sie wird nie gehen, wenn man ihr nicht richtig
Angst macht!«, schaltet die Schwarzhaarige sich ein. »Ihr seid viel zu nachgiebig mit ihr!«
Jaxon verzieht einen Mundwinkel. Die Verachtung, die er der Fremden entgegenbringt, ist noch um einiges deutlicher zu
spüren als die Verachtung mir gegenüber. Das überrascht mich. Hasst er die ›Bauern‹ wirklich so sehr? »Du hast recht, Nataly.« Er lässt seinen Blick zu mir gleiten.
Ich schüttle den Kopf. Was auch immer er vorhat, es sieht danach aus, als ob es schmerzhaft werden wird.
»Mach weiter, Hilbredge.«
»Was?!«, rufe ich panisch und weiche zur Tafel zurück.
»So lange, bis sie sich dafür entschuldigt, diese Vorlesung besucht zu haben, obwohl sie ausgeschieden ist.«
Ich starre ihn an. Plötzlich weiß ich nicht mehr, wie ich einen Fuß vor den anderen setze. Jaxon schlendert zur ersten Reihe zurück und setzt sich auf einen der Klappstühle. Das eine Bein lang ausgestreckt, steckt er die Hände in die Taschen seiner Chino und sieht mir zu.
Sieht Hilbredge dabei zu, wie er breit grinsend auf mich zukommt.
Wieder werde ich gepackt. Das Gelächter ist noch lauter. Die Freude, dass ihr King es zulässt, noch größer.
»Entschuldige dich bei ihm, dass du nicht auf ihn gehört hast, Dole!«
»Einen Teufel werde ich tun!«, spucke ich ihm entgegen, sodass Speichel Hilbredges Stirn trifft. Das lässt ihn nur noch gröber werden und er reißt mich wieder unter sich.
Panisch verliere ich mich in der Suche nach Jaxons Augen. Er kann das nicht zulassen.
Das würde er niemals tun.
Die Kings tun keinen Frauen weh.
Tränen verhängen sich in meinen Wimpern, als mir klar wird, dass ich auf nichts zu hoffen brauche. Ich muss mich ihm beugen. Ich muss aufgeben. »Entschuldige«, wispere ich, als Hilbredge wieder meine Jeans nach unten zerrt. Ich liege ermattet da.
»Lauter!«, ruft Nataly. »Wir wollen es alle hören.«
»Entschuldige!«, schreie ich.
Hilbredge grunzt und nimmt Abstand.
»Wofür entschuldigst du dich, Dole?«, ruft Jaxon mir zu.
»Ich war dumm.« Meine Stimme ist ein einziges Röcheln und ich lasse meine Augen zusammengepresst. So dumm, dass ich euch verfallen bin. So naiv, euch zu vertrauen.
»Dumm?«, fragt Jaxon höhnend. Er kommt näher. »Du willst dich dafür entschuldigen, dass du ›dumm‹ warst? Ich glaube nicht, dass wir das akzeptieren können.«
Ich reiße die Augen auf und starre ihn an.
»Du hast nicht auf Hilbredge gehört. Du hast, obwohl du es nicht durftest, die Hallen dieser Universität mit deiner leidigen Anwesenheit besudelt. Du hast geglaubt, du könntest dich widersetzen. Unseren Regeln. Und der Endgültigkeit des Spiels.
«
Ich bringe keine weitere Entschuldigung hervor. Es geht einfach nicht. Nicht, wenn er vor mir steht und mich auf diese Weise taxiert.
»Aber es soll mir genügen«, sagt er achselzuckend.
»Das genügt noch lange nicht!«, zischt Nataly aufgebracht.
»Willst du dich Hilbredge anschließen?«, fragt Jaxon sie gelassen.
»Was? Wieso anschließen?«
»Er wird uns verlassen. Vergewaltiger haben keinen Platz in Kingston.«
Sie zischt leise, was wohl ein Nein zu bedeuten scheint.
»Was?«, grunzt Hilbredge verwirrt. »Wieso, ich hab doch …«
»Ihr vergesst, dass es immer noch ein Spiel ist. Wenn ihr allerdings eine Frau vergewaltigen wollt, dann wandert ihr in den Knast. Du hast die Wahl, Hilbredge. Pack deine Sachen oder geh ins Kittchen. Ich habe alles aufgenommen.«
Hilbredge zieht Spucke hoch und rotzt sie dem King vor die Füße. »Motherfucker.« Damit wendet er sich ab und stampft zur Tür.
Jaxon sieht ihm gelassen hinterher. Dann kommt er auf mich
zu. Nach wenigen Schritten ist er bei mir und hat meinen Oberarm gepackt. Da er mich gerade gewissermaßen gerettet hat, widersetze ich mich nicht und lasse mich von ihm nach draußen führen. Dort schubst er mich von sich, sodass ich stolpere und auf dem Boden lande.
Toll. Von wegen Retter.
Er beugt sich über mich, sein Blick schwarz vor Abscheu. »Letzte Warnung. Das nächste Mal lasse ich sie dich ficken, bis deine Pussy blutet.«
»Ich habe nicht verloren«, gebe ich wütend zurück. »Nirgends gibt es ein Regelwerk, in dem steht, dass man euch nicht provozieren darf! Ich habe noch immer mehr Punkte als Brittany! Auch wenn dieses Spiel bescheuert ist, was wäre daran ein Spiel, wenn es nicht mal irgendwelche Regeln gibt? Wenn ihr euch einfach dazu entscheiden könnt, es zu beenden, nur weil eure jämmerlichen Egos eine Retourkutsche nicht aushalten?«
Wir haben Zuhörer. Nicht nur die Studenten, die eben bei meiner Vergewaltigung zusehen wollten, auch andere auf dem Flur wenden ihre Köpfe in unsere Richtung.
Jaxon blickt auf mich herab.
Es ist beschämend genug, dass ich vor ihm auf dem Boden sitze. Aber etwas an seinem Blick auf mir lässt mich regungslos werden. Ich will am liebsten schreien, so laut, dass er aufhört, das fiese Arschloch zu sein, und zu dem Mann wird, der einigermaßen zu ertragen ist!
»Es geht nicht um ein Spiel«, erklärt Jaxon ruhig. »Du hast nie mitgespielt. Die Punkte, die wir dir gegeben haben, waren Fake, um dich noch eine Weile hierbehalten zu können. Denn wir ficken grundsätzlich alle Stipendiatinnen, bevor sie gehen. Irgendeinen Vorteil muss es ja haben, dass mein Vater euch Tausende Dollar in den Arsch schiebt, oder? Zugegeben, wir haben uns Zeit gelassen, weil wir es genossen haben, dir dabei zuzusehen, wie du versagst. Aber jetzt sind wir durch mit dir. Komm damit klar und fahr endlich nach Hause.
«
Tränen brennen mir in den Augen. Nicht die Erkenntnis, dass die Kings mich benutzt haben, verletzt mich. Sondern meine eigene Dämlichkeit. Bedeutet das, ich hätte alles verhindern können, wäre ich nicht bereitwillig auf ihr Sexangebot eingegangen?
Sollten sie mich letztendlich dafür bestrafen, dass ich auch Spaß
haben wollte?
Es ist so lächerlich.
Eine Ideologie wie aus dem letzten Jahrtausend.
Wie gerne würde ich ihm sagen, was ich wirklich über ihn denke. Dass ich ihm nicht glaube, wenn er sagt, es wäre ihm nur um Sex
gegangen. Dafür war er zu … weich? Wissen die anderen Studenten das?
Dass Jaxon liebevoll sein kann wie ein harmloser Engel?
Vermutlich nicht.
Und vielleicht war ich auch einfach zu angeturnt, um mitzubekommen, dass er nichts bei unserem Sex empfunden hat.
Ich stütze mich auf den Steinboden auf. Dieser uralte Steinboden, der seit Jahrhunderten dafür sorgt, dass Lernwillige auf ihm wandeln können. Wurde dieses Gebäude erbaut, damit ein Tyrell im Jahre 2020 die Studenten terrorisieren kann? Damit er sich als Herrscher aufbauschen lässt, der über alles und jeden bestimmt?
Als ich vor ihm in den Stand gekommen bin, sieht er mir ausdruckslos entgegen. Er hat sich nicht bewegt. Aber dass er mir die Chance gibt, etwas zu erwidern, lässt mich für einen Moment Hoffnung empfinden.
»Ich glaube dir nicht.«
Eine seiner Brauen zuckt belustigt nach oben. »Was?«
»All die Dinge, die du gesagt hast. Du hast sie nicht erfunden.«
Er lacht laut und genießt es offenbar, dass jeder uns
zusieht. Dann kommt er wieder näher. »Jedes einzelne nette Wort, das ich je an dich gerichtet habe, war eine Lüge. Ich habe dich so sehr belogen, dass du vermutlich nicht einen einzigen wahren Satz von mir zu hören bekommen hast. Alles, was ich wollte, war, dass du dich uns hingibst, wie eine Hure es tun würde. Du hast dich von uns ficken lassen, weil du glaubtest, so könntest du gewinnen.«
»Das ist nicht wahr!«, halte ich unter Tränen dagegen.
»Ach ja? Du hast es getan, weil es dir Spaß gemacht hat, hm?«
»Ja!«, rufe ich und die Menge um mich herum lacht.
»Gut, dann bist du eben nur eine kleine, verwahrloste Schlampe, die von Schwänzen nicht genug bekommen kann. Hättest du das mal früher erkannt, hättest du dir eine Menge Punkte mit Gefälligkeiten verdienen können.«
Mein Puls ist auf hundertachtzig und ich kann keinen klaren Gedanken mehr fassen. Wieder lachen sie. Sie alle. Aber ich darf mich nicht darauf konzentrieren, dass wir Zuschauer haben, sonst werde ich keinen Ton mehr hervorbringen. Jaxon allein ist es, der aus mir die Wut und das Brodeln hervorlockt, was meine Hemmschwelle bis zum Boden hin sinken lässt.
»Und was seid ihr?«, frage ich höhnisch und spreche noch ein bisschen lauter als er, damit mich wirklich jeder hört. »Ihr seid so verfickt armselig, dass ihr Frauen belügen und betrügen und euch teilen müsst, weil keiner von euch anziehend genug für eine normale Beziehung ist! Weil keiner euer hässliches Herz und euren psychotischen Verstand will! Sie sehen nur euer Geld, eure Macht, euren Status, aber eigentlich hassen sie euch! Und deswegen müsst ihr euch immer neue Opfer suchen, weil niemand sich auf euch einlassen würde, niemand würde euch auch nur ein nettes Wort abnehmen! Sie alle wissen, wie ekelhaft ihr in Wahrheit seid!«
Ein paar Sekunden verstreichen, in denen niemand etwas
sagt und Jaxon mich mit seinen blauen Augen fixiert.
Dann lächelt er. Und leider weiß ich, dass es ein echtes Lächeln ist. Dass keines meiner Worte ihn treffen konnte.
»Glaubst du, ja? Ganz schön große Worte für ein Mädchen aus dem Slum. Du kennst sie ja, oder? Die ehrlichen, aufrichtigen Liebesbeziehungen? Die Väter und Mütter, die zusammenbleiben und durch jede Widrigkeit gemeinsam gehen? Die Frauen, die nicht von ihren Männern geschlagen oder in einem Trailerpark sitzen gelassen werden und dann zu Tabletten greifen, weil sie nie jemand wirklich lieben wird? Falls irgendjemand von euch mal Beziehungstipps braucht, fragt einfach Amabelle Weaver.« Er wendet sich an unsere Zuschauerschaft, die zunehmend wächst. »Und wenn ihr einen guten Blowjob wollt, dann auch.«
Wieder rauscht ein Schauer aus Gelächter auf mich herab und ich tue das einzig Richtige. Ich hole mit meiner Hand aus und schlage ihm mitten ins Gesicht.
Wendig weicht er aus und umfasst mein Handgelenk.
Ein lautes ›Uuuuh‹ schallt durch die Halle.
Jaxon zerrt mich an meinem Gelenk an sich. Seine Augen leuchten, als würde ihn meine Wut zutiefst befriedigen. »Es war eine Wette, Belle. Eine kleine, feine Wette zwischen Sylvian und mir. Ich sagte zu ihm, du würdest mich wollen. Obwohl du alles über mich weißt. Obwohl Harper dir alles über mich erzählt hat. Obwohl ich vor dir stand und dir all meinen Hass auf die Unterschicht offenbart habe. Ich habe gewettet, dass du mich wählst und dass du dich trotz allem tief und lang von mir ficken lassen wirst. Und ich habe gewonnen. Weswegen ich über dich entscheiden kann, wie es mir beliebt. Und da ich dich als Spielzeug nicht mehr gebrauchen kann und mir Leute auf den Sack gehen, die mit hässlichem Graffiti die Welt verunstalten, wurdest du disqualifiziert.«
»Ich habe nicht dich
gewählt«, kommt es aus mir hervorgeschossen. Diese Genugtuung kann ich ihm nicht
lassen.
»Nein?«, fragt er locker. »Du meinst, weil du Crescents Schwanz vorher schon im Mund hattest? Gut, wenn du es so siehst …«
»Es war nicht mein erstes Mal mit einem von euch.« Für einen Moment genieße ich die Irritation, die auf seinen Gesichtszügen entsteht. »Und wären Sylvian und Reece nicht da gewesen, hätte ich dir niemals vertraut. Aber rede es dir ruhig ein. Dein Ego braucht es scheinbar. Es ist wirklich so viel größer, als dein Schwanz es je sein wird.«
Endlose Wut flackert in seinem Blick auf und ich bekomme Angst vor ihm. Schnell reiße ich mich los. Trotzdem recke ich mutig mein Kinn. Vielleicht kann ich ihn mit seinen eigenen Waffen schlagen. Und damit, dass uns so viele zuschauen, die offenbar ziemlich großes Interesse daran haben, dass es noch nicht endet.
»Wenn es ein Spiel ist … dann dient es der Unterhaltung, oder?«
»Und?«, fragt er kalt.
»Lass mich weiter mitspielen«, fordere ich. »Bis zum letzten Prüfungstag. Und wenn ich dann immer noch zu wenig Punkte haben sollte … gehe ich.« Ich hebe die Hand und zeige um mich herum, auch wenn ich mich anstrengen muss, mein Zittern zu verbergen. Mit Jaxon auf Konfrontationskurs zu gehen, ist eine der größten Herausforderungen. »Sie wollen doch etwas zum Zuschauen haben, oder? Bestimmt wären die Leute auch dafür.«
Die Menge applaudiert tatsächlich, auch wenn viele höhnische Rufe darunter sind.
Jaxons Lippen kräuseln sich. »Niedlich, wie du versuchst, das Unabwendbare hinauszuzögern.«
»Klappt es?«, frage ich mit bebender Stimme.
Anerkennung blitzt in seinen Augen auf. Doch er schweigt.
»Komm schon, mich zu disqualifizieren, weil ich euch ein
paar Pimmelberge auf die Frontscheiben gemalt habe … Besitzt ihr gar keinen Humor? Wollt ihr wirklich ausgerechnet mich
ausschließen? Die anderen sind im Vergleich zu mir alle langweilig.«
Sein Lächeln ist das eines Teufels, als er den Kopf neigt und ein Nicken andeutet. »Du willst unbedingt, dass es noch eine Stufe härter wird, oder?«, fragt er leise. »Gut, bis zum letzten Prüfungstag. Aber bis dahin bleibst du vogelfrei. Wenn dich jemand in irgendeine Ecke zieht, werde ich nicht da sein. Lass dir was einfallen, Dole. Wenn du erst in zwei Wochen fällst, fällst du noch tiefer.« Er zwinkert, geht an mir vorbei und wendet mir seinen hochgewachsenen Rücken zu.
Um mich herum entsteht ein Summen aus Gemurmel und aufgeregten Gesprächen, Handys werden gezückt. Schon unser Gespräch wurde gefilmt. Da das Uninetzwerk aber keine sozialen Apps freigeschaltet hat, kann es noch dauern, bis das Video viral geht.
Merkwürdigerweise habe ich dennoch das Gefühl, als wüssten alle, was passiert ist, während ich über den Campus gehe. Die Bäume über mir flüstern die Wahrheit in Windeseile durch den Park.
Und weil mich jeder der Studenten plötzlich so ansieht, als hätte Jaxon ihnen einen Freifahrtschein gegeben, mich zu vergewaltigen, mache ich einen Abstecher in die Küche der Kantine, bevor ich zurück in mein Wohnheimzimmer fliehe.
Dort verriegle ich die Tür hinter mir.
Schließe die Jalousien.
Schalte das Licht an.
Und überlege mir einen Plan.