Game Over
W ir gehen wie Hunde auf sie zu. Wie Wölfe, ein Rudel, dessen ganze Existenz aufs Zerstören ausgerichtet ist. Wir sind zu fünft. Fünf schlanke Gestalten. Fünf verhüllte Gesichter. Fünf Wichser, die von der Menge in unseren Rücken gefeiert werden wie Stars.
Wie Helden.
Wie Könige.
Reece, Zayn, deren Verbindung zueinander du noch immer nicht kapiert hast, Romeo, Sylvian und ich. Wir dürsten nach Blut, Rache, Vergeltung und nach dem kleinen, hübschen Mädchen, das zu uns aufsieht, als wären wir ihre Henker.
Amabelle sitzt in der Falle.
Sie hat verloren und wir haben gewonnen.
Der Stuhl, an den sie gebunden ist, lässt sich nicht über den Boden bewegen.
Sie hätte fliehen sollen, als sie es noch konnte. Jetzt sitzt sie da. Gefangen. Umgarnt.
In unserer Mitte, und muss sich von uns erneut in ein finales Spiel verwickeln lassen.
Die Siegerehrung der Grausamkeiten.
Ich löse mich aus der Runde, trete vor und fasse grob in ihr Haar, zerre ihren Kopf zurück und nähere mich ihren Lippen. Ich kann riechen, wie ihr Blut unter ihrer Haut zu köcheln beginnt, und für einen Moment lasse ich all die Bilder zu, die in meinem Kopf entstehen. Ihr devoter Blick, ihre verführerischen Lippen. Ich spüre sie unter mir, spüre mich in ihr und sehe ihr dabei zu, wie sie von Sylvian und Reece gefickt wird. Es ist so schade, kleine Belle. So schade, dass du leider nicht bleiben kannst. Vielleicht wirst du irgendwann den Grund verstehen. Vielleicht sage ich ihn dir, wenn ich mächtig genug bin, dass kein Geheimnis der Welt mich mehr zerstören kann. Aber bis dahin werde ich schweigen. Bis dahin wirst du denken, ich tue das hier alles aus Spaß. Weil ich es kann. Als stünde nichts dahinter.
Als wäre es wirklich nur ein Spiel.
Mit einem Finger fahre ich über ihre Wange, ein letztes Mal berühre ich sie und genieße die Elektrizität, die sich in der Luft zwischen uns verfängt. Bedauern erfüllt mich, der Hauch von Zweifel, dass ich das Richtige tue, indem ich sie gehen lasse – bis mir wieder klar wird, worum es hierbei wirklich geht.
Um meine Position im Zirkel.
Um die gesamte Mühe meiner Arbeit.
Selbst du darfst nicht dazwischengeraten, egal, wie sehr sich ein Teil in mir nach deiner Zuneigung sehnt.
»Du hast verloren«, züngele ich. Amabelle sieht zu mir auf, ihre Augen geweitet wie die eines Vögelchens, das in ein Netz geraten ist und nicht glauben kann, dass ihm irgendjemand die Flügel stutzen würde. Wieso glaubst du einfach nicht an das Schlechte in der Welt, Belle? Wieso kämpfst du gegen diese Erkenntnis an und versuchst sogar, in uns das Gute zu sehen? »Warum bist du nicht gelaufen, als du es noch konntest? Hat man dir nicht beigebracht, dass Schach so gut wie immer endet, sobald die Dame geschlagen wurde? Scheint, als hätte man versäumt, dich darüber aufzuklären. Dabei ist das eine der besten Universitäten des Landes.«
Gelächter erfüllt den Raum. Mittlerweile ist jeder einzelne Platz besetzt, jede einzelne Reihe gefüllt. Der gesamte Hörsaal. Wir haben ein Publikum, eine gesichtslose Ansammlung aus sensationslüsternen Studenten, die es nicht mehr erwarten können, bis unsere Dame endlich fällt.
Amabelle blickt mir trotzig entgegen, als würde sie sich noch immer gegen diese unumstößliche Tatsache wehren wollen. Als könne sie noch mehr aushalten als das hier. Als wäre es längst nicht genug.
»Du siehst aus, als hättest du noch immer keine Angst vor uns«, raune ich und komme ihrem Gesicht näher. Es wäre so leicht, meine Lippen auf ihre zu legen. Sie an mich zu ziehen und sie einfach zu ficken. Vor allen Leuten, wenn es sein muss. Dieses Gefühl, sie zu meinem zu machen, durchdringt mich unerbittlich. Was, wenn du ganz mir gehören würdest? Wenn es da nichts Dunkles zwischen uns gäbe? Wenn ich zulassen dürfte, was ich nie zulassen konnte?
Liebe?
Fucking einfache, bittere, normale … Liebe?
Aber dann denke ich an alles, was ich verlieren würde, wenn ich ihrem Charme verfalle, und bin sofort wieder geheilt.
»Doch, ich habe unfassbare Angst vor euch«, erwidert sie mit gespielter Furcht in der Stimme, die mich auch jetzt um den Verstand bringt. Jedes Mal, wenn sie mir mit Ironie und Selbstgefälligkeit begegnet, statt eingeschüchtert zu sein, ringe ich um Fassung.
Ich bin ein Arschloch, und ich liebe es, meine Feinde zu brechen.
Amabelle macht es mir nicht leicht. Sie verlangt, dass ich noch grausamer werde. Dass ich noch weiter gehe. Und all das fickt mein Gehirn so sehr, dass ich gar nicht anders kann, als sie endlich davonzujagen, bevor es irgendwann dazu führt, dass ich sie nicht mehr gehen lassen will .
»Schade, dass Kingston dir nicht mal Anstand beibringen konnte«, sage ich langsam. »Du weißt doch eigentlich, dass man nicht lügt, kleine Belle.«
»Oh, ich habe nur vom Meister der Täuschungen gelernt, weißt du?« Sie kann es nicht lassen, mich zu provozieren.
Da sitzt sie, gefesselt auf einem Stuhl, eine Schar schaulustiger Studenten um uns herum, konfrontiert mit fünf Bastarden, die ihre Seele bei lebendigem Leib verschlingen wollen, und provoziert mich.
Mich, Jaxon Tyrell.
Vielleicht ist sie also doch lebensmüde. Hat sie noch immer nicht gelernt, dass sie mich nicht vor anderen vorführen sollte, als wäre ich ein Niemand? Meine Augen verengen sich und ich muss sie erneut in die Schranken weisen. Dieses Spiel wird nie enden.
Nie, wenn sie nicht endlich von diesem Campus geprügelt wird und für immer verschwindet.
»Beinahe hättest du dieses Spiel gewonnen, Belle«, sage ich nun lauter und trete zurück. »Ich bin beeindruckt. Und fast ein wenig traurig, dass wir uns von dir verabschieden müssen. Es war so knapp.« Ich zeige die Spanne mit Daumen und Zeigefinger in die Höhe. »Und verdammt unterhaltsam. Ich möchte nichts von dem missen, was die letzten Monate passiert ist.«
Während sich in Amabelles Gesicht der Zorn zu Röte wandelt, wird im hinteren Teil des Hörsaals das Licht eingeschaltet.
Drei Frauen betreten die oberen Reihen. Zayn und Sylvian lösen sich aus unserer Gruppe, gehen zu ihnen und geleiten sie zu uns.
Rachel führt die Gruppe an. Die lächerliche Etappensiegerin der dämlichen Arena strahlt wie eine Miss Universe, obwohl sie nichts ist. Nichts im Vergleich zu dir, aber das sollst du denken. Das sollst du spüren. Du sollst glauben, dass du ausgerechnet gegen diese Hure verloren hast.
Clarisse und Harper stehen an Rachels Seite. Ich musste Harper überreden, zu kommen, aber da steht sie. Sylvian legt einen Arm um ihre Taille, Crescent eine um Rachels. Clarisse positioniert sich neben mir.
Ich erkenne den Schmerz in Amabelles Augen. Sylvian und Harper in einer Einheit, das tut weh, oder? Plötzlich spüre ich so etwas wie Eifersucht in mir hochkochen.
Ja, er hat dich ersetzt, Belle. Einfach so mit einem Fingerschnipsen aussortiert. Warum trauerst du ihm nach? Hast du ausgerechnet für ihn etwas übrig?
Empfindest du etwas?
»Oh, bist du etwa traurig, dass Sylvian sich für eine andere entschieden hat?«, frage ich Amabelle ironisch. Blitzschnell beuge ich mich an ihr Ohr, spreche aber in normaler Stimmlage weiter, damit mich jeder hören kann. »Wie konntest du jemals glauben, er würde Abschaum wie dich wählen?«
Das Publikum johlt, als ich plötzlich ihren Stuhl zurückstoße und sie panisch schreien lasse. Aber ich halte sie im letzten Moment zurück, bevor sie auf dem Boden aufkommt. Umfasse ihre Lehne und löse die Schnalle des Gürtels, mit der Vance sie an den Stuhl gefesselt hat.
»Lauf«, raune ich ihr zu und dieses Mal hört mich niemand außer mir. Aus meiner Stimme ist jeglicher Glanz gewichen, ich will nicht mehr spielen. Jetzt will ich nur noch Vergeltung.
Du hast geglaubt, Sylvian stünde auf deiner Seite.
Aber das stand er nie.
Er ist schlimmer als ich.
Er wird dir mehr wehtun, als ich es jemals könnte.
Wenn du wüsstest, dass ich dir eigentlich einen Gefallen damit tue, dich verlieren zu lassen!
Du hast keine verschissene Ahnung, Belle.
Du weißt n i c h t s.
»Heute Abend werde ich laufen«, flüstert sie mir zu. »Aber sobald der erste Kurs im neuen Semester losgeht, bin ich zurück.«
Ich traue meinen Ohren kaum und mein Pokerface entgleitet mir. »Das wagst du nicht.«
»Niemand, nicht einmal du, wird mich davon abhalten können, die Chance meines Lebens zu ergreifen. Ihr habt euch den falschen Gegner für euer Spiel ausgesucht. Damit ich nicht zurückkomme, müsst ihr mich schon töten.«
Dieser Gedanke ist nun gar nicht mehr so fern. Warum lasse ich mich von diesem Miststück ärgern? Für solche Fälle gibt es Schusswaffen. Ganz leicht bedienbare Geräte, die dein Lächeln sofort auslöschen würden, Belle .
Sie rutscht über den Boden rückwärts. Richtung Tür. Ich lasse sie entkommen, weil ich für nichts garantieren kann, wenn ich ihr jetzt nachgehen würde.
Amabelle blickt uns ein letztes Mal entgegen. In ihrem Gesicht findet sich weder Furcht noch Angst noch irgendein anderes Gefühl, das darauf hindeuten würde, dass wir Eindruck hinterlassen haben. Sie ist wahnsinnig, als sie sich aufrappelt, sich auf beide Beine stellt und die Stimme erhebt.
»Wir sehen uns im neuen Semester!«, ruft sie, erntet eine Menge Buhrufe und macht kehrt. Sie ergreift die Flucht, weil es das Einzige ist, was sie noch tun kann.
Mein Zorn erreicht einen Höhepunkt, als ich ihr nachsehe, und ich fühle mich, als hätte gerade sie gewonnen.
Nicht ich.
Fuck.
Ich drehe mich zu den Kings um.
Vier Augenpaare, und alle scheinen weniger überrascht als ich, dass Amabelle nicht aufgegeben hat. Habe ich dich unterschätzt? Was wird nötig sein, um dich endgültig zu Fall zu bringen?
Da ist Reece, der nicht danach aussieht, als würde er noch einmal würfeln. Zayn, der keine Lust mehr auf Spielchen hat. Und Sylvian, dessen Augen leer sind wie nach einem eisigen Sturm.
Romeo ist der Einzige, der mich anlächelt.
Romeo versteht etwas von Schach.
Und er weiß, dass der letzte Zug noch aussteht.
»Scheiße.« Harper erhebt die Stimme, dann reißt sie die Maske plötzlich von ihrem Gesicht. »Alles, was sie dir letztens an den Kopf geworfen hat, stimmt, Jaxon!«
Der Hörsaal ist verstummt.
»Du bist armselig. Ihr alle!« Sie dreht sich vors Publikum, dann wendet sie sich an Sylvian. Er reagiert nicht. An Clarisse. Sie auch nicht. Vermutlich ist Harpers beste Freundin geschockt davon, dass sie die Maske abgenommen hat.
»Ich werde nicht mitmachen.« Aus Harpers Stimme höre ich ein Zittern. Niedlich, sie will dir helfen? Ausgerechnet sie? »Und wenn es nur einen Menschen gibt, der nicht ganz so scheiße ist wie ihr und nicht mitmacht, dann bin wenigstens ich es!« Sie wirft die Maske auf den Boden, begleitet von Buhrufen und Gelächter. Dann wendet sie sich an mich. Ihre Augen sind scharf und ein wenig beeindruckt sie mich. Was für eine Wendung. »Du wirst jedes einzelne schlechte Wort und jede einzelne hervorgebrachte Lüge bereuen. Dafür wird Mable sorgen. Und wenn sie dabei Hilfe braucht, bin ich da.«
»Dann geh «, zische ich. »Wir alle sehen dir gern dabei zu, wie du es niemals schaffen wirst, deine Drohungen wahrzumachen.«
»Tse.« Harper wirft ihre Haare zurück, dann stürmt sie aus dem Raum, nimmt denselben Weg wie Amabelle. Im Augenwinkel bemerke ich noch, wie Vance ihr hinterhergeht. Vielleicht wird er sie davon abhalten, unserer Königin zu helfen. Oder er wird sie unterstützen.
Mir scheißegal. Zwei gebrochene Gestalten gegen fünf Könige und den ganzen Rest.
Das Gelächter ist verebbt und mein Zorn abgeflacht. Die schwere Tür des Hörsaals fällt langsam hinter Harper und Vance ins Schloss und ich drehe mich zum Publikum um.
Ich hebe die Arme, sodass jeder Einzelne verstummt. Dann spreche ich und über meine Lippen kräuselt sich ein zufriedenes Lächeln. Ich liebe es einfach, zu spielen.
»Wer von euch hat auch Lust auf eine zweite Runde?«