E s würde sie nicht wundern, wenn man sie bald feuern würde. Es überraschte sie ehrlich, dass es noch nicht so weit gekommen war .
Holly schlüpfte aus ihrer Arbeitskleidung und zog ein Paar alte Jogginghosen sowie ein T-Shirt über, von dem sie hoffte, dass es nicht dreckig war. Auf eine Dusche hatte sie heute keine Lust mehr und sie wollte sich einfach nur noch in ihrem Bett verkriechen. Es war ihr egal, dass sie eigentlich eine Mail an ihren Doktorvater schreiben musste, dass die Bewerbungsfrist für ein Seminar in New York im kommenden Frühling bald auslief und dass sie ein Formular für ihre Krankenversicherung ausfüllen musste .
Sollten sie doch alle zum Teufel fahren !
Offenbar besaß ihre Mom einen Spürsinn dafür, wann ein Anruf von ihr ungelegen kam, denn kaum lag Holly im Bett, klingelte auch schon ihr Handy ohrenbetäubend los. Sie ließ es klingeln und warf einfach ein Kissen auf ihr Telefon, um die schrillen Geräusche zu dämpfen, die durch das Zimmer drangen. Kurz nachdem es verstummt war, klingelte es erneut .
Nach einem Blick auf das Display sah Holly, dass es schon wieder ihre Mom war .
Weil sie es nicht ein weiteres Mal ganze zwei Minuten klingeln lassen wollte, leitete sie den Anruf auf ihre Mailbox um und schaltete ihr Handy anschließend komplett aus .
In der Annahme, dass sie nun endlich ihre Ruhe haben würde, legte sie sich auf den Bauch und schloss die Augen. Jedoch dauerte es nicht lang, bis ihre Tür geöffnet wurde und Donna in ihr Zimmer marschiert kam .
Verwirrt hob Holly den Kopf, schluckte und sah ihre Freundin an, die ihr schweigend ihr eigenes Handy entgegenhielt. Dabei sagte sie keinen Ton, sondern hielt ihr das Telefon lediglich auffordernd hin. Seit zwei Wochen sprach sie kein Wort mit ihr, was Holly genauso zu schaffen machte wie die Tatsache, dass Josh sie komplett ignorierte, nachdem er mitbekommen hatte, dass sie ihn dafür benutzt hatte, um Cole eifersüchtig zu machen .
Holly schämte sich deswegen fürchterlich, und sie musste sich fragen, warum sie in letzter Zeit so großen Mist angestellt hatte. Für jemanden, der der landläufigen Meinung nach intelligent war, benahm sie sich dümmer als dumm .
Vorsichtig rappelte sie sich auf, setzte sich hin und nahm ebenso stumm wie Donna das Handy entgegen. Die drehte sich einfach um und verließ das Zimmer, ohne die Tür zu schließen, was ein enormer Fortschritt war, weil sie wenigstens die Türen nicht mehr hinter sich zuwarf wie in den vergangenen vierzehn Tagen .
„Hallo?“, fragte sie verhalten, als sie das Handy an ihr Ohr hielt .
„Schatz, warum gehst du nicht an dein Handy ran, wenn ich dich anrufe?“, tönte die Stimme ihrer Mutter durch die Telefonleitung .
„Du hast Donna angerufen, weil ich nicht ans Telefon gegangen bin?“ Ungläubig starrte Holly vor sich hin. „Mom ...“
„Ich musste wirklich dringend mit dir sprechen .“
„Kann das nicht warten? Ich bin ziemlich müde und ...“
„Alexis hat mir gesagt, dass du an ihrer Verlobungsfeier nicht teilnehmen willst“, unterbrach ihre Mutter sie, ohne sich ihre Erklärung zu Ende anzuhören .
„Ich muss arbeiten“, log sie .
Unter keinen Umständen würde sie an der Verlobungsfeier ihrer Schwester teilnehmen, weil das hieße, dass sie auf Cole treffen würde. Und das überstieg ihr momentanes Fassungsvermögen. Seit zwei Wochen hatte sie grauenvolle Laune, war emotional und tat sich selbst entsetzlich leid, während sie alles tat, um nicht allzu häufig an ihn zu denken – nur ungefähr einhundert Mal in der Minute. Wie sollte sie in dieser Verfassung eine romantische Feier überstehen, bei der er ebenfalls dabei sein würde ?
Natürlich freute sie sich für Alexis .
Ihre Schwester hatte es verdient, mit Taylor glücklich zu werden, und Holly wünschte ihr alles Liebe und Gute. Aber zu dieser Verlobungsfeier würde sie dennoch nicht hingehen .
„Es ist die Verlobung deiner Schwester !“
„Ich weiß, Mom, aber ich muss – wie gesagt – arbeiten .“
„Das ist nicht dein Ernst! Du wirst dir für diesen Abend doch sicherlich freinehmen können .“
Holly atmete langsam ein und noch langsamer aus. „Ich bin mir sicher, dass alle auch ohne mich ihren Spaß haben werden. Niemand wird mich vermissen.“ Es tat weh, das zu sagen, aber sie befürchtete, dass sie die Wahrheit sagte .
Noch mehr weh tat jedoch die Antwort ihrer Mutter. „Darum geht es doch überhaupt nicht! Wie wird es aussehen, wenn du als Alexis’ einzige Schwester nicht an ihrer Verlobungsfeier teilnehmen wirst ?“
Holly holte scharf Luft und zuckte zusammen. Darum ging es ihrer Mutter also? Sie wollte, dass Holly kam, weil es einen schlechten Eindruck gemacht hätte, wenn sie an diesem Ereignis fehlen würde? Gut, das zu wissen !
Nichtsdestotrotz bemühte sie sich um eine gelassene Stimme, als sie konterte: „Es wird danach aussehen, dass ich arbeite .“
„Könntest du bitte aufhören, dich wie ein Kind zu benehmen, Holly?“, herrschte ihre Mutter sie an. „Denk stattdessen an deine Schwester, für die diese Verlobungsfeier eine wichtige Sache sein wird. Alle werden kommen: ihr Produzent, Taylors Eltern aus Oregon, Alexis’ Manager und Taylors Bandkollegen sowie einige Freunde. Die ganze Feier wird für eine Fotostrecke in der Vanity Fair mit der Kamera aufgenommen. Es würde auffallen, wenn du fehlen solltest .“
Das verstand sie zwar, jedoch bedeutete es nicht, dass sie sich deswegen umstimmen lassen würde. „Mom, es geht einfach nicht. Ich würde gerne kommen, aber ...“ Sie suchte nach den richtigen Worten und ließ die Schultern nach unten sacken. „Aber ich fühle mich momentan nicht sehr gut. Vermutlich würde ich ... würde ich die Stimmung nur ruinieren .“
Auch wenn sie sich bemühte, konnte sie ein leises Schniefen nicht unterdrücken. Und das war nicht einmal gespielt gewesen .
Nach einem kurzen Zögern wollte ihre Mom wissen: „Bist du krank ?“
„Nein, nicht wirklich“, seufzte sie unglücklich und sehnte sich danach, sich bei ihrer Mom auszuheulen. Sie wollte sich von der Seele reden, wie niedergeschlagen sie war, weil sie schrecklichen Liebeskummer hatte, und sie wollte sich trösten lassen, indem ihre Mom ihr versicherte, dass alles wieder in Ordnung käme .
Stattdessen kommandierte ihre Mom rigoros: „Wenn du nicht krank bist, dann kannst du dich um deiner Schwester willen für ein paar Stunden zusammenreißen, Holly. Mehr verlange ich nicht von dir .“
Sie ballte die Hand, die in ihrem Schoß lag, zur Faust. „Mehr verlangst du nicht von mir“, wiederholte Holly stumpf und konnte nicht glauben, was sie soeben hörte .
„Ja, Liebling.“ Ihre Mom klang leicht gereizt. „Es geht nur um ein paar Stunden im Haus deiner Schwester – zieh dir etwas Nettes an, lächele für die Kameras und tu so, als würdest du dich amüsieren. Und ehe du dichs versiehst, kannst du zurück nach Hause fahren. Das ist alles .“
Zittrig atmete sie ein. „Mom, ich glaube nicht, dass ich das kann .“
„Natürlich kannst du das“, behauptete ihre Mutter im Brustton der Überzeugung. „Ich bitte dich ganz ehrlich, dich ein bisschen zusammenzunehmen. Hier geht es ausnahmsweise nicht um dich, sondern um Alexis .“
Das war der Punkt, an dem Hollys bis dahin mühsam aufgebaute Selbstbeherrschung nicht nur erste Sprünge bekam, sondern mit einem Knall in sich zusammenfiel .
Sie sprang von ihrem Bett auf und brüllte in das Telefon: „Es geht ausnahmsweise nicht um mich, Mom?! Wann ist es jemals um mich gegangen? Ich sage dir, wann es jemals um mich ging. Nie! Es ging nie um mich, weil du dich immer nur für Alexis interessiert hast, aber nicht für mich. Es war dir mein ganzes Leben lang egal, was ich mache, solange bei Alexis alles in Ordnung war.“ Sie bebte vor Wut und hörte ihre Mom nach Luft schnappen. Womöglich wollte sie etwas sagen oder Holly widersprechen, aber sie ließ sie nicht zu Wort kommen, sondern krächzte mit zerrissener Stimme weiter: „Ich bin auch wichtig, Mom! Ich bin auch deine Tochter, und du solltest endlich begreifen, dass meine Gefühle und Bedürfnisse für dich genauso wichtig sein sollten wie die von Alexis! Gerade habe ich dir gesagt, dass es mir nicht gut geht. Hast du etwa nachgefragt, was mit mir los ist? Nein! Das hast du nicht! Du wolltest nur wissen, ob ich krank bin, und hast mir dann gesagt, dass ich mich für Alexis zusammenreißen soll. Was soll ich davon halten ?“
Ihre Mom wirkte überrumpelt, fassungslos und völlig eingeschüchtert, als sie irgendetwas stotterte, was Holly nicht interessierte .
Sie merkte, wie ihre Stimme immer wackeliger wurde und wie heiße Tränen ihr in die Augen stiegen .
„Weißt du, was ich davon halte? Ich denke, dass ich dir egal bin. Wenn ich dir nämlich nicht egal wäre, dann hättest du wissen wollen, dass mir das Herz gebrochen wurde und dass ich mich in einen Mann verliebt habe, der meine Gefühle nicht erwidert.“ Sie schluchzte auf. „Wenn ich dir nicht egal wäre, dann hättest du sogar versucht, mich zu trösten. Aber das hast du nicht! Du wolltest nur, dass ich zu dieser Verlobungsfeier gehe und mich zusammenreiße – für Alexis .“
Sie schluchzte nun so heftig, dass sie nicht verstand, was ihre Mom aufgeregt in den Hörer murmelte. Während sie nach Luft rang und sich immer und immer wieder die Tränen von den Wangen wischte, ließ sie sich auf die Bettkante sinken .
„Holly, Liebling ... du kannst doch nicht denken, dass ... dass du mir egal bist.“ Auch ihre Mutter weinte. „Schatz ... ich liebe dich wie verrückt. Und es tut ... tut mir so ... so leid ...“
„Mom, ich kann jetzt nicht darüber reden“, schniefte sie in den Hörer, während ihre Schultern bebten. „Ich ... ich will ein bisschen allein sein .“
„Holly ...“
„Ich ruf dich an“, würgte sie ihre Mutter ab und legte einfach auf .
Schniefend, zitternd und total verheult saß sie auf ihrer Bettkante und hielt das Telefon in ihrer Hand, als sie plötzlich spürte, wie sich jemand neben sie setzte. Es war Donna, die ihren Arm um sie legte und ihren Kopf gegen Hollys Schulter lehnte .
Dank des Kloßes in ihrem Hals klang Holly grauenvoll, als sie krächzte: „Ich dachte, du wärst noch wütend auf mich .“
„Das bin ich auch noch, du dumme Kuh“, flüsterte Donna weich und durch und durch liebevoll. „Aber ich dachte mir, dass du ein paar Streicheleinheiten deiner Freundin gebrauchen könntest .“
Wieder flossen die Tränen. „Es tut mir so leid“, klagte Holly schluchzend. „Ich habe totalen Mist gebaut und dich verletzt! Das wollte ich nie. Bitte glaub mir das .“
Donna seufzte leise .
„Ich weiß, dass du wütend bist, weil ich mit Oliver geschlafen habe, aber ...“
„Eigentlich bin ich wütend, dass du mir nicht von Anfang an gesagt hast, was los war“, murrte Donna. „Du hättest mir gleich sagen sollen, was passiert ist, anstatt mich fast schon monatelang im Ungewissen zu lassen. Und ich hatte Mitleid mit diesem Arschloch, dass er wegen seiner angeblich kranken Frau zurück nach England gehen musste, obwohl er sowohl sie als auch dich belogen hat! Nein“, erklärte sie abschließend. „Ich bin nicht sauer, dass du mit ihm geschlafen hast, sondern dass du mir nichts davon erzählt hast, als die Kacke am Dampfen war .“
Holly hickste auf und drehte den Kopf, um ihrer Freundin ins Gesicht zu sehen. „Die ganze Zeit hatte ich ein schlechtes Gewissen deinetwegen. Es war so falsch von mir, dir nie etwas von ihm und mir erzählt zu haben .“
Donnas Miene wurde mitleidig, während sie ihr eine Strähne aus der Stirn strich. „Und mir tut es leid, dass ich nicht mitbekommen habe, wie schlecht es dir wegen Professor Whiteley geht. Das Gespräch mit deiner Mom war nicht zu überhören, Holly. Dass er dir das Herz gebrochen ...“
„Was? Nein!“ Sie schnappte erschrocken nach Luft. „Ich meinte doch nicht ihn !“
„Wie bitte? Du hast gerade noch gesagt, dass jemand dir das Herz gebrochen hat, weil er nicht für dich das empfindet, was du für ihn ...“
„Ja, aber damit meinte ich jemand anderen“, unterbrach sie Donna verzagt .
Nach einigen Sekunden holte Donna tief Luft. „Du sprichst aber nicht von diesem heißen Typen von Sams Einweihungsparty, oder? Über ihn spricht die gesamte Fakultät !“
„Doch“, flüsterte Holly unglücklich .
„Shit. Dich kann man auch wirklich nie allein lassen, oder ?“