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California Dreaming
Die kürzeste Route von L.A. nach Santa Cruz war in drei Stunden zu schaffen, wenn man es sehr eilig hatte. Vier, wenn man wie ein Normalsterblicher fuhr. Linne hätte es mit der Ninja in zwei Stunden schaffen können, wenn sie dabei nicht verhaftet worden wäre.
Aber diese Route führte durchs Landesinnere und war sterbenslangweilig. Nein, sie wollte eine richtige Tour, eine Ride
, die es in sich hatte. Und da kam nur eine Strecke in Frage – der Coast Highway, Highway 1, der sich malerisch an der Küste entlang nach Norden schlängelte. Zur Linken den Ozean, ungestüm und wild wie sie selbst, zur rechten die Felsen, Hügel und Berge der West Coast.
Es war ein herrlicher Tag, und der Verkehr hielt sich in Grenzen. Nach einem kurzen Blick in den Rückspiel, sich vergewissernd, dass ihr kein Cop folgt, drehte sie am Gas. Mächtig röhrte der 1400ccm V-Motor auf, gab seine geballte, ungezügelte Kraft über den Riemenantrieb auf das Hinterrad ab – und beschleunigte die Glide auf über 80 Meilen in der Stunde. Linnea jauchzte innerlich, als ihr der Fahrtwind die langen Haare durcheinander wirbelte, die vom knappen, schwarzen Jet Helm nicht gebändigt wurden. Sie sang in den Wind hinein, der ihr die Worte vom Mund wegriss und ungehört wegtrug.
In The City of Fallen Angels
Where the ocean meets the sand
You will form a strong alliance
And the world's most awesome band
To find your fame and fortune
Through the valley you must walk
You will face your inner demons
Now go, my child, and rock!
Sie grinste und schüttelte den Tenacious D Ohrwurm wieder ab, als sie langsamer wurde und zu einem der Lookouts einbog. Keine Menschenseele hier, nur der Wind, der vom Ozean eine feine Gischt mit sich brachte, die Luft herrlich frisch und salzig schmecken ließ. Unwillkürlich seufzte sie, als sie aus dem Motorradkoffer ein Red Bull fischte, sich auf die alte, verwitterte Holzbank setzte und eine Zigarette anzündete. Sie hatte Europa bereist, war auf den Bahamas gewesene, hatte die Dschungel Südostasiens zu Fuß und per Kanu, Australien auf einem Motorrad durchquert. Aber am Schönsten war es immer noch hier, in Kalifornien. Mochte der Rest der Vereinigten Staaten auch politisch und wirtschaftlich vor die Hunde gehen – Hier, an der Westküste, war das Leben noch gut und scheinbar jeder Traum erreichbar.
Was war ihr Traum?
Eine gute Frage, die sie sich immer öfter stellte. Sarahs Verlobung und Schwangerschaft hatten sie zumindest kurz in diese Richtung denken lassen. Klar, sie war ein Stück jünger als die Agentin, bei der die Torschlusspanik schon an der Tür geklopft hatte. Und wenn sie ehrlich zu sich selbst war – mit Mann, Kind und Hund konnte sie sich selbst gar nicht vorstellen. Vielleicht irgendwann in ferner Zukunft, aber nicht heute, nicht morgen, nicht in diesem Jahr oder dem nächsten. Aber eine Beziehung, einen Partner, mit dem man nicht nur gelegentlich ins Bett stieg, sondern auch sein Leben teilen konnte – das wäre mal eine Abwechslung.
Seit dem College hatte ihr Liebesleben aus Affären und One-Night-Stands, gelegentlichen Freunden mit Vorzügen sowie dem einen oder anderen ganz speziellen Experiment bestanden.
Nicht dass sie das bereute, ganz im Gegenteil. Grinsend dämpfte sie die Zigarette aus, versenkte den Stummel in der geleerten Red Bull Dose und warf diese in den Mülleimer, den offenbar irgendwelche dummen Touristen aus Prinzip nicht benutzten.
Kopfschüttelnd schwang sie sich auf ihr Bike und fuhr weiter.
♥