„Und, wer ist sie?“
Sie hatte die Frage so beiläufig und scheinbar teilnahmslos wie möglich gestellt, ehe sie noch einen weiteren Zug von dem Joint nahm und an ihn weiter reichte.
Peter riss seine Augen auf, wirkte für einen kurzen Moment wie ein Schuljunge, der dabei ertappt worden war „Unser Direktor stinkt“
an die Wände des Turnsaals zu sprayen. Dann folgte ein Gesichtsausdruck, der irgendwo zwischen schuldbewusst und erstaunt rangierte.
„Woher weißt du..?“
Linnea lachte kurz auf.
„Das Kondom, Peter, das Kondom. Unser Arrangement besagt, dass wir darauf verzichten, solange wir unsere Spielchen nur miteinander treiben – und ich habe nichts von einem neuen Lover oder einem One Night Stand auf meiner Seite erzählt. Also musst du auf neuen Pfaden wandeln, von denen ich noch nichts weiß. Also, wer ist sie?“
Er ließ resignierend die Schultern hängen und zog sich erstmal einen tiefen Zug des Purple Haze rein, den sie sich pur gedreht hatten. Zu tief und zu hektisch. Er hustete kurz, ehe er den Ofen zurückgab und antwortete.
„Sabrina – wenn du so willst, meine Flamme von früher.“
Linnea grinste amüsiert.
„Ein High-School Sweetheart? Ernsthaft?“
Er schüttelte den Kopf.
„Nein, nicht High-School, College. Wir waren drei Jahre lang zusammen, zwei davon haben wir uns sogar eine kleine Wohnung off-Campus geteilt. Und dann hatten wir unsere Diplome, und sie ein Angebot als Praktikantin in einer Agency in Tokyo...“
Sie nickte verständnisvoll.
„Sie wollte sich die große Welt ansehen, aber du wolltest hier bleiben?“
Er nickte zerknirscht.
„Ja, genau, schließlich hatte ich meinen Job schon fix in der Tasche. Es war eine Vernunftentscheidung. Klar haben wir es mit Fernbeziehung versucht, jeder ist einmal den anderen besuchen geflogen, zumindest im ersten Jahr, aber dann...“
Sie vervollständigte seine Ansprache, auf gut Glück geraten.
„...sind die Telefonate immer seltener geworden, der Wunsch nach einem Besuch wurde nicht mehr so oft und irgendwann gar nicht mehr geäußert. Tja, und dann begannen Ausreden und Heimlichkeiten, wenn es darum ging, darüber zu reden, was man so in der Freizeit gerade macht.“
Mit offenem Mund starrte sie Peter an und schluckte erstmal. Linne lachte leise auf, aber mit einem melancholischen, vielleicht sogar traurigen Unterton.
„Peter, du bist nicht der Einzige, dem sowas passiert. Es ist die gleiche Geschichte, immer wieder, wenn auch mit leichten Nuancen. Deine ist insofern anders, als dass sie zurückgekehrt ist. Sie ist doch zurückgekehrt, oder?“
Er nickte.
„Ja, vor drei Monaten. Vor vier Wochen hat sie Kontakt aufgenommen, vor zwei waren wir auf dem ersten Date. Und ich sage dir, all die Jahre, die Trennung – es war wie weggeblasen. Nicht, dass wir uns sofort wieder verliebt hätten, aber wir konnten genauso vertraut reden wie früher, wieder über genau die gleichen dämlichen Sachen lachen, und am Mittwoch, nach unserem zweiten Date...“
„...seit ihr miteinander ins Bett gegangen. Aber es ist noch nichts fixes, weil sie noch nicht weiß, wie es mit euch weitergehen soll, und ihr habt irgendetwas von wegen wir werden schon sehen
ausgemacht, richtig?“
Er nickte verblüfft, und wieder einmal stellte er die gleiche Frage wie zuvor. Oder wollte sie stellen.
„Woher...?“
Jetzt war Linneas Lachen lauter, fröhlicher, heller.
„Weil du Pfadfinder sonst nie mit mir heute ins Bett gegangen wärst. Du würdest dir vermutlich eher deinen Sack an einem heißen Auspuff abschmoren als wirklich fremdzugehen.“
Dies entlockte sogar ihm ein kurzes Lachen.
„Da hast du vermutlich recht. Ja, sie will Bedenkzeit, sich darüber klar werden, was sie wirklich will, und so weiter – das volle Programm.“
Linnea blickte lauernd zur Seite.
„Und was willst du?“
Theatralisch, ein klein wenig übertrieben, hob er die Hände und ließ sie wieder sinken.
„Sesshaft werden, vermutlich. Das klingt jetzt vielleicht bescheuert, oder von mir aus furchtbar altmodisch, aber ich werde nächstes Jahr 39. Das ist ein Alter, in dem Frau und Kind nicht mehr wie eine Drohung, sondern wie ein Versprechen klingen. Und wenn ich das mit Sabrina will – und ja, verdammt, ich will – dann ist die Uhr schon ordentlich am Ticken.“
Linnea grinste.
„Ihre, nicht deine. Und was dann? Eines der Häuser am Stadtrand, weißgestrichener Zaun, Kids und Grillabende mit den Nachbarn? Einen geregelten Bürojob?“
Peter zwinkerte.
„Den habe ich ja schon, wie du weißt. Du vergisst ja manchmal das dies alles, die Bikes, der Club, unsere Logos und Jacken, nichts anderes als ein Spielplatz für Erwachsene ist, ein Rollenspiel, eine Illusion.“
Sie verzog das Gesicht – dass er mit seinem College-Sweetheart zusammenkam, das konnte sie ihm verzeihen. Nein, mehr noch, sie freute sich für ihn. Und wenn er sich in das Abenteuer Frau und Kinder stürzen wollte – gut, es war ihm vergönnt. Aber den Club in Frage zu stellen?
„Hör mal, wir haben alle zusammengelegt – klar, du das meiste – um den Club aufzubauen. Vielleicht ist es wirklich nur ein Spielplatz, aber es ist unser
Spielplatz, der Ort, wo wir Dampf ablassen und Stress abbauen. Und klar sind wir Biker. Wir reiten, wir tragen Colours, wir…“
Er unterbrach sie kopfschüttelnd.
„Nein, sind wir nicht. Herrgott, Linnea, mach die Augen auf! Ich bin Creative Director in einer Werbeagentur! 60 Stunden die Woche tüftle ich daran, wie wir Leuten mehr Softdrinks und Käse-Nachos verkaufen können! Luis ist Professor am Caltech, und wusstest, was Bull macht?“
Sie schüttelte den Kopf. Der mächtige Türsteher war erst spät und mit einem sehr bescheidenen Anteil eingestiegen, und sie hatte nie nach Details gefragt.
„Er ist Lehrer! An einer Grundschule! Und wenn er nicht bei uns den harten Hund spielt, gibt er lernschwachen Kids aus den miesen Vierteln Förderunterricht!“
Sie riss die Augen weit auf, diesmal ehrlich erstaunt. DAS hatte sie nicht gewusst.
Peter seufzte.
„Ich wollte es dir schon früher sagen, dich anrufen, aber ich bin einfach nicht dazu gekommen. Wir haben am Mittwoch ein Angebot für den Club bekommen, und ich glaube, wir sollten verkaufen.“
Ein eiskalter Schauer lief ihr über den Rücken, und für einen Moment fühlte sie sich, als ob ihr der Boden unter den Füßen weggezogen wurde. Der Klub war der Grund, warum sie am Set nicht durchdrehte, das, worauf sie sich die ganze Woche lang freute, ihr Dreh- und Angelpunkt für die freien Tage. Dass sie Peter an Sabrina und seinen Kinderwunsch abtreten musste – geschenkt, im Club gab es immer Männer, die wussten, was im Bett gut tat. Aber die Bude verkaufen?
Irgendetwas stimmte hier nicht. Ihre Intuition lief auf Hochtouren, analysierte, was los sein konnte, beobachtete Peter genau. Und tatsächlich, da war etwas, eine Unsicherheit, ein leichtes Zögern. Er setzte zu einem weiteren Satz an, aber sprach ihn nicht aus. Etwas war faul hier.
„Ok, raus mit der Sprache. Du würdest den Club selbst dann nicht verkaufen, wenn du morgen heiratest und jedes Jahr ein Kind in die Welt setzt. Nicht du. Was zur Hölle ist wirklich los?“
Sie sah an seinem Gesichtsausdruck, an der Art, wie er Luft holte, dass er drauf und dran war, zu lügen. Abzustreiten, dass noch irgendetwas anderes im Busch war. Erst, als er ihren Blick sah, sich ihre Augen in die seinen bohrten, ließ er davon ab und seufzte resignierend.
„Es war eines jener Angebote, die man nicht ablehnen sollte.“
Linnea horchte auf. Geld? Es ging also um Geld? Wollte er den Club opfern, um sich irgendwo ein schönes Nest für seine Familie einzurichten? Das klang logisch – aber nicht nach Peter. Trotzdem eine Frage wert.
„Hat man uns so viel geboten?“
Er lachte höhnisch auf.
„Im Gegenteil, wir alle werden Verlust machen. Du verstehst das falsch – eine richtige Gang ist aufgetaucht. Sie wollen den Club, und sie akzeptieren kein Nein. Sie nennen sich Caballeros, großteils Latinos, angeblich eine große Nummer im Süden. Sowas wie die Banditos, aber ohne Chapter – nur eine Gang, und sie suchen ein neues Hauptquartier. Sie sind einmarschiert wie eine Armee, und sie hatten AR-15 und gottverdammte Uzis dabei. Nur Bull und ich waren da, um den Club für den Abend vorzubereiten, aber es war keine angenehme Begegnung.“
Linnea schauderte.
„Eine richtige Gang? Kriminelle?“
„Und wie. Ich habe mich etwas umgehört – angeblich alles von Waffenschmuggel über Drogen bis Prostitution, und es gibt Gerüchte, dass sie für die Chinesen auch Geld waschen. Sie haben keinen Zweifel daran gelassen, dass ihnen der Club in ein paar Monaten gehören wird – so oder so.“
Sie schluckte.
„Hast du die Cops alarmiert?“
Peter schüttelte erst den Kopf – und dann, nach einer kurzen Pause, nickte er.
„Habe ich, aber nicht offiziell. Ein ehemaliger High School Kumpel ist hier beim SCPD, und ich hab ihn um Rat gefragt. Das Problem ist, sie haben noch nichts Kriminelles getan, ein guter Anwalt könnte sogar erfolgreich abstreiten, dass sie eine Drohkulisse aufgebaut haben. Sie haben nur ein geschäftliches Interesse geäußert und ein mündliches Angebot abgegeben. Nichts, was verboten wäre, wir sind immer noch ein freies Land, und so weiter. Du kennst das ja.“
Linnea biss die Zähne zusammen. Das war natürlich was anderes. Aber sich so einfach einschüchtern lassen und aufgeben?
„Was sagen die anderen?“
„Luis ist strikt dagegen und will zu allen möglichen Anwälten oder gar dem FBI gehen, falls sie nochmal auftauchen. Organisierte Kriminalität und so. Bull hält sich raus, er glaubt, dass er mit seinem Anteil kein echtes Mitspracherecht hat – aber klar, er liebt es Türsteher zu spielen. Ich bin dafür, wir verkaufen. Im Endeffekt hängt die Entscheidung…“
Linnea seufzte.
„…an mir also. Danke, du Arsch.“