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Die Production Party
Sie war in Gedanken immer noch in Santa Cruz, beim Club und vielleicht sogar ein wenig bei Peter, als sie ihre gutmütige Rebell über das Studiogelände rollen ließ und vor der Produktionshalle aufstellte. Andere Showrunner waren vielleicht einmal pro Woche am Set, managten das Business von ihrem schicken Büro im Studio Hauptquartier oder gar von einem Home Office in den Hills aus – aber nicht sie.
Sie war Linnea Falk, hemdsärmlig, hochgelobte hands-on Qualitäten, immer vor Ort. Für den Papierkram gab es Laptop und iPad, die Action aber brauchte ihre Aufmerksamkeit. Insbesondere in diesen Zeiten, wo sich Producer immer seltener am Set blicken ließen, Regisseure ohne jeglicher Kreativität dem Skript folgten und vergessen hatten, was es bedeutete, Träume zu drehen.
Träume? Waren ihre privaten ausgeträumt? Sie schnaubte bei diesem bescheuerten Gedanken. Natürlich nicht, es war ihr nie um Peter gegangen. Klar, der Sex war gut gewesen, teilweise sogar richtig großartig, dieses verruchte Spiel mit den sich fremden Bikern, die in einer Bar auf sich trafen – heiß und geil, aber nicht emotional. Und, ehrlich gesagt – guter Sex war immer und überall zu finden, wenn man in Kauf nahm, bei der Suche danach auch über Schlechten zu stolpern. Dann ging man einfach, ohne eine Nummer auszutauschen – alles ganz easy, keine bösen Gefühle.
Keine bösen Gefühle! Genau das war es! Sie verspürte keinerlei Eifersucht und schon gar keinen Hass gegenüber Sabrina, im Gegenteil: Sie drückte Peter die Daumen, dass alles so klappte, wie er es sich vorstellte. In Bezug auf ihn verspürte sie maximal eine leichte Melancholie, jenes Gefühl, wenn man nach einem genialen Urlaub wieder ins Flugzeug nach Hause stieg oder ein wunderschöner Sommer in den Herbst überging. Damit, dass sie ihr letztes Rodeo mit Peter hinter sich hatte, kam sie schon klar. Aber den Club aufgeben? Das war eine GANZ andere Geschichte, die sie persönlich nahm.
Grummelnd holte sie ihr Notebook Bag aus der einen Satteltasche und eine Riesendose Red Bull aus der anderen. Kurz überlegte sie, ob sie noch schnell eine rauchen gehen sollte, verwarf den Gedanken aber, als ihr klar wurde, dass wahrscheinlich schon das ganze Team versammelt war – und diese Sissy von Regisseur es wahrscheinlich nicht wagen würde, ohne sioe loszulegen.
Wie der König in den Thronsal marschierte sie in die Halle, in der das Set für den dramatischen Cliffhanger des Staffelfinales vorbereitet war. Zwischen hohen Regalen mit riesigen Holzkisten – laut Plot natürlich gefüllt mit Waffen und Glücksschweinen, die ihrerseits wieder mit asiatischem Heroin gefüllt waren würde Dutch zu Boden. Von zwei Kugeln niedergemäht, während Goose sich in einem verzweifelten Feuergefecht mit dem Rest der Bande befand.
Ihre Stars waren bereits am Set, wurden von der Maske noch einmal richtig aufgepimpt und von den Technikern mit den neuesten Bloodpacks der dritten Generation verkabelt. Manche Produktionen setzten auf digitale Nachbearbeitung, um Einschusslöcher und spritzendes Blut zu erzeugen, aber ihrer Meinung nach waren die Hits immer noch leicht als Fake erkennbar, und nichts konnte das richtige Blut ersetzen. Also, das richtige Kunstblut, natürlich. Sie nickte zuerst ihren herrlich unkomplizierten Hauptdarstellern zu, dann dem Kamerateam, das mit der Sissy diskutierte, und schließlich ihrer Assistentin, die herangeeilt kam, als sie ihre Chefin im Eingang sah.
Linne war in ihrem Element, und sie versprühte jene Souveränität, die hier und heute unabdingbar. Eine der dramatischsten Episoden der Show war abzudrehen, und dank der Helikopter & Speedboat Verfolgungsjagd bis auf die Bahamas, die ebenfalls Teil dieser Doppelfolge war, auch eine der teuersten. Jeder wusste es, und eine gewisse Nervosität war zu spüren. Ihre Job war es auch, dieser keine Macht zu geben. Udn auf jedes Detail zu achten.
Die Set-Deko war perfekt, die Teams waren bereit, die zweite Kameraeinheit befand sich draußen für die Gegenshots. Sie winkte freundlich zu den Komparsen, die Mafios in der zweiten Reihe und harmlose, verängstigte Dockarbeiter darstellen würden. Unlängst erst hatte sie gelesen, dass in manchen europäischen Ländern die Extras mit 100 Dollar und einer warmen Mahlzeit pro Tag abgespeist wurden und nichtmal in die Credits kamen.
Versuch das hier, und du landest vor Gericht, mit dem Stiefel der Screen Actors Guild metertief in deinem Arsch. Und wenn einer von ihnen ein Unregistrierter ist, vielleicht sogar im Knast, wegen moderner Sklaverei.
Nein, hier war jeder ordnungsgemäß bezahlt, bis auf...
...Moment.
„Becks, wo ist unser Pickel am Gesäß der Filmrpoduktion?“
Rebecca Waters, ihre Assistentin, blickte sie mit großen Augen an.
„Wer?“
Linnea seufzte.
„Unser angeblicher Top Consultant des LAPD, unser klugscheißender Besserwisser, Detective Fucking Nervensäge Martinez, natürlich.“
Anstatt endlich zu verstehen, riss Rebecca zusätzlich zu den Augen noch den Mund auf, ehe sie langsam zu stammeln begann.
„Aber, wissen Sie nicht... haben sie nicht gehört... es war ja auch in den Nachrichten, und die Email...“
Ein flaues Gefühl machte sich in Linneas Magengrube breit, und sie spürte, mehr verwundert über sich selbst als besorgt, wie die Finger ihrer linken Hand zu zittern begannen. Sie ballte eine Faust und atmetete tief durch. Was zur Hölle war mit ihr los?
„Ich war das ganze Wochenende unterwegs. Becks, geh einfach davon aus, dass ich nichts weiß. Was ist passiert?“
Rebecca schluckte und nickte eifrig.
„Es gab eine Schießerei, an der Grenze zu Compton. Irgendein Deal bei einem Undercover Einsatz ist schief gegangen, und Martinez wurde als Verstärkung hinzu gezogen. Und dann kam es zu einem Feuergefecht, bei dem der Detective...“
Jetzt
wurde ihr der Boden unter den Füßen weg gezogen, und sie begann am ganzen Körper zu zittern. Ein eiskalter Schauer über den Rücken, gefolgt von einem Schweißausbruch. Ihr Verstand jedoch blieb glasklar und ungetrübt, wunderte sich, was mit diesem verdammten Körper loswar, der ihr nicht mehr zu gehorchen schien.
War es Freudentaumel? Jubel darüber, dass die den lästigen Typen endlich los war? Nein, nicht einmal sie war so abgebrüht, dass sie ich über den Tod eines Beraters freuen würde, der letztendlich nur tat, wie ihm aufgetragen. Es war etwas anderes, ganz anderes, das am ehesten noch das Gegenteil auszusagen schien. Eine Option, an die sie gar nicht denken wollte. Das Gesicht von Martinez erschien vor ihrem geistigen Auge, in hundert verschiedenen Iterationen, die allesamt erregt mit ihr diskutierten, und dann in einer einzigen, lächelnden Variation, die ihr Herz verkrampfen ließ.
Verdammt. Das durfte nicht sein. Nicht Martinez, nicht ausgerechnet er...
„...und deswegen ist er um zwei Stunden verspätet.“
Linnea blinzelte.
„Was?“
„Er muss noch zu einem Checkup, ob er wirklich diensttauglich ist. Offiziell ist er ja hier auch im Dienst, und Vorschrift ist Vorschrift. Er lässt sich vielmals entschuldigen und ersucht nachdrücklich darum, keine Einsatzszene zu drehen, bis er hier ist.“
Ihr Herz schlug einen Doppelsalto, und alles in ihr wollte jubeln, oder zumindest so erleichtert ausatmen, dass sie sich gleich ein Herz mit Martinez auf die Stirn tätowieren lassen konnte. Das kam natürlich nicht in Frage.
Sie rang sich ein säuerliches Lächeln ab.
„Natürlich ersucht er darum. Was für uns so gut wie ein Befehl ist – wenn wir ohne ihn drehen, riskieren wir, die Arbeit doppelt zu machen. Wie ich schon sagte, verdammte Nervensäge. Ok, machen wir die Außenshots und ein paar Totale, bevor es ans Eingemachte geht.“
Rebecca nickte eifrig. Offenbar hatte sie nichts von dem kleinen innerlichen Gefühlsausbruch bemerkt. Ausgezeichnet.
♥