1. Kampf ums Überleben
Sie hielten ihr Wort. Zwar hatte Linnea keine Uhr mehr, aber es musste ziemlich genau 9 gewesen sein, als die Tür aufschwang und eine tiefe, höhnische Stimme ertönte.
„Ich hoffe, du bist bereit für den Fick deines Lebens, Flick Bitch . Genieß es, es wird dein Letzter sein!“
Mit zwei langsamen, gemütlichen Schritten kam er herein – nicht der Anführer, wie sie eigentlich gehofft hatte, sondern der Typ, der offenbar seine rechte Hand war. Seine Augen mussten sich erst an das Zwielicht gewöhnen, starrten dorthin, wo Linnea und Peter gefesselt am Boden gesessen hatten. Und jetzt nur noch – oder besser gesagt, schon wieder – Peter saß.
Es dauerte einen Sekundenbruchteil, ehe der Gangster realisierte, was er sah.
Zu spät für ihn.
Mit aller Wucht zog Linnea den schweren Vorschlaghammer durch, den sie damals benutzt hatten, um die Trennwände im heutigen Clubraum rauszureißen. Jahrelang war er im Lagerraum herumgestanden, unbenutzt. Jetzt kam seine große Stunde.
Gnadenlos traf der schwere Stahl auf das Knie, zertrümmerte Meniskus, Knochen und Knorpel, ließ Bänder reißen. Peter sprang auf und zog die Werkzeugkiste von unten durch, genau in das Gesicht des nach vorne kippenden Latinos hinein. Sein kurzer Schrei verstummte, als das Hartplastik sein Gesicht traf. Mit einem hässlichen Geräusch brach seine Nase, splitterte n Kiefer und Zähne. Den Rest seines Falls absolvierte er lautlos und blieb wie ein nasser Sack liegen.
Linnea war über ihm, kaum dass er den Boden berührt hatte, riss seine Pumpgun an sich, stürmte aus dem Lagerraum hinter die Bar und brachte die Waffe in Anschlag.
Und doch war sie zu langsam, zumindest zu langsam, um das Überraschungsmoment voll ausnutzen zu können.
Der Anführer hatte den Schrei gehört, war alarmiert, hatte seinen Revolver erhoben.
Sie feuerten gleichzeitig.
Sie trafen gleichzeitig.
Zwei Schreie, die verhallten – und dann kam der Schmerz.
Brennend heißer Schmerz. Ihr Gesicht war in Flammen, ihre Wange brannte.
Linnea unterdrückte einen weiteren Schrei, als ihre Gedanken rasten, und sie realisierte, dass sie nicht tot war. Wahrscheinlich nicht einmal ernsthaft verletzt, auch wenn ihr Blut an ihrer Wange herablief und sie Schwierigkeiten hatte, klar zu sehen. Aber sie hatte ihre Waffe fallen gelassen, die nun nutzlos auf dem Boden hinter ihr lag, in einer Lache aus Schnaps und Likör, in der Wertminderung .
Sie blinzelte zweimal, dreimal, ehe sie den Überblick hatte.
Sie hatte den Anführer erwischt, an der linken Schulter und am Oberarm. Die Schrotladung hatte eine grässliche Wunde gerissen, sie glaubte, an manchen Stellen bis zum Knochen sehen zu können, und die Linke hing nutzlos herab.
Aber er war nicht erledigt. Sein Revolver war auf ihren Kopf gerichtet, und inzwischen war der Dritte im Bunde hereingestürmt, mit einer Pistole im Anschlag. Mühsam ging der Boss auf sie zu, Schritt für Schritt, die Zähne zusammengebissen, bereit, ihr Leben hier und jetzt zu beenden.
Es war vorbei.
„Dafür wirst du sterben, die kleine Schlampe. Und es wird kein schöner und ein sehr, sehr langsamer Tod werden.“
Sie schluckte, überlegte, nach der Waffe zu tauchen. Im schlimmsten Fall würde sie eine Kugel in den Kopf bekommen. Ein schneller Tod, ein sauberer Tod. Im besten Fall hätte sie eine Chance, ihr Werk zu beenden. Sie sah im Augenwinkel Peter, der sich anschickte, aus dem Lagerraum zu stürmen, mit nichts als dem Hammer in der Hand.
Purer Selbstmord, aber vielleicht genau die Ablenkung die sie brauchte. Sie atmete tief ein, blickte dem Anführer trotzig in seine Augen.
Na gut, dann sollte es eben sein. Selbst wenn sie starb, bereute sie gar nichts, außer vielleicht, nicht schon früher mit Martinez…
„¡Suelta tu arma!“
Der Anführer und sein Lakai erstarrten, als die Stimme in ihrem Rücken laut durch die Bar hallte.
Langsam drehten sie sich herum…
…und starrten in die Läufe der Dienstwaffen von vier Polizisten des Santa Cruz Police Departments sowie jenen eines silbrig glänzenden .44 Magnum Revolvers, eine moderne Ausführung jener Waffe, der einst Clint Eastwood in Dirty Harry zu Ruhm verholfen hatte.
Nur dass sie nicht in der Hand des berühmten Hollywood Haudegens, sondern in der viel jüngeren und attraktiveren von Detective Lorenzo Martinez lag.