8. Kapitel

Pommersche Straße 12 A, Berlin-Wilmersdorf

Freitag, 15. April 1977

Ich kann nicht ändern, was gestern war, und weiß nicht, was morgen ist. Doch heute, hier und jetzt, werde ich alles tun, was ich nur kann. Und das ab sofort jeden verdammten Tag.

MARIA BORCHARDT

»Darf ich bitte dein Telefon benutzen?«, fragte Maria, als sie Klaus Büro betraten und dieser ihr den Mantel abgenommen hatte.

»Selbstverständlich.« Er deutete mit einer einladenden Handbewegung in Richtung des Apparates.

»Danke.« Maria spürte eine solche Wut in sich, dass sie das Gefühl hatte, das Pochen ihres Herzens bis in die Ohren hören zu können. Eilig wählte sie Uschis Nummer und straffte ihren Körper, als sich die Haushälterin der Rebenstocks meldete.

»Maria Borchardt. Ich möchte gern mit Frau Rebenstock sprechen.«

»Einen Moment bitte«, kam sogleich die Antwort, und Maria wartete, während sie ungeduldig mit den Fingernägeln auf dem Schreibtisch tippte, diese nun ansah und dabei dachte, dass sie nachher unbedingt neuen Lack auflegen musste.

»Maria, hallo«, meldete sich Uschi nun. »Wie schön, von dir zu hören.«

»Hallo, Uschi«, grüßte Maria zurück. »Du, Uschi, ich könnte jetzt wirklich deine Hilfe brauchen«, kam Maria sofort zur Sache.

»Ja, selbstverständlich. Endlich nimmst du mal was an. Was kann ich tun?«

»Kann ich mir dein Auto leihen?«, fragte sie.

»Na, sicher, ich fahre ja sowieso so gut wie nie.«

»Danke«, gab Maria zurück. »Ich bräuchte es allerdings für mehrere Tage. Ginge das in Ordnung?«

»Aber sicher. Genau genommen kannst du es das nächste halbe Jahr haben. Wirklich, das ist kein Problem.«

»Das nächste halbe Jahr?«, wunderte sich Maria.

»Ja, sicher. Wenn ich mal einen fahrbaren Untersatz brauche, kann ich doch Rebeccas Auto nehmen«, erklärte Uschi.

»Ach ja«, erinnerte sich Maria. »Sie ist ja seit Anfang des Monats in London.« Uschi hatte Maria davon erzählt, dass ihre Tochter Rebecca für ein halbes Jahr dort arbeitete, um zum einen die Sprache zu lernen und zum anderen auch um Auslandserfahrung zu sammeln. Doch daran hatte sie gar nicht mehr gedacht.

»Eben«, meinte Uschi. »Soll ich zu dir kommen, und du fährst mich dann zurück?«

»Du bist ein solcher Schatz, Uschi«, sagte Maria. »Danke! Aber gerade bin ich noch bei Klaus in der Kanzlei. Einen Augenblick bitte«, bat sie und hielt die Sprechmuschel zu. »Könntest du mich nachher kurz zu Uschi fahren, damit ich den Wagen holen kann?«

»Sicher«, antwortete Klaus nur.

»Uschi? Klaus bringt mich nachher zu dir. Ich weiß noch nicht genau wann. Ist das in Ordnung?«

»Sicher. Aber Kurt und ich sind später noch eingeladen, sodass ich nicht weiß, ob ich da bin. Ich sage unserer Mathilde Bescheid, dass du kommst und den Schlüssel und den Wagen abholst, ja?«

»Ja, Danke schön, Uschi. Für alles!«

»Das ist nicht der Rede wert«, erwiderte diese. »Du würdest es im umgekehrten Fall genauso machen.«

»Und du bekommst auch deshalb keine Schwierigkeiten mit Kurt?«

»Entschuldige mal«, empörte sich Uschi. »Kurt ist – und ich bitte dich um Verzeihung, es so deutlich auszusprechen – ganz sicher kein solcher Kontrollmensch, wie Hanns es war, und versucht mir auch nicht vorzuschreiben, was ich zu tun und zu lassen habe. Außerdem findet Kurt es genauso furchtbar wie ich, was da mit dir gemacht wurde und immer noch gemacht wird«, schimpfte Uschi. »Also, nein, Kurt ist der Letzte, der etwas dagegen hätte.«

»Gut. Dann bin ich beruhigt. Ich möchte nicht, dass du meinetwegen in Schwierigkeiten kommst.«

»Nein, darüber musst du dir wirklich keine Gedanken machen«, versicherte Uschi.

»Fein. Dann hole ich den Wagen nachher ab. Vielleicht sehen wir uns ja noch, ich würde mich freuen.«

»Ich mich auch«, antwortete Uschi. »Und sonst lass uns doch die Tage mal wieder treffen. Einfach so, meine ich, ohne Grund.«

»Ja, sehr gern«, stimmte Maria zu. »Ich habe dir sowieso schon wieder jede Menge zu erzählen.«

»Ach ja? Gibst du mir vorab schon mal einen kleinen Hinweis?«

Maria schmunzelte. »Ja, mach ich.« Sie lachte auf. »Ich habe Hanns Geliebte getroffen und außerdem seine Mutter, die nicht, wie Hanns behauptet hat, tot ist.«

»Was?« Maria glaubte Uschi vor sich zu sehen, wie sie mit offenem Mund dasaß.

»Ja, und ich glaube, mit den Überraschungen ist es für mich noch nicht zu Ende. Aber jetzt muss ich Schluss machen, Uschi. Wir sehen uns, ja?«

»Ja, wir sehen uns. Und dann musst du mir unbedingt alles haarklein erzählen.«

»Das mache ich. Bis bald und nochmals danke!«

»Bis bald, und halt die Ohren steif.«

Maria legte auf. »Du hast es ja gehört, ich bekomme das Auto«, sagte sie nun zu Klaus.

»Du hättest doch auch einfach meinen Wagen nehmen können«, entgegnete er, und Maria glaubte, dass Unverständnis in seiner Stimme mitschwang, weshalb sie sein Angebot ausgeschlagen und stattdessen lieber ihre Freundin gebeten hatte.

»Mein lieber Klaus«, setzte sie an und nahm auf dem Besucherstuhl vor seinem Schreibtisch Platz. »Du lässt meine Tochter und mich mietfrei in deiner Wohnung leben«, begann sie aufzuzählen und hielt einen Finger hoch. »Du bearbeitest die Akten der Staatsanwaltschaft, ohne zu wissen, ob du jemals auch nur eine Mark an Rechtsanwaltsgebühren von mir erwarten kannst«, sie hielt den zweiten Finger hoch. »Du bist auf meine Schwiegermutter gestoßen und hast auch hier das Mandat übernommen nachzuforschen, was aus deren früherem Hof geworden ist«, zählte sie an ihren Fingern weiter auf. »Du hast unsere Sachen in einem Raum eingelagert, selbstverständlich kostenlos«, fuhr sie fort, »und, und, und.« Sie lächelte ihn an. »Ich bin dir so dankbar, Klaus, für alles, und ich habe wirklich nicht die geringste Ahnung, wie ich das auch nur im Ansatz wiedergutmachen soll.«

»Ich habe dir schon gesagt, dass du dir darum keine Gedanken machen sollst«, erwiderte er.

»Und doch mache ich mir Gedanken darum«, hielt sie dagegen. »Ich habe wahrlich so gut wie keine Freunde mehr«, resümierte sie. »Es gibt nur noch dich und Uschi. Und wenn es nach mir ginge, würde ich diese Freundschaften sehr gern nicht dazu missbrauchen müssen, euch auszunutzen. Doch ich habe zurzeit keine andere Wahl, als euch um Gefallen zu bitten. Aber glaube mir, Klaus, das fällt mir keineswegs leicht. Ich werde alles dafür tun, mich aus dieser Abhängigkeit zu befreien, darauf kannst du dich verlassen.«

Eigentlich rechnete sie damit, dass er widersprechen wollte. Doch Klaus antwortete: »Das kann ich sehr gut verstehen, Maria. Und ich ziehe meinen Hut vor dir, wie du mit all den Schwierigkeiten, die Hanns dir hinterlassen hast, umgehst.«

Sie sah ihn an. »Ist es nicht unglaublich, dass er mir erzählt hat, seine Eltern seien tot? Und dann reißt er seine Mutter nach dem Tod des Vaters einfach aus ihrem Zuhause und steckt sie in diese Seniorenresidenz, ohne Rücksicht auf Verluste?« Maria schüttelte den Kopf. »Wirklich, Klaus, ich wünschte, dass Hanns noch da wäre, damit ich ihm rechts und links schallende Ohrfeigen verpassen könnte. Und danach könnte er gern in sein Grab zurückkehren.«

»Maria«, sagte Klaus nur, um sie zu beschwichtigen.

»Ach, ist doch wahr«, empörte sie sich weiter. »Hanna hat schon recht. Er war ein Mistkerl durch und durch.« Sie atmete tief ein und wieder aus. »Aber nein, stopp, das Thema Hanns ist für mich erledigt. Ich kann nicht mehr ändern, was geschehen ist, und muss nach vorn blicken.« Sie spürte selbst, dass sie den letzten Satz genauso heruntergebetet hatte, wie sie ihn in den letzten Tagen wieder und wieder vor dem Einschlafen zu sich selbst gesagt hatte.

Klaus lächelte. »War das jetzt an dich selbst oder an mich gerichtet?«, fragte er amüsiert.

Maria lachte auf. »An uns beide«, antwortete sie dann.

Klaus sah auf die Uhr. »Was meinst du, Maria? Hast du Lust, mit mir essen zu gehen? Es ist schon halb zwei, und ich hatte heute nur ein Frühstück.«

Maria zögerte. Jetzt, wo Klaus es ansprach, verspürte sie tatsächlich auch einen gewissen Appetit, doch sie war, seitdem all das geschehen war, noch nicht ein einziges Mal wieder in einem Restaurant gewesen. »Wo möchtest du denn hin?«, fragte sie etwas unsicher.

»Wir könnten ins Savoy oder auch woandershin, ganz, wie du willst?«

»Ich kann ja mit dir ganz offen sprechen, Klaus. Im Savoy war ich das letzte Mal, als Hanns noch lebte und meine finanziellen Verhältnisse andere waren.«

»Aber ich habe dich doch eingeladen.«

»Das meine ich nicht, Klaus.«

Er beugte sich weiter vor. »Ich bin nicht dämlich, Maria. Ich weiß sehr genau, worauf du anspielst. Und noch vor einer Woche hätte ich dir nicht mal den Vorschlag gemacht. Aber ganz ehrlich, schau dich doch an. Du siehst fantastisch aus, und ich hätte große Lust, mit dir an meiner Seite dort zu speisen.«

»Aber man wird dort über mich sprechen.«

»Ja, und wie!«, stimmte Klaus zu. »Das Maul wird man sich zerreißen. Dieses Mal. Und dann gehen wir das nächste Mal dorthin, und es wird schon weit weniger interessant sein. Und beim übernächsten Mal fragt man sich dort höchstens noch, ob wir ein Verhältnis haben.« Er sah sie geradezu liebevoll an, und Maria meinte eine gewisse Röte auf seinen Wangen zu erkennen. »Je länger du das vor dir herschiebst, desto größer wird der Schmutzhaufen, den du aufzukehren hast. Als wir vorhin von deiner Schwiegermutter wegfuhren, warst du so wütend und entschlossen.« Er lächelte sie breit an. »Einfach herrlich! Nimm dieses Gefühl und geh da raus, Maria. Ich bin an deiner Seite. Und ganz ehrlich: Wahrscheinlich werden die Frauen eher deshalb über dich lästern, weil du trotz allem, was dir widerfahren ist, so unglaublich gut aussiehst. Also komm schon, gib dir einen Ruck.«

Maria schüttelte den Kopf. »Das ist verrückt, Klaus. Aber gut.« Sie stand auf. »Dann los! Auf dass wir mit Schimpf und Schande empfangen werden.«

Klaus erhob sich ebenfalls und zwinkerte ihr zu. Dann half er ihr in den Mantel, und zusammen verließen sie die Kanzlei. Bis zum Savoy waren es knapp dreißig Gehminuten, und Maria ertappte sich dabei, dass sie immer einmal wieder in die Schaufensterscheiben sah und ihre Frisur kontrollierte, bis sie schließlich das Hotel erreichten, in dem sie sich früher oft mit ihren Freundinnen, die allesamt der besseren Gesellschaft Berlins angehörten, zum Mittagessen getroffen hatte. Nur Uschi hatte sich nach dem Skandal als wahre Freundin erwiesen und ihr die Stange gehalten. Die anderen hatten sich von ihr abgewandt, und Maria hoffte im Stillen, dass keine von ihnen heute da war, was jedoch tatsächlich nicht unwahrscheinlich war, da sie sich eben oft an den Freitagen dort getroffen hatten.

Klaus öffnete die Tür und hielt diese auf, damit Maria eintreten konnte. Zusammen gingen sie zum Eingang des Restaurants und blieben dort stehen.

»Guten Tag, Herr Thies«, grüßte Klaus den Restaurantleiter, den Maria auch gut kannte. »Hätten Sie wohl einen schönen Tisch für Frau Borchardt und mich?«

Martin Thies blickte Klaus überrascht an, dann sah er zu Maria, die das Gefühl hatte, als würde ihr gleich das Herz aus der Brust springen vor Aufregung.

»Frau Borchardt, das ist mir aber eine Freude.« Martin Thies kam hinter seinem Pult hervor, machte einen Schritt auf Maria zu, reichte ihr die Hand und deutete einen Handkuss an.

»Ich möchte Ihnen im Namen des Savoy unser Beileid aussprechen zu Ihrem Verlust. Und wenn ich mir die persönliche Bemerkung erlauben darf, wir haben Sie hier vermisst. Wie schön, dass Sie nun wieder den Weg zu uns gefunden haben.«

Maria musste schlucken. »Vielen Dank, Herr Thies«, erwiderte sie. »Ehrlich gesagt, hat Herr Schröder mich überredet mitzukommen. Ich war ein wenig unsicher nach alldem, was vorgefallen ist«, sprach sie offen ihren Gedanken aus.

»Nun, hier im Savoy sind solch angenehme Gäste, wie Sie es immer schon waren, stets willkommen.« Er griff sich zwei Speisekarten. »Wenn Sie mir bitte folgen möchten. Es ist ein sehr schöner Zweiertisch am Fenster frei.«

»Vielen Dank«, antwortete Maria.

Klaus nahm kurz ihre Hand und drückte diese aufmunternd. Dann ließ er ihr den Vortritt, und Maria folgte Martin Thies zum Tisch. Auf dem kurzen Weg dorthin glaubte sie, dass alle Blicke auf sie gerichtet waren. Als sie Cornelia Schempf und Liliana Wächter sah, die mit noch einer ihr unbekannten Frau am Tisch neben dem, auf den der Restaurantleiter zusteuerte, saßen, blieb ihr für einen Moment das Herz stehen. Ausgerechnet Cornelia! Cornelia gehörte zu den Frauen, die kein gutes Haar an anderen ließen. Sie war stets unzufrieden und suchte ständig etwas, worüber sie lästern konnte. Und gerade, wenn sie bereits einige Gläser Champagner intus hatte, wurde sie nicht nur laut, sondern geradezu ausfallend. Bestimmt würde sie sich nicht zurückhalten, sondern die Gelegenheit nutzen, um ihr Gift zu versprühen. Marias und Cornelias Blick trafen sich, und Maria hob kurz die Hand. Doch Cornelia erwiderte die Geste nicht. Vielmehr sah sie eilig zur Seite und sagte etwas zu Liliana.

»So, da wären wir«, stellte der Restaurantleiter fest, rückte Maria den Stuhl zurecht und reichte ihr eine Karte, nachdem sie Platz genommen hatte. Dann gab er Klaus die andere Karte.

»Darf ich Ihnen einen Aperitif bringen lassen? Vielleicht einen Champagner auf Kosten des Hauses als Ausdruck der Freude, Sie hier wieder begrüßen zu dürfen?«

Maria wusste nicht, was sie sagen sollte. Die Freundlichkeit des Restaurantleiters war ihr tatsächlich schon fast unangenehm.

»Sehr gern, Herr Thies«, antwortete nun Klaus statt ihrer.

»Wunderbar, der Champagner kommt sofort. Und wir haben heute als Empfehlung den Lammbraten«, fügte er noch hinzu. »Aber nehmen Sie sich erst einmal die Zeit, einen Blick in die Karte zu werfen. Ich werde Ihnen dann den Kellner schicken.«

Er wollte soeben gehen, doch nun war es Maria, die ihn ansprach.

»Herr Thies?«

»Ja, gnädige Frau?« Er blieb stehen und lächelte sie wartend an.

»Es ist schön, wieder einmal hier zu sein. Und Ihr herzliches Willkommen hat mir diesen Schritt sehr erleichtert.«

Er verbeugte sich. »Das freut mich sehr. Haben Sie vielen Dank.« Damit ging er.

Klaus beugte sich zu ihr herüber. »Na also, Feuerprobe bestanden, würde ich sagen«, flüsterte er.

Maria wollte etwas entgegnen, doch in diesem Moment kam auch schon der Kellner mit den Champagnerkelchen an den Tisch und stellte diese vor den beiden ab.

»Sehr zum Wohl, die Herrschaften«, sagte er und verschwand sogleich wieder.

Klaus erhob sein Glas, und auch Maria griff nach ihrem, um ihm zuzuprosten, als die Stimme Cornelias vom Nachbartisch laut zu ihr herüberdrang:

»Es ist schon erstaunlich, was manche Menschen sich trauen. Da reißt der eigene Mann die halbe Stadt mit sich in den Abgrund, aber das scheint nicht Grund genug zu sein, am Mittag nicht mit Champagner anzustoßen.«

Maria schloss kurz die Augen, während sie Liliana über die Bemerkung Cornelias laut lachen hörte.

»Einfach nicht hinhören«, sagte Klaus leise, doch Maria hatte das Gefühl, dass ihr pochendes Herz jeden Moment aus der Brust sprang.

»Aber so ist das wohl. Es scheint Menschen zu geben, denen nichts peinlich ist«, holte Cornelia zu einem weiteren Verbalschlag aus.

Maria presste die Lippen aufeinander. Sie hätte sich am liebsten in ein Mauseloch verkrochen. Stocksteif blieb sie sitzen und blickte auf den Tisch.

»Was meinst du? Was möchtest du essen?«, fragte Klaus und hielt ihr die Karte hin.

»Was denkst du, Lilli«, vernahm sie nun erneut Cornelias Stimme. »Würdest du dich nach einem solchen Skandal noch auf die Straße trauen? Na ja, es scheint ja wieder einen Gönner zu geben, der die Rechnungen bezahlt.«

»Ich würde hier gern in Ruhe essen«, beschwerte sich nun ein Mann, der mit seiner Frau an einem Tisch in der Nähe von Cornelia saß. »Vielleicht könnten Sie etwas leiser sein.«

»Guter Mann«, antwortete Cornelia gereizt, »glauben Sie mir, ich fühle mich ebenfalls gestört. Denn in einem Raum mit einem solchen Pack zu sein ist eine Zumutung.«

Maria blickte Klaus an, dann hob sie den Kopf, legte ihre Serviette auf den Tisch und stand auf.

»Bitte, Maria, ignoriere es und lass uns bleiben«, bat Klaus, der offensichtlich dachte, dass sie das Restaurant verlassen wollte.

»Nur einen Moment, ich bin gleich zurück«, kündigte sie an und ging zu Cornelia hinüber. Sie sah zu dem Mann, der sich soeben beschwert hatte.

»Ich bitte Sie um Verzeihung«, wandte sie sich an ihn. »Wissen Sie, die Empörung der Dame richtet sich deshalb gegen mich, weil mein Mann sich als der größte Lügner und Betrüger Berlins herausgestellt hat.« Sie sagte es laut genug, dass jeder im Restaurant es mitbekommen musste. Alles war still, man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Sämtliche Blicke waren auf Maria gerichtet. Unter den Gästen erkannte Maria viele bekannte Gesichter. So manche hatte sie über die vielen Jahre auf dem einen oder anderen Empfang getroffen und mit ihnen geplaudert.

»Ja, so ist es! Hanns Borchardt war ein vollkommen anderer als der, für den wir alle ihn gehalten haben. Er hat jeden belogen, mich eingeschlossen«, verkündete sie laut und lächelte. »Mich wohl sogar am meisten. Und bestimmt wird jetzt auch jemand hier im Raum sein, der sagt, dass ich es doch hätte merken oder zumindest einen Verdacht hätte haben müssen. Nun, ich wünschte, ich könnte zustimmen, denn dann käme ich mir nicht so dumm vor.« Sie machte eine hilflose Geste. »Doch so ist es. Das ist die Situation. Ich habe alles verloren, das ist richtig. Doch ich habe auch etwas gewonnen, eine Erkenntnis, und die würde ich mit Ihnen und euch heute hier teilen wollen: Es gibt Menschen, die wahrhaft wertvoll sind. Man erkennt diesen wahren Wert in ihren Worten und Taten vor allem dann, wenn es nichts gibt, was sie sich von ihrer Freundlichkeit und auch Freundschaft erhoffen können. Und wer solche Menschen und Freunde um sich hat, der ist reich, denn er wird um seiner selbst willen geschätzt.« Sie hob den Kopf, ließ ihren Blick über die Menschen schweifen, die sie ansahen. »Ich bin dankbar, dass mir die Gelegenheit gegeben wurde, zu dieser Erkenntnis zu kommen, auch wenn der Weg hierher bitterer und härter war, als ich es irgendjemandem wünschen würde.« Sie sah Cornelia an. »Ich wünsche dir wirklich, dass es dir gelingt, glücklich zu werden und deinen Kummer nicht mehr in Alkohol ertränken zu müssen«, sagte sie nun, worauf Cornelia etwas erwidern wollte, doch Maria fuhr bereits fort. »Und jeden Einzelnen hier, der in irgendeiner Weise durch meinen Mann zu Schaden gekommen ist, bitte ich von Herzen um Entschuldigung. Er hat mich genauso getäuscht wie Sie.«

Cornelia fuhr hoch und fuchtelte mit dem Finger, brach aber jäh ab, als jemand von einem der vorderen Tische aufstand und in die Hände klatschte. Es war Robert Huber von der Westbank, dem Hanns ebenfalls Geld schuldig geblieben war. Erst dachte sie, es wäre hämisch gemeint, weil er das, was sie gesagt hatte, für aufgesetzt hielt.

»Respekt, Frau Borchardt, wirklich«, tönte Robert Huber nun herüber, und noch immer war Maria unsicher, ob er es ironisch meinte. Doch andere Gäste, wenn auch nicht alle, fielen in das Klatschen ein, und Robert Huber trat auf sie zu.

»Sie wissen ja, dass wir auch Geld durch die Geschäfte Ihres Mannes verloren haben«, sagte er laut, als er ihr die Hand schüttelte. »Doch es ist nicht richtig, dass man Ihnen die Schuld dafür in die Schuhe schiebt.« Er stellte sich an ihre Seite. »Denn eines möchte ich hier mal eben feststellen«, erklärte Huber mit kräftiger Stimme. »Ich habe selbst mitbekommen, dass Frau Borchardt Spenden für eine Hilfsorganisation gesammelt und sich auch darum gekümmert hat, dass diese ordnungsgemäß übermittelt wurden. Für sie war das total selbstverständlich und vollkommen klar, und ich habe sie als absolut ehrlichen Menschen kennengelernt. Sie hat nichts von den Geschäften ihres Mannes gewusst, muss sich aber nun ein solches Gezeter hier anhören.« Er warf Cornelia Schempf einen vernichtenden Blick zu und schüttelte den Kopf. »Manche Leute sollten sich vielleicht einfach mit ihren eigenen Problemen beschäftigen, das wäre mein Rat.«

»Danke, Herr Huber«, sagte Maria und reichte ihm noch mal die Hand.

»Gern. Wenn Sie Ihre Angelegenheiten geordnet und einen Plan haben, wie es weitergehen soll, dann kommen Sie gern zu mir, damit wir darüber sprechen können.«

Maria schluckte, nickte und dankte ihm erneut. Dann ging sie an ihren Tisch zurück, während Huber sich ebenfalls wieder setzte.

Klaus sah sie vollkommen verblüfft an. »Also damit habe ich nicht gerechnet«, stieß er hervor.

»Ich auch nicht«, sagte Maria und schüttelte den Kopf. »Aber es hat mir einfach so gereicht«, fügte sie flüsternd hinzu.

Der Kellner kam an den Tisch. »Haben die Herrschaften gewählt?«, fragte er nun, als wäre nichts gewesen.

Klaus und Maria tauschten einen fragenden Blick.

»Wir nehmen beide die Empfehlung des Tages«, antwortete Klaus und sah Maria an. »Einverstanden?«

»Ja, einverstanden.« Maria blickte auf ihre Hand, die zitterte, und legte diese eilig unter den Tisch auf ihren Schoß.

»Kellner! Wir möchten gehen«, hörte sie nun hinter sich Lilianas empörte Stimme.

Der Kellner sah hinüber. »Sehr wohl«, erwiderte er. »Ich bringe gleich die Rechnung.« Dann sah er Maria an. »Also zwei Mal die Empfehlung des Tages?«, fragte er.

»Ja bitte«, antwortete Maria und nickte. Sie hatte das Gefühl, dass das Zittern nicht nachließ, sondern nur noch schlimmer wurde.

»Sehr wohl«, bestätigte der Kellner.

Inzwischen hatten alle im Restaurant ihre Gespräche wieder aufgenommen und schienen zur Tagesordnung übergegangen zu sein.

»Mir ist ganz schlecht«, flüsterte Maria nun Klaus zu, worauf dieser schmunzelte.

»Warum? Du hast hier einen Auftritt vom Feinsten hingelegt und auch noch Unterstützung von einer Seite erhalten, mit der du bestimmt nicht gerechnet hättest«, resümierte er. »Und danke, für deine Rede über den Wert von Freunden«, fügte er hinzu. »Ich habe mich angesprochen gefühlt.«

»Ja, du warst ja auch gemeint. Du und Uschi«, stellte Maria klar.

»Das dachte ich mir.« Er hob einige Male die Augenbrauen und lächelte.

»Du wirkst überaus amüsiert«, meinte sie nun mit einer gewissen Verwunderung. »Für dich scheint das hier ein riesiger Spaß zu sein.«

Klaus grinste noch breiter, als er mit dem Kopf in Richtung Cornelia nickte. »Na, sicher. Ich kann solche Leute nicht leiden. Und wenn denen dann jemand die Stirn bietet, freut mich das. Wenn ich eine Wette abschließen sollte, würde ich darauf setzen, dass die dir nie wieder blöd kommt.«

Nun musste auch Maria schmunzeln. »Wahrscheinlich nicht. Doch irgendwie tut es mir jetzt schon wieder leid, dass ich den Satz mit dem Alkohol gesagt habe. Das hätte ich mir verkneifen sollen.«

»Ach, um Himmels willen, Maria«, entgegnete Klaus. »Hör bloß auf, dir deshalb ein schlechtes Gewissen zu machen. Glaubst du, dass sie dir gegenüber eines hat?«

»Wohl eher nicht.«

»Genau. Wohl eher nicht«, wiederholte Klaus ihre Worte.

Der Kellner trat an den Nachbartisch und kassierte ab. Dann hörte Maria, wie hinter ihr Stühle gerückt wurden, und sah kurz darauf die drei Frauen an ihrem Tisch vorbeigehen. Keine von ihnen sagte ein Wort oder würdigte sie und Klaus auch nur eines Blickes. Maria war erleichtert, als sie das Restaurant verlassen hatten, und spürte, wie die Anspannung, die sie die ganze Zeit fest im Griff gehabt hatte, nun endlich nachließ.

Als sie den Champagner geleert hatten, bestellten sie sich noch Wein. Klaus schlug zwar vor, gleich eine ganze Flasche zu ordern, doch Maria lehnte dankend ab. Sie hatte gestern Abend deutlich den Wein gespürt, außerdem war sie wegen der Szene hier im Restaurant noch immer ein bisschen zittrig. Während Klaus absolut zufrieden zu sein schien, war Maria ein wenig fahrig, hatte sich ihr eigenes Verhalten für sie doch richtiggehend fremd angefühlt. Nein, sie wollte nicht boshaft sein, und sie wollte ebenso wenig eine große Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Doch irgendwann war genug eben genug, und genau dieser Punkt war vorhin bei ihr erreicht gewesen.

»Sag mal«, begann sie nun, nachdem sie beide bereits den Gruß aus der Küche verzehrt hatten und sich nun dem Lamm widmeten. »Was hast du eigentlich vorhin mit der Pflegeleitung im Seniorenheim besprochen?«

»Na ja«, antwortete Klaus mit vollem Mund und schluckte erst mal seinen Bissen hinunter, bevor er weitersprach. »Wie du dir vorstellen kannst, ging es um die noch offenen Rechnungen.«

»Ja, das dachte ich mir. Und?«

»Sie lassen mir eine genaue Aufstellung der Kosten zukommen«, gab Klaus Auskunft, »und sobald diese vorliegt, besprechen wir uns und bieten ihnen etwas an.«

Maria holte tief Luft. »Ich hoffe, dass es nicht zu viel ist. Zwar habe ich noch einige Pelze und vor allem Schmuck zu verkaufen, doch auch die Gelder hieraus werden über kurz oder lang aufgebraucht sein. Ganz abgesehen davon, dass die Kosten für das Heim ja auch jeden Monat wieder auflaufen.«

»Faktisch bist du nicht verpflichtet, dafür aufzukommen«, stellte Klaus nun fest. »Du hast das Erbe ausgeschlagen, genau wie Hanna und Holger. Und weitere Nachkommen gibt es nicht. Genau genommen müssen wir, wenn wir deine Schwiegermutter schützen wollen, sogar andersherum denken.«

»Wie ist das nun wieder gemeint?«, fragte Maria.

»Nun ja, sie ist in der Erbfolge die nächste Verwandte nach euch. Sie muss das Erbe nun, da sie von Hanns Ableben erfahren hat, ausschlagen. Sonst erbt sie seine gesamten Schulden.«

»Ach du liebes bisschen«, entfuhr es Maria. »Kannst du für sie da etwas vorbereiten?«

»Sicher, ich kümmere mich darum. Für dich bedeutet es jedoch, dass du die Kosten, die aus einem von Hanns geschlossenen Vertrag entstehen, nicht übernehmen musst. Rein rechtlich muss deine Schwiegermutter auch die Kosten der letzten Monate nicht ausgleichen, da sie zwar Nutznießerin des Vertrages war, diesen jedoch nicht selbst geschlossen hast. Ich plädiere dafür, dass du die Kostenübernahme ablehnst, genau wie deine Schwiegermutter. Sie kann nicht für einen von Hanns abgeschlossenen Vertrag in die Pflicht genommen werden und du ebenso wenig.«

»Aber das wäre doch nicht richtig, Klaus«, wandte Maria ein.

»Richtig nicht, aber rechtens«, klärte er auf.

Maria überlegte kurz. »Ich möchte die Heimkosten gern bezahlen«, stellte sie fest. »Gertrud gehört zur Familie, auch wenn ich sie erst seit heute kenne.«

»Ich dachte mir schon, dass du so reagieren würdest«, seufzte Klaus. »Hast du inzwischen über die beiden auf deinen Namen laufenden Firmen nachgedacht?«

»Ja, das habe ich«, antwortete sie. »Noch vor einer Woche hätte ich gesagt, hiermit nichts zu tun haben zu wollen, doch so langsam sehe ich das anders.« Sie legte ihr Besteck beiseite. »Ich denke, wenn diese Firmen wirklich in keinerlei krumme Geschäfte verwickelt sind, sollte ich versuchen, hieraus etwas für Hanna und mich aufzubauen.«

»Sehr gut«, lobte Klaus. »Ich habe hier auch noch mal ein bisschen weiter recherchiert. Die Staatsanwaltschaft hat ja diese Konten eingefroren«, erklärte Klaus. »Ich werde nun den Antrag stellen, die Sperrung sofort aufzuheben und dir somit wieder den Zugriff ermöglichen.«

»Lohnt das denn? Ich meine, selbst wenn die Staatsanwaltschaft diesen Firmen keine krummen Geschäfte nachweisen kann, ist es doch vollkommen klar, dass dann die Bank Zugriff nimmt, bei dem vielen Geld, das Hanns der Bank schuldet.«

»Noch mal, Maria, das sind Hanns Schulden, für die du nicht haftest. Ich habe nicht einen einzigen Nachweis gefunden, dass du beispielsweise eine Bürgschaft übernommen hättest oder Ähnliches.«

»Womit hätte ich auch bürgen sollen?«, stellte sie die Gegenfrage.

»Eben«, antwortete Klaus. »Deshalb hat dich auch keine Bank mit ins Boot geholt. Das, was du unterschrieben hast und wofür du in vollem Umfang haftest, sind die beiden Firmen, die auf deinen Namen laufen. Das ist alles. Und genau so verhält es sich mit den hierfür eingerichteten Konten. Die einzige Gefahr, die wir derzeit eben noch nicht absehen können, ist, dass diese Konten belastet sind. Ich habe dazu bisher keine aktuellen Auskünfte bekommen. Doch selbst wenn dies der Fall sein sollte, wärst du schon jetzt so oder so in der Haftung und könntest es nicht mehr ändern. Es kann aber ebenso gut sein, dass auf diesen Konten Geld ist, von dem wir nichts wissen.«

»Das glaubst du doch selbst nicht, Klaus«, entgegnete Maria und schüttelte den Kopf. »So, wie die Situation sich darstellt, hat Hanns doch wohl überall nur Schulden gehabt, oder nicht?«

»Das stimmt. Doch Hanns hat sich in solchen Größenordnungen bewegt, dass ihn ein paar tausend Mark, die irgendwo lagen, überhaupt nicht interessierten. Und da diese beiden Firmen quasi von selbst und nur im Hintergrund liefen, könnte durchaus noch etwas da sein.« Klaus trank einen Schluck. »Und selbst wenn nicht. Auf dem einen Konto gehen schließlich Mietzahlungen ein. Wir müssen uns erst einen Überblick verschaffen, doch wenn auf dem einen Konto regelmäßig Zahlungen eingehen und damit wiederum Dauerrechnungen der anderen Firma bezahlt werden, ebenso wie die laufenden Kredite für diese Firmen, wirst du nach und nach diese tilgen können.«

Maria hatte das Gefühl, dass ihr der Kopf rauchte.

»Halte mich für dumm, Klaus, doch ich kann dir schon wieder nicht mehr folgen.«

Klaus lächelte sie an. »Weißt du was, das musst du auch nicht. Lass mich nur machen.«

Maria spürte, wie sich Widerstand in ihr regte.

»Ist was?«, fragte Klaus und runzelte die Stirn. »Du guckst auf einmal so …«, er suchte nach den richtigen Worten, »so ernst.«

Maria atmete tief durch. »Ich denke, es liegt an dem, was du eben gesagt hast«, sprach sie dann ihren Gedanken aus. »Es tut mir leid, bestimmt denkst du dir, was für eine undankbare Pute ich bin. Doch Hanns hat auch immer zu mir gesagt, dass ich ihn einfach machen lassen soll.« Sie schüttelte den Kopf. »Nicht dass ich euch vergleichen will. Um Himmels willen. Doch ich …«, wieder atmete sie geräuschvoll aus, »ich will mich nicht mehr in eine solche Abhängigkeit begeben. Ich hoffe, du nimmst mir diese offenen Worte nicht übel? Weißt du, ich bin im Moment noch nicht in der Lage, dich für deine Dienste als Rechtsanwalt zu entlohnen, doch ich werde es schaffen. Und dann möchte ich für jede deiner Tätigkeiten eine Rechnung haben. Vor allem aber möchte ich mir selbst nicht mehr erlauben, den Weg des geringsten Widerstandes zu gehen, unwissend zu bleiben und die Kontrolle dir zu überlassen.«

»Das kann ich sehr gut verstehen«, stimmte Klaus zu. »Doch ehrlich gesagt bin ich nie davon ausgegangen, dir Rechnungen für meine Tätigkeiten zu schreiben.«

»Nun, wie gesagt«, sie lächelte ihn an, »noch könnte ich sie ja auch gar nicht bezahlen. Ich werde zwar verkaufen, was ich habe, um möglichst viel Geld zusammenzubekommen, doch auch das wird ja irgendwann zu Ende sein. Und wenn nun neben der monatlichen Miete an dich auch noch die Heimkosten für Gertrud hinzukommen, wird es nicht gerade einfacher.« Sie hob den Zeigefinger. »Aber ich bin ja auch erst seit einer Woche wieder am Leben.«

Klaus schmunzelte. »Das hast du gut ausgedrückt. So kommt es mir tatsächlich auch vor«, stimmte er zu.

»Ich habe wohl diese Trauerzeit gebraucht«, meinte Maria nachdenklich. »Und das Bittere ist, ich habe tatsächlich vor allem um mich selbst und meine Kinder getrauert und darum, alles verloren zu haben. Dabei ist mein Ehemann gestorben. Doch wenn ich an ihn denke, ist da in mir, nach all der Zeit, die wir miteinander gelebt haben und verheiratet waren, nur noch Hass und völliges Unverständnis.« Sie schüttelte abermals den Kopf. »Ich bin wirklich alles andere als stolz darauf.«

»Nach allem, was er dir und deinen Kindern angetan hat, ist das doch wohl nur allzu verständlich«, befand Klaus.

»Mag sein. Doch ich habe seither meine Gefühle einfach nicht mehr im Griff«, fuhr sie fort. »Als du eben sagtest, ich müsste das nicht verstehen und sollte dich einfach machen lassen, hat alles in mir rebelliert. Es kann doch nicht wahr sein, dass ich wegen nur einer Bemerkung so überaus heftig reagiere.«

»Ich fand deine Reaktion nicht heftig.«

»Nur deshalb nicht, weil ich mich zusammengerissen habe, es nicht so deutlich zu zeigen.«

Klaus schmunzelte. »Du meinst, da ist eben ein Sturm an mir vorbeigezogen, und ich habe es gar nicht bemerkt?«

»Eher ein Tornado als ein Sturm«, antwortete Maria, musste nun aber lachen.

Klaus stimmte mit ein, wurde dann aber ernst. »Ich verstehe das, Maria. Ich verstehe dich«, machte er deutlich. »Wenn ich dir damit zu nahe getreten sein sollte, entschuldige ich mich.«

»Das ist wirklich nicht nötig, Klaus.«

»Doch, ist es. Ich werde künftig jeden Schritt, den ich in deinen Angelegenheiten mache, noch deutlicher kommunizieren und dich stets auf dem Laufenden halten.« Wieder schmunzelte er. »Und es dir so detailliert erklären, dass du nach einer Weile selbst das juristische Staatsexamen ablegen könntest.«

Ein warmes Gefühl machte sich in Maria breit. »Danke, Klaus. Du bist wirklich ein sehr guter Freund. Ich danke dir für alles«, bekräftigte sie.

Klaus sah sie einen Moment lang auf eine Weise an, die sie nicht recht zu deuten wusste. Er beugte sich noch weiter über den Tisch, suchte offenbar nach Worten. Doch dann ging ein Ruck durch ihn, und er setzte sich wieder gerade hin.

»Möchtest du einen Nachtisch?«, fragte er.

Sie blickte ihn an. »Äh …«, stammelte sie, »äh, nein danke. Ich glaube, ich habe in den letzten paar Tagen mehr gegessen als im ganzen letzten Vierteljahr.« Maria bemühte sich um ein Lächeln, doch die Veränderung, die sie soeben an Klaus bemerkt hatte, verunsicherte sie.

»Ich bin auch zu satt«, stellte er fest, sah sich um und hob den Arm, um den Kellner kommen zu lassen. Dieser trat eilig an den Tisch.

»Ich möchte zahlen«, kündigte Klaus an.

»Sehr wohl«, bestätigte der Kellner und verschwand sogleich wieder.

»Alles in Ordnung, Klaus? Du wirkst plötzlich so verändert. Habe ich dich verärgert?«

»Aber nein, überhaupt nicht«, versicherte er. »Wir haben nur noch so viel zu tun und würden sonst noch Stunden hier sitzen und plaudern.«

Die Rechnung kam, und Klaus bezahlte.

»Wollen wir?«, fragte er dann.

»Ja, gern.« Sie standen gleichzeitig auf.

Beim Rausgehen verabschiedete Maria sich noch mit einem kurzen Kopfnicken von Bankier Huber, dann verließen sie das Restaurant.

Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinanderher, dann sagte Klaus: »Ich habe noch einige offenen Fragen an dich, die wir anhand der Akten besprechen sollten, damit ich dich bestmöglich verteidigen kann. Die sollten wir als Erstes durchgehen.«

»Ja, sicher«, stimmte Maria zu, die spürte, dass eine Distanz zwischen ihnen war. Das vertraute Miteinander war von einem Moment auf den anderen verschwunden, und sie konnte sich nicht erklären, weshalb. Doch anders als noch vorhin hakte sie sich nun nicht bei Klaus unter, weil es ihr allzu vertraut erschien. Entgegen seiner Aussage, ihr die Offenheit nicht übel zu nehmen, schien Klaus nun doch genau das zu tun, und Maria beschlich das Gefühl, einen Fehler gemacht zu haben. Nur wusste sie noch nicht, welchen. Es war wirklich alles ein Kreuz.