Das erste Mal seit Jahren habe ich das Gefühl, Urlaub machen zu wollen. Wenn der größte Sturm vorbeigezogen ist, möchte ich mir Zeit nehmen, um mein eigenes Leben zu hinterfragen.
KLAUS SCHRÖDER
Klaus sah auf die Uhr. Es war kurz nach acht, und um halb zehn hatte er mit Maria einen Termin bei Staatsanwalt Sven König. Er hatte also noch ein wenig Zeit, die Tageszeitung zu lesen und sich über das Tagesgeschehen aufs Laufende zu bringen. Jetzt noch eine Akte bearbeiten zu wollen hatte ohnehin keinen Sinn, da er wegen des bevorstehenden Termins tatsächlich zu angespannt war, um sich noch auf etwas anderes wirklich konzentrieren zu können. Marias Strafsache ging ihm nah, viel zu nah, wie er sich eingestehen musste. Seiner Erfahrung nach war es alles andere als gut, wenn ein Rechtsanwalt die Sache des Mandanten zu seiner eigenen machte. Zwar war er sicher, dass niemand sich so hineinknien würde wie er. Für andere wäre es nur ein Mandat, das routinemäßig bearbeitet würde, aber womöglich nicht mit dem Einsatz, der bei diesem komplizierten Fall erforderlich war. Ja, die Sache war verfahren, war doch das Lügengebilde, das Hanns errichtet hatte, dermaßen umfangreich und verworren, dass es wirklich Wochen gedauert hatte, bis Klaus sich durch intensives Aktenstudium einen teilweisen Überblick verschafft hatte. Doch dass er wirklich alles umriss, dessen war er auch jetzt noch nicht sicher, ganz abgesehen davon, dass er glaubte, auch Hanns hätte am Ende nicht mehr durchgeblickt. Andererseits, so hoffte Klaus, könnte ihm dies auch zum Vorteil gereichen, da er davon ausging, dass Staatsanwalt König ebenso große Schwierigkeiten haben mochte wie Klaus selbst und ihm deshalb in seiner Argumentation und der hieraus folgenden Anklage gegen Maria Fehler unterlaufen würden. Doch Klaus war auch unruhig, denn zum jetzigen Zeitpunkt war für ihn nicht einmal klar, worauf König seine Anklage gegen Maria eigentlich stützen wollte, und er hatte Bedenken, dass ihm womöglich etwas entgangen sein könnte. Irgendetwas musste er entweder übersehen haben oder ihm von der Staatsanwaltschaft noch vorenthalten worden sein, denn wie König einen Betrug oder auch nur einen Betrugsversuch vonseiten Marias herleiten wollte, erschloss sich ihm nicht.
Die einzige Vorhaltung, die man Maria machen konnte und vielleicht auch machen musste, war die, dass sie mit einer unglaublichen Naivität alles für bare Münze genommen hatte, was ihr Ehemann Hanns ihr vorgelogen hatte. Das war alles. Doch eine Straftat war dies sicher nicht.
Klaus hatte den Verdacht, dass König möglichst öffentlichkeitswirksam einen Prozess auf die Beine stellen wollte, bei dem er mit großem Bohei die Witwe des Mannes auf die Anklagebank zerrte, durch den so viele wichtige Geschäftsleute Berlins geprellt worden waren und etliche Millionen verloren hatten. Klaus konnte Sven König noch nicht so gut einschätzen wie andere Staatsanwälte. Er war ehrgeizig, das wusste Klaus. Und er vermutete, dass König mit seinem Engagement klare Karrierepläne verfolgte und die Position des Oberstaatsanwalts anpeilte. Hieran fand Klaus nichts Verwerfliches, doch wenn er seine Karriereleiter auf dem Rücken Marias aufbauen wollte, würde Klaus ihn in seine Schranken weisen müssen. Hieran führte kein Weg vorbei. Zwar waren die Anschuldigungen, die im Raum standen, nicht ganz von der Hand zu weisen. Doch für eine Anklage reichten sie eben nicht – es sei denn, König hatte noch ein Ass im Ärmel, und genau von diesem hätte Klaus zu gern gewusst. Das Einzige, was er sich vorstellen konnte, war, dass etwas mit den Firmen, die auf Marias Namen eingetragen waren, nicht stimmte. Die Bank hatte Klaus bisher eine Auskunft über die Konten mit dem Verweis auf das laufende Verfahren der Staatsanwaltschaft verweigert. Schlimmstenfalls hatte Hanns über die Konten Geld gewaschen, was dann vollen Umfangs zu Marias Lasten ging. Doch was nützte es schon, sich hierüber den Kopf zu zerbrechen, solange Klaus noch keine Einsichtserlaubnis erhalten hatte? Erst mal war es für ihn ein gutes Zeichen, dass König ihn um den Termin in seinem Büro ersucht hatte. Denn wäre der Staatsanwalt sich seiner Sache so sicher, wie er tat, hätte es dieses Termins nicht mehr bedurft.
Klaus schlug die Zeitung auf, und sogleich stach ihm die in fetten Lettern gedruckte Schlagzeile ins Auge:
Durchsetzung der Studentenbewegung durch die RAF
Nach Lohmüller-Mord: »Ich konnte und wollte (und will) eine klammheimliche Freude nicht verhehlen.«
Berliner Studentenzeitung druckt zynischen Nachruf – Ermittlungen eingeleitet. Mehrere Hochschullehrer solidarisieren sich und drucken das Pamphlet nach.
Berlin: Nach der grausamen Ermordung des Vorstandsmitglieds der Berliner Privatbank Maximus, Gerhard Lohmüller, sind die verdächtigen Mitglieder der RAF noch immer auf der Flucht. Als ein Täter konnte inzwischen Holger Borchardt, der Sohn des im letzten Jahr verunglückten Immobilienpatriarchen Hanns Borchardt, der wegen Betruges, der Veruntreuung von Geldern, Steuerhinterziehung und weiterer Vergehen belangt werden sollte, ausgemacht werden. Offenbar verschaffte Holger Borchardt seinen Komplizen Zugang zum Wohnhaus Lohmüllers. Nach einem gescheiterten Entführungsversuch wurde Lohmüller aus nächster Nähe angeschossen und erlag kurz darauf im Krankenhaus seinen Verletzungen.
Nachdem durch den sogenannten »Berufsverbotsstreik« Ende letzten Jahres bis Ende Januar dieses Jahres endlich Ruhe bei den Universitäten hätte eintreten können, veröffentlichte die Studentenzeitung nun einen Nachruf, der von den örtlichen Behörden als Unterstützung des Terrorismus gewertet wird. Der Autor Berliner Bannock wird bereits gesucht. Mehrere Universitäten und Hochschullehrer haben Solidaritätsaktionen angekündigt, so soll das Pamphlet nachgedruckt werden, um auf diese Weise den Angriff auf die Pressefreiheit und freie Meinungsäußerung abzuwehren.
In dem Nachruf schilderte der Autor seine Freude über die Ermordung Lohmüllers, auch wenn eine gewisse Kritik geäußert wird: »Unsere Waffen sind nicht lediglich Nachahmungen der militärischen, sondern solche, die sie uns nicht aus der Hand schießen können. Unsere Stärke braucht deswegen nicht in einer Phrase zu liegen (wie in der ›Solidarität‹). Unsere Gewalt endlich kann nicht die Al Capones sein, eine Kopie des offenen Straßenterrors und des täglichen Terrors; nicht autoritär, sondern antiautoritär und deswegen umso wirksamer.«
Man muss sich fragen, inwieweit eine Mehrheit an Studenten die Demokratie als Terror betrachtet und ob der Staat an den Verbrechen der RAF zu zerbrechen droht.
Klaus klappte die Zeitung wieder zu. Ihm war, als hätte sich die Unruhe im Land durch die neuerlichen Anschläge der RAF noch einmal verstärkt. Der Prozess in Stammheim gegen die RAF -Mitglieder Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe wegen Mordes in vier Fällen und versuchten Mordes in vierundfünfzig Fällen würde in Kürze zu Ende gehen. In drei Tagen war die Urteilsverkündung, und Klaus hatte wie wohl auch die restliche Bevölkerung nicht den geringsten Zweifel, dass alle drei schuldig gesprochen würden. Ulrike Meinhof, die zusammen mit den drei anderen angeklagt gewesen war, hatte bereits im letzten Jahr in ihrer Zelle Suizid begangen, was Klaus seinerzeit aufrichtig schockiert hatte. Er hatte Ulrike Meinhof bis zu dem Zeitpunkt, an dem sie sich radikalisiert hatte und gewalttätig geworden war, für ihre klugen Denkansätze geschätzt und war durch ihre Artikel zum Nachdenken angeregt worden. Zwar stand es für ihn als Juristen außer Zweifel, dass ein gewaltsamer Umbruch nicht der richtige Weg sein konnte. Doch die Grundgedanken der Gruppe konnte und wollte Klaus nicht einfach von der Hand weisen. Nur hatte er inzwischen das Gefühl, dass die neue Generation der RAF gar nicht mehr die gleichen Grundsätze vertrat wie die ursprüngliche und Gewalt nicht als Mittel eingesetzt wurde, sondern es ausschließlich um die Gewalt als solche ging. Die Forderungen an die Regierung waren zu einem wirren Gemisch aus Beschimpfungen und Hass geworden. Baader, Ensslin und Raspe wurden gefeiert wie Revolutionäre, ohne dass die Ursprungsbotschaft noch von Bedeutung zu sein schien. Und Klaus hatte immer mehr das Gefühl, dass diejenigen, die die heutige Generation der RAF darstellten, nicht einmal mehr wussten, für was sie da eigentlich kämpften. Es ging »gegen die da oben«, das war alles.
Wie Holger Borchardt in diese Kreise geraten war, vermochte Klaus nicht zu sagen. Doch warum er sich in einem radikalen Umfeld bewegte, war ihm nicht ein solches Rätsel wie offenbar Maria, die über das, was ihr Sohn angeblich getan haben sollte, mehr als nur fassungslos war. Holger war schon, solange Klaus ihn kannte, ein junger Mann voller Wut gewesen. Wütend auf seinen Vater, wütend auf das kapitalistische System. Wütend auf alles und nichts und offenbar verzweifelt bemüht, einen Weg für sich zu finden. Doch irgendwann schien er völlig falsch abgebogen zu sein. Wie er von hier aus noch umkehren wollte, wusste Klaus nicht. Er wusste nur, dass er nicht in der Lage wäre, dem jungen Mann hierbei noch zu helfen. Dafür war Klaus nicht der geeignete Anwalt, wie er Maria schon erklärt hatte, als sie ihn fragte. Doch Klaus hoffte inständig, dass Holger möglichst bald gefasst würde. Vielleicht würde er so wieder einigermaßen in die Spur kommen, auch wenn er für das, was er getan hatte, die nächsten Jahre im Gefängnis verbringen müsste. Doch das war nun einmal der Preis für das, worauf er sich eingelassen hatte. Das war eben nicht zu ändern.
Klaus legte die Zeitung weg und trank seinen Kaffee aus. Es war erst kurz nach halb neun. Wenn er sich um kurz vor neun auf den Weg machte, wäre er gut in der Zeit. Von seiner Kanzlei bis zur Staatsanwaltschaft in der Turmstraße benötigte er mit dem Auto knappe zwanzig Minuten. Sonst fuhr er ja innerhalb der Stadt meist mit der S-Bahn, doch er wollte für später lieber sein Auto dabeihaben. Er hatte Maria angeboten, sie von zu Hause abzuholen, doch das hatte sie abgelehnt und ihm vorgeschlagen, dass sie sich vor dem Gebäude treffen könnten. Irgendwie hatte Klaus das Gefühl, bei Maria etwas falsch gemacht zu haben, wenngleich er nicht wusste, was das sein könnte. Doch sie hatte sich verändert, hatte manches nicht mehr annehmen wollen oder können, und Klaus hatte gespürt, dass sie sich abgrenzte. Offenbar wollte sie nicht mehr zulassen, dass Klaus ihr ganz selbstverständlich zur Seite stand. Im Grunde konnte er es verstehen, fand es sogar gut, zeigte es doch, dass Maria nach all den Jahren mit Hanns, während derer sie sich hatte kleinmachen lassen, nun endlich zu sich selbst fand und klare Grenzen zog. Doch andererseits bedauerte er, dass eine dieser Grenzen nun genau vor ihm gezogen wurde, empfand er für Maria doch seit vielen Jahren schon eine große Zuneigung. Natürlich hatte er ihr dies nie gesagt. Wozu auch? Sie war die Frau eines seiner wichtigsten Mandanten gewesen, und auch wenn da immer das Gefühl von Freundschaft vorherrschend gewesen war und er Maria und auch Hanna nach Hanns’ Tod bedingungslos unterstützt hatte, gab ihm das noch lange nicht das Recht, sich nun etwas erhoffen zu dürfen. So klar, geradlinig und erfolgreich er auch als Rechtsanwalt sein mochte, so versagte er doch als Privatmensch auf ganzer Linie. Seit sein Sohn Peter ausgezogen war, verbrachte er die wenigen Stunden, die er zu Hause war und nicht in der Kanzlei, allein in seiner Wohnung mit dem kleinen gepflegten Garten und zog sich vollkommen zurück. Ein privates Sozialleben besaß er so gut wie nicht mehr, geschweige denn ein Liebesleben. Mal die eine oder andere Nacht nach einer flüchtigen Begegnung, das war alles gewesen. Und erfüllt hatte es ihn nicht. Anfangs hatte er gedacht, dass ihm der Betrug durch seine Exfrau Patricia damals zu sehr zugesetzt hatte und er einfach nicht mehr vertrauen könnte. Doch das war nun wirklich eine kleine Ewigkeit her, mehr als fünfzehn Jahre und damit nicht mehr von Belang. Einzig, dass sie sich später auch nicht mehr um Peter, den gemeinsamen Sohn geschert hatte und Klaus diesen letztendlich allein hatte aufziehen müssen, nahm er Patricia noch übel. Genau genommen verachtete er sie sogar dafür. Hätte er wahre Größe in sich, er hätte ihr dennoch alles Gute gewünscht und dass sie glücklich würde in ihrem neuen Leben. Doch so viel Edelmut besaß Klaus nicht, wie er selbst hatte erkennen müssen. Denn als Patricia – es musste etwa drei Jahre gewesen sein, nachdem sie ihn verlassen hatte – eines Abends anrief und unter Tränen um ein Treffen bat, konnte Klaus sich des Triumphgefühls nicht wirklich erwehren. Er hatte sie dann am nächsten Tag im Restaurant getroffen, wo sie ihm davon erzählt hatte, wie scheußlich sich der Mann, für den sie ihn verlassen hatte, inzwischen benahm und dass sie keinesfalls bei diesem bleiben wollte. Einen kurzen Moment hatte Klaus daraufhin sogar gedacht, dass er schon wegen seines Sohnes Peter Patricia erneut in sein Leben lassen müsste, auch wenn diese sich nach der Trennung überhaupt nicht mehr um ihren kleinen Sohn gekümmert hatte. Doch je länger sie gesprochen hatten, desto deutlicher war geworden, dass sie nicht die geringste Lust hatte, ihrer Verantwortung als Mutter nachzukommen, sondern lediglich für eine Zeit lang einen Versorger brauchte, bis sie wusste, wohin der Wind sie in Zukunft verschlug. Dass sie dem gemeinsamen Sohn, der für eine kurze Zeit seine Mutter wiederbekäme, nur damit diese ihn dann neuerlich enttäuschte, vermutlich das Herz brechen würde, war Patricia egal gewesen. Die Vorwürfe, die Klaus ihr hierauf gemacht hatte, schien sie gar nicht wirklich verstanden zu haben. Sie beharrte nur auf ihrem Standpunkt, durch die bevorstehende Trennung von ihrem neuen Mann schon genug durchzumachen und damit emotional gar nicht in der Lage zu sein, sich um ihr Kind zu kümmern. Klaus hatte es irgendwann gereicht, sodass er die Rechnung bezahlt hatte, aufgestanden und gegangen war. Patricias Zetern hatte er noch bis zum Ausgang hören können. Dann hatte er die Tür zugeschlagen und damit auch den Teil seines Lebens hinter sich gelassen, während dessen er noch an die Ehrlichkeit in einer Partnerschaft und ein harmonisches Zusammenleben mit einem anderen Menschen geglaubt hatte.
Vielleicht war es auch nur das, was er an Maria so anziehend gefunden hatte: Sie war treu. Eine Frau, die alles getan hatte, um ihre Ehe aufrechtzuerhalten, auch wenn hierdurch der Fall, den sie erlitten hatte, nur umso tiefer gewesen war. Aber nein, er machte sich nichts vor. Es war nicht nur das gewesen. Natürlich gefielen ihm die Werte, die Maria vertrat, und auch ihr grenzenloser Einsatz für ihre Kinder. Doch es war weit mehr als das. Sie war eine überaus attraktive Frau, anders als die jungen Dinger, die sich nur hübsch zurechtmachten. Maria hatte wahrlich schon viel zu überstehen und auszuhalten gehabt, und gerade das, was nach Hanns’ Tod nach und nach ans Tageslicht gekommen war, hätte manch andere verzweifeln lassen. Ja, es hatte Wochen und Monate gedauert, doch Maria hatte sich wieder gefangen, und Klaus schien es, dass sie nun stärker war als je zuvor in ihrem Leben. Sie war nicht mehr bereit, sich unterkriegen zu lassen, und für ihren Auftritt im Savoy hätte er ihr am liebsten applaudiert. Diese verdammte verlogene sogenannte bessere Berliner Gesellschaft, die sich und ihresgleichen feierte und auf diejenigen spuckte, die aus irgendeinem Grund gestrauchelt waren. Was für eine Heuchelei! Und wie sehr hatte es Klaus genossen, als Maria aufgestanden war und es dieser Cornelia Schempf und allen dort gezeigt hatte. Ja, er hatte sie in dieser Situation so unglaublich anziehend gefunden, dass er sie am liebsten stürmisch umarmt hätte. Doch das war natürlich vollkommen absurd. Und als sie ihn später in seine Schranken verwiesen hatte, als er ihr sagte, sie solle ihn nur machen lassen, da hatte er gespürt, dass sie eine klare Grenze gezogen hatte. Er konnte sie ja verstehen. Hanns hatte das auch immer zu ihr gesagt, wie sie ihm sogleich erzählt hatte. Natürlich wollte sie sich nie wieder in eine solche Abhängigkeit begeben, und Klaus verstand auch, dass Maria bestimmt so leicht niemandem mehr einfach vertrauen würde. Aber er fühlte sich dennoch gekränkt, schließlich war ihr Ehemann ein notorischer Lügner und Betrüger gewesen, während er selbst nichts weiter wollte, als Maria aus alldem herauszuhelfen. Ihn mit Hanns in dieser Hinsicht auf eine Stufe zu stellen, selbst wenn sie es gar nicht so gemeint hatte, wovon er ausging, ärgerte Klaus. Schließlich musste sie doch wissen, dass er für sich keinerlei Vorteil aus ihrer misslichen Lage zu ziehen versuchte, anders als Hanns, der überhaupt nie auf etwas anderes bedacht war als eben seinen eigenen Vorteil und niemals Rücksicht auf die Belange anderer genommen hatte. Klaus hatte in den letzten Tagen immer wieder einmal darüber nachdenken müssen und ebenso darüber, dass Maria darauf bestand, seine Rechnungen auf Heller und Pfennig zu begleichen und seine anwaltliche Unterstützung eben nicht als Freundschaftsdienst annehmen wollte. Auch wenn es ihn einerseits ärgerte, so konnte Klaus Maria auch in dieser Hinsicht nur zu gut verstehen. Sie hatte sich auf ihren Mann verlassen und war so entsetzlich von ihm getäuscht worden. Dass sie nun auf eigenen Beinen stehen wollte, war nur allzu verständlich. Wahrscheinlich fand er sie auch deshalb so attraktiv. Es lag wohl an seinem eigenen Ego, dass er es nur zu gern gehabt hätte, als der große Retter dazustehen, der sie zurück ins Leben geholt hat. Was für ein Unsinn aber auch! Er war ein solcher Idiot! Kein Wunder, dass sie ihm die Leviten gelesen hatte. Freundlich zwar, aber unmissverständlich. Er konnte über sich selbst nur den Kopf schütteln. Was hatte er sich bloß dabei gedacht? Dass eine gestandene Frau wie Maria sich von einer Abhängigkeit in die nächste begab?
Wieder sah er auf die Uhr, stand dann auf, nahm seinen Mantel von der Garderobe und verließ die Kanzlei. Er hatte seinen Wagen direkt davor geparkt, sodass er sich nun auf den Weg zum Gerichtsgebäude machte und es noch nicht einmal viertel nach neun war, als er dort eintraf. Er stellte den Motor ab, blieb aber im Auto sitzen und wartete. Er drehte an den Knöpfen des Autoradios, um einen besseren Empfang zu haben. Zwischen den Sendern vernahm man schrilles Pfeifen und dann wieder ein Rauschen, bis er einen Sender einigermaßen gut reinbekam und nun Fernando von Abba hörte. Eine schöne, eingängige Melodie, wenngleich er der schwedischen Band sonst nicht allzu viel abgewinnen konnte. Ihm war diese zur Schau getragene vermeintliche Harmonie zwischen den beiden Ehepaaren irgendwie zu viel. Wahrscheinlich, weil er einfach ein Zyniker geworden war.
Er zuckte zusammen, als es an die Scheibe auf der Beifahrerseite klopfte und Marias Gesicht dort erschien. Klaus schaltete das Radio aus und stieg aus dem Auto.
»Guten Morgen«, grüßte er. »Du hast mich vielleicht erschreckt.«
»Guten Morgen, Klaus. Ach, entschuldige bitte. Das war nicht meine Absicht.«
Er ging auf sie zu, und sie umarmten sich kurz.
»Geht es dir gut?«, fragte sie und legte ihre Hand an seine Wange. »Du siehst ein bisschen müde aus.«
»Ja, mir geht es gut. Ich habe das Wochenende durchgearbeitet und ein bisschen zu wenig Schlaf bekommen«, klärte er auf. »Und du? Was hast du Schönes gemacht?«
»Ich habe Gertrud abgeholt und ein wenig Zeit mit ihr verbracht«, antwortete Maria. »Ich habe am Sonnabend bei dir zu Hause angerufen, weil ich dich zum Essen einladen wollte. Doch es ist nur der Anrufbeantworter rangegangen.«
»Wie gesagt, ich habe gearbeitet und bin fast die ganze Zeit in der Kanzlei gewesen. Aber sprich nächstes Mal drauf.«
»Das habe ich«, erwiderte Maria.
»Oh«, machte Klaus. »Das tut mir leid. Wie gesagt, ich war kaum zu Hause und habe auch nicht gesehen, dass ich eine Nachricht erhalten habe.«
Irrte er sich, oder wirkte sie ein wenig enttäuscht?
»Hast du etwas von Holger gehört?«, fragte er nun und wechselte so das Thema.
Maria schüttelte den Kopf. »Nein, nichts. Ich habe wirklich große Angst, dass ihm etwas zugestoßen ist.«
Klaus deutete zu dem Gerichtsgebäude. »Komm«, sagte er, »wir sollten König nicht warten lassen.« Er fasste Marias Arme. »Und eines noch. Ich will dich nicht bevormunden oder Ähnliches. Doch das rate ich jedem Mandanten. Bitte beantworte seine Fragen nur dann, wenn ich dich dazu auffordere. Und auch dann nur in wenigen Sätzen. Auch wenn er vielleicht einen netten Eindruck auf dich machen mag, darfst du nicht ins Plaudern kommen, in Ordnung?«
»In Ordnung«, sicherte Maria zu. »Und keine Sorge, ich habe nicht das Gefühl, dass du mich bevormunden willst«, stellte sie klar.
»Ach nein?« Klaus sah sie an. »Das klang aber letztes Mal ganz anders.«
»Was meinst du?«, fragte sie überrascht.
Klaus überlegte kurz, dann winkte er ab. »Nicht so wichtig. Erst mal müssen wir jetzt das da drinnen überstehen. Dann reden wir weiter, okay?«
»Okay«, gab Maria mit einem entschlossenen Kopfnicken zurück. Dann gingen sie Seite an Seite, aber ohne sich zu berühren, in das Gebäude, und Klaus lotste Maria die Steintreppe hinauf. Im ersten Stock angekommen, hielten sie sich rechts, und an der dritten Tür blieb Klaus stehen.
»Bereit?«, fragte er.
Maria nickte stumm. Ihr war deutlich anzusehen, dass sie sich alles andere als wohlfühlte.
»Wird schon«, sprach Klaus ihr Mut zu und klopfte dann.
»Herein!«
Klaus öffnete die Tür und ließ Maria den Vortritt.
»Guten Morgen, Kollege König«, grüßte er.
Der Staatsanwalt hatte sich von seinem Schreibtischsessel erhoben.
»Guten Morgen, Frau Borchardt«. Er reichte Maria die Hand.
»Kollege Schröder«, grüßte er dann in Klaus’ Richtung und deutete zu einem runden Besprechungstisch, um den vier Stühle standen.
»Wie schön, dass Sie es einrichten konnten. Bitte, nehmen Sie doch Platz. Was kann ich Ihnen anbieten? Tee, Kaffee?«, schlug der Staatsanwalt vor.
»Gern einen Kaffee, schwarz«, orderte Klaus.
»Für mich ebenfalls«, sagte Maria und hob kurz die Mundwinkel.
Sven König trat zum Schreibtisch und nahm den Telefonhörer auf. »Fräulein Siegmund, bitte bringen Sie eine Kanne Kaffee und drei Tassen in mein Büro, ja?« Er legte auf und kam zum Besprechungstisch herüber, an dem er nun Platz nahm und seinen Stuhl so zurechtrückte, dass er Klaus und Maria, die sich nebeneinandergesetzt hatten, gegenübersaß.
»Erst einmal vielen Dank fürs Kommen«, bedankte der Staatsanwalt sich nun. »Ich nehme an, dass Herr Schröder Ihnen gesagt hat, dass unser Treffen hier vollkommen freiwillig ist und lediglich dazu dienen soll, Licht ins Dunkel zu bringen.«
»Selbstverständlich habe ich Frau Borchardt darüber informiert«, antwortete Klaus. »Und bei aller Freiwilligkeit, Kollege König, möchte ich Sie doch bitten, die direkte Anrede meiner Mandantin zu vermeiden.«
»Nun, ich dachte, wo wir doch alle hier sind, können wir doch auch direkt …«
»Ja, natürlich dachten Sie das, Kollege«, schnitt Klaus ihm das Wort ab. »Doch nun habe ich das kleine Missverständnis ja aufgeklärt. Also, wenn ich darum bitten dürfte, richten Sie Ihre Fragen an mich.«
»Sicher«, gab der Staatsanwalt knapp zurück und hob die Augenbrauen.
Klaus sah zu Maria hinüber, die seinen Blick erwiderte.
Es klopfte, und im nächsten Moment trat eine junge Frau mit einem Tablett in Händen ein, auf dem eine Kanne Kaffee, drei Tassen, Milch, Zucker und ein Teller mit Keksen standen. Sie verteilte alles auf dem Tisch, worauf die Anwesenden ihr dankten. Dann ging sie wieder hinaus.
»Wirklich keine Milch oder Zucker?«, fragte der Staatsanwalt Maria und fügte dann Klaus gegenüber hinzu: »Sie haben doch wohl nichts dagegen, dass ich in diesem Fall noch einmal das Wort an Ihre Mandantin richte?«
Klaus zuckte mit den Schultern, um so eine gewisse Gleichgültigkeit auszudrücken. Doch er merkte genau, dass dieser König zu tricksen versuchte. Er schätzte ihn um die vierzig, vielleicht sogar ein wenig jünger. Der Kerl wollte die nächste Stufe auf seiner Karriereleiter erklimmen, das war überdeutlich. Klaus spürte, dass er wachsam sein musste, wollte er nicht riskieren, von König überrumpelt zu werden.
»Also, Frau Borchardt, das hier ist keine offizielle Befragung«, begann König nun. »Und bevor wir einsteigen, darf ich Sie fragen, wie es Ihnen geht? Es war ja wirklich eine Menge, was Sie in den vergangenen Monaten zu verkraften hatten.«
»Es geht mir gut, danke«, antwortete Maria und sah Klaus an. Dieser wiederum musterte König.
»Wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, ich bewundere Sie dafür, wie außerordentlich Sie sich bei alldem halten, und offen gesagt, ich hätte nicht gedacht, dass Sie nach alldem, was vorgefallen ist, so überwältigend aussehen.«
Maria lächelte. »Vielen Dank, Herr König.«
Klaus sah auf die Uhr. »Was meinen Sie, Herr Kollege, wollen wir dann zur Sache kommen, oder brauchen Sie noch einen Moment, um Ihrer Bewunderung für Frau Borchardt vollends Ausdruck zu verleihen?«
König warf Klaus einen Blick zu, der Missfallen verriet, worauf Klaus nur lächelte.
»Nun gut, Sie scheinen es ja recht eilig zu haben«, stellte König pikiert fest, stand noch einmal auf, um seine Unterlagen vom Schreibtisch zu holen, und nahm wieder Platz.
»Wahrscheinlich hat Ihr Anwalt Sie davon in Kenntnis gesetzt, dass sich die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft bezüglich der Betrugsgeschäfte nach dem Tode Ihres Mannes nun gegen Sie richten, Frau Borchardt?«
»Ich habe meine Mandantin darüber informiert«, erwiderte Klaus.
König sah kurz zu Klaus und dann wieder zu Maria.
»Gut«, stellte er fest. »Und ich möchte an dieser Stelle kurz betonen, dass ich mir diese Ermittlungen gern erspart hätte.«
Klaus merkte, dass Maria ihn ansah, offenbar abwartend, was er hierauf antworten würde.
»Haben Sie mich verstanden, Frau Borchardt?«
»Sicher hat meine Mandantin Sie verstanden, Kollege. Doch da Sie keine Frage gestellt haben, gibt es nichts zu beantworten.«
»Nun, im Zuge einer freundlich geführten Konversation ist es allgemein üblich, nicht nur auf Fragen, sondern auch auf Bemerkungen zu antworten.«
»Frau Borchardt führt freundliche Konversationen üblicherweise nicht im Gerichtsgebäude und bei der Staatsanwaltschaft«, entgegnete Klaus.
»Das kann ja heiter werden«, murmelte König.
»Ist dies auch als freundliche Konversation zu verstehen, auf die Sie sich eine Antwort wünschen, Herr Kollege?«
König blickte ihn wütend an. »Also gut, zur Sache.« Der Staatsanwalt nahm zwei Blätter aus seinen Unterlagen heraus. Es waren die Gewerbeanmeldungen für die beiden Firmen, die Maria gehörten.
»Frau Borchardt, diese beiden Firmen hier laufen auf Ihren Namen. Ist Ihnen das bewusst?«
»Selbstverständlich ist das meiner Mandantin bewusst«, antwortete Klaus.
»Nun, als ich am Heiligabend bei Ihnen im Haus war und Sie mit dem Durchsuchungsbeschluss vertraut machte, gaben Sie mir gegenüber an, nichts von den Geschäften Ihres Mannes zu wissen und auch keinerlei Einblick in dessen Tätigkeiten zu haben.«
Maria holte kurz Luft, doch Klaus berührte sie am Arm.
»Ganz recht, das hat meine Mandantin gesagt«, bestätigte Klaus. »Und?«
»Nun, diese Gewerbeanmeldungen hier sprechen da aber eine andere Sprache«, hielt König ihm vor.
»Inwiefern?«, fragte Klaus.
»Was soll das heißen, inwiefern? Hier haben wir es doch schwarz auf weiß. Ihre Mandantin ist Inhaberin dieser Firmen.«
»Ja. Und?« Klaus genoss es zu sehen, dass König zunehmend wütender wurde.
»Damit ist belegt, dass Ihre Mandantin sehr wohl wusste, was vorging und ihren Ehemann offenbar auch noch bei seinen Geschäften unterstützt hat.«
»Wie kommen Sie darauf?«, fragte Klaus und fuhr sogleich fort. »Sie haben es doch gerade eben selbst gesagt. Diese beiden Firmen gehören meiner Mandantin. Sie sind auf ihren Namen eingetragen und werden von ihr geleitet. Wo soll die Verbindung zum verstorbenen Ehemann meiner Mandantin sein?«
»Sie wollen mir doch nicht wirklich erzählen, dass Ihre Mandantin diese Firmen selbst geführt hat?«
»Ich will Ihnen gar nichts erzählen«, erwiderte Klaus. »Sie versuchen Zusammenhänge zu konstruieren, die nicht gegeben sind, das ist alles.«
»Also hatte Ihr Ehemann in diesen Firmen nicht seine Finger drin?«, fragte König nun zornig.
»Meinen Sie, als eine Art stiller Berater oder Ähnliches?«, fragte Klaus.
»Zum Beispiel.«
»Nein«, antwortete Klaus. »Der verstorbene Ehemann meiner Mandantin hatte mit seinen eigenen Projekten genug zu tun.«
»Und das wollen Sie mir weismachen?«, gab König mit hochgezogenen Augenbrauen zurück.
»Meine Mandantin ist weder daran interessiert, Ihnen irgendetwas weiszumachen, noch Sie von etwas zu überzeugen.«
»Wenn Ihr Mann nichts damit zu tun hatte, wie erklären Sie sich dann, dass die Unterlagen in der Firma Ihres verstorbenen Mannes aufbewahrt wurden?«
»In die Villa meiner Mandantschaft ist vor Jahren eingebrochen worden«, konterte Klaus. »Seither hat die Familie sämtliche Unterlagen in den Büroräumen des Herrn Borchardt aufbewahrt, weil dort ein Wachdienst rund um die Uhr tätig war.«
König sah ihn überrascht an, dann blickte er zu Maria. »Stimmt das?«, fragte er wutentbrannt.
Maria sah Klaus fragend an, der hierauf nickte.
»Ja, es stimmt. Bei uns wurde vor sechs Jahren eingebrochen«, gab Maria wahrheitsgemäß Auskunft.
»Der Einbruch wurde seinerzeit von der Polizei aufgenommen«, erklärte Klaus, der in diesem Moment froh war, dass ihm der damalige Einbruch während der Zeit, in der die Familie Borchardt im Skiurlaub in St. Moritz gewesen war, soeben eingefallen war. Die Erklärung war plausibel und glaubhaft, wie er fand.
»Wie Sie ja auch dem Protokoll der Hausdurchsuchung sowie der des Firmenkomplexes entnehmen können, haben sich keinerlei Unterlagen in der früheren Villa befunden. Selbst die Versicherungen, die auf die Namen der Kinder liefen, wurden von Herrn Borchardt in dessen Firma verwahrt«, fuhr Klaus fort.
König sah von ihm zu Maria und wieder zurück. Er schien zu überlegen, wie er hieraus wieder etwas ableiten konnte.
»Sie werden mir aber doch zustimmen, Kollege, dass es schon etwas eigenartig ist, dass auf den Namen Ihrer Mandantin ausgerechnet zwei Firmen eingetragen sind, die sich um Immobilien drehen, während das doch genau das Geschäft des verstorbenen Mannes Ihrer Mandantin war.«
»Nun ja, meine Mandantin hat früher Architektur studiert, was ja wohl ebenfalls dem Immobiliensektor zuzurechnen ist, wie Sie mir zustimmen werden.« Klaus trank einen Schluck Kaffee. »Aber abgesehen davon, ist mir nicht ganz klar, worauf Sie hinauswollen, Herr Kollege. Sind Sie bei den Firmen meiner Mandantin auf etwas gestoßen, das für die Staatsanwaltschaft relevant wäre? Wenn ja, wäre ich gespannt zu erfahren, was das sein soll.« Zwar vermutete Klaus, dass König einen Zusammenhang zwischen den Firmen herstellen wollte, um so Marias Mittäterschaft nachzuweisen. Doch König musste vollkommen klar sein, dass er hiermit nicht durchkäme. Vor allem aber wunderte es Klaus, welche weitere Absicht er damit verfolgte. Fast kam es Klaus so vor, dass er nicht Maria mit Hanns Firmen in Verbindung bringen wollte, sondern andersherum. Doch wozu?
»Nein«, antwortete König nun. »Die Firmen Ihrer Mandantin sind vermeintlich sauber, wenn ich das mal so salopp formulieren darf.«
»Selbstverständlich sind sie das«, bekräftigte Klaus, »womit auch die Sperrung der Konten, die laut Auskunft der Bank durch die Staatsanwaltschaft veranlasst wurde, unverzüglich aufzuheben ist«, setzte er hinzu, weil ihm nun ein Gedanke kam, worauf König tatsächlich hinauswollen könnte. Waren die Firmen womöglich mehr wert, als Klaus dachte?
»Das ist Banksache«, wiegelte König ab.
»Durchaus nicht, Herr Kollege. Das ist eine Angelegenheit der Staatsanwaltschaft. Sie haben die Konten meiner Mandantin völlig zu Unrecht eingefroren, und bisher sieht meine Mandantin noch davon ab, Ihre Behörde auf Schadenersatz in Anspruch zu nehmen.« Er sah Maria kurz an.
»Ich muss schon sagen, dass ich Ihren Tonfall ziemlich dreist finde für jemanden, der den größten Betrüger ganz Berlins vertreten hat und nun auch dessen Witwe.«
»Offen gesagt, interessiert es mich nicht im Geringsten, ob Ihnen mein Ton gefällt oder nicht, Herr Kollege.«
König funkelte ihn wütend an, dann veränderte sich sein Gesichtsausdruck. »Nun ja, eigentlich hatte ich vor, Ihnen, sehr geehrte Frau Borchardt, ein Angebot zu machen, damit ich das Strafverfahren gegen Sie einstellen kann.«
»Was für ein Angebot?«, fragte Maria eilig, worauf Klaus ihr einen mahnenden Blick zuwarf, während Königs Miene sich entspannte.
»Ihr Mann hat großen Schaden in dieser Stadt angerichtet«, stellte der Staatsanwalt fest. »Und wir alle hier wissen doch, dass es Ihr Ehemann war, der die beiden Firmen auf Sie angemeldet und auch betrieben hat«, führte er weiter aus und sah Maria hierauf an, worauf sie sich Klaus zuwandte, dessen Miene ihr hoffentlich verriet, dass sie nicht auf die Bemerkung des Staatsanwalts zu reagieren hatte. Kurz fürchtete Klaus, dass Maria etwas sagte, doch dann sah sie den Staatsanwalt nur ohne jede Regung wieder an.
»Nun, dann werde ich mal konkret: Der Oberstaatsanwalt ist damit einverstanden, alle gegen Sie erhobenen Vorwürfe fallen zu lassen, wenn Sie Ihr Einverständnis erklären, die beiden auf Ihren Namen laufenden Firmen ebenfalls mit in die Konkursmasse aufnehmen zu lassen, und eine entsprechende Erklärung unterzeichnen.«
Klaus lächelte König an. »Quasi als Wiedergutmachung für den durch den verstorbenen Ehemann meiner Mandantin herbeigeführten Schaden?«, hakte er nach.
»So in etwa, ja«, bestätigte König.
»Und der Oberstaatsanwalt ist einverstanden mit dieser Regelung?«
»Ja, das ist er«, bekräftigte König.
Klaus nickte. »Der Oberstaatsanwalt, der, wenn ich mich nicht täusche, der Golfpartner von Robert Huber ist, dem Vorstandsvorsitzenden der Westbank, bei dem sich die Konten der Firmen meiner Mandantin befinden und der somit wegen der Verbindlichkeiten des verstorbenen Mannes meiner Mandantin sofortigen Zugriff auf die Firmen und damit auch auf die Firmengebäude und die vermieteten Immobilien hätte?«
König lief rot an.
Klaus lächelte und schüttelte den Kopf. Dann stand er auf. »Komm, Maria, wir sind hier fertig.«
»Wie bitte?« Etwas zögerlich erhob sie sich, als Klaus ihren Arm fasste.
»Ich erkläre es dir kurz«, sagte Klaus und sah bei seinen Worten jedoch nicht Maria, sondern König an. »Unser Staatsanwalt hier hat sich zum Laufburschen seines Chefs machen lassen, dem er offenbar zugesichert hat, das Kind schon zu schaukeln, damit Huber Zugriff auf deine Firmen bekommt. Denn warum sollte er dir ein Angebot machen, wenn er die Firmen auch für null einstreichen kann, weil er mit deinem schlechten Gewissen spielt, das du wegen Hanns’ Taten hast? Und kurz auf den Punkt gebracht: Der Staatsanwalt hat nicht das Geringste gegen dich in der Hand, und sein joviales Gerede, dass es zu keinem Strafverfahren gegen dich käme, beruht lediglich auf seinem Wunsch, die Karriereleiter etwas rasanter als bisher hinaufzuklettern und sich bei seinem Chef beliebt zu machen, bis er etwas findet, um dann diesem das Messer in den Rücken zu rammen und seine Stellung einzunehmen.« Klaus beugte sich über den Tisch. »Ich denke, das trifft es in etwa, richtig?«
König öffnete den Mund, doch Klaus kam ihm zuvor.
»Wenn Sie Anklage gegen meine Mandantin erheben wollen, nur zu. Dann werde ich Sie nicht hier, in diesem kleinen miefigen Büro, sondern in aller Öffentlichkeit fertigmachen. In jedem Fall aber wird meine Mandantin noch heute vollen Zugriff auf ihre Konten bei der Westbank erhalten. Und sollte dies nicht geschehen, dann lassen Sie sich mal überraschen, wie ich werden kann. Wäre ich an Ihrer Stelle, würde ich jetzt zu diesem Telefon dort gehen und meinem Chef und auch Robert Huber eingestehen, dass es schiefgelaufen ist und die Konten sofort freigegeben werden müssen. Denn ich werde jetzt mit meiner Mandantin zur Westbank fahren und Konteneinsicht verlangen. Und wenn uns die verwehrt wird, dann bekommen Sie richtig Spaß mit mir, das verspreche ich Ihnen.« Er sah zu Maria. »Komm, gehen wir. Es wird Zeit, dass du deine Arbeit in deinen«, er betonte das letzte Wort, »Firmen wieder aufnimmst.«
Maria presste die Lippen aufeinander. Ihr war anzusehen, wie überaus peinlich ihr die Situation war. Ohne sich zu verabschieden, gingen die beiden hinaus und sprachen kein Wort, bis sie das Gebäude verlassen hatten. Erst als sie sein Auto erreichten und stehen blieben, fragte Maria:
»Und was hat das jetzt zu bedeuten? Werde ich angeklagt oder nicht?«
»Nein, Maria, du wirst nicht angeklagt, weil die überhaupt nichts gegen dich in der Hand haben.«
»Wirklich nicht?«
»Nein. König hat geblufft, wir wollten sehen. Das war’s.«
»Und das bedeutet?«
»Dass wir jetzt zur Westbank fahren und uns endlich einen Überblick verschaffen.«
»Ist gut«, sagte sie fast ein wenig eingeschüchtert.
»Ach, und eines noch, du hast mich doch am Sonnabend zum Essen einladen wollen«, sagte Klaus nun.
»Ja«, bestätigte sie.
»Gut. Ich nehme deine Einladung für heute an.«
»In Ordnung«, stimmte Maria zu, sah ihn an und musste lachen. »So habe ich dich wirklich noch nie erlebt, Klaus.«
»Ich mich auch schon lange nicht mehr«, meinte er. »Aber es fühlt sich verdammt gut an und wurde wirklich mal wieder Zeit.« Er zwinkerte ihr zu, dann stiegen sie in sein Auto, und er fuhr los. So gut wie jetzt, hatte er sich eine Ewigkeit schon nicht mehr gefühlt.