23. Kapitel

Büro Gleditschstraße, Berlin-Schöneberg

Freitag, 10. Juni 1977

Ich fühle mich angekommen. Wie habe ich nur so lange ein derart oberflächliches und sinnfreies Leben führen können?

MARIA BORCHARDT

Es war fast zu schön, um wahr zu sein. Maria strich über die Lehne ihres Stuhls und legte dann ihre Hand auf die Schreibtischplatte. Für sie war es jeden Tag aufs Neue ein Geschenk, in diesem Büro arbeiten zu dürfen. Alles war genau, wie sie es haben wollte, und sie war froh, das Geld aus dem Verkauf ihrer Pelzmäntel investiert zu haben.

Inzwischen hatte sie auch einen vollständigen Überblick über die Firmen gewinnen können, kannte die Namen der Mieter und war sogar persönlich bei diesen vorstellig geworden, um jedem einzelnen zu sagen, dass die Hausverwaltung nunmehr direkt ihr Büro unten im Erdgeschoss des mittleren Wohnblocks hatte. Es hatte sich gut angefühlt, mit den Menschen zu sprechen und sich anzuhören, ob diese zufrieden waren oder es irgendwelche Schwierigkeiten gab.

Natürlich hatten einige das eine oder andere angemerkt und Verbesserungsvorschläge gemacht. Maria hatte es notiert und nahm sich vor, zumindest einen Teil davon umzusetzen. Alles in allem war es ein sehr freundliches Miteinander gewesen, und sie hatte seither das Gefühl, tatsächlich einen richtigen Beruf zu haben, mit dem es ihr künftig möglich sein würde, für ein regelmäßiges Einkommen zu sorgen. Und auch, wenn sie es langsam und mit der gebotenen Vorsicht angehen wollte, hatte Maria doch den Ehrgeiz, ihr Unternehmen wachsen zu lassen und sich neben der Verwaltung schwerpunktmäßig vor allem als Planerin auf Umbauprojekte zu spezialisieren. Wie sehr sie es bereute, damals auf Hanns Drängen hin ihr Architekturstudium abgebrochen zu haben! Nun konnte und durfte sie gewisse Arbeiten nicht ausführen beziehungsweise musste hierfür einen Architekten hinzuziehen, der die nötigen Unterschriften leistete. Tatsächlich erwog sie, die Möglichkeiten zu prüfen, ihr Studium nach all den Jahren wieder aufzunehmen und den Abschluss zu machen, wenngleich das in ihrem Alter mit einigen Schwierigkeiten verbunden sein dürfte.

Oder aber sie würde sich rein auf die Planungen konzentrieren und lediglich die Abnahmen der Arbeiten durch einen Architekten bestätigen lassen. Aber das war ihr eigentlich nicht recht. Denn damit würde sie sich wieder von dem Wohl und Wehe anderer – vermutlich Männern – abhängig machen, und dies wollte sie ein für alle Mal hinter sich lassen. Das alles war einfacher gewesen, als sie solche Planungen lediglich als Freundschaftsdienste übernommen hatte und sich die jeweiligen Bauherren selbst um die Abnahmen kümmern mussten. Doch nun, da sie vorhatte, Geld damit zu verdienen, war die Situation eine ganz andere.

Sie hatte mit Uschi darüber gesprochen, die hier jedoch zumindest im Hinblick auf ihren eigenen Umbau auf Sylt, wohin Maria noch heute Nachmittag zusammen mit Klaus fahren würde, kein Problem sah. Doch Maria konnte das Thema nicht so leicht abtun. Sie hatte all ihre damaligen Zeugnisse herausgesucht, ebenso die Unterlagen, die sie von der Universität noch besaß. Alles lag fein säuberlich aufgestapelt vor ihr auf dem Schreibtisch, und einen Moment lang starrte sie nur darauf, ohne einen klaren Gedanken fassen zu können. Sollte sie den Anruf wagen? Was hatte sie schon zu verlieren?

Maria stand auf und ging zur Bürotür. »Ich will ein Telefonat führen und mache hier kurz zu, Ursel«, teilte sie der Sekretärin mit.

»Ja, tu das. Ich setze uns in der Zwischenzeit einen Kaffee auf«, kündigte Ursula Schneyder an, worauf Maria nickte und die Tür wie angekündigt schloss. Diese war sonst den Tag über, wenn die beiden hier arbeiteten, eigentlich immer geöffnet, sodass sie sich manchmal auch einfach nebenher noch unterhielten.

Maria wusste ja, dass Ursula Schneyder noch nicht genug zu tun hatte, um wirklich den ganzen Tag hier zu verbringen. Und sie zahlte ihr auch nur ein Gehalt für insgesamt vier Stunden täglich, doch das schien Ursula nicht zu stören. Sie hatte mehrfach beteuert, wie froh sie war, wieder eine Aufgabe zu haben, und dass sie sich vor allem auch darauf freute, an dem Aufbau dieser beiden Firmen, die hier unter einem Dach zusammengefasst waren, teilhaben haben zu können. Zwar war in der einen Firma, die die Eigentümerin der Gebäude war, quasi gar nichts zu tun, sondern lediglich in der M. B. Verwaltungen GmbH. Doch zumindest hier baute Ursula eine feste Struktur auf und löste die Aufgaben, die zuvor Hausmeister Boltke gehabt hatte, ein wenig auf, einfach weil es nicht mehr notwendig war, dass dieser sich beispielsweise auch um die Mietverträge kümmerte. Außerdem hatte Ursula beim Gewerbeamt die Erweiterung der Verwaltungsfirma für den Bereich »Planungen, Umbauten und Einrichtungen« beantragt, wofür gestern gerade die Genehmigung von der Behörde gekommen war. Es war also alles bereit, Maria konnte loslegen. Nur ging ihr die Sache mit dem fehlenden Abschluss eben nicht aus dem Sinn, sodass sie sich die Telefonnummer der Universität herausgesucht hatte, sich nun wieder an ihren Schreibtisch setzte, entschlossen den Hörer abnahm und dort anrief.

Es dauerte ein wenig, bis sich jemand meldete und sie ihr Anliegen vortragen konnte. Dann sagte die junge Frau:

»Ich stelle Sie da am besten zum Fachbereich Architektur durch«, und noch bevor Maria ihr auch nur danken konnte, hörte sie ein Klicken und dann erneut, dass es bei dem Teilnehmer am anderen Ende der Leitung klingelte.

»Ringkowski, FB Architektur?«, meldete sich eine Männerstimme.

»Ja, guten Tag, mein Name ist Maria Borchardt«, grüßte sie. »Ich habe da eine Frage, die ein bisschen merkwürdig auf Sie wirken wird.«

»Nur zu«, forderte sie ihr Gesprächspartner auf.

»Ja, also, ich habe vor vielen Jahren Architektur an Ihrer Universität studiert, jedoch meinen Abschluss nicht gemacht«, erklärte sie. »Gibt es eine Möglichkeit, so was wieder aufzunehmen, oder müsste ich da noch mal ganz von vorn anfangen?«

»Wie lange ist es denn her?«

»Fast dreißig Jahre«, gab Maria Auskunft.

»Also direkt nach dem Krieg?«, fragte er nach.

»Ja«, stimmte Maria zu. »Die Universität hat damals im Wintersemester 1945 auf 1946 wieder eröffnet, und ich war gleich im ersten Jahrgang dabei.«

»Da sind Sie ja richtig Teil der Geschichte unserer Universität geworden, Frau Borchardt«, scherzte er. »Also, zu Ihrer Frage: Grundsätzlich ist das alles möglich. Wie viele Semester haben Sie denn studiert?«

»Fast sieben«, antwortete sie sofort.

»Dann wären Sie ja schon fast fertig gewesen, wenn alles gut gelaufen wäre«, bemerkte er, was Maria einen Stich versetzte. Sie kam sich so dämlich vor, es damals nicht durchgezogen zu haben.

»Ja«, erwiderte sie deshalb nur.

»Haben Sie die alten Unterlagen noch?«, fragte er.

»Ja, ich habe alles hier.«

»Und Sie wollen jetzt nur Ihren Abschluss nachholen, verstehe ich das richtig?«

»Ja, ganz recht.«

»Wissen Sie, das Einfachste wäre vermutlich, Sie würden mir mal Kopien der Unterlagen zukommen lassen«, antwortete Ringkowski. »Dann sehe ich mir das alles mal an.«

»Das wäre ja großartig«, freute sich Maria. »Vielen Dank!«

»Keine Ursache. Wenn Sie bereits fast sieben Semester absolviert haben, sind Sie ja mit der Regelstudienzeit durch. Je nachdem, wie viel Stoff Sie noch behalten haben, würde im Grunde ein weiteres Semester genügen, und dann könnten Sie Ihren Abschluss machen.«

Maria spürte ihr Herz schneller schlagen. Könnte es wirklich möglich sein, dass sich ihr diese Chance bot?

»Das wäre ja …«, sie schluckte, »wirklich, Herr Ringkowski, wenn ich die Möglichkeit hätte, wäre das einfach ideal für mich.«

»Schicken Sie mir doch einfach mal die Kopien, und ich lasse mal hier in den Archiven nachschauen, ob wir auch noch etwas haben. Offen gesagt weiß ich nicht, wie lange solche Unterlagen aufbewahrt werden. Wenn wir nichts mehr haben, kann es sein, dass erst die Echtheit Ihrer Unterlagen bestätigt werden muss.«

»Aber das ist ja keine Schwierigkeit«, meinte Maria nun. »Ich weiß ja, dass sie echt sind.«

»Ja, eben«, antwortete Ringkowski. »Schicken Sie alles zu meinen Händen, Eberhard Ringkowski. Und schreiben Sie mir bitte Ihre Telefonnummer dazu, damit ich Sie anrufen kann.«

»Das mache ich auf jeden Fall. Vielen, vielen Dank! Sie haben mir sehr geholfen.«

»Das ist doch selbstverständlich«, gab er zurück. »Dann hören wir uns bestimmt bald. Ein schönes Wochenende, Frau Borchardt.«

»Ihnen auch, Herr Ringkowski, und nochmals meinen herzlichen Dank.« Maria legte mit zittrigen Fingern den Telefonhörer auf die Gabel zurück und ließ ihre Hand noch einen Moment darauf ruhen. Ihr ganzer Körper schien vor Aufregung zu beben, und ihr Herz schlug ihr bis zum Hals.

Sie ließ sich in ihrem Schreibtischsessel zurücksinken und schloss kurz ihre Augen, um die Atmung wieder zu beruhigen. Dann stand sie auf, eilte zur Tür und öffnete diese.

»Ursel«, sagte sie aufgeregt, worauf die Sekretärin sie erschrocken ansah.

»Ist etwas passiert?«, fragte sie.

Maria machte einen Schritt auf sie zu. »Ich habe eben bei der Universität angerufen, bei der ich früher Architektur studiert habe. Zwar ist es noch nicht sicher, aber es kann sein, dass ich mein Studium an der Stelle fortsetzen kann, wo ich es damals abgebrochen habe, und dann meinen Abschluss machen könnte.«

»Wirklich?« Ursula Schneyder war aufgestanden, und die Frauen umarmten sich. »Das wäre ja wunderbar!«

»Ja. Dann könnte ich als richtige Architektin arbeiten, und wir könnten damit auch bessere Aufträge bekommen. Also natürlich nur, wenn ich angenommen werde und das Studium erfolgreich beende.«

Ursel sah Maria an. »Was du in den letzten Monaten alles geleistet hast, ist unglaublich, Maria, wirklich. Es ist, als wärst du eine ganz andere Frau.«

»Noch ist aber natürlich nichts sicher«, schwächte Maria ab.

»Ich habe überhaupt keinen Zweifel, dass dir das auch noch gelingen wird, wenn du eben schon diese Auskunft bekommen hast.«

»Ich bin ja so aufgeregt«, brachte Maria mit Herzklopfen hervor. »Wenn das wirklich möglich wäre …« Sie ließ den Satz unvollendet.

»Ach«, brachte Ursula hervor und legte ihre Hand auf die Brust. »Ich würde es dir ja so sehr wünschen.«

Maria spürte, wie ihr die Tränen kamen. »Ich kann es wirklich noch gar nicht fassen. Eigentlich sollte ich mich ja nicht zu früh freuen, doch es klang für mich so, dass wohl vor allem bestätigt sein müsste, dass meine Unterlagen von damals auch echt sind. Und das sind sie ja.«

»Dann wird das bestimmt funktionieren«, ermutigte Ursula sie.

Maria atmete erleichtert aus. »Wirklich, Ursel, manchmal habe ich das Gefühl, mich kneifen zu müssen, um mich zu vergewissern, dass das alles kein Traum ist.«

»Wenn es jemand verdient hat, dann du«, entgegnete Ursula, als das Telefon klingelte.

»Entschuldige bitte«, sagte sie, trat hinter ihren Schreibtisch und meldete sich: »M. B. Verwaltungen, Ursula Schneyder am Apparat, was kann ich für Sie tun?« Sie horchte einen Moment, während Maria stehen blieb und sie ansah.

»Ja, Herr Schröder, sie steht hier vor mir. Einen Augenblick bitte, ich stelle Sie durch.« Sie hielt die Sprechmuschel zu.

»Ich stelle ihn in dein Büro durch, ja?«

»Ja, danke schön!« Maria eilte in ihr Büro und schloss die Tür. Das Telefon klingelte nur einmal, als sie auch schon abnahm.

»Hallo, Klaus!«, grüßte sie. »Wie schön, dass du dich meldest. Ich hätte dich auch gleich angerufen.«

»Ach ja, hättest du?«

»Ja, denn ich muss dir unbedingt was erzählen«, kündigte sie an und berichtete ihm dann von ihrem Telefonat mit der Universität und den Möglichkeiten, die sich ihr womöglich boten.

»Das ist ja wunderbar!«, freute er sich mit ihr. »Kann ich irgendetwas tun? Beispielsweise Beglaubigungen vorbereiten oder Ähnliches?«

»Nein, vielen Dank. Ich schicke diesem Herrn Ringkowski jetzt einfach erst mal nur die Kopien und warte, dass er sich meldet. Ach Klaus, ist das nicht wunderbar. Wenn alles gut geht, werde ich doch noch Architektin.«

»Liebling, das muss gefeiert werden! Wie gut, dass wir das Wochenende auf Sylt verbringen. Ich habe gehört, da soll es die eine oder andere Möglichkeit geben, so etwas gebührend zu begießen«, freute er sich.

»O ja!«, gab Maria zurück. »Wir waren ja beide schließlich schon oft genug da, um das zu wissen.«

»Aber es wird das erste Mal sein, dass wir gemeinsam dorthin fahren«, wurde er nun ernster. »Und ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich mich auf die Zeit mit dir dort freue.«

»Ich mich auch, Klaus«, gab sie glücklich zurück.

Klaus lachte auf. »Weißt du, eigentlich habe ich dich angerufen, weil ich dir eine wunderbare Nachricht übermitteln wollte, auf die wir anstoßen können. Doch nun bist du mir quasi zuvorgekommen.«

»Ach, gute Nachrichten kann ich gar nicht genug bekommen. Was gibt es denn?«, fragte Maria.

»Ich habe heute Morgen die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft zu den gegen dich geführten Ermittlungen zugestellt bekommen«, verkündete Klaus. »Du hast es geschafft, Maria. Es wird keine Anklage mehr geben.«

Maria schüttelte den Kopf und setzte sich nun. »Das alles ist fast zu schön, um wahr zu sein.«

»Ich hatte, ehrlich gesagt, nicht so schnell damit gerechnet«, meinte Klaus nun. »Eigentlich bin ich davon ausgegangen, dass König die Sache noch in die Länge zieht und uns ein wenig schmoren lässt. Doch ich vermute mal, dass sein Chef alles andere als glücklich damit war, dass der Versuch, dich einzuschüchtern und deine Firmen in die Konkursmasse einzuverleiben, so kläglich gescheitert ist. Wahrscheinlich wird König sich möglichst schnell auf die nächste Sache stürzen wollen, um seine Karriere nicht ins Stocken geraten zu lassen.«

»Ich danke dir, Klaus! Wirklich. Wie du mir und auch Hanna nach diesem ganzen Schlamassel zur Seite gestanden hast, können wir nie wiedergutmachen.«

»Na, ich habe ja deine Situation eiskalt für mich genutzt und mich in dein Bett geschlichen«, gab er scherzhaft zurück.

»Das ist wahr, du widerlicher Kerl aber auch. Doch wenn wir schon dabei sind, würde ich es sehr begrüßen, wenn du mich nicht zu spät abholst, damit wir früher ankommen und du dich dann wieder in mein Bett schleichst«, raunte sie.

»Aber mit Vergnügen.« Er lachte auf. »Ich bin glücklich, Maria«, sagte er dann mit ernster Stimme. »Glücklich und dankbar, dass die Dinge so gekommen sind, auch wenn ich dir natürlich diese schreckliche Zeit nicht gewünscht habe.«

»Ich auch, Klaus. Und so eigenartig das klingen mag: Ich bin froh, genau diese Zeit erlebt zu haben. Ich habe in den vergangenen Monaten mehr über die Menschen und mich selbst gelernt, als in den letzten siebenundzwanzig Jahren. Es war ein tiefer Fall, noch tiefer ging es nicht. Doch mit deiner und Hannas Hilfe bin ich wieder aufgestanden, und ich verspreche dir eines, Klaus: Wann immer ich in Zukunft straucheln oder auch mal stürzen werde, werde ich stets wieder aufstehen. Jetzt hält mich nichts mehr auf. Nie wieder.«

»Wie gern würde ich dich jetzt in den Arm nehmen«, sagte Klaus mit belegter Stimme.

»Später«, antwortete Maria. »Und dann hoffentlich ganz oft die nächsten Tage.«

»Ich hole dich gegen halb zwei ab, in Ordnung?«

»Ja, in Ordnung.« Maria sah auf die Uhr. »Ich hoffe, dass Hanna vorher noch vorbeikommt. Wenn nicht, könnten wir dann vielleicht noch kurz bei Leas Wohnung vorbeifahren? Ich möchte Hanna unbedingt noch kurz drücken, bevor wir aufbrechen.«

»Natürlich«, versicherte Klaus. »Selbst wenn wir langsam fahren, erreichen wir den Zug immer noch mehr als rechtzeitig.«

»Danke, Klaus. Ich kann es kaum erwarten.«

»Ich auch nicht«, gab er zurück. »Bis später Maria, ich liebe dich.« Damit legte er auf, doch sie starrte den Hörer in ihrer Hand an.

Klaus hatte nie zuvor ich liebe dich gesagt. Nie! Und nun brachte er es einfach so am Ende des Telefonats? Sie legte den Hörer auf, als es klopfte und im nächsten Moment Hanna ihren Kopf zur Tür hereinsteckte, ohne ihre Antwort abzuwarten.

»Hallo, Mama«, grüßte sie. »Frau Schneyder sagte, du würdest noch telefonieren, aber wie ich sehe, bist du schon fertig?«

»Äh, ja«, antwortete Maria. »Hallo, mein Schatz.« Sie stand auf. »Das war nur Klaus.«

»Meine Güte, ihr seht euch doch nachher.« Hanna verdrehte die Augen. »Da kann einer ja überhaupt nicht genug von dir kriegen.« Sie lachte auf, und Maria und Hanna setzten sich an den runden Tisch, wie immer, wenn Hanna sie im Büro besuchen kam.

»Klaus hatte eine wunderbare Nachricht für mich, die er sofort loswerden wollte«, erklärte Maria. »Das Strafverfahren gegen mich ist eingestellt worden. Ich habe nichts mehr zu befürchten.«

»Mensch, das ist ja super!«, rief Hanna begeistert aus.

»Ja, ich bin auch erleichtert. Und gerade zuvor habe ich mit der Universität telefoniert«, erzählte Maria nun auch Hanna, was sie in Erfahrung gebracht hatte, worauf diese begeistert in die Hände klatschte.

»Also das nenne ich mal einen erfolgreichen Vormittag«, freute sich Hanna. »Und ich habe dir auch was zu erzählen«, kündigte sie an. Dann berichtete sie ihrer Mutter von dem Gespräch mit Heinz Suhrfeld und zeigte ihr auch einen Vertragsentwurf, in dem Hanna mit dreizehn Prozent an den Einnahmen aus der Verwertung des von ihr gedrehten Films beteiligt wurde.

»Das ist ja unglaublich.« Maria saß mit offenem Mund da. »Wie hast du ihn denn dazu gekriegt?«

»Ehrlich gesagt, weiß ich das selbst nicht so genau«, lachte Hanna auf. »Was meinst du? Könnte Klaus einen Blick auf den Vertrag werfen? Ich habe Heinz gesagt, dass ich ihn noch prüfen lassen will. Wir wollen dann nächste Woche unterschreiben.«

»Das macht Klaus mit Sicherheit sehr gern«, meinte Maria. »Ich kann den Vertrag ja gleich mitnehmen, wenn es dir recht ist.«

»Ich will euch aber nicht das Wochenende versauen«, wandte Hanna ein.

»Unsinn. Der Vertrag hat gerade mal vier Seiten, ich bitte dich. Du kennst doch Klaus. Wahrscheinlich würde er ungehalten, wenn ich ihm den Vertrag nicht zeige. Ich denke, er vertraut schon darauf, dass wir beide wissen, was wir tun. Doch wenn es um Verträge geht, will er doch lieber selbst noch mal draufschauen.«

»Ja«, lachte Hanna. »So schätze ich ihn auch ein.« Sie sah Maria an. »Du bist echt glücklich mit ihm, oder?«

»Ja. Mehr als ich es je zuvor in meinem Leben war.«

»Das freut mich so sehr für dich.« Hanna zögerte. »Du, das mit Leonhard und mir …«

»Ja?«

»Er hat mich heute Morgen gefragt, ob er dich mal kennenlernen kann.«

»Natürlich, sehr gern. Ich würde mich freuen«, gab Maria sogleich zurück.

»Ich habe Nein gesagt.«

»Und warum?«, fragte Maria verdutzt.

»Ich habe ihm gesagt, wie scheiße eure Ehe war und dass ich so was auf keinen Fall jemals haben möchte.«

Maria störte sich daran, wenn Hanna Fäkalworte benutzt. Doch in diesem Fall ging sie nicht darauf ein.

»Mein Schatz, nur weil die Ehe mit deinem Vater alles andere als rosig war, heißt das doch nicht, dass es bei dir genauso wäre.«

»Von einer Ehe rede ich ja nicht mal, nur von einer festen Beziehung.«

Maria sah die Tochter prüfend an. »Aber du hast das Gefühl, dass es wohl richtig war, ihn zurückzuweisen, oder?«

Hanna schüttelte den Kopf. »Ne, ehrlich gesagt, nicht.«

»Dann solltest du ihm das sagen«, riet Maria. »Wie du eben meintest: Du willst ihn ja nicht gleich heiraten. Doch wenn ich in der Lage war, Klaus an mich heranzulassen nach den Erfahrungen, die ich gemacht habe, solltest du dir bestimmt nicht die Chance nehmen, ebenfalls richtig glücklich werden zu können.«

Hanna presste die Lippen aufeinander, sah dann auf und wollte wohl etwas entgegnen. Doch offenbar besann sie sich.

»Wenn du Lust hast, bringe ich Leonhard nächste Woche einfach mal mit nach Hause, okay?«

»Ja, sehr gern.«

Hanna seufzte. »Puh«, sagte sie. »Hoffentlich bildet er sich nicht zu viel darauf ein.«

Maria lächelte. »Ach, du wirst ihn schon auf den Boden der Tatsachen zurückholen. Da bin ich ganz sicher.« Sie behielt das Lächeln bei.

Hanna stand auf, worauf sich auch Maria erhob. »Dann will ich dich mal nicht weiter aufhalten.« Sie drückte Maria an sich. »Viel Spaß, Mama! Macht euch eine super Zeit und hau ordentlich Ideen für Uschis Umbau raus, Mama.«

»Danke schön, mein Schatz.«

»Ach, und bevor ich’s vergesse. Ich habe vorn bei Frau Schneyder ein Schreiben von Leas Hotel abgegeben. Sie hat es eben schon geöffnet. Ist nur die Mitteilung wegen irgendeiner Abrechnung, die wohl einmal jährlich kommt. Also nichts Aufregendes.«

»Danke. Ich kümmere mich gleich darum.«

»Ich glaube, das macht Frau Schneyder schon.« Hanna grinste breit. »Sie hat sich richtig gefreut.«

»Ja, wir haben noch nicht so viel zu tun, und Ursel reißt die Sachen geradezu an sich«, lachte Maria.

Die beiden umarmten sich noch mal.

»Mach’s gut und treib’s nicht so bunt!«, mahnte Hanna. »Oder ach, doch, mach ruhig. Wird dir guttun.«

Maria lachte herzlich, dann verabschiedeten die beiden sich, und Hanna verließ das Büro. Maria ging zu ihrem Schreibtisch zurück, sortierte die Unterlagen, die sie an die Universität schicken wollte, gab diese dann Ursel und bat sie, Kopien zu fertigen und diese dann wie besprochen an Herrn Ringkowski zu schicken. Dann räumte sie ihre letzten Sachen zusammen, verabschiedete sich von Ursula und fuhr nach Hause. Kurz war sie enttäuscht, hatte sie doch gehofft, Holger anzutreffen. Doch die Wohnung war leer. Maria wollte das Gefühl der Sorge, das kurz in ihr aufstieg, nicht zulassen. Nein, Holger war ein erwachsener Mann, und er würde seinen Weg selbst finden müssen. Sie konnte nicht kontrollieren, was er tat.

Maria sah auf die Uhr. Klaus würde erst in einer Stunde kommen, um sie abzuholen. Sie konnte also in aller Ruhe ihre Tasche für das Wochenende packen und sogar noch eine kleine Wegzehrung vorbereiten. Und sie beschloss, neben einigen Kleinigkeiten zu essen auch noch eine Flasche Sekt mitzunehmen. Schließlich würde die Zugfahrt bis nach Sylt über den Hindenburgdamm genug Zeit bieten, um schon mal miteinander anzustoßen. Grund dazu hatten Klaus und sie wahrlich genug.