NIS

Heute ist der 27. November 1932. Erster Advent. Zu Hause werden sie Lebkuchen essen. Ich sitze in einem winzigen Zimmer und sehe durch ein Fenster Serebrowitschs Steingarten beim Dunkelwerden zu. Kaue dabei auf klebrigen Resten von Hefe, Öl, Anis und süßen Mandeln herum, aus denen Serebrowitsch sein Brot backt. Tagsüber schleife ich Zement für fünfundzwanzig Dinar.

Hätte ich nur auf Neweklowsky gehört.

Habe vor Wochen Heinrich meine Funde geschickt. Er soll alles einem Gutachter vorlegen. Meine einzige Hoffnung. Es muss Gold sein, Herrgott, es muss einfach.

Bei meiner Ausrüstung lag ein Handbuch von Pionier. Die Firma sitzt in Bad Tölz. Ich habe sie angeschrieben und um Hilfe ersucht. Ganz höflich. Habe ihnen alle Ersatzteile gelistet, die ich dringend für die Weiterfahrt brauche. Brauche alles sofort, habe ich geschrieben. Sonst ist sie zu Ende, meine Fahrt. (Das habe ich ihnen nicht mitgeteilt.)

Nachtrag: Ganz vergessen festzuhalten, wie ich hier gelandet bin. Fasse also das Wichtigste zusammen.

Ich wollte über das Schwarze Meer fahren, ostwärts. In Widin, Bulgarien, habe ich in einer Lagerhalle auf einer Landwirtschaftsmesse gearbeitet. Ich hatte kein Geld mehr, also habe ich bei einem rumänischen Händler namens Cedrin angeheuert und mir gleichzeitig andauernd Sorgen gemacht, um wie viele Kilometer der Vorsprung von May und Fischer mit jeder vergehenden Stunde anwachsen würde.

Als Cedrin mir am Ende der Messetage meine fünfundzwanzig Lewa und fünfzig Stutinki Lohn ausgehändigt hat, fragte er, ob ich nicht zufällig nach Skopje müsse? Würde bei ihm nur zwanzig Stutinki kosten. Und auf einmal kam es über mich. Skopje! Direkt am Vardar. Eine Abkürzung von elf Wochen! Alles andere, was mir Neweklowsky erzählt hatte, war wie weggeblasen. Fuhr also mit. Was ich nicht wusste, war, dass noch zahlreiche andere, sonderbare Figuren mit mir hinten auf Cedrins Laster sitzen würden, alles mürrische, betrunkene Männer und Frauen, denen ihr Leben abhandengekommen war.

Einer von ihnen sprach mich und die anderen in einem Englisch aus Stacheldraht an, wollte wissen, ob wir Terroristen seien, der Ustascha oder der IMRO angehören würden, Slowenen oder Muslime seien. Er fragte, wer Serbe, Kroate, Bulgare, Montenegriner oder Mazedonier wäre, wer Einwohner der Region Vojvodina, Ungar, Slowake, Rumäne, Roma, Sokci, Russine, Bunjewatze oder Italiener. Die Leute gerieten über die Frage in Streit, fingen an, sich auf der Ladefläche zu prügeln, und keine Stunde später saßen wir alle in einem Gefängnis in Nis.

Es dauerte zwei Tage, bis ich entlassen wurde, und weitere achtundvierzig Stunden, bis ich in Skopje ankam, wo ich natürlich sofort mein Boot aufgebaut habe, um auf dem Vardar Richtung Saloniki die verlorene Zeit aufzuholen.

Das war Anfang Oktober. Wenig später lernte ich Serebrowitsch hier in Veles kennen. Meinen Vermieter. Denn Neweklowsky sollte recht behalten: Der Vardar warf mich und die Sonnenschein hin und her wie ein buckelndes Pferd. Das Ergebnis sind drei gebrochene Spanten, mehrere gerissene Nähte an den Reißverschlüssen im Bootsinneren, ein zerborstenes Ersatzpaddel (das von May gestohlene hatte ich gerade erst in Belgrad durch ein neues ersetzt), ein defektes Pedal und ein Leck im Boot. Verbandszeug auch aufgebraucht, und keinen Bissen Nahrung mehr im Gepäck.

Jetzt sitz ich hier. Warte. Und warte.

Lieselotte hat geschrieben. Sie sagt, ein Blick auf den Kalender würde ihr bestätigen, dass der Buß- und Bettag kaum mehr drei Wochen entfernt liegt, ob sie sich darauf einstellen soll, mich als künftigen Ehemann auf Lebzeiten pensionieren zu müssen. Erich hätte sich ihr eklig und unsittlich im Hoppe genähert. Sie hat etwas Geld und eine Packung Chinin geschickt sowie einen Övelgönner Stadtwimpel.

Muss zusammenfassen, Tinte geht zur Neige.

Weihnachten.

Paket von Pionier eingetroffen. Aber sämtliche Gewässer der Gegend zugefroren. An Fortsetzung der Fahrt nicht zu denken.

Auch von Heinrich Post. Hat Knickerbocker-Hose, Strümpfe, Stutzer und eine Postanweisung über hundert Dinar beigelegt. Schreibt, bei meinen eingesandten Steinen handele es sich tatsächlich um Gold, allerdings um eine von Fachleuten »Narrengold« genannte Eisen-Schwefel-Verbindung, chemisch gesprochen Pyrit. Außerdem: Vater und Mutter gehe es nicht gut. Doch noch seien ja genug Geschwister vor Ort, die sich kümmern.

Sitze hinter Serebrowitschs Haus, baue meine renovierte Sonnenschein zusammen. Starre beim Zusammensetzen immer wieder auf eine Meldung der Zeitung, in der die Ersatzteile eingewickelt waren. Ein Pottwal hat sich vor der westkolumbianischen Küste in einem Telegrafenkabel verfangen und ist ertrunken.

Neujahr.

Kurz vorm Schlafengehen. Habe noch mal die Verleimung und die Kautschukbeschichtung für die Haut des Unterschiffs geprüft. Denke viel an den Wal. Oder sagen wir, ich versuche es. Denn eigentlich denke ich nur an eine Sache.

May und Fischer werden gewinnen, und Karol wird nie wieder ein Wort mit mir sprechen.