LEX

D as Pub war um diese Uhrzeit noch fast leer. Es roch muffig, nach Aschenbechern, feuchter Kleidung und den Geistern des Vorabends. Am Ende des Tresens saßen zwei stämmige Gestalten auf Barhockern und glotzten ihr Guinness an, in einem Nebenzimmer spielte jemand lustlos Klavier. Konstanty hob sein leeres Bierglas und bedeutete dem Barkeeper, ihnen zwei volle zu bringen.

Er versuchte, so desinteressiert wie möglich auszusehen, damit der Berliner Journalist neben ihm endlich Ruhe gab. Seit einer halben Stunde plapperte dieser Idiot bereits über London und die Engländer im Allgemeinen. Wieso ihm das Bier doch etwas schlech ter schmecke als jenes in Deutschland. Dass ihm der englische Adel deutlich blasierter erscheine. Und wie respektlos die Presse mit allen Deutschen umgehe. Dabei galoppierte der mit seiner randlosen Brille wie eine zweitklassige Version von Himmler aussehende Kerl quer durch ein Gehege des Nichtssagenden. Es kam Konstanty so vor, als hätte dieser Egon Lex einige Jahre gesammelt, um seine wässrigen Erkenntnisse nun alle auf einmal bei ihm loszuwerden. Dabei war er ausnehmend freundlich, sprach sanft und hatte gleich zu Beginn klargemacht, dass er die Zeche für sie begleichen werde.

»›Step off right foot first.‹ Haben Sie das gesehen, an den Untergrundbahn-Ausgängen? Bei allem Stolz halten die Tommys ihre eigenen Leute wohl für zu doof, von der Rolltreppe zu steigen.«

Konstanty holte tief Luft und zündete sich eine Zigarette an. Wenige Meter neben ihrem Tisch vertrieben sich zwei Männer mit Schnurrbärten die Zeit mit einer Partie Billard, leises Klacken von Kugeln untermalte ihr Gespräch.

»Sind schon merkwürdige Zeiten, was? Aber ich könnte das nicht. Wie Sie, hier in diesem Moloch mit den ganzen Milchgesichtern leben.«

»Ganz so …«

»Sie sollten mal zu uns nach Berlin kommen. Was meinen Sie, was da gerade los ist!«

Der glatzköpfige Barkeeper stellte zwei frische Biere vor ihnen ab und nahm die leeren Gläser mit sich.

Konstanty startete einen neuen Versuch.

»Diana sagte, Sie …«

»Diana! Die hätte ich ja fast vergessen. Das ist ’ne Braut. Gut, das muss man ihnen lassen: Ab und zu schlüpft auch den Engländern ein Küken durch, das wirklich ’ne Wonne ist. Haben Sie bei der schon mal …?«

Lex legte seinen Daumen zwischen Zeige- und Mittelfinger, wackelte damit.

»Diana sagte, Sie hätten Kenntnis darüber, wo sich Oskar Speck gerade aufhält?«

Egon Lex sah einen Moment verwundert aus, als sei ihm plötzlich nicht mehr klar, weswegen sie sich im Blue Post getroffen hatten.

»Der Speck, ja klar. Klar wissen wir, wo der ist.«

»Wären Sie so freundlich, mir …«

»Er wurde ja leider überfallen.«

»Wie bitte? Überfallen? In Indien?«

»Wie kommen Sie denn darauf? Der Mann ist auf Java. Indonesien! Er wurde von Eingeborenen malträtiert. Liegt derzeit im Hospital.«

»Auch das noch. Haben Sie Kontakt zu ihm?«

»Derzeit nicht, nein. Das heißt, ein bisschen. Wir haben wirklich Glück gehabt.«

»Wir?«

»Na, die Berliner Illustrirte , die Zeitschrift, für die ich arbeite. Entschuldigen Sie, wenn man so lange dabei ist wie ich, wird die Redaktion irgendwann zur Familie. Auf jeden Fall hatten wir Glück, weil wir mit der Frau im Briefwechsel stehen, die Specks Geschichte für uns aufschreibt.«

Drei Bälle knallten auf dem Billardtisch gegeneinander.

»Moment mal, welche Frau, welche Geschichte?«

»Wer die Dame genau ist, kann ich Ihnen nicht sagen. Aber sie lebt ebenfalls auf Java und wird die Autorin unserer Abenteuerserie über Speck sein. Eine Deutsche. Mein Chefredakteur ist noch skeptisch, aber ich weiß, die Reihe wird durch die Decke gehen.«

»Wann soll sie denn starten, diese Reihe?«

»Eigentlich warten wir nur noch auf die Übermittlung des ersten Teils.«

»Haben Sie seine Adresse?«

»Specks? Nein.«

»Die der Frau?«

»Na, hören Sie mal, ein guter Journalist gibt doch seine Quellen nicht einfach so preis. Ich arbeite gerade daran, Speck zurück nach Deutschland zu holen. Wenn er wieder hier ist und von mir gemolken wurde, kann ich Ihnen gerne … Was ist? Was ist los? Hab ich was verpasst?«

Konstanty hatte seinen Kopf in einer Hand vergraben, den Arm auf dem Tisch lehnend. Er kicherte vor sich hin.

»Gemolken«, wiederholte er, und es klang so heiser, dass Egon Lex das Wort fast nicht verstanden hätte.

»Ich sag das so flapsig, aber Sie wissen, was ich meine«, entschuldigte sich der Journalist.

Konstanty klatschte sich zur Erholung zweimal gegen die eigene Backe.

»Sehen Sie die zwei Kerle da am Tresen?«

Lex rieb sich die Hände an seinen Hosenbeinen.

»Ja, wieso?«

»Schwarzhemden nennt man die. Gehören zur British Union of Fascists.«

»Ah, welche von uns!«

»Nein«, sagte Konstanty. »Welche von mir. Wenn Sie zurück in Berlin sind, schicken Sie mir ein Telegramm mit der Adresse der Frau und anschließend einen Brief mit allen weiteren Informationen, die Sie zu Speck haben. Und diese Rückholaktion können Sie sich natürlich abschminken. Unterlassen Sie das einfach, ist besser so.«

»Sie drohen mir?«

»Schon wieder falsch. Ich befehle es Ihnen. Und wenn Sie denken, dass Sie jetzt nur Ja zu sagen brauchen und in Berlin dann machen können, was Sie wollen, muss ich Sie leider enttäuschen. Ich bin bestens vernetzt. Bis ganz nach oben. Sie können sich also gern widersetzen und hier erfahren, wie Themsewasser schmeckt, oder nächste Woche Ihren letzten Blick der Spree widmen.« Er kratzte sich an der Backe. »Oder willfährig und fügsam meinem Wunsch nachkommen.«

Die beiden Billardspieler hatten eine Pause eingelegt, unter hielten sich und rieben Kreide auf das Leder an der Spitze ihrer Queues.

Egon Lex sank gegen die Lehne der Bank, auf der er saß.

»Dass ich hier in so einen Hinterhalt, in so einen Verrat hineinlaufe …«

Konstanty sah ihn konziliant an.

»Jedes Land der Erde ist auf Untreue und Verrat gebaut. Sie können wahllos Ihren Finger in das Buch der Geschichte setzen und finden nichts als Verrat. Ob in England oder Deutschland. Beim fränkischen König Sigibert oder im Großen Krieg. In Groß Schneen oder Berlin. In Hamburg musste ich nicht mal das Haus verlassen, um in den Genuss zu kommen.« Er klopfte Lex auf die Schulter. »Ich gehe jetzt auf die Toilette. Und wenn ich wiederkomme, ist Ihre Sitzbank kalt.«