KLEIN

M ehr haben Sie nicht?«

Die Stimme des Mannes könnte etwas Öl vertragen. Er erntet ein Kopfschütteln.

»Sie können froh sein, dass Ihr Freund da draußen für Sie bürgt. Er hat mir gesagt, Sie werden die restlichen Gebühren innerhalb der ersten drei Monate abbezahlen. Können wir uns darauf verlassen?«

Nicken.

»Unterschreiben Sie hier.«

Der Alte schiebt ein staubiges Stück Papier über den langen Holztresen und wischt sich mit einem verschmierten Lappen über seinen Nacken. Eine Katze läuft maunzend über den Lehmboden und wird ab und zu von den Sonnenstrahlen getroffen, die durch die zahllosen Ritzen und Löcher des aus Holz und Blech gezimmerten, fensterlosen Büros strömen. Am anderen Ende des Raumes hüpft sie auf das einzige Regal der Behausung, springt aber gleich weiter, als die dort verbeultes Geschirr sortierende Frau sie mit einer Kelle verscheucht.

»Ich wünschte, der Sommer wäre vorbei und würde nicht erst anfangen«, murmelt der ausgemergelte Greis und fährt sich zwischen den Worten mit der Zunge über schiefe, braun-gelbliche Zähne. »Ich bin zu verbraucht für diesen Ort«, er zieht am Revers seines Hemdes, »durch mich pfeift der Wind. Aber einmal Lightning Ridge, immer Lightning Ridge. Edna, reich mir mal die Wasserflasche. Wie lange wollen Sie bleiben?«

Die Frau stellt zwei Schüsseln am Ende des Tisches ab, bringt ihrem Mann humpelnd die gewünschte Erfrischung und kehrt zu ihrer Arbeit zurück.

Oskar zuckt mit den Achseln. Ohne sich die Zeilen durchzulesen, setzt er seine Unterschrift ans Ende der Seite und schiebt das Blatt zurück über den Tresen.

»Verstehe«, sagt der Alte und blinzelt ihn an wie jemand, der aus Gründen der Sicherheit gelernt hat, Menschen nicht zu lange zu mustern. »Sie sind nicht von hier, was?«

»Mm-mh«, verneint Oskar.

»Australier sind Sie aber auch nicht.«

»Lass ihn in Ruhe«, maßregelt ihn die Frau. »Er will sein Glück machen, wie alle. Sie haben Schacht Nummer neunzehn, Ihr Freund draußen kennt den Weg, ist ihn ja oft genug gegangen.«

Der Alte lächelt sein Gegenüber aus schmalen Augen abschätzend an.

»Sie sehen aus wie jemand, der im Krieg gewesen ist. Dann werden Sie hier bestens zurechtkommen. Das Geschirr erhalten Sie von meiner Frau.« Er nickt ihr zu. »Edna.«

Als Oskar sich in ihre Richtung in Bewegung setzt, hört er den Mann hinter sich husten und grübelnd weitersprechen.

»Sind Sie Deutscher? Sie sehen aus wie ein Deutscher.« Die nächsten beiden Worte spricht der Alte auf Deutsch und auf eine Weise aus, als sei er verrückt: »Nazi, ja?«

»Joe«, ermahnt ihn die Frau erneut.

Ein heiseres Kichern.

»Bin nur neugierig, bin nur neugierig. Wie kommt ein Deutscher dazu, hier mit Bill Klein aufzutauchen?«

Oskar überlegt, ob er von Loveday erzählen soll.

»Kleins Eltern sind deutsch«, sagt die Frau müde und faltet ein Handtuch.

Ihr Mann zieht die Brauen hoch.

»Hab ich nicht gewusst, sieh mal an. Kennen Sie ihn gut, Mister, äh … Mister«, er blickt rätselnd auf das Blatt vor ihm, »… Speck? Bill ist eine Legende. Wissen Sie das überhaupt? Haben Sie schon mal von dem berühmten Opal Light of the World gehört?« Die Miene des Mannes verfinstert sich, als ginge es um eine ernste Angelegenheit. » Light of the World, das war ein Edelstein der Güteklasse. Kurt Stephens und er haben den gefunden. Kurt Stephens und er.« Sein Zeigefinger wippt Richtung Ausgang. »Bill Klein erkennt einen Opal selbst dann noch, wenn jemand mit den Füßen darauf steht. Light of the World. Das war ein Stein. Finden Sie nirgendwo anders. Nur hier. Nirgendwo anders.«

»Hören Sie nicht auf ihn«, sagt die Frau leise und drückt Oskar eine Blechschüssel, ein Sieb, zwei Eimer und zwei Tücher in die Hand. »Die Chancen, dass Sie hier etwas finden, stehen eins zu eintausend. Sollte ich vermutlich nicht sagen, aber so isses nun mal.«

»Eine verdammte Legende«, murrt der Mann, während seine Augen auf dem Lehmboden die Vergangenheit suchen.

» Du bist eine verdammte Legende«, ruft Bill Klein vom schiefen Eingang der Hütte aus. Die Silhouette des untersetzten Mannes mit den stets nach oben gekrümmten Mundwinkeln füllt den Türrahmen aus. Er tritt ein und nimmt seinen breitkrempigen Hut vom Kopf. »Oskar, was hältst du von Joe M.M. Slinger? Der Mann stand hier schon hinter diesem Tisch, als sie in Ägypten noch nach einem Architekten für die Pyramiden gesucht haben.«

»So sieht er jedenfalls aus«, ergänzt Slingers Frau und schenkt Klein ein mattes Lächeln.

»Und wo wir gerade dabei sind«, Klein kommt näher und klopft Oskar auf die Schulter, »der hier wird ebenfalls bald eine Legende sein.«

Oskar bedankt sich bei Slingers Frau und bedeutet Bill Klein, gehen zu wollen.

»Der Mann hat eine Schleifmaschine für Opale entwickelt, ein Wahnsinnsgerät. Und nicht etwa an einem dieser modernen Arbeitsplätze in der Stadt mit schicken Apparaturen und Werkzeugen. Nein, Sir, Oskar hat seine Maschine in einem Gefangenenlager zusammengeflickt.«

»Bill …«, stöhnt Oskar.

Sein Freund macht eine beschwichtigende Geste.

»Das kannst du hier sowie nicht geheim halten. Schaut euch das knochige Ungetüm draußen vor der Tür ruhig an. Könnt ihr allen von erzählen. Ich werde für Oskar in Sydney ein Patent darauf beantragen.« Er blickt Joe und dann Edna Slinger an. »Wir waren zusammen in Loveday, im Internierungslager. Der Krieg ist seit über fünf Monaten vorbei, aber ihn«, er deutet auf Oskar, »haben sie erst vor vier Tagen als letzten Häftling dort entlassen. Haben quasi hinter ihm abgesperrt. Und das ist nicht die einzige Geschichte, die der Kerl euch erzählen kann.«

Als sie unter einer monströsen Sonne an den verrosteten Wellblechhütten des Opalminenörtchens entlangschleichen, tastet Oskar mit der Zunge nach seinen ewig aufgeplatzten Lippen. Er versucht zu schlucken. Spürt, wie ihn das Licht schon jetzt schmerzt. Fünfzig Grad, hatte Slinger gesagt, nachdem er die Schleifmaschine vor der Tür des Anmeldebüros inspiziert und dann gen Himmel geblickt hatte, fünfzig Grad würden sie hier draußen regelmäßig haben. Im Schatten. Der Alte hatte ihm dabei seinen ledernen Nacken präsentiert, ganz so, als müsse er nachweisen, dass er den Großteil seines Lebens im Kampf mit der Sonne verbracht hat.

Klein sieht sich mit dem gierigen Blick eines Börsenmaklers um.

»Hat sich kein bisschen verändert«, sagt er und schiebt seinen Hut tiefer ins Gesicht. »Hast du gemerkt, wie Edna und Joe gestaunt haben? Joe hat das Zahnrad und die Schneidevorrichtung angefasst, als würde er ein Küken streicheln.«

Vor einem der zahlreichen Schächte bleiben die beiden Männer stehen.

»Da wären wir, Nummer neunzehn. Bist du sicher, dass du es versuchen willst?«

»Sicherer als sicher«, sagt Oskar und blickt Klein entschlossen an.

»Ich hoffe, du hältst es aus. Sieh dich um. Lightning Ridge ist ein riesiger Hintern mit Lepra. Hügel aus Staub und Unkraut, unter denen diese ganzen Verrückten in einer Höllenhitze arbeiten. Nur, um eine Unze Glück zu finden. Ein Steinschürfer hat mir einmal gesagt, dass Ridge ein Monument des hartnäckigen und zähen Optimismus der Menschheit sei, und das ist nicht weit von der Wahrheit entfernt. Auch wenn sich der Optimismus einiger Gestal ten hier kaum von Dummheit unterscheiden lässt.«

Klingt vertraut.

Gemächlich gehen sie an zwei leeren Öltonnen vorbei, den engen Gang hinab, hinein ins Dunkel von Oskars künftiger Behausung, während Klein weiterspricht.

»Ich war in Coober Pedy, in Andamooka und White Cliffs, aber nirgendwo sind die Chancen größer als in Lightning Ridge.«

Am Ende des Schachts angekommen, bleiben sie neben einem Feldbett und einer kleinen Waschschüssel stehen.

» Big Ben , achthundertzweiundzwanzig Gramm, oder Flame Queen wurden hier gefunden. Weltberühmte Opale.« Kleins Augen verengen sich. »Die Queen wurde für mickrige achtzig Pfund verkauft, weil der Finder schon drei Wochen keinen festen Happen mehr zwischen die Zähne bekommen hatte. Solch tragische Ge schichten gibt es in Ridge dutzendweise. Bist du okay? Du hast keine vier Worte gesagt, seit wir hier sind.«

»Alles perfekt«, sagt Oskar und prüft mit einer Hand die Elastizität der Pritsche.

Klein stupst ihn in die Brust.

»Du wirst es erleben, Oskar, ich weiß es. Wenn du einmal in das monolithische Auge eines schwarzen Opals schaust … Nichts gegen die anderen Opale, aber die schwarzen haben sowohl Spurenelemente von Karbon- als auch von Eisenoxiden in sich. Wenn du so einen in der Hand hältst, sieht er dich mit seiner schattenhaften Iris an wie ein Zyklop.«

Zum ersten Mal an diesem Tag erscheint ein Lächeln auf Oskars Gesicht. Obwohl er während der letzten vier Jahre hinter den Mauern von Loveday Hunderte von Gesprächen mit Klein geführt hat, ist er erst jetzt, in diesem Moment, felsenfest davon überzeugt, dass er ihn gefunden hat. Den richtigen Mann zur richtigen Zeit, der ihn an den richtigen Ort geführt hat.

Bill Klein erkennt einen Opal selbst dann noch, wenn jemand mit den Füßen draufsteht.

»Was ist los?«, fragt Klein.

Oskar fixiert ihn.

»Kann ich dich was fragen?«

»Alles!«

»Glaubst du, es gibt so etwas wie einen geheimen Blick?«