PUDDING

N ur langsam kommt sie zur Besinnung. Schmeckt Erde auf ihrer Zunge, sieht die Welt verkehrt herum.

Wie lange liege ich schon hier? Wo ist »hier«?

Die Sonne schickt Strahlen in ihr Gesicht, greift mit langen Armen durch das Dickicht nach ihr. Es dämmert Gili, dass sie kopfüber an einem steilen Abhang inmitten von Laub, Zweigen und Kieselsteinen liegt. Ihren Hut, einen Stift und einen Zettel hält sie fest umklammert.

Mühselig dreht sie sich auf den Bauch, rappelt sich auf und bleibt, ihre Schenkel neben dem Po, eine Hand aufgestützt, sitzen. Mit festen Fingern massiert sie ihre Stirn, schließt die Augen, als würde Pressen helfen, ihre Benommenheit zu lindern. Dann hebt sie den Blick. Die Straße über ihr liegt nur wenige Meter entfernt.

Los, du musst es versuchen.

Ihre Finger krallen sich in Schotter und Kiesel, ächzend zieht sie ihren Körper auf die Fahrbahn, setzt fahrig ihren Hut wieder auf.

Weiter.

Wieder auf der Straße, bleibt sie nach ein paar Kurven stehen. Ihr dehydrierter Körper befiehlt ihr, die Suche aufzugeben.

Wasser, Feuchtigkeit, irgendetwas Nasses. Rette dich, verdammt noch mal.

Ein paar Schritte bergab befindet sich das Eingangstor zu einem Grundstück. Sie öffnet es, schleicht die dahinter liegende, leicht abschüssig verlaufende Einfahrt hinab, beachtet nicht den wunderbaren Ausblick, nicht das flache Haus zu ihrer Rechten, hört nur den darin bellenden Hund, der ihr signalisiert, dass niemand zu Hause ist.

Ein Wasserhahn, eine Gießkanne, eine Pfütze. Bitte.

Und tatsächlich, am Rand einer Vielzahl am Hang angelegter Beete und Sträucher erkennt sie ein steinernes Vogelbecken, für dessen Schönheit sie unter anderen Umständen womöglich einen Blick übrig hätte. Gierig trinkt sie, saugt zwei oder drei Schlucke abgestandenes Wasser und beobachtet dabei die Umgebung. Dann hält sie inne. Den Kopf immer noch über das Becken gebeugt, erkennt sie unter einer Akazie eine Hundehütte. Über dem rund ausgeschnittenen Eingang prangt ein selbst gemaltes Schild »Salt House/Fílippos Gardens«.

Ein plötzlicher Brechreiz überkommt sie. Bei dem Versuch, sich in ein Gebüsch zu übergeben, taumelt sie, gibt erst das Wasser, dann saure Galle von sich. Als sie etwas zum Abwischen sucht, bemerkt sie den Zettel des Polizisten, den sie, ebenso wie den Stift des Alten, die ganze Zeit über weiterhin in den Händen gehalten hat.

Ihre Waden zittern, und sie schleppt sich zu einem der Fenster; ihre Beine fühlen sich an wie Pudding. Gili legt ihre Hände wie Scheuklappen an die Schläfen und späht hinein. Ein aufgeräumtes Esszimmer, dahinter eine offene Küche. Kaum persönliche Gegenstände. Bis auf … eine Frauenhandtasche, die demonstrativ auf der Anrichte thront.

Das Haus ist groß genug für zwei. Er hat längst eine Ehefrau, ein eigenes Leben. Ein anderes. Neues. – Aber er lebt!

Langsam sinkt sie zu Boden, lehnt sich an die Hauswand und versucht nachzudenken. Oskar Speck lebt. Und zwar genau hier.

Was habe ich eigentlich erwartet? Wen suchst du hier, du dumme Gans? Einen Menschen, den es nicht mehr gibt, selbst wenn er putzmunter am Leben ist. Verstehst du das nicht?

Gili sieht, wie in der Ferne ein Motorboot geräuschlos über den Ozean gleitet.

Vorsichtig legt sie den Zettel des Beamten auf ein Bein, setzt an, verharrt und will gerade das erste Wort schreiben, als sie merkt, dass die Mine leer ist.

Verzweifelt ritzt sie auf dem Papier herum und gibt schließlich auf.

Lass es. Es wird nur wehtun. Was, wenn er ein viel leichteres Herz hat als du? Fahr nach Sydney und dann weiter. Lass es gut sein.

Sie versucht aufzustehen und erschrickt selbst von dem quälenden Laut des Wehleidens, den sie dabei in den weit verzweigten Garten entlässt.

»Können wir über etwas anderes sprechen?«, flüstert sie und gibt sich einen Ruck.