E igentlich haben wir schon geschlossen.«
Unter Sam Robbins’ Worten verklingt leise das kristallklare Klingeln der Glocke, die bei jedem Öffnen und Schließen von der Kante der Eingangstür wachgerüttelt wird. Der Ladeninhaber hält einen Stapel Comics in den Händen und versucht zu ergründen, ob in diesem Monat Danny Hale, Secret Agent X9 oder lieber Johnny Hazard im Regal vorne stehen sollte. Kopfschüttelnd tastet er nach seiner auf der Glatze ruhenden Brille.
»Ach, das ist ja eine Überraschung. Ich hoffe, sie hat Sie gefunden. Sind Sie ihr begegnet?«
»Wem bin ich begegnet?«
»Der Frau. Hier war eine Frau, die … Also nicht hier, ich habe sie draußen auf der Straße getroffen, sie suchte nach Ihnen.«
»Nach mir? Sind Sie sicher?«
»Zu einhundert Prozent. Einhundertzehn Prozent!«
Minnie. Ihre Tasche.
»Wo ist sie hin?«
»Das wüsste ich auch gerne. Sie sah mitgenommen aus, als hätte sie einen Unfall gehabt. Ich wollte ihr helfen, aber kaum drehe ich mich um, schwupp, ist sie weg. Hier draußen auf der Straße, keine hundert Meter von hier. Vor etwa einer Stunde. Sie fragte nach Ihnen, ich sage: ›Einen Moment‹, will ihr etwas Wasser holen, sie sah wirklich nicht gut aus, also sie sah gut aus, verstehen Sie mich nicht falsch, aber eben nicht gesund. Jedenfalls stiefele ich die Straße hinab, dreh mich um, und weg ist sie. Hab nach ihr gerufen, nichts. Ich wollte noch mal zurück, aber da stand Trudy schon vor dem Laden und … Hätte ich bei der Aufregung fast vergessen, wir waren verabredet, ich musste Trudy hier im Laden ablösen, sie wollte noch etwas in der Stadt besorgen, Schmuck, Make-up, was weiß ich, Sie wissen ja, wie sie ist, sieht etwas und muss es gleich besitzen.«
»Kein Problem, Mr. Robbins.«
Hat der Mann so etwas wie einen Ausschalter?
»Wenn ich zurückgehe, werde ich die Augen aufhalten. Sagen Sie, hätten Sie zufällig etwas Benzin für mich?«
»Benzin? Scheint, als wollte mich heute alle Welt veräppeln. Ich habe Limonade, Süßigkeiten, die üblichen Spirituosen, Modemaga zine, Comichefte, sogar Nähzeug kann ich Ihnen anbieten. Aber ich bin keine Tankstelle, Mr. Speck.«
»Nichts für ungut«, Oskar hebt verständig die Hände, »dachte ich mir. Schönen Feierabend.«
»Gleichfalls«, sagt der Alte und scheint über das Gespräch nachzusinnen. »Bitte achten Sie doch darauf, ob Sie die Frau irgendwo herumirren sehen. Ich würde es selber tun, aber ich muss auf Tess warten. Sie und Sally waren heute in diesem neuen Rep tilienpark drüben in, Sie wissen schon, in Somersby. Müssten bald kommen, aber ihre Mütter wollen, dass ich sie nach Hause begleite.«
Milde lächelnd öffnet Oskar die Tür, die Glocke klingelt. Er hört Robbins hinter sich weitersprechen, während er Verständnis und Entschuldigungen heuchelnd den Laden verlässt.
»Wie ich die beiden kenne, werden sie bleiben, bis der Park schließt«, ruft Robbins ihm hinterher und runzelt wieder die Stirn über den Heften. »Sie wissen nicht zufällig, ob die Kids diesen Danny Hale bevorzugen. Oder The Sea Hound? Speed Gordon?«
Auf dem Weg zu seinem Auto sieht Oskar sich um, ob Minnie tatsächlich hier draußen nach ihm sucht.
Würde sie das tun? Wegen ihrer Handtasche?
Oskar vergisst sie wieder. Wahrscheinlich hat der Alte ihn verwechselt.
Er holt tief Luft, öffnet die Fahrertür, steigt ein und versucht, den Wagen ein letztes Mal zu starten. In seinen Ohren klingt ein lautes Sirren, das in ein mechanisches Stottern übergeht und erstirbt.
Entnervt drückt er auf die Hupe, die sich lautstark beschwert.
Für einen Moment hört Oskar nichts außer dem kaum vernehm baren Ticken des Sekundenzeigers seiner Armbanduhr, als würde sie ihm eine Geschichte erzählen. Dann schaut er auf das Ziffernblatt. Kurz nach sieben.
Also gut. Laufen. Die Abkürzung durch den Busch, zu Hause den Busplan heraussuchen, Kanister aus dem Schuppen, zur Not ein Taxi, ja, Taxi ist besser, kostet mich ein Vermögen, aber der Fahrer wird wissen, wo die nächste Tankstelle ist. Ich lasse mich hinbringen, wieder zurück, hole das Auto, verflucht, ich werde nicht umhinkommen, heute noch das Salzwasser von der Außenhaut des Bootes abzuspülen. Also gut, dann eben auch das. Um spätestens zehn, halb elf sitze ich mit einem John Collins auf der Terrasse.