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23.30 Uhr

Die Spurensicherung war noch nicht eingetroffen, was Franka auf die längere Anfahrt der Kollegen aus Hagen schob. Lediglich der Notarztwagen parkte unweit des Tatortes. Franka und Micha standen ein wenig abseits des Geschehens. Streifenwagen parkten schräg auf den Bürgersteigen, und in fast allen Häusern am Altmarkt brannte nun Licht. Rotweiß schraffiertes Polizeiabsperrband flatterte im Wind. Streifenbeamte waren damit beschäftigt, die Gaffer auf Distanz zu halten. Franka hatte ein Dejà-vu, denn das alles hatte sie in dieser Nacht schon einmal gesehen. Jeder wollte etwas gesehen und gehört haben, und die uniformierten Kollegen waren damit beschäftigt, die Aussagen der mehr oder weniger vermeintlichen Zeugen aufzunehmen. »Großes Kino auf dem Dorf hier«, bemerkte Micha mit säuerlicher Miene. Sie wandten sich an den Notarzt. Dr. Gabriel, ein schlanker Endvierziger mit kurz geschorenem Haar und einer dünnen Brille, nickte ihnen zu. Gabriel führte Franka und Micha zu der Stelle, wo die Leiche, die man mit einem Tuch vor den neugierigen Blicken der Nachbarn schützte, gefunden hatte.

»Er wurde mit mehreren Messerstichen ermordet«, erklärte Dr. Gabriel. »Das Opfer hatte keine Chance. Das sind bestimmt zehn bis zwanzig Messerstiche; der Mörder muss wie im Wahn immer und immer wieder auf sein Opfer eingestochen haben.« Der Mediziner zog die Mundwinkel nach unten und deckte den Leichnam wieder ab. »Was der Mann allerdings um diese Zeit hier draußen tat, weiß ich nicht.

Sein Mörder aber ist eine Bestie, das weiß ich.«

»Hat der Mörder ihn … gebissen?« Franka achtete auf jede Reaktion im Gesicht des Mediziners. Doch im Augenblick betrachtete er die junge Kommissarin nur fassungslos.

»Was wollen Sie hören?«

Micha schaltete sich ein. »Ob es Bisswunden gibt, ob der Mörder ihm mit den Zähnen die Kehle zerfetzt hat, ob er sein Fleisch gegessen hat, weiß der Geier.« Er stapfte ungeduldig von einem Fuß auf den anderen und rieb sich die Hände. Ihm war kalt.

Gabriel blickte ihn betreten an. »Sagen Sie mal, sehen Sie zu viele Splatterfilme?«

»Ich würde nicht fragen, wenn ich keinen Grund hätte«, entgegnete Micha wütend. Der unterschwellige Vorwurf in der Stimme des Notarztes prallte an ihm ab.

»Nein«, murmelte Gabriel. »Nichts dergleichen. Aber eines steht fest: Derjenige, der das getan hat, war blind vor Wut oder wahnsinnig.«

»Oder er wollte sicher sein, einen lästigen Zeugen aus dem Weg geräumt zu haben«, überlegte Franka und tauschte einen Blick mit Micha. Er zuckte unmerklich die breiten Schultern.

»Haben Sie zufällig ein Handy bei ihm gefunden?«, fragte er den Arzt.

Kopfschütteln.

»Dann besteht die Möglichkeit, dass es in seiner Wohnung liegt.« Er zog Franka vom Fundort der Leiche weg. »Wir müssen uns in seiner Wohnung umsehen. Vielleicht finden wir dort einen Hinweis. Idealerweise liegt dort auch sein Handy.«

»Wenn es derselbe Täter ist, ist das Mordmotiv klar«, murmelte Franka, als sie außerhalb der Hörweite des Arztes waren. »Er hat Belter bis hierher verfolgt, um ihn zu töten. Vermutlich hatte er Angst, dass er ihm gefährlich werden könnte und hat deshalb einen zweiten Mord in Kauf genommen.«

»Dumm gelaufen, denn jetzt sind wir erst recht hier«, brummte Micha. »Der hält uns ganz schön auf Trab. Ein Leisetreter ist unser Freund nun wirklich nicht.« Er dachte nach. »Wenn ich meine Spur verwischen möchte, wenn ich jemanden auf dem Gewissen habe, dann sehe ich zu, dass ich meine Leichen unauffälliger verschwinden lasse, als er es tut. Der ist doch nicht ganz dicht, Frau Kollegin.« Er tippte sich bezeichnend an die Stirn.

»Wie dem auch sei - hoffen wir, dass er nicht noch mehrere lästige Zeugen hat, die er aus dem Weg räumen wird.«