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19.20 Uhr

»Ah, hier läufst du rum!«

Franka blieb auf der Stelle stehen. Sie war nach der Besprechung bei Hauptkommissar Bever nur noch schnell in ihr Büro geeilt, um den Rechner auszuschalten und um ihre Jacke und die Tasche zu holen. Morgen früh musste sie fit sein. Der Autoschlüssel klimperte schon in ihrer rechten Hand, als sie auf dem Korridor des Präsidiums stand und Georgs Stimme hörte. Er kam etwas atemlos angelaufen und wedelte mit einem dicken Aktenordner. »Hier«, keuchte er und tippte auf die Unterlagen. »Der erste Schwung.«

»Der erste Schwung - von was?«

»Na, du wolltest doch die Auswertung vom Rechner von Frau Klimmek haben. Hier ist der erste Schwung.« Er grinste stolz.

»Und morgen kommt der Rest - versprochen.«

»Ich bin eigentlich auf dem Heimweg.«

»Das ist ja prima. Vielleicht kannst du mich ein Stück mitnehmen? Renate hat das Auto, weil sie heute zur Kinderärztin musste, und …«

Franka rollte mit den Augen. Heute blieb ihr aber auch gar nichts erspart. Die Kinderkrankengeschichten ihres Kollegen hatten ihr gerade noch gefehlt. Sie nahm ihm den Ordner aus der Hand.

»Beeil dich, ich will einfach nur nach Hause, bin total platt.«

»Du bist ein Schatz«, rief Georg und machte auf dem Absatz kehrt. »Ich hole nur schnell meine Sachen!« Er stürmte davon. Franka hörte sein gut gelauntes Pfeifen auf dem kahlen Korridor des Präsidiums und trat schon mal ins Freie. Gedankenverloren stand sie auf der oberen Stufe der breiten Treppe und blickte auf die Friedrich-Engels- Allee herunter. Der Schnee war wieder nicht liegen geblieben, und der Verkehr floss recht zügig. Georg war ein netter Kollege, aber mitunter recht anstrengend. Sie war jetzt schon froh, wenn er wieder ausstieg und sie ihre Ruhe hatte. Der Tag war lang, die vorige Nacht viel zu kurz gewesen, und sie spürte, dass sie etwas ausbrütete. Krank werden konnte sie, wenn der Fall erledigt war.

»So, da bin ich schon. Du, ich find' das total super, dass du mich mitnimmst, dann muss Renate nicht noch mal los bei diesem Sauwetter, und …«

»Georg«, unterbrach Franka den Kollegen. Georg, der den lieben langen Tag in seinem Büro hockte und die Technik von irgendwelchen elektronischen Geräten knacken musste, hatte scheinbar ein Defizit an Kommunikation. Doch dieses Defizit musste er nicht innerhalb der nächsten fünf Minuten bei ihr ausgleichen. »Hast du denn schon mehr über den Rechner von Mandy Klimmek rausbekommen?« Sie waren an ihrem Wagen angekommen, den sie in der Druckerstraße abgestellt hatte. Eine matschige Rest-Schneeschicht bedeckte das Dach des Golf.

Georg nickte. »Das war eine Lebefrau, sag ich dir. Kein Kind von Traurigkeit, wie es meine Mutter früher immer nannte.«

»Mach es nicht so spannend«, rief Franka. »Was ist los mit dem Computer?« Sie schloss die Türen auf und klemmte sich hinter das Lenkrad. Der Motor sprang mit der ersten Drehung am Zündschlüssel an. Georg ließ sich auf den für seine Gestalt viel zu kleinen Beifahrersitz sinken. »Wie ihr ja schon rausgefunden habt, war die Frau als Sexmodel tätig. Sie war in unzähligen Foren angemeldet, und auch auf den Datenbanken diverser Fotografen taucht sie immer wieder mit ihren Bildern auf.«         

»Sie hat, glaube ich, eine Karriere als Model angestrebt - also hauptberuflich, meine ich«, überlegte Franka, legte den ersten Gang ein und fuhr los. Obwohl es noch nicht sehr spät war, herrschte kaum noch Betrieb auf den Straßen. Es war ein ungemütlicher Abend in der Stadt, und wer bei diesem Sauwetter nicht unbedingt raus musste, blieb lieber zuhause. Franka fröstelte und sie sehnte sich nach einem heißen Bad und einem Erkältungstee. Ihre Glieder schmerzten, und im Hals machte sich ein trockenes Kratzen breit.

»Mit solchen Fotos kann man sich eine ernsthafte und seriöse Karriere als Fotomodell aber ganz schnell versauen«, antwortete Georg. »Ich habe in einem Forum gelesen, dass unter den Fotografen einige Lustmolche unterwegs sind, die zwar ein hohes Honorar bieten, aber der Vorteil für das Model ist eher temporär. Sie hat zwar im Augenblick mehr Geld in der Tasche, wird aber danach nicht mehr gern gebucht - jedenfalls nicht von seriösen Aktfotografen.«

»Was denkst du? Ist sie auf einen solchen Fotografen reingefallen? Ich könnte mir vorstellen, dass sie die Szene ganz gut kannte. Dumm scheint sie nicht gewesen zu sein. Vielleicht war sie extrem zeigefreudig, übrigens sehr zum Ärger ihres festen Freundes.«

»Es gibt viele Fotografen, die so was wie die Setkarten ihrer Models online stellen. Aber daran kann man nicht unterscheiden, ob es sich um einen einigermaßen seriösen Fotografen handelt.«

»Das scheint mir ein ziemlich tiefer Sumpf zu sein«, murmelte Franka. Sie ahnte, dass sie auch zuhause keinen Abstand zum Job gewinnen würde. Immerhin lag der dicke Aktenordner, den Georg ihr in die Hand gedrückt hatte, auf der Rücksitzbank und wartete darauf, gelesen zu werden.

»Allerdings. Es ist nicht meine Aufgabe, aber ich würde euch raten, all diese Fotografen, die hier unterwegs sind, mal auf die Nerven zu gehen.«

»Woher weiß ich, wo welcher Fotograf sitzt und arbeitet?«

»Ich habe eine Liste ausgedruckt«, strahlte Georg. »Ist alles in dem Ordner. Übrigens kannst du mich da vorne an der Kreuzung raus lassen, den Rest schaffe ich zu Fuß.«

»In Ordnung.« Franka setzte den Blinker und steuerte den Wagen an den Straßenrand. Georg löste schwerfällig den Sicherheitsgurt und schälte sich aus dem Wagen. Draußen angekommen, hielt er den Kopf noch mal ins Wageninnere, grinste und sagte: »Dank dir fürs Mitnehmen. Und mach dir einen schönen Feierabend. Versuch mal abzuschalten.« Damit knallte er die Tür zu und stapfte hinaus in die nasskalte Nacht.

Als Franka anfuhr, seufzte sie. »Leichter gesagt als getan.«