11.55 Uhr
Als der Schlüssel in die Haustüre gesteckt und schnell umgedreht wurde, zuckte sie zusammen. Mit klopfendem Herzen fuhr sie auf dem Absatz herum. Ihr Mann Max stand im kleinen Flur und drückte die Tür hinter sich ins Schloss. Er lächelte, doch seine Miene wirkte maskenhaft, falsch und aufgesetzt. Fast bereitete er ihr Angst. Schneeflocken hatten sich in seinem dichten Haar verfangen und schmolzen jetzt in der warmen Luft. Seine Wangen waren rot. Max trat näher, beugte sich vor und hauchte ihr mit mechanischen Bewegungen einen Kuss auf den Mund. Seine Lippen waren kalt und hart. Sie wäre um ein Haar zurückgewichen.
»Was machst du denn schon hier?«, fragte sie schließlich, nachdem sie die erste Überraschung über sein plötzliches Auftauchen verarbeitet hatte.
»Du freust dich gar nicht.« Das war eine Feststellung, und in seiner Stimme schwang Bedauern mit. Das Lächeln verschwand aus seinem Gesicht.
»Doch, schon, aber es ist…«, stammelte sie und spürte, wie ihr das Blut bis unter die Haarspitzen schoss. Sie mied seinen Blick und rührte in den Töpfen. Mit einem hektischen Blick auf die Küchenuhr an der Wand stellte sie fest, dass die Kinder in einer halben Stunde nach Hause kommen würden.
»… zu früh?« Max kicherte. »Ich habe früher Feierabend gemacht, um dich zu überraschen.«
»Na, das ist dir gelungen.«
»Ich war noch in der Apotheke und habe dein Medikament abgeholt.« Er zog eine kleine Tablettenpackung aus der Tasche und legte sie auf die Arbeitsplatte der Küchenzeile. »Hier«, sagte er. »Damit wirst du durchschlafen können.« Er kaute nachdenklich auf der Unterlippe. »Heute Abend habe ich aber noch einen Termin in der Zentrale. Die Geschäftsleitung kommt, um … ist auch egal, ich möchte dich nicht langweilen.«
»Tust du nicht. Wir können auch gleich essen.« Sie trat hinter ihn und schlang ihre Arme um seine Hüften. Er ging nicht auf ihre Bemerkung ein, trat an das Küchenfenster und blickte hinaus in die graue Winterlandschaft. Verlassen lag die Straße da. Aus den Schornsteinen der umliegenden Häuser kräuselte sich der Rauch in den bewölkten Himmel. Eine Katze schlich sich durch den Schnee, eine alte Frau führte einen angeleinten Dackel hinauf zur Talsperre.
»Schön, dass du da bist«, sagte sie leise.
»Was wollten die?«, fragte Max leise, ohne sich zu seiner Frau umzudrehen.
»Was? Wer?«
»Du weißt genau, wen ich meine. Der Mann und die Frau. Sie sind mir entgegengekommen. Waren sie bei dir?«
»Ach so, die beiden Polizisten.«
»Schon wieder die Bullen?«
»Ja, es ging noch mal um Mandy und Thomas. Du klingst ja fast, als würde es dich stören, dass sie Mandys Mörder suchen.«
»Sie sollen ihn nicht hier suchen, nicht bei uns. Unser Haus ist anständig. Ich will nicht, dass sie zu uns kommen und das Haus in den Dreck ziehen. Ich möchte nicht, dass wir uns im Dunstkreis des Mörders bewegen. Sie sollen uns nicht verdächtigen …«
»Aber das tun sie auch gar nicht«, erwiderte sie, ein wenig erschrocken über die schroffe Art ihres Mannes. Was war nur los mit ihm? Seit Tagen schon war er so seltsam zu ihr. Er arbeitete viel, und wenn er dann spät abends nach Hause kam, war er meist kurz angebunden und müde. Kaum, dass sie mehr als drei Sätze miteinander gewechselt hatten, ging er ins Bad und machte sich bettfertig. Schlief schnell ein, um in den frühen Morgenstunden schon wieder das Haus zu verlassen. So wie in der letzten Zeit kannte sie ihren Mann von früher gar nicht. Schon mehrmals hatte sie überlegt, ob er sich eine Geliebte zugelegt hatte, mit der er jetzt seine Zeit verbrachte. Sie konnte schlecht überprüfen, ob er tatsächlich so viel arbeitete, wie er immer behauptete.
Max drehte sich langsam zu ihr um und blickte ihr tief in die Augen.
»Was hast du ihnen erzählt?«
»Wie Mandy so war.«
»Und noch?«
»Nichts und noch. Was stört dich daran, wenn die Polizei ihre Arbeit tut, um den Mord an meiner Schwester aufzuklären? Manchmal verstehe ich dich nicht, wirklich.« Petra blickte ihren Mann vorwurfsvoll an. Und sie fragte sich plötzlich, wo er die letzten Stunden verbracht hatte.
»Wo steht denn dein Auto?«, fragte sie zaghaft, fast so, als fürchtete sie sich vor seiner Antwort. Da er im Außendienst tätig war, bekam er von seinem Arbeitgeber einen Dienstwagen gestellt. So konnte sie den Skoda der Familie nutzen, um damit private Erledigungen zu machen und die Kinder zum Sport zu fahren, während er mit dem Geschäftsfahrzeug unterwegs war.
Er arbeitete als Bezirksleiter einer großen Drogeriemarktkette, die derzeit expandierte. Zahlreiche neue Filialen wurden gebaut und mussten eingerichtet werden. Er war nun auch für die Erstausstattung der neuen Läden verantwortlich. Manchmal war er tagelang unterwegs und rief sie aus irgendwelchen Hotels an. Aber sein Job war gut bezahlt und relativ sicher. Überall entstanden auf der so genannten »grünen Wiese«, am Rande der Städte, neue Einkaufszentren. In diesen Parks war meist auch eine neue Verkaufsstelle der Kette vorgesehen, für die er arbeitete.
Sie ziehen alles aus den Städten ab. Sie pressen sie aus wie eine Apfelsine, dachte sie unwillkürlich.
In seiner Position wäre es ein Leichtes für ihn gewesen, seiner Schwägerin Mandy einen Job in einer seiner Filialen zu besorgen. Warum hatte er es nicht getan?
Der Wagen ist in der Werkstatt, ich habe mir ein Taxi genommen«, erwiderte er tonlos und strich ihr sanft durch das Haar. »Und ich habe früher Feierabend gemacht, weil ich bei dir sein wollte. In den letzten Tagen habe ich oft genug bis spät in die Nacht arbeiten müssen.« Jetzt drehte er sich zu ihr um und blickte ihr lächelnd in die Augen. »Ich habe fast vergessen, wie schön meine Frau ist«, bemerkte er leise. Er beugte sich zu ihr herunter, und sie spürte, wie ihre Knie weich wurden. Er schaffte es immer wieder, sie in seinen Bann zu ziehen. Ihre Zweifel, ob er tatsächlich Überstunden geschoben hatte, schmolzen dahin wie Butter in der Sonne. Sanft berührten seine Lippen ihren Mund, erst zögernd, dann immer leidenschaftlicher küssten sie sich. Max schickte seine Hände auf Wanderschaft. Sie glitten unter ihren Pulli, schoben den BH zur Seite und massierten ihre Brüste. Petra ließ es geschehen, hatte sich schon viel zu lange nach seiner Liebe und Zuneigung gesehnt. Während er sich an ihrer Kleidung zu schaffen machte, strich sie ihm den Mantel von den Schultern, löste seinen Krawattenknoten und knöpfte ihm das Hemd auf. Wie gut er duftet, dachte sie voller Verlangen und zog ihn ins Schlafzimmer. Um ein Haar hätte sie vergessen, die Herdplatten auszuschalten.