19.35 Uhr
Das Atelier lag direkt neben dem Wohnzimmer. In den gut zehn Quadratmeter großen Raum gelangte man nur über eine einzige Tür, die ebenfalls vom Korridor her abzweigte. Sie stand etwas unsicher im Türrahmen und betrachtete Clays Atelier. Die Fenster waren mit blickdichten schwarzen Tüchern verhüllt. Auch die Wände waren schwarz gestrichen. Die einzigen Lichtquellen waren Kerzen, die in fünfarmigen Haltern steckten. Das zuckende Licht der Flammen ließ den Raum unheimlich erscheinen. Lange Schatten geisterten über die Decke und den Dielenboden. Möbel gab es keine; nur in der Mitte des Raumes stand eine Pritsche, die mit dunklem Stoff abgehängt war - möglicherweise versteckte sich ein ganz normaler Esstisch darunter.
Erst jetzt entdeckte Mandy einen Sessel, der in einer Ecke des Zimmers stand. Vermutlich würde sie sich gleich auf diesem Sessel räkeln dürfen. Sie spürte, wie die Aufregung wuchs. Die Stimmung in Clays Atelier war bedrückend und gleichermaßen anregend. So etwas hatte sie noch nie erlebt. Schwer hing der süßliche Duft der schwarzen Kerzen in der Luft.
Mandy atmete tief durch und fühlte sich benebelt. Sie gab dem zu schnell getrunkenen Whisky die Schuld daran und nahm sich vor, bei künftigen Shootings nur noch alkoholfreie Getränke zu sich zu nehmen.
Die technische Ausstattung von Clays Atelier hielt sich in Grenzen. Es gab lediglich zwei Stative, einen Fotoapparat und eine recht einfache Blitzanlage. Auf einem Tischchen in der Ecke stand ein Laptop, an dem man die gemachten Aufnahmen gleich betrachten konnte.
»Ich bin Minimalist«, lächelte Clay, der ihre Blicke beobachtet hatte. »Kerzenlicht fasziniert mich. Es bedeutet viel mehr als technischen Schnickschnack.«
»Und die Belichtung? Ich meine, wie kriegst du das hin, nur mit dem Kerzenlicht?«
»Lass mich mal machen. Ich blitze mit weichem Streulicht, den Rest erledigt eine manuell gewählte lange Verschlusszeit. Aber das ist Fachchinesisch. Vertrau mir einfach.« Er lächelte, und Mandy konnte dieses Lächeln nicht recht einordnen. Sie erwischte sich bei dem Gedanken, dass sie froh war, wenn sie das Shooting hinter sich hatte.