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22.35 Uhr

Er hockte über ihr und betrachtete zufrieden, wie das Leben aus ihrem schlanken Körper wich. Sie verdrehte die Augen und bäumte sich ein letztes Mal auf, dann sackte sie leblos unter ihm zusammen.

Bleiern lag die Tote auf ihrem Sitz. Die Spannung in ihrer Hüfte ließ nach. Schlaff fielen die Beine zur Seite, und langsam zog er sich aus ihr zurück. Ihr Oberkörper war blutüberströmt. Noch immer hatte er den Geschmack ihres Fleisches im Mund. Genießerisch leckte er sich über die Lippen. Ganz zart war ihr Fleisch gewesen. Als er sich umblickte, sah er, dass der ganze Innenraum des Wagens blutverschmiert war. Auf den Sitzen, den Türverkleidungen, teilweise sogar auf den Seitenscheiben, befanden sich Blutspritzer. Er blickte an sich herunter und stellte beruhigt fest, dass er selber relativ sauber geblieben war. Vermutlich war nur sein Gesicht mit Blut beschmiert. Das würde er gleich im Innenspiegel überprüfen und sich säubern, bevor er den Heimweg antrat. Auf dem Hemd befanden sich einige verräterische, dunkelrote Spuren. Wenn er den Mantel überzog, würde er nicht auffallen, und zuhause konnte er es entsorgen.

Sein Blick glitt über den leblosen Körper der jungen Frau. Sie wirkte auch im Tod noch so makellos, so unschuldig. Die tiefe Wunde in ihrem Oberkörper empfand er als ästhetisch und sehr anziehend. Klaffende Wunden zierten Hals, Gesicht und die linke Brust. Er hatte die Brustwarze aus ihr herausgebissen und sie verschluckt. Zufrieden beugte er sich über sie. Seine Zunge glitt über die Wunden. Der Geschmack ihres noch warmen Blutes erregte ihn erneut.

Es war eigenartig gewesen. Eigentlich hatte er gar nicht vorgehabt, sich in dieser Nacht ein Opfer zu suchen. Spontan hatte er seinem Verlangen nachgegeben. Nicht sofort, erst nach einigen Kilometern, die sie gemeinsam im Wagen verbracht hatten. Sie war eine schöne Frau gewesen. So gebildet.

Eine junge Architektin sei sie, hatte sie ihm bereitwillig Auskunft gegeben. Alles an ihr hatte nach Geld gerochen. Der Wagen, ihre Kleidung, das Parfüm. Kam von einem Kundentermin und war unterwegs in ihre teure Dachgeschosswohnung in der Stadtmitte. Dort wartete niemand auf sie. Ein Single, eine Karrierefrau. Emanzipiert, und trotzdem war sie begehrenswert gewesen. Der Gedanke, sie zu seinem Opfer zu machen, war ihm spontan in den Kopf gestiegen und hatte fortan sein Denken und Handeln beherrscht.

Er hatte gefühlt, wie das Verlangen in ihm aufgestiegen war und er hatte seiner Gier nachgegeben. Die Bestie in ihm war erwacht.

Es war, als wäre er innerhalb weniger Minuten zu einem anderen Menschen mutiert. Zu einem anderen Wesen.

Sie war vorsichtig und misstrauisch ihm gegenüber gewesen, doch das hatte sie nicht geschützt vor dem, was er mit ihr getan hatte. Und trotz ihrer Vorsicht hatte sie nichts von der Metamorphose, die in diesem Augenblick auf dem Beifahrersitz stattgefunden hatte, mitbekommen. Warum also hätte er warten sollen? Es war eine verlassene Landstraße, es schneite, und in diesem Waldstück hielt sich um diese Zeit kein Mensch auf. Niemand, der ihn störte. Das waren die Gedanken, die ihn dazu bewogen hatten, sich dieses Opfers zu bemächtigen. Mit etwas Glück vergingen Tage, bis man ihre Leiche hier fand. Diesmal musste er sie nicht wegschaffen, um seine Spur zu verwischen. Eigentlich konnte er zufrieden sein mit dieser Nacht, die ja gerade erst begann. Er freute sich schon auf die Zeitungsmeldungen, wenn sie ihren Leichnam gefunden hatten. Dann würde es keine Spur mehr geben, die zu ihm führte.

Mit einem teuflischen Grinsen stieg er aus und wischte sich das Blut im Gesicht mit einem Papiertuch ab, das er im Handschuhfach gefunden hatte. Die Kälte, die draußen herrschte, spürte er gar nicht. Er zupfte sich das Hemd zurecht, zog die Hose aus dem Fußraum des Beifahrersitzes hervor und schlüpfte hinein. Anschließend zog er den langen schwarzen Mantel über und knöpfte ihn zu.

Angezogen stand er neben dem Wagen und betrachtete zufrieden sein Werk. Schön war sie gewesen. Schön hatte sie im Augenblick des Todes ausgesehen. Und er hatte den Moment bestimmt, in dem sie aus dem Leben geschieden war. Er hatte sie besessen, hatte über Leben und Tod entschieden. Sie war sein Donar geworden.

Donare. So nannte man in seiner Welt die Opfer. Menschen, die ihr Leben ließen, um seine Gier zu stillen.

Seine Blutopfer.