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10.30 Uhr

»Bearbeiten Sie jetzt auch Einbrüche?« Karla Baumann war überrascht. Das Make-up konnte die dunklen Ringe unter ihren Augen nicht vertuschen. »Ich dachte, Sie sind von der Mordkommission.«

Franka und Micha tauschten einen Blick. »Wie meinen Sie das?«

»Bei uns ist doch eingebrochen worden. Ich habe die Polizei angerufen und die Sache gemeldet. Und jetzt warte ich darauf, dass der Fall aufgenommen wird. Ihrer Verwirrung entnehme ich, dass Sie nicht wegen des Einbruchs kommen?«

»Allerdings. Dürfen wir reinkommen?«

Die Ereignisse überschlugen sich. Karla Baumann schien noch nichts vom Tod ihres Mannes zu wissen. Das hatten sie befürchtet. Franka hatte einen Kloß in der Kehle. Sie hasste es, Angehörigen die Nachricht vom Tod eines nahe stehenden Menschen überbringen zu müssen. Micha hielt sich hinter ihr auf. Unterwegs hatte sie versucht, ihn zu überreden, Karla Baumann vom Tod ihres Mannes zu unterrichten - vergeblich. »Mach du das mal, ihr Frauen seid da viel sensibler als wir Kerle«, hatte Micha gesagt und sich mit aller Gewalt gesträubt. Und nun standen sie vor Baumanns Haus.

Karla Baumann nickte. »Natürlich. Kommen Sie herein.« Sie gab den Eingang frei und führte die Kommissare in das Wohnzimmer. Es war sauber und aufgeräumt. Etwas anderes hätte Franka auch gar nicht erwartet. Frau Baumann zeigte auf die lederne Sitzgruppe, die sich um den niedrigen Glastisch herum zog. »Nehmen Sie Platz.« Jetzt lächelte sie. »Haben Sie keine Angst, ich weiß, dass man nach einem Einbruch nichts anfassen soll, wegen der Fingerabdrücke. Aber hier in diesem Raum waren die Diebe nicht.«

»Was macht Sie da so sicher?« Micha runzelte die Stirn.

»Sehen Sie sich um. Es ist aufgeräumt, und es fehlt nichts. Die Diebe hatten es auf das Büro meines Mannes abgesehen. Dort sieht es aus wie nach einer Explosion.«

»Das tut uns leid.« Micha und Franka sanken auf die Ledercouch. Karla Baumann zog es vor, in ihrem gefütterten Hausanzug stehen zu bleiben.

Franka achtete auf jede Regung im Gesicht der wohlhabenden Frau. »Es tut uns leid, Ihnen mitteilen zu müssen, dass Ihr Mann tot ist.«

Karla Baumanns Miene wirkte versteinert, als sie langsam nickte. Dann ihre überraschende Redaktion: »Ich wusste es. Irgendwie wusste ich, dass das eines Tages geschehen wird.« Mit einer fahrigen Handbewegung fuhr sie sich durch das kastanienrote Haar. Sie sank zitternd auf die Lehne des Sessels und barg das Gesicht in den Händen. Für Karla Baumann brach gerade eine Welt zusammen, auch, wenn sie sich nach außen hin so beherrscht zeigte, wie es nur irgendwie ging.

»Er wurde das Opfer eines Gewaltverbrechens.«

»Musste er leiden?«

»Nein. Wie uns der Arzt mitteilte, wurde er mit einem einzigen Schuss getötet, abgegeben aus nächster Nähe.«

Micha überließ Franka das Reden.

»Gut.«

»Gut?« Franka glaubte, sich verhört zu haben. »Sie sagen gut? Wie habe ich das zu verstehen?«

»Gut, dass er nicht leiden musste.« Karla Baumann blickte ihre Besucher unverwandt an. »Ich weiß nicht, ob das der richtige Moment ist, um darüber zu sprechen, aber unsere Ehe bestand doch lediglich auf dem Papier. Wir hatten uns meilenweit auseinander gelebt.«

»Warum haben Sie sich nicht einfach scheiden lassen?«

Karla Baumann lachte humorlos auf. Sie blickte sich im Raum um und breitete die Arme aus. »Schauen Sie sich um! Es geht uns gut. Mein Mann ist, das heißt, er war verdammt wohlhabend. In seiner finanziellen Situation konnte er mir jeden erdenklichen Luxus bieten. Wir haben uns nicht ständig gestritten, falls Sie das meinen. Wir waren das klassische alte Ehepaar. Man lebt gemeinsam im selben Haus, man sieht sich zum Essen, man redet über das, was einen bewegt. Aber die Zärtlichkeit, die innige Liebe und die Zuneigung, das hat sich irgendwann verloren. Und so lebten wir nebeneinander her und genossen das Leben in vollen Zügen. Wir waren wie zwei alte Schluffen, die keiner mehr wegschmeißt.«

»Sagt Ihnen der Name Mandy Klimmek etwas?«

»Ist das eine seiner Gespielinnen gewesen?«

»Wie meinen Sie das?«, mischte sich Micha nun doch ein.         

»Er hatte einige Frauen. Ich wusste davon, doch es interessierte mich nie sonderlich. Irgendwann ist man immun gegen so was. Wissen Sie, ich habe mir auch ab und zu einen Callboy geleistet, der mir das gab, was ich von Klaus schon lange nicht mehr bekam. Wenn Sie verstehen?«

»Natürlich.« Micha nickte entgeistert.

»Wer ist diese, wie hieß sie gleich? Mandy …«

»Klimmek, Mandy Klimmek«, half Franka ihr.

Karla Baumann dachte nach und schüttelte schließlich den Kopf.

»Nein, nie gehört.«

»Mandy Klimmek wurde ermordet. Vergewaltigt und ermordet. Für die Tatnacht hat uns Ihr Mann ein Alibi genannt. Ein falsches Alibi, denn Sie haben uns bereits berichtet, dass er in der betreffenden Nacht nicht nach Hause kam. Haben Sie eine Idee, wo er gewesen sein könnte?«

»Steht er denn unter Mordverdacht? Also, stand?«

»Er befand sich jedenfalls bis zu seinem Tod im Kreise der Verdächtigen, um es mal so zu nennen«, erklärte Micha. »Also: Wo war Ihr Mann in der betreffenden Nacht?«

»Vermutlich hat er sich die Zeit mit einer dieser kleinen Schlampen in einem Hotel vertrieben.«

»Kannten Sie seine weiblichen Kontakte?« Micha drückte sich vorsichtig aus.

»Nein. Es hat mich, wie gesagt, nicht interessiert. Warum hätte ich mich quälen sollen?« Fast klang sie trotzig. Jetzt traten Tränen in ihre Augen. Sie zog ein Taschentuch aus der Hosentasche und schnäuzte sich die Nase. »Ich werde alles erben«, flüsterte Karla Baumann. »Alles. Das Haus, die Firma, den Wagen, alles wird mir gehören.« Sie wischte sich mit dem Handrücken Tränen aus dem Gesicht. Dabei verwischte ihre Schminke. »Verhaften Sie mich jetzt?«

»Warum fragen Sie?«

»Immerhin bin ich als Alleinerbin seines gesamten Vermögens eingetragen. Ist das nicht Mordmotiv genug?«

Franka ging nicht auf die Frage ein. »Haben Sie eine Idee, wer Ihren Mann umgebracht haben könnte?« Insgeheim machte sie sich darauf gefasst, dass Karla Baumann ihr jetzt eine lange Liste nennen würde. Doch die Witwe schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte sie mit ruhiger Stimme. »Natürlich hatte er nicht nur Freunde. Natürlich war er in der Branche für seine rüden Methoden bekannt. Aber einen Mord? Nein, ich wüsste nicht, wer einen Mord riskieren würde, um ihn los zu werden.«

»Wir werden seinen Computer beschlagnahmen müssen«, bemerkte Micha.

Jetzt lachte Karla Baumann humorlos auf. Sie schüttelte den Kopf.

»Da kommen Sie zu spät.«

»Warum?«

»Weil die Diebe unter anderem den Computer meines Mannes mitgenommen haben. Was sonst, weiß ich noch gar nicht so genau.«

»Das klingt, als ginge es den Einbrechern um die Daten, die sich auf der Festplatte befanden«, überlegte Micha. »Die Diebe wollten verhindern, dass wir den PC mitnehmen können.«

»Ich fürchte, ich verstehe nicht ganz«, erwiderte Karla Baumann.

»Wir hatten ebenfalls vor, den Rechner Ihres Mannes mitzunehmen, um ihn auf für uns relevante Daten zu untersuchen. Immerhin ist er ermordet worden. Und da er ein Geschäftsmann war und sicherlich nicht nur gute Freunde hatte, drängt sich uns der Verdacht auf, dass er seinen Mörder kannte. Möglicherweise hatte er sogar mit ihm E-Mail- Kontakt, oder die Adresse des Mörders tauchte in einem Adressverzeichnis auf.«

»Und jetzt stehen Sie mit leeren Händen da?«

»So sieht es aus«, nickte Micha und unterdrückte einen Fluch. »Dürfen wir das Büro sehen?«

»Natürlich.« Sie rutschte von der Sessellehne herunter. »Kommen Sie.«

Die beiden Beamten folgten Karla Baumann durch die Halle zur Tür, die in das Büro führte. An der Schwelle blieben sie stehen. Die Frau, die heute Nacht zur Witwe geworden war, öffnete die Tür. Franka und Micha bot sich ein Bild der Zerstörung. Alle Aktenschränke waren umgekippt worden, der Inhalt der Regale verteilte sich auf dem Boden. Auch der Schreibtisch war leergefegt - im wahrsten Sinne des Wortes. Bücher, Mappen, lose Papiere, und dazwischen immer wieder Büromaterial. Der Monitor des Computers war zwar noch vorhanden, aber auch er lag zerstört auf dem Boden. Eines der Fenster stand offen. Der Wind fegte hinein und blähte die Jalousienvorhänge zur Seite.

»Na Mahlzeit«, entfuhr es Micha. »Die haben sich aber nicht gerade in Acht genommen. So wie das hier aussieht, haben die einen Höllenlärm veranstaltet.« Er wandte sich zu der Witwe um.

»Haben Sie nichts davon gehört?«

Karla Baumann wich seinem Blick aus und starrte auf den Fußboden. »Ich … ich war nicht zuhause letzte Nacht. Das heißt, ich bin erst in den Morgenstunden nach Hause gekommen. Gegen zwei Uhr muss das gewesen sein. Der Wagen meines Mannes stand nicht vor der Tür, also dachte ich, dass er noch unterwegs sei. Deshalb bin ich auch nicht noch mal ins Büro gegangen, sondern bin sofort hoch. Unsere Schlafzimmer liegen im ersten Stockwerk. Ich weiß nicht, ob die Einbrecher zu diesem Zeitpunkt schon da waren. Aber Sie haben recht, sicherlich hätte ich etwas von dem Lärm, den sie hier veranstaltet haben, mitbekommen.«

»Dürfen wir wissen, wo Sie gestern Abend waren?«

»Natürlich. Ich habe mich mit alten Freundinnen getroffen. Das tun wir ein-, zweimal im Monat. Wir gehen etwas essen und meist danach noch in eine Bar, wo wir den Frauenabend in gemütlicher Runde ausklingen lassen.«

Franka warf Micha einen schnellen Blick zu, und er gab ihr unauffällig zu verstehen, dass er wusste, worauf sie hinaus wollte.

»Sicherlich können Sie uns die Namen der Damen nennen, mit denen Sie gestern unterwegs waren.«

»Natürlich, das können Sie gern überprüfen.« Karla Baumann vergaß, dass sie Spuren verwischen konnte, als sie zum Schreibtisch ihres Mannes ging, sich ein Blatt Papier und einen Stift nahm, um die Namen der Freundinnen samt Adressen und Telefonnummern zu notieren. Auch den Namen des Lokals, in dem sie zuletzt gesessen hatten, schrieb sie auf.

»Hier«, sagte sie. »Das sind alle Angaben, die ich machen kann.« Dann lachte sie ein wenig hysterisch auf. »Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass ich … dass ich Klaus umgebracht habe?«

»Wir glauben gar nichts«, erwiderte Franka und nahm den Zettel an sich. »Wir müssen nur jeder Spur nachgehen und alles überprüfen.« Sie lächelte. »Danke erst einmal für Ihre Mithilfe.«

Als es an der Tür klingelte, blickten sie auf.

»Das werden Ihre Kollegen vom Einbruchsdezernat sein«, murmelte Karla Baumann.