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12.05 Uhr

Unruhig wie eine Löwin im Käfig war sie durch die Wohnung gelaufen. Roland arbeitete. Er hatte die Hauptschicht übernommen und würde erst am späten Nachmittag nach Hause kommen. Sie zog die Gardinen auseinander und blickte hinaus in den grauen Wintertag. Sie verspürte keine große Lust, ihre wohlig warme Wohnung heute noch einmal zu verlassen.

Ihr war schlecht. Die privaten Probleme mit Roland, und dann noch der viele Alkohol waren ihr auf den Magen geschlagen. Sie überlegte, ob sie sich heute krank melden sollte. Ihre Schicht begann am Nachmittag, und sie haderte mit sich. Sie wollte ihrer Verantwortung gerecht werden, natürlich. Andererseits war sie heute alles andere als fit. Sie dachte an ihre Bekanntschaft aus dem Chat. Dark Lord … das klang so geheimnisvoll und düster. Sie fühlte sich von dieser Dunkelheit angezogen.

Rebecca blieb vor dem Computertisch stehen. Sollte sie es wagen? Roland hatte sie gestern wieder beleidigt und für verrückt erklärt. Er hatte einfach kein Verständnis für sie. War es da nicht legitim, sich bei einem anderen Mann, der so dachte wie sie, Rat zu suchen? Minutenlang haderte sie mit sich. Dann schaltete sie den Rechner ein und ging ins Internet.

Ihre Finger zitterten vor Aufregung, als sie ins Forum ging. Tatsächlich, Dark Lord war online. Sie hatte seinen anderen Namen bereits kennen gelernt. Clay.

Eilig tippte sie eine Begrüßung.

›Hallo Dark Lord.‹

Der Cursor blinkte nur kurz, dann antwortete er.‹

›Ich grüße dich, Königin der Nacht. Musst du nicht arbeiten?‹

›Nein. Erst um zwei.‹

›Dann haben wir ja noch etwas Zeit. Wie geht es dir heute?‹

›Ich hatte Streit mit meinem Mann.‹

›Wegen deiner Neigungen?‹

›Ja. Er hat kein Verständnis dafür und hat mich wüst beschimpft.‹

›Das hast du nicht verdient. Vielleicht ist er doch nicht der richtige Mann für dich.‹

›Daran habe ich auch schon gedacht.‹

›Willst du vielleicht reden? Wollen wir uns verabreden? Im realen Leben, nicht über das Forum?‹

Es trat eine kleine Pause ein, und die Buchstaben in dem kleinen Chatfenster verschwammen vor ihren Augen zu einer breiigen Masse. Rebeccas Aufregung steigerte sich. Er hatte sie wirklich gefragt, ob sie sich mit ihm treffen wollte, um ihm ihr Herz auszuschütten. Sollte sie es riskieren? Immerhin war er ein wildfremder Mann für sie. Sie wusste nicht, wie er aussah, sie kannte seine Stimme nicht, sie wusste nicht, was er womöglich im Schilde führte. Vielleicht sollte sie sich mit ihm an einem neutralen, möglichst öffentlichen Ort treffen.

›Bist du noch da?‹

›Ja.‹

›Gut, treffen wir uns.‹

Sie zögerte, dann betätigte sie die Eingabetaste.

›In einer Stunde?‹

›Das passt. Von da aus werde ich dann gleich zur Arbeit fahren.‹

›Gut. Komm zu mir.‹

Er nannte ihr seine Anschrift. Rebecca atmete erleichtert auf. Was sollte ihr schon geschehen? Er hatte ihr seine Adresse genannt. Das hätte er bestimmt nicht getan, wenn er Böses im Schilde führte. Trotzdem war ihr ein Treffpunkt, an dem sich auch andere Menschen befanden, lieber. Sie schrieb ihm ihre Zweifel.

›Lieber wäre es mir in einem Cafe oder Restaurant. Ist nichts Persönliches, ich will nur sicher gehen.‹

›Das verstehe ich. Aber vormittags gehe ich generell nicht aus dem Haus. Es ist mir zu hell, wenn du verstehst?‹

›Natürlich.‹

Wieder zögerte sie. Eigentlich sollte sie dem Treffen nicht zustimmen. Eigentlich war es ihr zu unsicher, einen Fremden in seiner Wohnung zu besuchen. Andererseits spürte sie das dringende Bedürfnis, sich ihm anzuvertrauen. Rebecca rang mit sich. Sie starrte auf den blinkenden Cursor, ihre Finger kreisten über der Tastatur, ohne einen Buchstaben zu schreiben. Ihr wurde heiß.

›Also gut. Ich werde in einer Stunde da sein.‹

›Ich freue mich, Königin der Nacht.‹

Sie sah, wie er sich abmeldete. Minutenlang saß sie auf dem Stuhl und betrachtete den Monitor, doch er blieb offline. Vermutlich musste er jetzt schnell noch seine Bude aufräumen, dachte sie schließlich amüsiert. Dann verließ auch sie das Internet und machte sich fertig. Roland würde schon sehen, was er von seinem Verhalten hatte.