9 Ein neues Leben aufbauen

Im letzten Kapitel habe ich Ihnen einiges zugemutet. Jetzt ist es an der Zeit, die Hilfsmittel zum Abtauchen anzuwenden, ob Sie nun planen, das Land zu verlassen, einem Stalker auszuweichen oder einfach nur etwas tiefer unterhalb des Radars zu fliegen.

Der Tag Ihres Verschwindens könnte der wichtigste Ihres Lebens werden. Stellen Sie es sich als Tod und Wiederauferstehung in einem neuen Leben unter den Verschwundenen vor. (Nehmen Sie diese Metapher aber bitte nicht zu wörtlich und täuschen Sie nicht Ihren eigenen Tod vor – das ist keine so gute Idee, wie ich in dem Kapitel »Pseudozid 101« noch erläutern werde.)

Sie sind drauf und dran, bald schon zu den Menschen zu gehören, die ein geschütztes, ruhiges Privatleben frei von Angst führen. Aber sobald Sie den Absprung geschafft haben, gibt es vielleicht kein Zurück mehr. Sie sollten sich deshalb fragen: Ist mein Ausstiegsplan makellos? Haben Sie es Ihren Verfolgern so schwer wie möglich gemacht, Sie zu finden? Haben Sie Ihre Arbeit nochmals von einem Privatdetektiv überprüfen lassen? Ist Ihnen auch nur ein winziger Patzer unterlaufen?

Wenn Sie sicher sind, dass Sie alle Hinweise gelöscht oder verfälscht haben, die zu Ihnen führen könnten, wenn Sie falsche Fährten für einen Verfolger gelegt und sich mit allem gerüstet haben, was Ihnen das Untertauchen erleichtert, sind Sie bereit zu verschwinden. Aber behalten Sie diesen Spruch im Gedächtnis, während Sie Ihre Taschen packen:

Bleibst du wachsam, so bleibst du lebendig.

Seien Sie wachsam, wenn Sie aufbrechen. Passen Sie auf, dass Sie nicht beobachtet werden, wenn Sie die Stadt verlassen, besonders dann, wenn Sie das Opfer eines Stalkers sind. Es könnte nicht schaden, einen Privatdetektiv anzuheuern, der Ihren Peiniger überwacht, um sicherzugehen, dass er nicht irgendwelche Schläger hinter Ihnen hergeschickt hat oder auf dem Dach des Nachbarhauses hockt, um Ihr Kommen und Gehen zu beobachten.

Angehörige verlassen

Wenn Sie einen Ehemann, eine Frau oder Kinder verlassen, hoffe ich, dass Sie es auf die richtige Weise tun (wenn es die gibt), indem Sie sich einen Anwalt suchen und ihnen Gelegenheit geben, dasselbe zu tun. Gehen Sie nicht einfach aus dem Haus, um eine Zeitung zu kaufen und nie zurückzukehren. Das ist einfach grundfalsch.

Wenn Sie sich keinen Privatdetektiv leisten können, bedienen Sie sich einer guten altmodischen Ablenkung. Einer meiner Kunden floh vor seinem Geschäftspartner aus der Stadt. Am Tag seines Verschwindens hielt ein Umzugswagen vor seinem Haus, lud all seine Habe ein und fuhr etwa anderthalb Stunden weit – zu einer gemeinnützigen Entrümpelungsfirma. Die Möbelpacker entluden alles und verschenkten es. Mein Kunde wusste, dass sein Partner das Haus von Detektiven überwachen ließ, die nun dem Umzugswagen in eine Sackgasse folgten, während er in den Zug sprang und zu glücklicheren Gestaden aufbrach.

Ganz gleich, wohin Sie gehen, sei es ans andere Ende der Stadt oder außer Landes, nehmen Sie keine gerade Route. Besteigen Sie eine Maschine nach Stockholm, fliegen Sie von dort nach Puerto Rico und nehmen hier ein kleines Wasserflugzeug, wenn Ihr Ziel Sint Maarten ist. Setzen Sie sich in einen Überlandbus nach Lyon, nehmen Sie ein Flugzeug nach Bukarest und von dort den Flieger zum Flughafen Kavala in Nordgriechenland. Unterschätzen Sie nicht die Person, die hinter Ihnen her ist, und denken Sie an den Duselfaktor. Selbst etwas so Läppisches wie der Kauf einer Zeitschrift auf einem Flughafen könnte Ihr Untergang sein.

Halten Sie sich auf dem Flughafen vom Zeitungskiosk und den Bars und Restaurants fern. Niemand muss wissen, dass Sie eine Reise unternehmen, außer den Sicherheitsleuten am Metalldetektor. Gehen Sie durch die Kontrolle direkt zu Ihrem Gate und warten Sie dort auf den Abflug.

Ich hoffe, Sie haben eine angenehme Reise. Es wird noch angenehmer für Sie, wenn Sie die komplizierten, aber entscheidenden Aufgaben erledigt haben, die notwendig sind, um ins Ausland zu gehen: Sie haben sich eine neue Wohnung besorgt, sich überlegt, wie sie dort Ihren Lebensunterhalt verdienen, darüber nachgedacht, wie Sie mit Ihren Lieben daheim Kontakt aufnehmen, und die anderen Details des alltäglichen Lebens geklärt, zum Beispiel wo Ihre Kinder zur Schule gehen, wenn sie mitkommen. Während Sie all das tun, haben Sie ein alles überragendes Ziel:

Werden Sie zu einem Wesen ohne zurückverfolgbare Verbindungen zu Menschen, Orten oder Dingen Ihrer Vergangenheit.

Sie können das leicht erreichen, indem Sie Ihr neues Leben methodisch und mit Sorgfalt planen. Gehen wir jeden Punkt auf Ihrer Aufgabenliste der Reihe nach durch. Beachten Sie, bevor wir beginnen, dass dieses Kapitel sehr allgemeine Prinzipien des Umzugs und Aufbaus eines neuen Lebens behandelt; die folgenden Kapitel werden dann auf die Einzelheiten eingehen, auf die Sie achten müssen, wenn Sie das Land verlassen, weil Sie etwa vor einem Stalker fliehen oder ein Identitätsdieb Sie zu ruinieren droht.

Dies vorausgeschickt, betrachten wir nun die Bausteine Ihres neuen Lebens.

Wohnen

Als Erstes müssen Sie sich um Ihre Wohnsituation kümmern. Wenn Sie ein neues Zuhause suchen, müssen Sie unbedingt darauf achten, dass kein Makler und keine Wohnungsgesellschaft Ihre Kreditwürdigkeit überprüft. Ein Detektiv könnte leicht auf die Anfrage stoßen und den Namen der Firma herausfinden, von der sie kam. Deshalb haben wir ja so viel Zeit darauf verwendet, Makler zu veranlassen, Bonitätsprüfungen vorzunehmen, als wir unsere falschen Fährten legten – es ist eine großartige Methode, um einen Verfolger, der Ihnen an den Fersen klebt, abzulenken. Um Bonitätsprüfungen zu vermeiden, ist es am besten, Maklern, großen Wohnungsgesellschaften und Hausverwaltungen gleich ganz aus dem Weg zu gehen. Ich empfehle Ihnen, eine Wohnung über Craigslist oder Schwarze Bretter vor Ort zu suchen. Solche Mietverhältnisse sind eher informell und nicht durch große Immobilienfirmen vermittelt. Nehmen Sie etwas zur Untermiete, wenn Sie können. Das ist ideal, weil die Wohnung offiziell auf den Namen des Vermieters oder Hauptmieters läuft, der an Sie weitervermietet, nicht auf Ihren Namen. Wenn Sie nichts zur Untermiete finden, suchen Sie private Vermieter, die ein Stockwerk ihres zwei- oder dreigeschossigen Hauses anbieten.

Haben Sie dabei keinen Erfolg, hoffe ich, dass Sie vor dem Untertauchen noch Zeit hatten, eine Firma zu gründen. Ansonsten holen Sie es jetzt nach. Erklären Sie den Maklern und anderen Anbietern von Mietwohnraum, dass Sie in die Gegend umziehen. Geben Sie an, dass Ihre Firma für die Kosten aufkommen wird und Sie an einem Firmenmietvertrag interessiert sind, damit der Vertrag auf den Namen des Unternehmens, nicht auf Ihren läuft. Firmenmietverträge sind der beste Weg, um sicherzustellen, dass Ihr Name nicht mit Ihrem Wohnort in Verbindung gebracht werden kann.

Bestellen Sie auch Strom und Wasser im Namen Ihrer Firma, oder, noch besser, suchen Sie eine Wohnung, bei der sich der Vermieter um alles kümmert und diese Kosten im Mietpreis enthalten sind.

Kommunikation

Wenden wir uns nun Ihren Kommunikationsmitteln mit der Außenwelt zu. Wenn Sie das Opfer von quälenden Nachstellungen oder Misshandlungen geworden sind, rate ich Ihnen dringend, keinen Festnetzanschluss zu bestellen – es sei denn, Ihr Leben ist in Gefahr. In dem Fall sollte er auf den Namen Ihrer Firma laufen.

Sie können von der Telefongesellschaft auch einen Internetanschluss bekommen, aber mailen Sie von hier aus niemals Ihrer Familie und Freunden, und stellen Sie über diese IP-Adresse keine andere Verbindung zwischen Ihrem alten und Ihrem neuen Leben her.

Sie denken jetzt vielleicht: Niemals? Wie soll ich mich denn nach meiner besten Freundin erkundigen, wenn sie erkrankt ist? Wie soll ich meiner kleinen Nichte zum Geburtstag gratulieren oder die neuesten Nachrichten aus meiner Heimatstadt erfahren? Die kurze, harte Antwort lautet: Gar nicht. Kontakt zwischen Ihnen und Ihren Lieben ist möglich, aber um auf der sicheren Seite zu bleiben, beachten Sie die folgende Regel:

Halten Sie sich kurz, melden Sie sich zu unvorhergesehenen Zeiten und rufen Sie nicht häufig an.

Sie dürfen Kontakt zu Ihren Lieben nur mithilfe von Prepaid-SIM-Karten und über öffentliche Internetverbindungen und private Mietbriefkästen mit all den Ebenen der Anonymität und Sicherheit halten, die ich mit Ihnen im letzten Kapitel durchgegangen bin.

Das ist hart, es macht einsam und ist die meiste Zeit ätzend. Wir berühren hier einen der schwierigsten Aspekte des Verschwindens:

Zu verschwinden ist psychologisch nur schwer zu ertragen.

Wenn Ihnen klar wird, dass Sie nicht länger zum Hörer greifen und Ihre Familie anrufen können, kommt in Ihnen vielleicht Verzweiflung auf. Sie verlieren den Kontakt zu vielen Menschen, die Ihnen lieb und teuer waren. Kurz, Sie werden einsam. Einsamkeit ist eine Folge des Verschwindens. Sie müssen entscheiden, ob das ein annehmbarer Preis ist für den Schutz Ihrer Privatsphäre, den Sie sich wünschen.

Wie gesagt, es ist zwar grundsätzlich möglich, die Verbindung aufrechtzuerhalten, macht aber Arbeit. Sichere Kommunikation erfordert sorgfältige Vorbereitung. Meine Kundin Denise, die von ihrem Mann misshandelt worden war, hielt den Kontakt zu ihrer Familie mithilfe von Prepaid-Telefonkarten, die sie alle paar Monate wechselte, und über einen Geheimcode, den sie auf Kleinanzeigenseiten im Internet postete. Wenn sie ein neues Prepaid-Handy kaufte, bot sie ein bestimmtes Auto zum Verkauf an und schrieb dazu zum Beispiel: »98er Dodge mit 95550 Meilen. Nur 2 Vorbesitzer. Bitte rufen Sie zwischen 2 und 7 Uhr nachmittags an.« Wenn ihre Familie diese Anzeige sah, wusste sie, dass ihre neue Kontaktnummer (989) 555 – 0227 lautete.

Sie konnte eine Nummer nicht lange behalten und das Geheimnis auch nicht mit vielen ihrer Freunde teilen aus Angst, sie könnten es ihrem Exmann verraten. Aber diese Rettungsleine hatte sie.

Bankgeschäfte

Ihre nächste Aufgabe ist es, neue Bankkonten zu eröffnen. Sichere Bankgeschäfte sind eine Herausforderung, weil Banken es skrupellosen Schnüfflern oft leicht machen, sich unter Vorwänden vertrauliche Informationen zu beschaffen.

Überall auf der Welt informieren sich Banken über Neukunden mithilfe von Auskunfteien. Wenn Sie zum Beispiel amerikanische Bankfilialen betreten, werden Ihnen Hinweisschilder ins Auge fallen, auf denen die Kunden darüber informiert werden, mit welcher Auskunftei die Bank zusammenarbeitet. Von solchen Dienstleistern erfahren die Banken, ob Antragsteller jemals ihr Girokonto überzogen haben oder gar eines ihrer Konten wegen Überziehung gekündigt wurde. Und sie können feststellen, wo sie bereits andernorts Kontoanträge gestellt haben.

In den Wildwesttagen meiner Arbeit als Kopfgeldjäger freundete ich mich mit den Schalterbeamten meiner Bank an. Ich schaute mit Kaffee, Donuts oder Pralinen vorbei, sodass sich die Mienen immer aufhellten, wenn ich zur Tür hereinkam. Eines Tages saß die Filialleiterin nicht an ihrem Schreibtisch, und ich stand am Schalter der Kassiererin, die den Kundenbereich leitete, wenn die Chefin nicht da war.

Ich löste einen Scheck ein und schob ihr fünfzig Dollar zu. »Der gehört Ihnen, wenn Sie mir das Passwort der Auskunftei verraten«, sagte ich.

Sie lächelte und nahm den Fünfziger. Sie ahnen nicht, wie viele Leute ich aufspürte und wie viele Konten ich mit einer gebührenfreien Nummer von sechs Ziffern durchleuchtete.

Solange Banken Dienstleistungen wie diese in Anspruch nehmen – und Personal einstellen, das anfällig für Bestechung ist –, wird Ihre Geldspur leicht aufzudecken sein. Der einzige Weg, sicher Geld auszugeben, sind Guthabenkreditkarten.

Geld und Arbeit

Man kommt nicht darum herum: Wer spurlos verschwinden will, der braucht Geld. Wie viel, das hängt davon ab, was Sie mitnehmen wollen oder müssen, wenn Sie gehen: die Möbel, die Sie haben, die Geldsumme auf Ihrem Bankkonto, solche Dinge.

Die meisten Menschen, die sich auf und davon machen, müssen an ihrem neuen Wohnort arbeiten, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, schließlich haben nicht allzu viele das Glück, reiche Erbinnen oder Lottogewinner zu sein. Sicher Geld zu verdienen kann ebenso kniffelig sein, wie es sicher auszugeben. Sie können sich nie vollkommen in Sicherheit wiegen, solange Sie irgendwo Einkommensteuer zahlen. Ich kenne in den Vereinigten Staaten so einige Privatermittler, die sich unter einem Vorwand die Sozialversicherungsnummer ihrer Zielpersonen verschafften und über diese tatsächlich an eine Aufstellung ihrer in der Vergangenheit gezahlten Steuern gelangten. In den USA sind Sie, ganz gleich wo Sie beschäftigt sind, verwundbar, sobald Sie bei Ihrem Arbeitgeber ein Formular der Steuerbehörde (IRS) unterschreiben müssen. Wenn Sie in Europa bei einer Firma arbeiten, die keine Steuern in den USA zahlt, sind Sie besser geschützt. Schafft es ein Verfolger jedoch, Ihre Steuer-Identifikationsnummer herauszubekommen, könnte er sich womöglich bis zu Ihrem Steuerbezirk durchschwindeln und unter dem Vorwand einer Adressänderung Ihre aktuelle Adresse herausbekommen.

Meine Kundin Caroline war das Opfer eines äußerst aggressiven Stalkers und musste umziehen. Caroline war Kellnerin und arbeitete schwarz. In ihrer Einkommensteuererklärung gab sie ihren Verdienst an, um nicht wegen Steuerhinterziehung belangt werden zu können, benutzte aber die Adresse ihrer Schwester als Postanschrift. Dem Fiskus ging dadurch nichts verloren, dafür blieb Caroline in Sicherheit.

Spurlos verschwinden mit wenig Geld

Vielen von Ihnen werden die Haare zu Berge stehen angesichts der hohen Kosten, die entstehen können, wenn man spurlos von der Bildfläche verschwinden will. Mietbriefkästen, Guthabenhandys, Flugtickets, Privatdetektive, Reisen in zufällig ausgewählte Städte, um falsche Fährten zu legen – all das kostet eine Menge Geld. Was man für Irreführung und den Aufbau eines neuen Lebens aufbringen muss, kann leicht in die Tausende gehen.

   Wenn Sie nicht über viel Geld verfügen, aber nicht allzu sehr unter Zeitdruck sind und sich eine gewisse Summe zusammensparen können, rate ich zu diesem Weg. Je mehr Zeit und Geld Sie investieren können, um sauber unterzutauchen, desto zuversichtlicher werden Sie Ihr neues Leben unterhalb des Radars genießen können.

   Wenn Sie sich jedoch sofort aus dem Staub machen (müssen) und nichts auf der Bank haben, verzweifeln Sie nicht. Behalten Sie im Kopf, dass die Irreführung Ihres Verfolgers fast nichts oder überhaupt nichts kostet, denn alles, was Sie zu tun haben, ist, bei Banken und Internetportalen und Kundendienstabteilungen anzurufen und Ihre persönlichen Daten zu ändern. Wenn Sie es sich nicht leisten können, dies mit einem Prepaid-Handy zu erledigen, benutzen Sie ein Münztelefon oder irgendein anderes öffentliches Telefon, das Ihnen zur Verfügung steht.

   Die Irreführung Ihres Verfolgers und der Aufbau eines neuen Lebens werden etwas schwieriger, aber auch hier stehen Ihnen diverse Möglichkeiten offen. Suchen Sie Menschen, die Ihnen für wenig Geld oder umsonst helfen. Wenn Sie ein Stalking-Opfer sind, ist das leicht: Ihr Polizeirevier und die Frauenhäuser der Gegend werden nichts für ihre Hilfe verlangen, und Selbstverteidigungslehrer, Arbeitskollegen, Freunde und Familie werden Sie sicher gern unterstützen.

   Wenn Sie die Stadt verlassen müssen, suchen Sie sich irgendetwas zur Untermiete, denn so umgehen Sie eine Kaution und eine Bonitätsprüfung. Sind Sie bei der Ortswahl flexibel? Halten Sie nach einer günstigen Ferienmietwohnung in der Nebensaison Ausschau, zum Beispiel in einem abgelegenen Landstrich in Schweden. Ich habe sogar ein Mini-Ferienhaus in Ostpolen für elf Euro pro Nacht entdeckt, wenn keine Touristen unterwegs sind. In den USA kann man zum Beispiel die Studentenwohnheime von Colleges abklappern, die in den Sommerferien vermietet werden. Einige haben auch in den anderen Jahreszeiten Räume zu vermieten – so könnten Sie das ganze Jahr von College zu College hüpfen.

   Wenn alles andere scheitert, versuchen Sie, eine kostenlose Unterkunft aufzutreiben. Plattformen, die Gratisschlafplätze vermitteln, wie Couchsurfing.org und Hospitality Club, wo Leute Reisenden aus aller Welt kostenlos ihre Sofas und freien Schlafzimmer anbieten, haben in den letzten Jahren einen sehr coolen neuen Reisetrend ermöglicht.

   Natürlich müssen Sie äußerste Vorsicht walten lassen, wenn Sie die Nacht im Haus eines Fremden verbringen wollen. Aber das Großartige an diesen Portalen ist, dass die Anbieter Referenzen von Hunderttausenden anderen Mitgliedern besitzen. Sie können also Ihr Risiko bei Leuten, bei denen Sie übernachten möchten, sorgfältig abwägen.

   Ein paar meiner Freunde haben solche Webseiten schon genutzt und in den Wohnungen von Fremden geschlafen. Sie kamen zwar nicht immer gut mit den Gastgebern aus, fühlten sich jedoch auch nie in Gefahr. Ich glaube, sie lohnen einen Blick.

Der Schmuggler aus Stuttgart

Vor nicht langer Zeit traf ich in Stuttgart einen Schmuggler, der sich aus dem Geschäft zurückgezogen hatte. Er war gerade aus dem Gefängnis entlassen worden und wartete auf den Abschluss aller juristischen Angelegenheiten. Im Gefängnis hatte er sein Leben geändert und wollte nach der Entlassung einen Neustart mit Frau und Kind wagen. Vielleicht rümpfen Sie jetzt die Nase, dass ich auch solche Kunden akzeptiere, aber ich habe gelernt, nicht über andere zu urteilen – alle Menschen verdienen eine zweite Chance. Er schien ehrlich zu sein und zahlte außerdem in bar.

Im Gefängnis hatte sich ein Ring marokkanischer Drogenhändler an ihn herangemacht, um ihn für ein Geschäft in Rabat einzuspannen. Der Schmuggler lehnte ab, er war nur daran interessiert, seine Zeit abzusitzen, so schnell wie möglich herauszukommen und ein neues Leben zu beginnen. Darüber waren die Marokkaner wütend und wurden gewalttätig. Die Anstaltsleitung war sich der Lage bewusst und bot dem Schmuggler Hilfe an, doch der wusste es besser und lehnte ab.

Einen Monat nach seiner Entlassung ging es los. Entweder käme er mit ihnen ins Geschäft, oder seiner Familie würde etwas zustoßen, drohten die Marokkaner. Dem Schmuggler war klar, dass er diese Drohungen nicht auf die leichte Schulter nehmen konnte. So kam er zu dem Schluss, dass ich seine einzige Option war.

Als wir uns in einer Hotellobby trafen, dachte ich zuerst, dass mir ein Journalist einen Streich gespielt hatte. Er erinnerte mich an den erfolgreichen britischen Unternehmer Richard Branson, ein cooler Typ, der kein bisschen wie ein Schmuggler aussah (wenn man Schmuggler denn am Aussehen erkennen kann). Auch wirkte er nicht wie jemand, der um sein Leben fürchtet. Er erzählte, dass er noch sechzig Tage warten müsse, bevor er Deutschland verlassen dürfe. Sein vorrangiges Ziel bestand darin, Frau und Kind in Sicherheit zu bringen und dann für seinen eigenen Schutz zu sorgen, bis er ausreisen konnte.

Ich musste schmunzeln, als er fragte, ob ich ihm irgendwelche Bücher empfehlen könne, wie man emotional mit dem Untertauchen klarkommt. Als ich das letzte Mal nachgesehen habe, hatte Bestsellerautor Eckhart Tolle noch kein Buch zu dem Thema geschrieben. Und welcher Mensch, der vor gefährlichen Verfolgern Reißaus nehmen muss, sorgt sich schon um seine seelische Befindlichkeit? Auf der Flucht vergisst man die emotionale Belastung.

Entscheidend ist beim Verschwinden letztlich die Einstellung. Dabei geht es teils um Achtsamkeit, teils um Strategie, vor allem aber um die Konzentration auf das Hier und Jetzt. Leben im Präsens heißt, seine Umgebung wahrzunehmen. Ich empfahl ihm zur Lektüre die Geschichten derjenigen, deren Verschwinden nicht von Erfolg gekrönt war, damit er nicht dieselben Fehler beging.

Der Fall des Schmugglers war dringend, es blieb keine Zeit für lange Vorausplanung. So schnell wie möglich musste er aus seiner Wohnung verschwinden. Ich ging zu einem Hotel mit Zimmerservice und bezahlte auf meinen Namen ein Zimmer für zwanzig Tage im Voraus. Durch den Zimmerservice erübrigte sich die andernfalls gegebene Notwendigkeit, außerhalb des Hotels essen zu gehen oder Lebensmittel einzukaufen. Nach zwanzig Tagen flog ich nach Deutschland zurück und mietete für den Schmuggler ein anderes Zimmer in einem anderen Hotel. So war er nur kurz zum Wechsel des Hotels auf der Straße, bevor er die Stadt verließ. Bei der Abreise aus Stuttgart nahm ich seine Frau und sein Kind mit in eine andere deutsche Stadt, dann fuhren wir nach Innsbruck in Österreich. Oder war es Rotterdam? …

Am besten ist es, sein Verschwinden zu planen, aber manchmal ergeben sich Situationen, in denen man sofort untertauchen muss. Sofort abzureisen muss nicht immer heißen, sich schnurstracks in ein Flugzeug oder einen Zug zu setzen. Manchmal ist es die bessere Strategie, in der eigenen Stadt abzutauchen. Mein Motto ist: kurzfristig flexibel, dabei immer das langfristige Ziel im Blick. Als die Zeit des Schmugglers um war, holte ich ihn ab und fuhr ihn zu seiner Frau. Sie sind jetzt schon lange fort und leben in Lissabon – oder Malaga?

Ein Schlüsselfaktor beim Verschwinden ist die Entscheidung, ob man sich die Zeit für Planung nimmt oder sofort abtaucht. Ausschlaggebend ist die eigene Sicherheit. Wenn Gefahr für Leib und Leben besteht, geht man am besten zur Polizei. Ist das nicht möglich, legen Sie dieses Buch beiseite und hauen Sie schleunigst ab!

Mit Schulden umgehen

Wenn Sie verschwinden, möchten Sie keine Schulden zurücklassen. Tun Sie Ihr Bestes, um geliehenes Geld zurückzuzahlen. Denken Sie daran, dass die Schufa Sie nicht vergisst. Die schlechte Bonitätsnote, die Sie von dieser Auskunftei und anderen erhalten, könnte sich andernfalls noch als Bumerang erweisen und Ihnen das Leben vergällen.

   Einige meiner Kunden, die sich aus dem Staub machen möchten, pfeifen auf ihre Kreditwürdigkeit und wollen den Strom und andere offene Rechnungen nicht bezahlen. Großer Fehler. Schauen Sie zurück, wo Sie vor fünf Jahren standen: Wahrscheinlich haben Sie nicht vorausgesehen, dass Sie heute verschwinden wollen. Sie wissen auch nicht, wie Ihre Situation in der Zukunft aussehen wird.

   Das Leben ist stets im Fluss und bringt unerwartete Wendungen: Ihr Stalker könnte im Knast enden; Sie könnten sich mit Ihrem gekränkten Geschäftspartner aussöhnen; Ihr Exmann, der Sie misshandelt hat, könnte sterben. Vielleicht möchten Sie an einem bestimmten Punkt wieder aus der Versenkung auftauchen, aber diese Option steht Ihnen nicht mehr offen, wenn Sie Schulden hinterlassen haben.

   Einige Kunden wollten sich wegen ihrer Schulden aus dem Staub machen. Ich rate immer, damit ordentlich umzugehen und Privatinsolvenz anzumelden oder mit den Gläubigern einen Tilgungsplan zu vereinbaren.

   Zerreißen Sie keine Rechnungen. Denken Sie daran, dass irgendein Schnüffler Sie in Ihrem neuen Leben aufspüren und Ihnen das Leben zur Hölle machen könnte. Es ist kompliziert und beängstigend, Schulden zu haben, aber es wird noch komplizierter und beängstigender, wenn Sie auf der Flucht sind.

   Denken Sie an Ralph Waldo Emersons Diktum: »Ein Mann mit Schulden ist, was das angeht, ein Sklave.«

Autofahren

Wenn jemand hinter Ihnen her ist, der hilfreiche Beziehungen zur Polizei oder zur Zulassungs- oder Fahrerlaubnisbehörde unterhält, wird er regelmäßig sein Kontaktnetzwerk mobilisieren, um über das europäische Fahrzeug- und Führerscheininformationssystem ECARIS (European Car and Driving Licence Information System) und die Verkehrssünderkartei in Flensburg mittels Halter- oder Fahrzeugabfrage nach Ihnen zu fahnden. Weil der Führerschein im behördlichen Register mit Ihrem Wohnort verknüpft ist, müssen Sie mit ihm weitestmöglich in Deckung bleiben. Durch die europäische Vernetzung ist es heute nahezu unmöglich, in einem anderen europäischen Land einen Führerschein zu erwerben, wenn Sie Ihren in Deutschland verloren haben bzw. es vorziehen würden, einen ausländischen zu benutzen. In jedem Fall sollten Sie es tunlichst vermeiden, von der Polizei wegen irgendeiner Übertretung angehalten zu werden.

Also fahren Sie vorsichtig. Überprüfen Sie stets das Licht und die Reifen, bevor Sie starten, biegen Sie nicht verkehrswidrig ab, überfahren Sie keine roten Ampeln und befolgen Sie die Geschwindigkeitsbegrenzungen, damit die Polizei Sie niemals herauswinken muss.

Falls Sie die Möglichkeit dazu haben, lassen Sie den Wagen auf eine juristische Person wie eine GmbH, eine AG oder auf eine Vereinigung zu.

Ihre Kinder

Meine Kundin Delia, die vor ihrem gewalttätigen Mann geflüchtet war, hatte ein kleines Kind, das kurz vor der Einschulung stand. Ich fand eine hervorragende Sozialarbeiterin in der Gegend und erklärte ihr, dass Delia von ihrem Mann schwer misshandelt worden war. Nachdem sie sich Delias Fall angesehen hatte – eine Mappe mit Fotos von ihrem Gesicht, nachdem sie geschlagen worden war, Krankenhausdiagnosen sowie Gerichtsdokumente und eine ausgedruckte Liste der Vorstrafen ihres Exmannes –, war sie von Delias Schutzbedürftigkeit überzeugt und sorgte dafür, dass ihr Kind mit einem »Schreibfehler« in seinem Namen eingeschult wurde. Auf diese Weise würde ein Schnüffler, der Schülerlisten überprüfte, keinen Treffer landen. Irgendwann wird Delia den Schreibfehler berichtigen.

Wenn Sie Kinder haben, bietet deren schulischer Werdegang eine enorme Angriffsfläche für Personenfahnder. Fast alle Schulen haben heute eigene Webseiten, immer wieder werden Schülernamen auch auf anderen Webseiten genannt, Posts über Aufführungen, Ausflüge und vieles andere mehr sind weitere Quellen, die sich leicht durchforsten lassen. (In den USA werden zudem die schulischen Leistungsnachweise von den Schulen verwaltet und von einer zur nächsten transferiert, ein offiziell dokumentierter Akt, der privaten und staatlichen Ermittlern schon zur Lokalisierung von enorm vielen Menschen verholfen hat. Das Gleiche gilt für den Schulwechsel selbst.) Falls Ihnen Gefahr droht, bemühen Sie sich, mit der Schulleitung eine informelle Absprache zu treffen, den Namen Ihres Kindes in offiziellen Dokumenten und bei Schulveranstaltungen vor der Öffentlichkeit – etwa durch absichtlich falsche Schreibung – zu verbergen. Oder Sie suchen nach Alternativen wie Konfessionsschulen oder Privatunterricht.

Ihr Notfallplan

»Die ausgeklügeltsten Pläne von Mäusen und Menschen«, schrieb Robert Burns in einem berühmten Gedicht, »schlagen oftmals fehl.« Obwohl Sie Ihr Bestes gegeben haben, gelingt es jemandem, Sie an Ihrem neuen Wohnort aufzuspüren. Ein Stalker oder Privatermittler könnte Sie entdecken, oder ein idiotischer Zufall lässt Ihre Tarnung auffliegen, wenn Sie zum Bespiel einem alten Freund oder einem Verwandten über den Weg laufen oder sogar der Person, die Sie auf der Straße sucht (von so einem Fall habe ich einmal gehört). Spielen Sie gedanklich durch, was Sie unternehmen werden, falls dies geschieht.

Wenn Sie das Opfer eines Gewalttäters oder Stalkers sind, suchen Sie sich eine Gruppe von Verbündeten vor Ort, die Ihnen zu Hilfe eilen werden. Informieren Sie sich über Frauenhäuser in der Gegend, freunden Sie sich mit einer Polizistin an und suchen Sie Kontakt zu Sozialarbeitern. Wenn Sie kein Opfer sind, kümmern Sie sich selbst um Ihren Fluchtplan. Wohin wollen Sie gehen? Was wollen Sie mitnehmen? Wo werden Sie Ihren Ehepartner und die Kinder treffen? Wie lange wird es dauern, Ihre Daten zu verfälschen und falsche Spuren auszulegen, bevor Sie an einen neuen Ort untertauchen können? Haben Sie genug Geld, um noch einmal spurlos zu verschwinden? Falls nicht, beginnen Sie noch heute mit dem Ansparen einer Notreserve.

Die Finanzberaterin Suze Orman rät allen, genug Geld zurückzulegen, um acht Monate damit auszukommen, falls sie ihre Einkommensquelle verlieren. Menschen, die untertauchen müssen, sollten diesem Rat folgen und auf diese Summe die geschätzten Kosten draufschlagen, die entstehen würden, wenn sie in ein anderes Land fliegen und eine neue Wohnung mieten müssten.

Delia entwarf einen sehr gründlichen Notfallplan für sich und ihre Tochter. Sie war sehr mobil, ein Großteil ihrer Habe war eingelagert. Sie konnte sofort losfahren, falls ihre Deckung aufflog. Sie und ihre Tochter entwickelten ein System von Handzeichen, Codewörtern und Gesten, um einander zu signalisieren, dass etwas nicht stimmte. Sie machten aus, wie sie Hilfe rufen und wo sie sich treffen würden, falls eine von beiden das Zeichen zur Flucht gab.

Ich empfahl Delia, einen »sicheren Treffpunkt« auszumachen – einen Ort, an dem sie sich mit ihrer Tochter, Mutter und Schwester treffen könnte, falls sie rasch aus der Stadt fliehen musste. Sie wählte ein Hotelzimmer einige Ortschaften entfernt und vereinbarte mit ihrer Mutter und Schwester, dass diese sie von einem Münztelefon aus anrufen würden, um ihr Ort und Übergabe einer neuen Wohnung mitzuteilen.

Ein neues Leben aufzubauen verläuft bei jedem anders. Die nächsten Kapitel bieten Ihnen Beispiele von Menschen, die aus den verschiedensten Gründen abtauchten, sei es, dass sie vor Identitätsmissbrauch oder einem Stalker in Deckung gehen oder vor einem zudringlichen Bewerber Reißaus nehmen und sogar das Land verlassen mussten. Selbst innerhalb dieser Kategorien gibt es große Unterschiede, was man je nach den besonderen Umständen benötigt, um in Sicherheit zu sein. Um Ihre Fantasie anzuregen, was auf Sie zukommen könnte, hier die Geschichte von Charlie.

Charlie

Mein Kunde Charlie war Immobilienmakler, gemeinsam mit seinen Partnern kaufte und verkaufte er Immobilien in Südkalifornien. Charlie hegte den großen amerikanischen Traum, einmal ein Geschäft abzuschließen, das so dick war, dass es ihn an die Spitze katapultieren würde.

Leider ging Charlies Traum nicht in Erfüllung. Er fädelte ein Geschäft ein, zusammen mit mehreren externen Investoren einen Wohnkomplex zu kaufen. Geplant war, die Immobilie nur kurz zu halten und dann weiterzuverkaufen. Doch die Sache ging schief, Charlie und die Investoren verloren eine riesige Summe.

Dann musste Charlie feststellen, dass er mehr damit beschäftigt gewesen war, den Deal zustande zu bringen, als seine Mit-Investoren mit der gebotenen Sorgfalt auszusuchen, was sich als großer Fehler erwies. Besonders einer von ihnen wollte nicht hinnehmen, dass Immobilien eine riskante Investition sein können. Nach dem Verlustgeschäft schickte er zwei Schläger, die in seinem Namen von Charlie vollen Schadenersatz forderten. Die beiden Herren waren sehr überzeugend. Charlie wusste, dass seine Kniescheiben und Rippen in Gefahr waren.

Er brauchte Zeit, um das Geld zusammenzubekommen, mit dem er den wütenden und gefährlichen Geschäftspartner auszahlen konnte. Ich riet ihm, eine Firma zu gründen und unterhalb des Radars zu leben, bis er seine »Schulden« begleichen konnte.

In einiger Entfernung von seinem Wohnort legte sich Charlie einen Hauptmietbriefkasten, eine Bluffbox, eine Safebox und eine Burnbox zu und besorgte alle weiteren Hilfsmittel, die er benötigte, um von der Bildfläche zu verschwinden. Er schickte seine Prepaid-Telefone, Guthabenkreditkarten und Dokumente über seine anderen Briefkästen an seinen Hauptbriefkasten. Er nahm nichts von diesen Dokumenten je mit in sein Haus oder Büro, weil er wusste, dass seine Verfolger dort einbrechen und sie finden könnten.

Sobald Charlie seine Briefkästen eingerichtet hatte, war es an der Zeit, einen Firmentyp zu finden, unter dessen Schirm er leben konnte. Er suchte im Netz – nicht von zu Hause oder einem Internetcafé aus, sondern über einen Hotspot. In einem Buchladen in einer anderen Stadt machte er sich handschriftlich Notizen aus Wirtschaftsratgebern. Schließlich entschloss er sich, eine Firma in Wyoming zu gründen. Er kontaktierte einen Anbieter, der Firmengründungen arrangierte, und erhielt alle dafür notwendigen Unterlagen zugesandt.

Für das Unternehmen wählte Charlie einen allgemeinen Namen, AAA Acme oder etwas in der Art. Er gab beim Bundesstaat Wyoming seinen Hauptbriefkasten als Adresse an, mit einer virtuellen Telefonnummer, die er bei jConnect eingerichtet hatte. Die Gründungsgebühr für die Firma zahlte er mit einer Guthabenkreditkarte.

Weil seine anderen Geschäfte weiterliefen, musste Charlie in Kontakt zu Kunden und Partnern bleiben. Er konnte nicht aufhören, Telefonanrufe zu tätigen, noch konnte er seinen vorhandenen Anschluss stilllegen, da er im Adressbuch vieler wichtiger Leute stand. Daher kaufte er mehrere Handys mit Guthaben-SIM-Karten, wobei er darauf achtete, kleinere Anbieter auszuwählen, Firmen ohne Kundenserviceabteilung, riesige nationale Datenbanken und rund um die Uhr besetzte Hotlines.

Wir nahmen Charlies altes Handy und nutzten dessen Rufweiterleitung, um Anrufer an eines seiner Prepaid-Handys zu vermitteln. Bei diesem nutzten wir abermals die Rufweiterleitungsfunktion, um die dort eingehenden Anrufe zu einem weiteren Prepaid-Mobiltelefon zu schicken, denn ein Personenfahnder, dem es gelang, sich unter einem Vorwand Zugang zu den Anruflisten von Charlies Haupthandy zu verschaffen, hätte eventuell die erste Nummer herausgekriegt, zu der die Anrufe weitergeleitet wurden, und wäre in dem Fall vielleicht sogar an die GPS-Daten dieses Handys herangekommen. Man kann nie vorsichtig genug sein. Charlie hatte eine Menge Telefone, die er im Blick behalten und aufladen musste, aber er konnte sich nun einigermaßen sicher sein, dass niemand, der sich Zugang zu den Anruflisten seiner alten Telefongesellschaft erschwindelte, seine gegenwärtige Kontaktnummer aufspüren würde.

Wenn er Kunden anrief, nutzte Charlie nur sein Prepaid-Handy. Um die Sicherheit weiter zu erhöhen, verwendete er eine Spoof-Karte, mit der er seine Anruferkennung fälschte: Bei den Angerufenen erschien nun eine britische Telefonnummer. Jeder Kunde, der seine Kennung sah oder die Wiederwahltaste drückte, musste glauben, dass sich Charlie in England aufhielt.

Langsam gelang es Charlie, das Geld zurückzuverdienen, um seinen Investor auszuzahlen. Er überlebte mit intakten Kniescheiben.