Ich hoffe, dass die letzten Kapitel Ihnen eine Vorstellung davon gegeben haben, wie man sicher, wohlbehalten und mit dem nötigen Elan abtauchen kann. Aber vielleicht hatten Sie den Eindruck, dass im Kapitel über den Start in ein neues Leben etwas fehlte. Was ist mit gefälschten Identitäten, möchten Sie wissen? Womöglich glauben Sie, dass der sicherste Weg, sich spurlos aus dem Staub zu machen, schlicht darin bestünde, Ihre alte Identität zu entsorgen und sich eine neue zuzulegen.
Falsch. Wenn Sie glauben, dass der Kauf einer falschen Identität ein gangbarer Weg ist, müssen Sie unbedingt dieses Kapitel lesen. Es handelt von den Fehlern, die Sie auf dem Weg zu einem Leben unter den Verschwundenen begehen können – und der Diebstahl oder die Fälschung einer Identität ist Fehler Nummer 1. Der zweite große Fehler ist der Versuch, ein Leben zu führen, das mehr oder weniger demjenigen gleicht, das Sie hinter sich gelassen haben.
Komplett alles aus Ihrem vorherigen Leben zu entsorgen – einschließlich Ihres Personalausweises und Reisepasses – oder nichts davon wegzuwerfen, das sind zwei Extreme, die Sie vermeiden müssen, wenn Sie sich erfolgreich in Luft auflösen wollen. Lassen Sie mich Ihnen veranschaulichen, warum das so ist.
Ich bin kein Waisenknabe und auch kein Paragrafenreiter, der sich stets peinlich genau an den Gesetzestext hält. Ich bin fest davon überzeugt, dass Sie das Recht haben, Ihrem bisherigen Leben Adieu zu sagen und zu verschwinden. Solange Sie niemandem damit wehtun oder die Rechte anderer verletzen, geht es mich nichts an, was Sie tun, nachdem Sie untergetaucht sind.
Dies vorausgeschickt, lassen Sie mich diese simple Wahrheit hinzufügen:
Eine falsche Identität anzunehmen ist eine schlechte Idee.
Wenn Sie nicht gerade ein Krimineller oder ein Spion sind, benötigen Sie keine neue Identität, um sicher und diskret zu verschwinden. Warum einen Betrug begehen, wenn Sie es gar nicht müssen? Das bereitet Ihnen nur Kopfzerbrechen, und wahrscheinlich werden Sie – Sie sind ja schließlich kein Krimineller – erwischt, selbst wenn Sie sich in den vielen Büchern und auf den zahlreichen Webseiten, die es darüber gibt, darüber schlaumachen, wie man es anstellt.
Früher war Identitätsdiebstahl eine relativ leichte Sache. Ein beliebter, etwas morbider Weg zu einer neuen Identität bestand darin, auf einem Friedhof das Grab eines Kindes zu suchen, das in etwa im selben Jahre geboren worden war wie man selbst. Mit dem Namen und Geburtsdatum des Kindes konnte man sich eine Geburtsurkunde, eine Rentenversicherungsnummer und schließlich einen Ausweis besorgen, schon hatte man eine nagelneue Identität.
Doch diese Methode klappte vor dem Computerzeitalter. Heute lassen sich durch automatisierte Systeme zentrale Lebensdaten, Sozialversicherungsnummern, Steuer-Identifikationsnummern, Melde- und Fahrzeughalterdaten abgleichen, sodass es die Behörden in der Regel im Nu herausfinden, wenn Sie die Identität eines Toten stehlen wollen. Wenn Sie auffliegen, müssen Sie mit einer empfindlichen Strafe rechnen und kommen unter Umständen sogar ins Gefängnis.
Jeden Tag erhalte ich E-Mails von Leuten, die meine Dienste in Anspruch nehmen wollen, damit ich ihnen neue Identitäten, Pässe, Führerscheine, Visa und Geburtsurkunden beschaffe. Ich weiß nicht, wie sie auf die Idee kommen, dass ich mich mit solchen Stümpereien befasse. Ich hege den Verdacht, dass die meisten dieser Anfragen von Polizeifahndern stammen, die nach Identitätsfälschern suchen – verständlich, das ist schließlich ihr Job. In den anderen, echten Fällen ist mir jedoch rätselhaft, warum immer wieder Leute glauben, dass ich solche Dienste über das Internet anbiete – oder sogar andeuten, ich hätte es schon einmal getan. Hier ein wichtiger Rat, den Sie beherzigen sollten:
Meiden Sie Leute, die über das Internet falsche Dokumente verkaufen. Sie wissen nicht, was sie tun.
Es gibt drei Wege, sich eine Identität zu verschaffen (außer derjenigen, mit der Sie geboren wurden, natürlich). Sie können eine kaufen, stehlen oder erfinden. Ich bin gegen die Verwendung falscher Identitäten. Sie sind verboten und stürzen Sie in Schwierigkeiten, wenn Sie bei ihrer Verwendung ertappt werden. Tatsächlich ist es wahrscheinlicher, dass ein Untoter aus dem Fernseher steigt und Sie beißt, als eine falsche Identität mit einer echten Ausweisnummer zu erhalten.
Manchmal muss man die Dinge auf die schlichten Tatsachen herunterbrechen. Einige unter Ihnen mögen von der Schreckgestalt des »Nachzehrers« gehört haben, eine Art Zombie oder Vampir, der unter der Erde hockt und Leichen verzehrt und den Lebenden die Kraft aussaugt. Wenn Sie schon vom Nachzehrer gehört haben, werden Sie wohl niemanden kennen, der dieser Gestalt schon einmal wirklich begegnet ist. Oder vielleicht kennen Sie doch solche Leute, aber glauben Sie ihnen wirklich? Stellen Sie sich vor, ein Freund erzählt Ihnen, dass er eine Frau kennt, deren Bekannter angeblich weiß, wo Sie einen solchen Untoten finden und leibhaftig sehen können. Wenn Sie jetzt fasziniert sind und ein Treffen mit dem vermeintlichen Kontaktmann des Nachzehrers arrangieren, dann ist das in etwa so, als glaubten Sie einer Quelle, die behauptet, Sie könne Ihnen eine falsche Identität verkaufen.
Als Nächstes sitzen Sie mit falschem Schnurrbart und Brille in einer Wirtschaft in Schwabing und warten auf den Nachzehrer-Kontakt. Der Mann trifft ein und überwältigt Sie förmlich mit Geschichten von Nachzehrer-Sichtungen in ganz Deutschland. Er zeigt Ihnen ein paar verschwommene Fotos, aber Sie können nicht sagen, ob sie echt sind oder eine gekonnte Photoshop-Behandlung hinter sich haben. Ganz ähnlich wie die Papiere einer falschen Identität. Die Kontaktperson möchte jetzt erst Geld sehen, bevor sie mit Ihnen den Nachzehrer besucht. Das ist der entscheidende Augenblick, denn jetzt erweist sich, ob Sie ein halbwegs vernünftiger Mensch sind oder Fantastereien nachjagen.
Eins von drei Dingen wird nun geschehen: Entweder Sie machen einen Rückzieher, weil Sie es nicht glauben, oder Sie lassen sich betrügen, oder Sie werden wegen des versuchten Kaufs gefälschter Dokumente hochgenommen. Vielleicht glauben Sie, es gebe eine vierte Variante – nämlich dass der Kontakt die Wahrheit sagt und die Dokumente doch authentisch sind. Leider gibt es diese vierte Möglichkeit nicht, denn Sie haben ja gar keine Methode, um ihre Echtheit zu prüfen. Warum? Weil Sie kein Experte für Ausweispapiere sind.
Einige Bücher behaupten, das Geheimnis zur Erlangung einer neuen Identität zu verraten. Wenn Sie solcher Werbung aufsitzen und versucht sind, sie zu kaufen, gehen Sie doch bitte ein paar Absätze zurück und lesen die Passage noch einmal. Untote sind Fabelwesen, es gibt sie nicht! Die Autoren solcher Bücher setzen Ihnen nutzlose und gefährliche Flausen in den Kopf, um ihren Reibach zu machen. Wenn Sie ein Buch mit dem Titel Hirnchirurgie für Dummies kaufen, werden Sie sich etwa hinterher für einen Hirnchirurgen halten?
Sprechen Sie mir nach: Es gibt keine Untoten …
Gestehen Sie in einer E-Mail niemals Gesetzesverstöße
Wenn Sie Ihren Abgang planen und etwas Verbotenes tun, ob Identitätsbetrug oder etwas anderes, schicken Sie niemals jemandem eine Mail, in der Sie um Informationen über die Durchführung oder die Konsequenzen von illegalen Handlungen oder verbotenen Dienstleistungen bitten. Sie müssen davon ausgehen, dass jeder, den Sie kontaktieren, entweder ein verdeckter Ermittler ist oder Sie anzeigen könnte.
In der Hoch-Zeit meiner Tage als Personenfahnder wusste ich, dass ich in einer rechtlichen Grauzone operierte und eine Menge Ärger bekommen konnte, deshalb betrieb ich die Arbeit wie ein Drogengeschäft, will sagen: Ich war hochgradig paranoid. Ich arbeitete unter der Annahme, dass die Strafverfolgungsbehörden jeden meiner Schritte überwachten und mich jeder Kunde bei den Behörden anschwärzen konnte.
Ich bin sicher, Pablo Escobar oder der legendäre britische Drogenhändler Howard Marks schrieben niemals Fremden Briefe, um sich Rat für ihr Geschäft einzuholen. Wenn Sie das Gesetz brechen und Fersengeld geben müssen, tun Sie es im Alleingang.
Die Leute, die sich wirklich auf gefälschte Papiere spezialisiert haben, verkaufen sie nur von Angesicht zu Angesicht. Aber das bedeutet nicht, dass Sie jedem Kerl trauen können, der Ihnen in einer dunklen Gasse über den Weg läuft. (Ja, solche Dokumente werden tatsächlich in dunklen Gassen verkauft. In Großbritannien wurde kürzlich ein Fälscherring zerschlagen, der Pässe auf der Straße verkaufte.) Ganz gleich, von wem Sie kaufen, Sie können unmöglich wissen, ob Sie einen Pass mit einer noch gültigen Nummer oder einem korrekten Strichcode erhalten, den man tatsächlich auslesen kann. Was ist mit den Hologrammen? Das ist etwas anderes, als einer Barfrau falsche Zwanzig-Euro-Scheine anzudrehen. Hier geht es um richtig viel.
Vom Freund eines Freundes eine Identität zu kaufen mag wie eine sichere Wette erscheinen, aber das birgt wieder eigene Risiken. Vertrauen Sie dieser Person wirklich? Sie könnten mit Ihrer neuen Identität ein Bankkonto eröffnen und Ihre Lebensersparnisse einzahlen, nur um ein paar Wochen später einen Brief vom Finanzamt zu erhalten, dass Ihr Konto gepfändet wurde und Ihr Vermögen nun null Euro beträgt. Warum? Weil der Idiot, dessen Identität Sie angenommen haben, eine hohe Steuerschuld nicht beglichen hatte. Au Backe.
Was, wenn Ihre neue Identität vorbestraft ist? Was, wenn sie einem Terrorverdächtigen gehört, der auf der Flugverbotsliste steht? Stellen Sie sich vor, Sie fahren zum Flughafen und können nicht in Ihre neue Heimat fliegen. Ich glaube einfach nicht, dass es das Risiko wert ist.
Sagen wir, Sie gelangen durch ein Wunder an überzeugende, sauber gefälschte Papiere. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es Aspekte dieser Straftat gibt, die Sie noch nicht erwogen haben: Wie wollen Sie Ihre Ausweise überprüfen, um zu sehen, ob sie etwas taugen? Buchen Sie einen Auslandsflug und probieren Ihren Reisepass aufs Geratewohl beim Zoll aus? Fahren Sie absichtlich mit überhöhter Geschwindigkeit in eine schon von Weitem sichtbare Polizeikontrolle, um Ihren neuen Führerschein durch einen Polizisten überprüfen zu lassen? Stiefeln Sie mit Ihrer neuen Geburtsurkunde ins lokale Büro der Rentenversicherung und stellen im Alter von fünfunddreißig einen Antrag auf eine Versicherungsnummer mit der Begründung, dass Sie seit Ihrem fünfzehnten Lebensjahr in einer Höhle gehaust haben?
Der einzige Weg, Ihre neuen Ausweispapiere zu testen, besteht darin, sie zu benutzen. Sie müssen mit einem gefälschten Pass zum Zoll gehen. Wenn Sie das tun, sollten Sie besser ruhig Blut bewahren und nicht aussehen wie ein flüchtendes Opfer in einem Zombie-Film – gehetzter Blick, schweißtriefendes Gesicht –, damit Sie nicht sofort ins Hinterzimmer gebeten werden. Ich war dort schon einmal. Es ist eine ausgesprochen unangenehme Erfahrung, auf die Sie ganz sicher lieber verzichten wollen.
Als der langhaarige, ziegenbärtige, zwielichtig aussehende Typ, der ich bin, sind Durchsuchung und Befragung keine ungewöhnlichen Schikane, wenn ich mich auf einem Flughafen einfinde. Wahrscheinlich passe ich einfach in das Profil eines Drogenschmugglers. Vor ein paar Jahren nahm das Gesicht eines Zollbeamten, der bei meiner Rückkehr von einer Irlandreise in die USA meine Passdaten in den Computer eingab, einen komischen Ausdruck an. Er wies zur anderen Seite des Raums und sagte: »Nehmen Sie Ihr Gepäck und gehen Sie da rüber.« Ich befolgte die Anweisung. Mir schwante schon, dass es lustig werden würde.
Ein weiterer Zollbeamter kam herein und streifte sich Gummihandschuhe über. »Stellen Sie Ihre Tasche auf den Tisch, öffnen Sie den Reißverschluss und treten Sie zurück«, wies er mich an. Ich tat wie geheißen.
Er machte einen Satz zurück. »Was ist das denn?«, rief er. Es war die Zeit der Anthrax-Attentate.
»Babypuder«, erwiderte ich.
Während er meinen Pass genauestens unter die Lupe nahm, stellte er mir eine Litanei von Fragen. »Was haben Sie in Irland gemacht? Haben Sie dort Geschäftsleute getroffen? Waren Sie noch in einem anderen Land als Irland? Wo haben Sie übernachtet? Bei wem haben Sie gewohnt?«
Nachdem er sich über seinen Computer gebeugt und meine Passnummer eingegeben hatte, zog er eine ähnlich ratlose Miene wie der erste Beamte und rief einen Kollegen herbei, der ebenfalls auf den Schirm starrte. Dann gingen sie an einen anderen Computer und beschlossen, einen weiteren Beamten zurate zu ziehen.
Also sauste nach ein paar Minuten ein hoher Vorgesetzter in den Raum. Er nahm meinen Pass an sich und schritt wieder von dannen, während Nummer eins und zwei meine Sachen durchwühlten und mich mit immer weiteren Fragen traktierten. Ich war nervös. Ich hatte keine Ahnung, was vor sich ging. Ich versuchte, die Ruhe zu bewahren, aber im Hinterkopf dachte ich, wenn ich jetzt ruhig bleibe, werden sie denken, dass ich etwas zu verbergen habe. Also beschloss ich, nicht ruhig zu bleiben, aber wenn ich verängstigt wirke, ging es mir durch den Kopf, werden die erst recht glauben, dass ich etwas zu verbergen habe. Mir schossen tausend Gedanken gleichzeitig durchs Hirn, Schweißperlen kullerten mein Gesicht hinunter, dabei hatte ich gar nichts verbrochen. Mein Herz pochte.
Vierzig Minuten später kehrte der Vorgesetzte zurück und trat mit einer unfreundlichen Miene schnurstracks auf mich zu. Auch die anderen beiden Kerle starrten ihn gebannt an und warteten wahrscheinlich, sprungbereit, auf den Befehl: »Nehmen Sie den Mann fest!«
Der Oberzöllner gab mir meinen Pass zurück und entschuldigte sich halbherzig. Es war eine Verwechslung. Ich raffte all meine Habe zusammen und eilte nach draußen, um mich mit drei Tequilas zu beruhigen.
Ich weiß nicht, warum ich damals gefilzt wurde. Vielleicht gab es irgendeinen IRA-Terroristen mit meinem Namen. Aber ich hatte keine Wahl, als dort zu bleiben, bis sie mich wieder gehen ließen. Versuchen Sie das mit einem gefälschten Pass und schauen Sie, wie gut Sie durchhalten.
Noch einmal: Ich bin absolut gegen neue Identitäten. Stellen Sie sich vor, Sie sind jetzt Herr Wilhelm Wegner aus Baden-Baden und schlürfen gerade mit Ihrer Freundin und deren Familie Piña Colada, als Ihr bester Freund aus Schulzeiten auf sie zustürmt. Der Volltrottel ruft Sie bei Ihrem echten Namen, Klaus Hempel. Jetzt erklären Sie das mal den Anwesenden. Neue Identitäten sind wie russisches Roulette. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die falsche Kammer der Revolvertrommel an die Reihe kommt!
Schreddern Sie nicht Ihre gesamte Identität, wenn Sie untertauchen. Legen Sie sich ins Zeug, um Ihre offizielle Existenz so unsichtbar wie möglich zu machen, und führen Sie Ihre Verfolger mit einem Gewirr von Falschinformationen in die Irre.
Gleichzeitig sollten Sie jedoch sicherstellen, dass Sie etwas von Ihrem alten Leben zurückgelassen haben. Sie sollten die Stadt mit Ihrem echten Pass und Ihrer echten Geburtsurkunde verlassen, aber nehmen Sie nicht die Hobbys, Geschäftskontakte und Routinen mit, die Ihr altes Leben prägten. Warum? Detektive, die hinter Ihnen her sind, werden wahrscheinlich davon erfahren und mit diesen Anhaltspunkten im Hinterkopf nach Ihnen fahnden. So schwer es sein mag, sich damit abzufinden, um eine bittere Wahrheit werden Sie nicht herumkommen:
Zu verschwinden bedeutet, Ihren Lebensstil zu wechseln. Ändern Sie Ihre Interessen, Vorlieben und Steckenpferde, oder sie werden Ihr Untergang.
Als ich noch Kopfgeldjäger war, nutzte ich ständig Hinweise auf die Vorlieben und Hobbys meiner Zielpersonen, um ihnen auf die Schliche zu kommen. Eins meiner Lieblingsbeispiele ist der Fall eines schlauen Halunken.
Bevor in den USA jemand vor Gericht angeklagt werden kann, müssen ihm zuerst die Klageschrift und die Vorladung des Gerichts persönlich zugestellt werden. Ab und zu erhielt ich, wenn sich ein Beklagter einer solchen Zustellung zu entziehen versuchte, den Auftrag, ihn aufzuspüren und ihm die Gerichtsdokumente zu übergeben. Ich war nie ein großer Freund des amerikanischen Rechtssystems, aber zu einer schönen Herausforderung konnte ich noch nie Nein sagen, und so kamen über die Jahre so einige knifflige Zustellungsaufträge dieser Art zusammen.
Einer dieser Fälle war ein schlauer Halunke, ein Kunsthändler, der sich geweigert hatte, einen Oldtimer zu bezahlen, den er auf einer Auktion für 400 000 Dollar ersteigert hatte. Das Auktionshaus reichte Klage ein und beauftragte mich damit, den Burschen aufzuspüren, um ihm die Klageschrift und die Vorladung des Gerichts persönlich auszuhändigen.
Wie ich herausfand, lebte er in einem Stadthaus in Manhattans Lower East Side. Ein schmiedeeisernes Tor schützte seine Galerie und sein Heim vor zudringlichen Besuchern. Die Galerie war nicht öffentlich zugänglich und konnte nur nach Vereinbarung besichtigt werden. An ihn heranzukommen würde sich ziemlich schwierig gestalten, denn um die meisten Besucher der Galerie kümmerte er sich nicht persönlich, und ich konnte ja nicht einfach in seine Privaträume stürmen und ihm die Dokumente auf den Tisch knallen.
Das alles geschah ein paar Wochen nach dem Tod von Keith Haring, dem gefeierten Pop-Art-Künstler, der durch seine »Subway Drawings« in den Gängen der New Yorker U-Bahn zu Ruhm gelangt war. Ich rief bei dem Halunken an, stellte mich als Pat Brown vor und gab vor, eine Familie zu vertreten, die einige Zeichnungen von Keith Haring zum Kauf anbiete.
Er bat mich, ihm ein paar Polaroidfotos der Zeichnungen zu schicken. »Ich habe nur einen Satz davon«, erwiderte ich. »Wenn Sie selbst kein Interesse haben, könnten Sie mir wohl jemanden nennen, den die Arbeiten interessieren würden?« Ich wusste, dass Kunsthändlern bei der Aussicht, Zeichnungen von Haring zu ergattern, der Mund wässrig wurde.
Er schlug mir vor, zu seiner Galerie zu kommen.
Ich fuhr zu dem Stadthaus und klingelte, doch statt des gewieften Halunken erschien nur sein Lustknabe, begrüßte mich und bat um die Fotos. Ich stand zwischen dem schmiedeeisernen Tor und der Eingangstür des Hauses. »Ich gebe sie nicht aus der Hand«, antwortete ich, »es ist mein einziger Satz.«
Er versicherte mir, dass er dem Händler die Fotos nur kurz zeigen würde und ich ja so lange draußen warten könne.
»Nein«, sagte ich. »Sie vergeuden meine Zeit.« Ich machte Anstalten, auf dem Absatz umzukehren, da trat ein älterer Weißer aus dem Haus, dessen Gesicht dem Foto von der Auktion ähnelte. Mein Herz schlug schneller, aber ich hielt meine Fassade aufrecht.
»Verschwenden Sie nicht meine verdammte Zeit«, maulte er. Er kam auf mich zu, stellte sich vor und lud mich in die Galerie ein. Ich hielt den Umschlag in der Hand, voller Fotos, wie er annehmen musste. Weit gefehlt! Wir gingen hinein, die Galerietür hinter mir begann sich langsam zu schließen, da erkannte ich zu meinem Schreck, dass es eine jener automatischen Türen war, die sich nur per Knopfdruck öffnen ließen. Verdammt!, dachte ich. Ich musste die Sache sofort zu Ende bringen.
»Sind Sie Mr X?«, fragte ich noch einmal.
Wieder bejahte er.
Ich warf ihm den Umschlag zu. »Dann haben Sie hiermit die Klageschrift gegen Sie erhalten!«
Sein Gesicht färbte sich flamigorosa: weiß vor Schreck, rot vor Wut. Füße, lasst mich jetzt bloß nicht im Stich, dachte ich. Ich bekam die Tür zu fassen, noch bevor sie ins Schloss fiel, und stürzte nach draußen. Er war direkt hinter mir, möglicherweise quoll Qualm aus seinen Ohren. Zum Glück ließ sich die Haustür problemlos öffnen.
Auf dem Bürgersteig rannte ich geradewegs den Block hinunter. Der Halunke war mir dicht auf den Fersen, brüllte und fuchtelte mit den Händen durch die Luft. Ich erhöhte das Tempo, aber nur kurz, dann nahm ich keuchend zu einem bewährten New Yorker Hilfsmittel Zuflucht und warf die Mülltonnen hinter mir um. Er fing an, Tonnendeckel wie Frisbee-Scheiben hinter mir herzuschleudern.
Schließlich sausten die Prozessdokumente an mir vorbei und ich bog rechts in die Lexington Avenue. Nachdem ich mich eine Weile zwischen Schlipsträgern hindurchgeschlängelt hatte, duckte ich mich in eine Bar und bestellte drei Tequilas. Ich hatte einen weiteren Tag überlebt.
Was ist die Moral von der Geschichte? Bei seinem Versuch zu »verschwinden« hatte der Halunke eine Flanke offen gelassen. Er wohnte zwar an einem nicht eingetragenen Wohnsitz und verbarg sich vor Fremden, aber er konnte es nicht lassen, weiter Kunst zu sammeln, was bedeutete, dass jeder, der von seiner Neigung wusste, mit einer kleinen List ein Vier-Augen-Gespräch arrangieren konnte. Wenn Sie selbst verschwinden möchten, hören Sie auf, all die Dinge zu tun, die andere von Ihnen erwarten würden. Geben Sie sich keine Blöße, und um Himmels willen:
Googeln Sie sich nicht selbst, nachdem Sie sich aus dem Staub gemacht haben.
Nachdem Olivia Newton-Johns Exliebhaber Patrick McDermott verschwunden war, versuchten die gewitzten Rechercheure der NBC-Kriminaldoku Dateline, ihn mit einer Webseite namens »Find Patrick McDermott« aufzuspüren. Und siehe da, ein paar Wochen später erhielt die Webseite zahlreiche Aufrufe aus der Nähe von Acapulco, Mexiko, dem Ort, an dem sich McDermott versteckt hielt. Seine Eitelkeit hatte ihn verraten.
Einfach Sie selbst sein: Das ist das Gegenteil dessen, was Sie tun sollten, sobald Sie untergetaucht sind. Ich kenne zahlreiche Anekdoten, die das belegen: der Bücherwurm, der seine Buchklubmitgliedschaft zu seinem neuen Wohnort in der Dominikanischen Republik mitnahm; der Feinschmecker, der es nicht lassen konnte, sich seine Lieblingsgerichte ins Haus liefern zu lassen. Sie alle habe ich aufgespürt. Nutzen Sie Ihr Verschwinden als willkommenen Anlass, etwas Neues auszuprobieren!