Kapitel 23

­VALERIE

Eine Woche war es nun her, seitdem ­Valerie die Nachricht an ihre Schwester abgeschickt und den Kontakt zu ­Sebastian abgebrochen hatte. Am Tag danach war sie mit einem ­mächtigen Kater aufgewacht, und nachdem sie realisiert hatte, was sie in ihrem betrunkenen Zustand ­gemacht hatte, hätte sie die E-Mail an Mia am liebsten rückgängig gemacht. Es war richtig gewesen, bei ­Sebastian die Notbremse zu ziehen, damit sie beide sich nicht noch mehr in Gefühle verstrickten, die zweifellos da waren. Denn aus ihnen konnte nun mal kein Paar werden. Dass sie sich aber zum Schutz ­davor auch in Mias Leben einmischte, indem sie auf dem Verkauf des Hauses bestand, war hingegen nicht in ­Ordnung. Warum sie das gemacht hatte, konnte sie nur mit dem emotionalen Ausnahmezustand erklären, in den sie durch den Tod des Vaters, die Rückkehr nach Bayern und die ­Begegnung mit ihrer Schwester und ­Sebastian ­geraten war.

Mia hatte sich auf ihre Nachricht hin nicht gemeldet, was ihr zeigte, wie sauer sie auf ­Valerie sein musste. Und das zu Recht, wie sie sich selbst eingestand. Mehrmals hatte sie inzwi­schen zum Telefon gegriffen, um sie anzurufen und sich zu entschuldigen. Und, um ihr zu sagen, dass sie das Haus natürlich behalten konnte, so lange sie wollte. ­Valerie war ganz sicher nicht auf das Geld aus ihrem Anteil angewiesen. Doch jedes Mal hatte sie der Mut verlassen. Und auch als sie ihr schreiben wollte, fand sie nicht die richtigen Worte. Sie wollte nicht noch einen weiteren Fehler machen. Deswegen hatte sie schließlich ihren Anwalt informiert, der ein Dokument aufsetzen sollte, das ihren Verzicht auf das komplette Erbe beinhaltete.

Gleich nach dem Frühstück würde sie in die Kanzlei ­fahren, um zu unterschreiben. Wenn Mia die offizielle ­Bestätigung hätte, dass alles ihr gehörte, konnten sie vielleicht irgendwann wieder zu einem Neuanfang finden. Und bis dahin würde auch die Sache mit ­Sebastian überwunden sein. Hoffte sie zumindest.

Als ­Valerie Kaffee machen wollte, bemerkte sie, dass die Kaffeebohnen für ihren sündhaft teuren italienischen Siebträger ausgegangen waren. Nachdem sie die letzten Nächte immer sehr spät ins Bett gekommen war und zudem schlecht geschlafen hatte, brauchte sie dringend ­Koffein, um den Tag zu überstehen.

Sie fuhr mit dem Aufzug nach oben in die Penthousewohnung.

»Hallo, Anthony, kann ich mir Kaffee ausleihen, meiner ist aus?«, fragte sie ihren Stiefvater, der ihr die Tür geöffnet hatte.

»Klar. Komm rein.«

»Ist Mutter nicht da?«

»Sie ist heute schon sehr früh los«, erklärte er. »Irgend­was Wichtiges, das mit deiner Party zu tun hat.«

»Verstehe.«

»In einer Stunde kommen die Dekorateure, und ich bin am überlegen, ob ich die nächsten drei Tage bis Weihnachten nicht besser ins Hotel ziehen sollte.«

»Würde ich an deiner Stelle machen … Außer du möchtest bis dahin gern in einem Winterpalast leben.«

Er lachte.

»Vielleicht wäre das ja mal eine ganz neue Erfahrung«, sagte er.

»Du bist sicher froh, wenn das alles vorüber ist, nicht wahr?«, fragte ­Valerie, während sie die riesige Küche ­ansteuerte.

»Genau so froh wie du«, sagte er schmunzelnd.

»Bin ich so einfach zu durchschauen?«, fragte sie ­ertappt.

»Ach, ­Valerie. Ich kenne dich jetzt schon seit so vielen Jahren. Du machst das nur, weil es deiner Mutter so wichtig ist. Genau wie ich mich ihretwegen auf solche Events einlasse, ohne ihr zu gestehen, wie sehr mich das nervt.«

Die beiden sahen sich an und lächelten in ihrer geheimen Komplizenschaft.

»Wobei es mir lieber wäre, deine Mutter hätte etwas für dich organisiert, worüber du dich wirklich freuen würdest. Immerhin wird man nur einmal dreißig, Val«, sagte er.

»Mein Geburtstag ist mir nicht so wichtig, Anthony«, winkte ­Valerie ab.

»Das war er noch nie«, sagte er.

»Doch«, sagte sie leise. »Früher habe ich diesen Tag ­geliebt.«

Er nickte nur, und ­Valerie wusste, dass er sie ohne weitere Erklärungen verstand.

Sie öffnete das Regal, in dem die Porzellandose mit den Kaffeebohnen war.

»Die ist ja auch leer«, stellte sie fest.

»In der Speisekammer ist immer ein Vorrat«, erinnerte Anthony sie. »Warte, ich hol sie dir.«

»Danke!«

Während er in den kleinen Nebenraum verschwand, bekam ­Valerie einen Anruf. Die Sprechstundenhilfe ihres Zahnarztes, die einen bereits vereinbarten Termin ändern musste.

»Moment«, sagte ­Valerie, »ich notiere Ihre Vorschläge und rufe zurück, wenn ich sie mit meinen Terminen abgeglichen habe. Ich brauche nur was zu schreiben, ­Augen­blick.«

Sie wollte die Krimskrams-Schublade in der Kommode öffnen, in der Stifte, verschiedene Schreibblöcke, Tesafilm und weitere Utensilien verstaut waren. Doch irgendetwas schien zu klemmen, sie ließ sich jedenfalls nicht aufziehen. Anthony kam inzwischen mit einer Packung Kaffeebohnen zurück.

»Ich bräuchte einen Stift und Papier«, sagte sie in seine Richtung und deutete auf die Schublade. Er stellte den Kaffee ab und versuchte, sie aufzubekommen. Ein dickes Kuvert, das ganz nach hinten geschoben war, hatte sich verklemmt. Er zog es heraus und reichte ihr dann Stift und Block.

»So, welche Termine sind jetzt noch frei?«, fragte Valerie die Sprechstundenhilfe.

Sie notierte die Vorschläge, bedankte sich und legte auf.

»Schau mal«, sagte Anthony verwundert. »Auf dem Kuvert steht dein Name. Es ist aus Deutschland.«

»Was?«

Überrascht nahm ­Valerie es in die Hand.

»Von Mia!«, sagte sie.

Das Datum auf dem Poststempel war noch keine zwei Wochen alt. Was machte das Kuvert dann hier in der Schublade ihrer Mutter? Plötzlich fiel ihr ein, dass ­Olivia letzte Woche ihre Post mit nach oben genommen hatte, als sie von ihrem Einkaufsbummel nach Hause gekommen waren.

»Warum hat Mutter es mir nicht gegeben?«, fragte sie verwundert.

»Keine Ahnung«, antwortete Anthony, offenbar selbst irritiert. »Aber es ist nicht geöffnet.«

»Trotzdem. Das kann sie doch nicht machen!«, sagte ­Valerie plötzlich empört. »Sie kann mir doch nicht meine Post vorenthalten!«

»Ich verstehe auch nicht, was sie sich dabei gedacht hat, ­Valerie. Aber das müsst ihr unbedingt klären. Seit deiner Reise nach Bayern verhält sie sich wirklich seltsam, auch wenn sie versucht, es zu überspielen.«

»Ich … ich muss jetzt gehen«, sagte ­Valerie, die ihren Zorn auf die Mutter nur mühsam verbergen konnte. »Und ich bitte dich, ihr nicht zu sagen, dass ich das Kuvert gefunden habe, Anthony. Ich will ihr gegenüberstehen, wenn ich sie damit konfrontiere.«

»Okay«, stimmte er zu, wenn auch erst nach einem kurzen Zögern. »Aber mach das bald. Sonst werde ich es tun. Ich weiß nicht, was momentan in ihr vorgeht, aber ich habe das Gefühl, es gibt hier dringenden Klärungsbedarf!«

Nun saß ­Valerie auf dem Sofa in ihrem Wohnzimmer und starrte auf das dicke Kuvert in ihrer Hand. Sie hatte den Termin beim Anwalt vorerst abgesagt. Erst wollte sie wissen, was Mia ihr geschickt hatte, und dann mit ihrer Mutter ­klären, warum sie ihr die Post vorenthalten hatte.

Beim Öffnen des wattierten Kuverts zitterten ihre Hände. Als sie darin neben dem gebastelten Weihnachtsstern und den alten Fotos der Familie auch die Briefe ihres Vaters entdeckte, war sie zutiefst erleichtert, dass sie doch nicht im Müll gelandet waren. Obwohl sie es zu verdrängen versucht hatte, hatte sie es in den letzten Tagen bitter bereut, dass die Briefe vermeintlich für immer verloren waren.

»Ach Mia, du blöde Kuh«, sagte sie, und sie musste gleichzeitig lachen und weinen. Sie hielt den Weihnachtsstern mit den bunten Perlen in der Hand und hatte plötzlich vage den Tag in Erinnerung, an dem sie ihn gebastelt hatten. Sie waren damals noch in der Grundschule gewesen in der ersten oder zweiten Klasse. Sie legte ihn weg und nahm als Nächstes die Fotos in die Hand. Verschiedene Bilder von Mia und ­Valerie, als sie noch klein gewesen waren. Oder mit ­Valerie und ihrem Vater. Auf einem Foto waren sie zu dritt auf dem Bild. Nur ihre Mutter fehlte.

Zwischen den Briefen entdeckte sie ein zusammengefaltetes Blatt Papier mit einer handgeschriebenen Nachricht ihrer Schwester. Sie legte die Fotos zur Seite und nahm das Blatt in die Hand.

Liebe ­Valerie,

bitte sei mir nicht böse, dass ich die Briefe gerettet habe. Indem ich dir nicht sagte, dass Vater krank war, habe ich einen großen Fehler gemacht, den ich nicht rückgängig machen kann, auch wenn ich es mir noch so sehr wünsche. Deswegen wollte ich dich ­davor ­bewahren, dass du irgendwann womöglich auch bedauern würdest, dass du seine Briefe an dich nie gelesen hast. Ich überlasse es nun dir, was du damit machst. Aber ich hoffe sehr, dass du sie lesen wirst und dass sie dir irgendwie helfen und du ein wenig Trost finden kannst. Und vielleicht tragen sie dazu bei, dass wir beide irgendwann wieder zusammenfinden können. Du fehlst mir, Schwester. Hast mir immer gefehlt. Hab dich lieb! Deine Mia

Während ­Valerie die Nachricht ihrer Schwester las, liefen ihr Tränen über die Wangen. Sie weinte, wie sie zum letzten Mal an dem Tag geweint hatte, als sie erfahren hatte, dass ihr Vater doch nicht nach New York reisen würde, um sie und ihre Mutter zurückzuholen. Aufgeregt und voller Vorfreude auf die baldige Ankunft ihres Vaters war sie an diesem Tag von der Schule nach Hause gekommen, als Kate ihr eröffnet hatte, dass ihre Mutter wegen der heftigen Auseinandersetzungen mit ­Albert mit einem Nervenzusammenbruch in einer Klinik liege. Und dass sie nicht damit rechnen solle, dass ihr Vater wirklich käme. ­Valerie hatte nicht nachgefragt, woher ihre Großmutter das wusste. In diesem Haus geschah offenbar nichts, ohne dass sie davon erfuhr. ­Valerie hatte sich in ihrem Zimmer verbarrikadiert und stundenlang ­geweint. Bis ihr Großvater sie schließlich überreden konnte herauszukommen.

Als ihre Mutter einen Tag später aus der Klinik zurückkam, hatten sowohl ­Olivia als auch ­Valerie sich verändert. Das Thema ­Albert und Mia war für eine Weile im Haus tabu gewesen. Erst nach längerer Zeit durften die Mädchen wieder Kontakt zueinander haben. Doch es war niemals mehr so wie zuvor. Die gelegentlichen Telefonate mit ihrem Vater fühlten sich oberflächlich an, und Mia hatte sich ­geweigert, mit ihrer Mutter zu sprechen. Erst nach einigen Jahren hatten die beiden sich an Feiertagen kurz miteinander eher pflichtbewusst frohe Weihnachten oder alles Gute zum Geburtstag gewünscht. Doch auch das hatte irgendwann wieder aufgehört.

Nachdem ­Valerie sich nach der Nachricht ihrer Schwester endlich einigermaßen gefangen hatte, öffnete sie den ersten Brief ihres Vaters. Da auf den Kuverts kein Datum stand, las sie die Briefe nicht chronologisch, sondern nahm sie einfach so, wie sie kamen.

Er hatte den Brief, den sie als Erstes las, mit dem Füller geschrieben. Sie war damals einundzwanzig gewesen, und ­Albert war für ein paar Tage in Florenz bei einem Konzert gewesen. Er schilderte ihr in blumigen Worten, wie herrlich diese Stadt war und wie besonders man hier die Vergangenheit spüren konnte. Er schwärmte ihr vor von den Uffizien, der Kathedrale und von einem reizenden kleinen Café in der Nähe der Ponte Vecchio, der ältesten Brücke über den Arno, in dem er täglich einen Espresso zum Frühstück trank und dazu ein Plunderhörnchen mit Schokoladenfüllung genoss. Vielleicht kann ich irgendwann einmal mit dir in diesem Café sitzen und dir anschließend die schönsten Plätze in Florenz zeigen, meine liebe Walli, hatte er diesen Brief geendet.

In einem anderen Brief hatte er ihr von dem Ringeltauben-Paar erzählt, das wieder im Garten nistete. Ich denke, es ist immer noch dasselbe Paar, meine liebe Walli. Aber vielleicht täusche ich mich ja.

Den nächsten Brief hatte er an dem Heiligen Abend ­geschrieben, als Mia und ­Valerie sechzehn Jahre alt wurden. Ein trauriger Brief, an einem Tag, an dem er seine andere Tochter ganz besonders vermisste. Ich träume davon, dass wir irgendwann wieder ein gemeinsames Weihnachten verbringen werden, meine liebe Walli , endete diese Nachricht.

­Valerie schluckte. Sie brauchte jetzt erst einmal eine Pause. Die Briefe waren emotional so aufwühlend, dass sie nicht einmal mitbekommen hatte, dass es inzwischen bereits Nachmittag war. Sie hatte ihr Handy ausgeschaltet und hoffte, dass Anthony der Sekretärin mitgeteilt hatte, dass sie heute nicht zur Arbeit kommen würde.

Sie rief den Lieferservice an und ließ sich eine Pizza und einen Salat bringen. Doch schon nach wenigen Bissen schob sie den Teller von sich. Ihr Magen weigerte sich, mehr aufzunehmen.

Vielleicht wäre es am besten, für heute mit den Briefen aufzuhören. Doch irgendwie konnte sie das nicht. Sie wollte unbedingt wissen, was ihr Vater ihr zu sagen hatte. Beherzt öffnete sie das nächste Kuvert.

Ein eher fröhlicher kurzer Brief aus dem Sommer 2004 mit einem Foto, auf dem er mit Mia auf der Fraueninsel im Chiemsee war. Mia hat endlich die Windpocken überstanden, und wir machen den ersten kleinen Ausflug, hatte er geschrieben. ­Valerie hob den Kopf und überlegte kurz. Auch sie hatte Windpocken gehabt, das war … Gänsehaut lief ihr plötzlich über den Rücken … das war auch im Sommer 2004 gewesen. Zwei Wochen, bevor ihre Mutter und Anthony geheiratet hatten. ­Olivia war deswegen fast hysterisch geworden, weil Anthony die hochansteckende Kinderkrankheit selbst noch nicht gehabt hatte. Bis zum Hochzeitstag hatte ­Valerie nicht mehr in seine Nähe kommen dürfen, und ­Olivia hatte seine Haut mehrmals täglich von oben bis unten kontrolliert, um sicherzugehen, dass noch keine verdächtigen ­Rötungen zu entdecken waren.

Die Hochzeit war reibungslos verlaufen. Die vierzehn­tägigen Flitterwochen erlebte Anthony allerdings mit 39 Grad Fieber und schrecklich juckenden Pusteln bei 30 Grad Hitze auf den Bahamas komplett im Hotelzimmer.

­Valerie hatte immer das Gefühl gehabt, dass ­Olivia ihr dafür die Schuld gegeben hatte, auch wenn sie natürlich nichts dafür konnte.

Sie nahm das Foto in die Hand. Wenn man es genauer betrachtete, konnte man auf Mias Gesicht noch kleine rote Stellen sehen, die auch bei ihr eine Weile gebraucht hatten, bis sie gänzlich verschwunden gewesen waren. Eine Windpockennarbe am Hals unter ihrem linken Ohr war geblieben, weil sie damals nicht aufhören konnte, sich zu kratzen.

Und dann gab es einen Brief mit einer kurzen Nachricht nach Mias Abiturfeier. ­Albert hatte auch hier ein Foto mit ins Kuvert gesteckt, auf dem er und Mia und auch ­Sebastian standen und stolz in die Kamera lächelten.

­Valerie betrachtete es lange. Aus dem kindlichen ­Sebastian war inzwischen ein junger Mann geworden, der in seinem Anzug bereits eine gute Figur machte. Wilde Sehnsucht nach dieser Zeit überkam sie, und sie fragte sich, ob sie an diesem Tag ein Paar gewesen wären, wenn sie in Prien geblieben wäre. Wie wäre ihr weiteres Leben verlaufen? Hätten sie sich während des Studiums aus den Augen verloren? Oder wären sie womöglich immer noch zusammen und vielleicht sogar verheiratet?

»Hör auf, über so etwas nachzudenken!«, sagte sie laut vor sich hin, legte das Foto zur Seite und öffnete den nächsten Brief.

Er war viel länger als alle, die ­Albert danach geschrieben hatte. Es war der erste Brief von dem Tag Anfang ­Januar 2002, an dem er eigentlich nach New York geflogen wäre. ­Valerie spürte, wie ihr Herz schneller schlug und alle Alarmglocken zu schrillen begannen. Dieser Brief würde ihr hoffentlich endlich erklären, warum es zu dem großen Zerwürfnis gekommen war. Und auch wenn sie die Wahrheit wissen wollte, so hatte sie doch ein wenig Angst davor. Trotzdem wollte sie es jetzt hinter sich bringen und nicht länger aufschieben. Sie nahm einen großen Schluck Wasser, bevor sie zu lesen begann.

Meine liebe Walli,

heute ist der schwärzeste Tag in meinem Leben. Ich habe mich auf einen Handel eingelassen und jetzt das Gefühl, als hätte ich meine Seele an den Teufel verkauft. Meine Koffer waren bereits für New York gepackt, als der Anruf deiner Großmutter kam. Ich wusste natürlich, dass ­Olivia und ich in unserer Ehe Schwierigkeiten hatten, aber noch hatte ich die Hoffnung, dass wir das alles wieder hinbekommen würden, weil wir uns lieben. Doch diese Hoffnung ist nun endgültig zerstört. Deine Großmutter hat mir die Wahrheit gesagt, die deine Mutter mir verschwiegen hat. ­Olivia liebt einen anderen Mann. Diesen ­Anthony, den sie wohl schon von früher kennt. Ich wollte es ­zuerst nicht glauben, aber Kate hat mir per E-Mail ­Fotos ­geschickt, auf denen zu sehen ist, wie glücklich die beiden miteinander sind. Deine Mutter will mit ihm zusammen sein. Deswegen hat deine Großmutter mir einen Handel vorgeschlagen. Sie wird ­Olivia davon abhalten, auch das Sorgerecht für Mia zu beantragen, das sie mit Hilfe der teuren Anwälte, die für ­Anthony arbeiten, sicher durchsetzen könnte, wie deine Oma mir versicherte. Du, meine liebe Walli, bleibst bei deiner Mutter, und Mia soll bei mir bleiben. Dafür verlangt sie, dass ich in eine schnelle Scheidung einwillige und außerdem mein Versprechen, dass ich nicht darauf drängen werde, dich in den nächsten Jahren zu sehen. Und ich darf es weder dir noch Mia erzählen. Sollte ich mit diesen Bedingungen nicht einverstanden sein, würde ich in absehbarer Zeit auch Mia verlieren. Ich hoffe, du wirst mir das eines Tages verzeihen können, meine liebe kleine Walli. Und ich hoffe, dass du bei deiner Mutter glücklich sein wirst. Leider kann ich diesen Brief nicht an dich abschicken, aber ich musste ihn dir trotzdem schreiben. Für später. Falls ich ­jemals den Mut haben werde, ihn dir zu geben. ­Damit du mich vielleicht verstehen kannst. Ich liebe dich unendlich, mein Mädchen. Dein Paps!

­Valerie war zu geschockt, um zu weinen. Sie konnte einfach nicht fassen, was sie eben gelesen hatte. Konnte das wirklich wahr sein? Wenn sie an ihre Großmutter dachte, traute sie es ihr auf jeden Fall zu. Sie hatte ihre Tochter damals ­zurückhaben wollen und ihren Willen durchsetzen können. Dafür war ihr jedes Mittel recht gewesen. Offenbar hatte sie die Mails gelesen, die Mia und sie sich geschickt hatten und womöglich sogar ihr nächtliches Telefongespräch ­belauscht. Hatte sie nicht sogar einmal gesagt, dass sie alles tun würde, um ­Olivia in New York zu behalten?

Ein Ziehen im Bauch kündigte die altbekannten Schmerzen an. Erschöpft stand sie auf und ging im Zimmer auf und ab. Dass auch Anthony bei diesem Komplott eine Rolle ­gespielt hatte, schmerzte sie zu ihrer Überraschung am meisten. Sie hätte ihn nicht für einen Mann gehalten, der sich an die Ehefrau eines anderen Mannes heranmacht.

­Valerie versuchte, langsam aus- und einzuatmen, um sich irgendwie zu beruhigen. Doch das, was sie eben erfahren hatte, tat viel zu weh, das konnte sie nicht wegatmen. Ihr Vater hatte auf sie verzichtet, um Mia nicht auch noch zu verlieren. Und ihre Mutter hatte auf Mia verzichtet, damit sie ihr neues Glück mit Anthony leben konnte. Ihre Eltern hatten sich auf Kosten der Kinder voneinander freigekauft. Zumindest fühlte es sich in diesem Moment so für sie an. Wusste Mia inzwischen auch von diesem Deal? Weigerte sie sich deswegen noch immer, mit ihrer Mutter Kontakt zu haben?

­Valerie sehnte sich danach, mit jemandem über all das zu reden. Doch alle, die ihr nahestanden, hatten sie auf irgendeine Weise betrogen. Und den einzigen Menschen, der sie nicht betrogen hatte, hatte sie ganz barsch aus ihrem Leben gestrichen.

Für einen Moment überlegte sie, Konstantin anzurufen. Doch letztlich war er für sie nur ein oberflächlicher ­Bekannter, mit dem sie sich auf einen kindischen Plan eingelassen hatte, weil sie sogar in ihrem Alter nicht in der Lage waren, den Eltern deutlich zu sagen, dass sie sich nicht in ihre Beziehungs­fragen einmischen sollten. In diesem ­Moment schämte sie sich für ihren fehlenden Mut.

Vor ihr lagen noch einige ungeöffnete Briefe. Würden sich noch weitere verletzende Geheimnisse eröffnen? Sie wollte es jetzt einfach hinter sich bringen, also las sie weiter. Doch auch wenn ­Alberts restliche Nachrichten berührend und kostbar waren, so gaben sie nichts Belastendes mehr preis. Nur das Gefühl, so viel Gemeinsames im Leben verpasst zu haben.

Mit einem Mal überkam sie eine große Ruhe. Sie wusste, was sie zu tun hatte.

Nach einer langen heißen Dusche schlüpfte sie in die Jeans und den Pulli, die sie am Chiemsee gekauft hatte, steckte den Brief ihres Vaters mit der Erklärung für alles in eine kleine Umhängetasche und machte sich auf den Weg nach oben zu ihrer Mutter.

Handwerker gingen aus und ein und brachten die ­Materialien für die Dekoration nach oben. Vieles davon stand schon in der großen Wohndiele oder wurde gerade aufgebaut.

Als ­Valerie sah, dass ihre Großmutter neben ­Olivia stand, brachte sie das für einen Moment aus dem Konzept. Mit ihr hatte sie jetzt nicht gerechnet. Doch vielleicht war es ganz gut, wenn sie beide zusammen zur Rede stellte. Und heute wollte sie sich von der Respekt einflößenden alten Dame nicht mehr kleinkriegen lassen.

»Entschuldigung! Alle bitte mal herhören!«, rief sie, und die Leute von der Dekorationsfirma blieben stehen und sahen sie erwartungsvoll an.

»­Valerie! Bist du gar nicht im Büro?«, fragte ihre Mutter überrascht.

»Ich möchte Sie bitten, die ganzen Sachen wieder zu entfernen. Die Dekoration wird hier nicht mehr gebraucht, aber Sie bekommen natürlich das vereinbarte Honorar für den Auftrag.«

Die Arbeiter und auch ihre Großmutter sahen sie perplex an.

»­Valerie! Soll das jetzt ein Scherz sein?«, fragte ihre ­Mutter ungläubig.

»Nichts da! Alles bleibt natürlich hier!«, mischte sich nun auch Kate ein. »Der Auftrag wird durchgeführt.«

»Was denn jetzt? Weitermachen oder aufhören?«, fragte einer der Männer, bei dem es sich vermutlich um den Chef handelte.

»Natürlich weitermachen!«, sagte ­Olivia.

Die Leute machten sich kopfschüttelnd wieder an die ­Arbeit.

»Meinetwegen könnt ihr euch die Deko auch machen lassen«, sagte ­Valerie gefasst. »Aber ich werde meinen ­Geburts­tag nicht hier feiern«, fügte sie entschlossen hinzu.

»Ich bitte dich, ­Valerie, was soll das denn?«, fragte ­Olivia. »Es ist deine Geburtstagsparty, die wir schon seit Monaten planen.«

»Die DU seit Monaten planst, Mutter. Es ist nicht meine Party, sondern deine!«

»Was redest du denn für einen Unsinn, ­Valerie!«, fuhr Kate sie an. »Sei froh, dass deine Mutter sich diese ganze Mühe für dich macht.«

»Ach ja? Und sie macht sich diese ganze Mühe, weil ich sie darum gebeten habe, oder was? Ich wollte das nie! Diese Party ist nur zwei Leuten wichtig. Dir und Mutter!«

Empörung trat in die Augen der alten Dame, die in ihrem schicken Kostüm wie aus dem Ei gepellt aussah.

»Wie redest du denn mit mir?«

»So wie ich es für angebracht halte.«

Bei diesen Worten schien es ihrer Großmutter die Sprache zu verschlagen. Jedenfalls war sie vorübergehend still.

»Sag mal, ­Valerie, kannst du mir bitte mal erklären, was das soll?«, fragte ­Olivia stattdessen.

»Vielleicht kannst du mir besser mal erklären, warum du Post meiner Schwester an mich zurückhältst.«

­Olivias Gesichtsausdruck wirkte plötzlich wie versteinert.

»Woher …«

»Ich habe das Kuvert in der Schublade gefunden. Was sollte das, Mutter?«

»Ich … ich habe nichts gelesen«, sagte sie rasch.

»Vielleicht hättest du das ja noch getan. Wer weiß?«, fuhr ­Valerie sie an. »Warum hast du meine Post hier oben versteckt?« Sie ließ nicht locker.

»Bitte, ­Valerie. Es tut mir leid. Das war ein Fehler. Aber versteh mich doch. Nach deiner Rückkehr aus Bayern warst du so anders. Ich hatte plötzlich ein ganz ungutes ­Gefühl …«, verteidigte sich ­Olivia.

»Und zu Recht, Mutter! Wir müssen reden!«

­Olivia wandte sich an den Chef der Handwerker.

»Sie können jetzt eine Stunde Pause machen. Alle«, sagte sie.

»Okay. Leute, kommt!« Dann wandte er sich wieder an ­Olivia. »Aber die Pause geht auf Sie!«

»Schon gut.«

Noch während die Männer das Penthouse verließen, meldete sich Kate wieder zu Wort und verlangte: »Ich möchte jetzt auf der Stelle wissen, was da zwischen euch beiden los ist. Und dass eines klar ist! Diese Party wird stattfinden. Und du, mein Fräulein, wirst dabei sein. Was sollen Konstantin und seine Eltern nur denken? Und all die anderen Gäste? Sogar der Bürgermeister kommt mit seiner Frau, und der Abgeordnete Mar…«

»Es ist mir egal, Großmutter, was die Leute denken«, fiel sie ihr mitten ins Wort. Es tat ­Valerie so gut, dass sie endlich keine Angst mehr vor ihr hatte und sich traute, für sich selbst einzustehen. »Und was Konstantin betrifft – er ist ­sowieso nicht scharf auf diese Party.«

»Bist du von allen guten Geistern verlassen?«, fragte Kate.

»Keine Sorge, das bin ich nicht. Konstantin und ich haben euch die ganze Zeit nur etwas vorgespielt, zwischen uns läuft rein gar nichts. Wir wollten beide unsere Ruhe und waren eure ständigen Versuche leid, uns miteinander zu ­verkuppeln.«

Sorry, Konstantin , dachte sie, aber ich kann das Spielchen nicht länger aufrechterhalten.

»Also, das ist ja nicht zu glauben!«, rief Kate empört, und auch ­Olivia schüttelte ungläubig den Kopf.

»Eine Sache ist tatsächlich nicht zu glauben. Und zwar die, wie ihr beide mit anderen Menschen spielt.«

­Valerie zog ­Alberts ersten Brief heraus und gab ihn ihrer Mutter.

»Dieser Brief war in dem Päckchen, das du vor mir versteckt hast, und er ist einer von vielen. Er ist von Vater. Ich hätte nie für möglich gehalten, dass ihr ihm, Mia und mir das antun würdet, nur damit du mit Anthony zusammen sein konntest.«

­Olivia schüttelte verwirrt den Kopf.

»Was redest du da?«

»Bitte, Mutter. Du kannst jetzt mit dem Theater auf­hören! Lies einfach!«

Doch in diesem Moment riss Kate ihrer Tochter den Brief aus der Hand und zerriss ihn.

»Mutter!«, empörte sich ­Olivia.

»Das ist jetzt alles nicht mehr wichtig«, sagte Kate eisig.

­Valerie war für einen Moment sprachlos. Doch sie brauchte diesen Brief gar nicht und wandte sich an ihre Mutter.

»Vater wollte nach New York fliegen und versuchen, uns zurück nach Hause zu holen, Mutter«, erklärte sie. »Weil er dich immer noch geliebt hat.«

»Hör auf, ­Valerie!«, fauchte Kate.

Doch ­Valerie ging gar nicht auf sie ein.

»Großmutter hat das herausgefunden. Vermutlich weil sie uns die ganze Zeit kontrolliert hat. Sie hat Vater angerufen und ihm erzählt, du seist schon mit Anthony zusammen. Sie hat ihm Fotos zugemailt, auf denen ihr beide ­abgebildet wart.«

»Was?« ­Olivia sah zwischen Kate und ­Valerie hin und her.

»Du und Anthony, ihr habt immer schon zusammen­gehört«, sagte Kate.

»Aber damals war doch noch gar nichts zwischen uns!«, empörte sich ­Olivia. »Wir waren einfach nur gute Freunde!«

»Ihr wart damals also noch nicht zusammen?«, fragte ­Valerie und fühlte sich plötzlich erleichtert.

»Aber nein! Er war doch sogar noch verlobt!«

­Valerie hatte das damals alles gar nicht richtig mitbekommen, sie war viel zu sehr damit beschäftigt gewesen herauszufinden, wann sie ihre Schwester wiedersehen, wann sie wieder zu Hause sein würde.

»Ich hätte mich nie in seine Beziehung gedrängt«, fügte ­Olivia hinzu.

»Von wegen«, fuhr Kate dazwischen und zerknüllte die Fetzen des Briefes. »Er war genau der richtige Mann für dich. Der Mann, an dessen Seite du sein solltest, und nicht bei einem solchen Versager wie diesem ­Albert, der dich mir weggenommen hat und euch nicht einmal anständig versorgen konnte.«

­Valerie versuchte die Beleidigungen gegen ihren Vater zu ignorieren, was ihr äußerst schwerfiel. Sie hatte plötzlich einen schlimmen Verdacht.

»Mutter, warum hattest du damals diesen Nervenzusammenbruch?«

»Weil …« Wieder sah sie zu Kate, die plötzlich um Jahre gealtert wirkte. »Weil du mir gesagt hast, dass ­Albert mir Mia und ­Valerie wegnehmen wolle. Und dass die Anwälte nach langen Verhandlungen meinten, dass er gute Chancen hätte, das durchzusetzen. Deswegen hätten die Anwälte mit ihm einen Deal vereinbart, laut dem Mia bei ihm und ­Valerie bei mir bleiben würde, jedoch nur, wenn ich versprach, den Mädchen nichts zu erzählen und Mia nicht mehr zu sehen … Für mich war das damals der schrecklichste Tag in meinem Leben!«

Kate war kreidebleich geworden und ließ sich auf einen Stuhl sinken. Doch ­Valerie hatte kein Mitleid mit ihr. Im ­Gegenteil. Sie erzählte ­Olivia, was ihr Vater geschrieben hatte und dass Kate es mit ­Albert umgekehrt genauso gemacht hatte.

Mit angespanntem Gesicht und hartem Blick ging ­Olivia auf ihre Mutter zu.

»Als ich mit ­Valerie nach New York kam, hatte ich Eheprobleme und suchte deinen Rat, Mutter. Vom ersten ­Moment an hast du mir eingeredet, was für ein Versager ­Albert ist und dass es mit uns nur bergab gehen könne. Und ich habe mich von dir beeinflussen lassen. So lange, bis ich ihm sogar die Scheidung vorgeschlagen habe. Und dann hast du dieses Intrigenspiel aufgezogen und meine Töchter unglücklich gemacht.« Ihre Stimme wurde immer lauter. »Und wozu, Mutter?«

»Weil du und meine Enkeltochter hierhergehört«, sagte Kate, ohne einen Funken von Reue. »Nach den Anschlägen habe ich bemerkt, wie wichtig es ist, dass ihr bei mir seid. Dass wir als Familie zusammengehören! Ich wollte nicht, dass du wieder gehst, ­Olivia! Und Anthony war ­genau der richtige Mann für dich. Das musste auch seine Verlobte ­einsehen.«

»Seine Verlobte? Hast du sie so weit gebracht, sich von ihm zu trennen?«, fragte ­Olivia fassungslos.

»Anthony wäre mir dankbar, wenn er wüsste, dass diese feine Verlobte sich mit einer lächerlich geringen Summe hat kaufen lassen. Mit ihrer Liebe war es wohl nicht so weit her.«

»Was bist du nur für ein Mensch?«, fragte ­Valerie schockiert.

»Du hast mir Mia weggenommen!«, flüsterte ­Olivia ­beängstigend leise.

»Dafür hattest du ­Valerie und Anthony! Und du warst doch glücklich all die Jahre!«

­Valerie sah, wie ­Olivia kurz die Augen schloss. Dann trat sie ganz nah an ihre Mutter heran. »Sag mir nur noch eines: Hat Vater davon gewusst?«

»Natürlich nicht«, antwortete Kate und hielt dem Blick ihrer Tochter stand. »Das brauchte er nicht zu wissen.«

­Olivia schüttelte fassungslos den Kopf, als ob sie immer noch nicht glauben könnte, was sie soeben erfahren hatte.

»Geh jetzt!«, sagte ­Olivia zu ihrer Mutter.

»Wenn du darüber in Ruhe nachdenkst, wirst du verstehen, warum …!«

»Geh jetzt!«, kam es lauter. »Verlass auf der Stelle meine Wohnung.«

Kate öffnete die geballte Faust und ließ die Papierfetzen fallen. Dann erhob sie sich aus dem Stuhl, nahm ihren Mantel und ging mit hoch erhobenem Haupt ohne ein weiteres Wort hinaus.

­Valerie fühlte sich plötzlich so erschöpft, als hätte sie einen Marathonlauf hinter sich. ­Olivia schien es ähnlich zu gehen. Sie drehte sich zu ihrer Tochter um.

»Ich … ich wusste das alles nicht, ­Valerie. Du glaubst mir das doch? Ich dachte wirklich, dein Vater würde dich mir wegnehmen, nur deshalb habe ich mich auf diesen Deal eingelassen. Ich kann nicht glauben, was ich gerade gehört habe.«

­Valerie nickte. Trotz allem hatte sich ihre Mutter wohl allzu leicht von Kate beeinflussen lassen, weil sie die Annehmlichkeiten des Wohlstands ihrer Eltern und das Leben in New York durchaus genossen hatte. Vielleicht war sie Kate in dieser Hinsicht gar nicht unähnlich. Aber es gab einiges am Verhalten ihrer Mutter, das sie nicht verstehen konnte. Genau so wenig wie sie ihren Vater verstand. Wie hatten die beiden das alles einfach so akzeptieren können, was Kate gesteuert hatte? War das tatsächlich jeweils die Angst davor gewesen, beide Kinder zu verlieren? Oder spielten hier auch gekränkte Eitelkeiten und Enttäuschungen eine Rolle?

Doch im Moment hatte sie keine Kraft mehr, das zu hinterfragen.

»Mutter?«

»Ja?«

»Du solltest die Handwerker nach Hause schicken. Ich werde an meinem Geburtstag nicht hier sein.«

­Olivia nickte langsam und strich sich eine imaginäre Haarsträhne aus dem Gesicht.

»Ich weiß«, sagte sie leise.

Sie brauchten jetzt wohl alle etwas Zeit, um diese Neuigkeiten zu verdauen.

­Valerie hob den zerrissenen Brief auf, steckte ihn in ihre Tasche und ging.