Kapitel 24

MIA

Nachdem Mia Daniel von ihrer komplizierten Familien­geschichte erzählt und er sich daraufhin so schnell verabschiedet hatte, war sie unsicher gewesen und hatte sich ­gefragt, ob sie ihn damit irgendwie verschreckt hatte.

Doch schon am nächsten Morgen war Daniel mit einer Papiertüte vor ihrer Haustür gestanden.

»Ich lasse frisch gebackene Sesambrötchen springen, wenn ich dafür Kaffee bekomme. Und vielleicht gibt es ja auch noch ein Stück vom Schokokuchen deines Nachbarn?«

»Guter Deal«, hatte Mia gesagt und ihn ins Haus gebeten. »Und Kuchen ist auch noch da.«

Sie hatten ausgiebig gefrühstückt, und danach waren sie zu Alma spaziert und hatten Rudi abgeholt. Körperlich waren sie sich an diesem Tag nicht näher gekommen, sie hatten sich auch nicht wieder geküsst, dafür hatten sie viel geredet und sich noch besser kennengelernt. Mia wusste nicht, ob es ein gutes oder weniger gutes Zeichen war, dass er eine gewisse Distanz hielt, aber sie fühlte sich nach wie vor wohl in seiner Nähe. Und ihm schien es offenbar ähnlich zu gehen.

In den nächsten Tagen sahen sie sich nur an den Abenden, an denen die Schüler zum Proben kamen, da Daniel kurz vor Weihnachten in der Schule jede Menge um die ­Ohren hatte.

Zusammen mit ­Sebastian hatte Mia endlich auch einen großen Weihnachtsbaum besorgt, den sie mit Hilfe von Max schmückte, der davon ganz begeistert war. Der Wintergarten war nun ein weihnachtlicher Traum, den Mia bis zum Tag des Heiligen Abends nicht mehr betreten würde.

»Was hast du eigentlich am Heiligen Abend vor?«, fragte Daniel sie, als sie wegen einer Terminverschiebung für die Probe telefonierten.

»Genau das wollte ich dich auch schon fragen«, sagte sie.

»Also, ich hab bisher noch keinen Plan«, sagte er. »Ich könnte zwar zu einem meiner Brüder fahren und dort die Weihnachtsfeiertage verbringen, aber irgendwie habe ich gar keine Lust dazu.«

»Möchtest du vielleicht zu mir kommen? Alma und Rosa werden hier sein. Und mein Nachbar ­Sebastian kommt später dazu, wenn er seinen Sohn Max zu dessen Mutter ­gebracht hat. Es ist ganz zwanglos«, schlug sie vor.

»Total gern! Soll ich irgendwas mitbringen?«

Sie hatte mit dem Kopf geschüttelt.

»Nur gute Weihnachtslaune.«

»Werde ich einen großen Sack voll dabeihaben!«

Mehrmals täglich kontrollierte sie ihr E-Mail-Postfach, da sie das Schreiben von ­Valeries Anwalt erwartete. Doch weder der Anwalt noch ­Valerie hatten sich bisher bei ihr gemeldet, und sie fragte sich, was sie davon halten sollte. Immer wieder war sie drauf und dran gewesen, ­Valerie ­anzurufen, um ihr klarzumachen, dass sie das Haus auf keinen Fall verkaufen würde. Doch ein Gefühl, das sie nicht ­benennen konnte, hielt sie davon ab. Und das hatte etwas mit den Fehlern zu tun, die ­Valerie in ihrer E-Mail über­sehen hatte und die so untypisch für ihre Schwester waren. Sicher hatte sich ihr Charakterzug, penibel auf korrekte Rechtschreibung zu achten, seit der Kindheit nicht verändert. Sie hatte sich ­sogar schon gefragt, ob ­Valerie die ­Nachricht überhaupt selbst geschrieben hatte. Bis nach Weihnachten würde sie jetzt noch warten, und wenn bis dahin nichts kam, würde Mia sie kontaktieren, um alles zu klären.

Heute war der Tag des Konzertes, und sie war schon vor dem Morgengrauen aufgewacht. Nach der offiziellen Probe in der Kirche, bei der Mia natürlich nicht dabei sein durfte, hatten Daniel und sie am vergangenen Abend noch ein letztes Mal mit den Schülern alle Lieder bei ihr zu Hause ­geprobt.

Erstaunlicherweise hatten sowohl die Schüler als auch Daniel akzeptiert, dass sie Mias, oder besser gesagt, ­Alberts Weihnachtslied nun doch nicht singen würden und nicht mehr danach gefragt.

»Es ist besser so«, murmelte Mia, während sie früh am Morgen mit Rudi eine lange Spazierrunde drehte. ­Dabei ignorierte sie ein Gefühl des schlechten Gewissens. Im Traum hatte sie ihrem Vater versprochen, das Lied fertigzuschreiben, weil es ihm so wichtig gewesen war. Und nun war es wieder in der Schublade verschwunden, ohne dass es ­jemand zu hören bekam. Vor allem ohne dass ­Valerie es zu hören bekam, für die er es komponiert hatte.

»Es war nur ein Traum!«, sagte sie zu Rudi, der an der Leine neben ihr hertrottete. »Nicht wahr?«

Rudi warf ihr einen Blick zu, der alles bedeuten konnte. Mia interpretierte es als Zustimmung. »Genau! Und jetzt gehen wir nach Hause, mein Kleiner!«

Als sie auf die Haustür zugingen, entdeckte sie Jette und Joshua. Ihren Blicken nach zu urteilen, war irgendetwas passiert.

»Was ist denn los?«, fragte Mia besorgt.

»Ach, Frau Garber, ich habe totalen Mist gebaut«, sagte Jette und fing an zu heulen.

Joshua nickte bestätigend.

»Echt ziemlichen Mist!«

»Okay. Kommt erst mal rein.«

»Was für ein Mist!«, wiederholte Mia fünf Minuten später, als sie am Tisch in der Wohnküche saßen.

Damit ­Nele von den heimlichen Proben und dem ­ge­mein­samen Auftritt mit Mia nichts erfuhr, hatten sie extra zwei WhatsApp-Gruppen gegründet, in denen sie sich austauschten. Und dann war es passiert.

­Nele und die Wurm-Fischer werden heute ganz schön dumm aus der Wäsche gucken, wenn Frau Garber beim Konzert dabei ist und zusammen mit Herrn Amantke auch einige Stücke mitsingt, hatte sie vorhin in die falsche Gruppe geschrieben. Einige der anderen Mitglieder hatten sie kurz darauf auf dieses Versehen aufmerksam gemacht, woraufhin sie die Nachricht sofort wieder gelöscht hatte. Aber nun wusste sie nicht, ob ­Nele sie gelesen hatte oder nicht.

»Wenn die das weiß, dann erfährt es auch die Wurm-­Fischer.« Da war Joshua sich sicher.

»Und die wird Ärger machen!«, murmelte Jette unglücklich.

Sie alle hatten darauf spekuliert, dass die Direktorin durch den Überraschungseffekt beim Konzert gute Miene zum ­bösen Spiel machen musste. Doch wenn sie es vorher schon von ­Nele erfuhr, könnte es natürlich Schwierigkeiten geben.

»Wenn sie uns allen einen Verweis gibt, dann ist uns das egal«, sagte Joshua. »Soll sie doch. Schließlich kann sie uns nicht alle von der Schule werfen, aber …«

»Aber Herr Amantke könnte richtig in die Zwickmühle geraten, falls sie ihm vorab ein Ultimatum stellt«, unterbrach Mia ihn, und die Schüler nickten.

Sie griff nach den Händen der beiden und lächelte.

»Wisst ihr was? Dass ihr mich alle bei den Proben und beim Konzert dabei haben wolltet, bedeutet mir unendlich viel. Es hat so viel Freude gemacht, die Stücke mit euch und Herrn Amantke einzustudieren. Aber ich darf weder seine berufliche Laufbahn gefährden noch euch in Schwierigkeiten bringen. Es ist nicht notwendig, dass ich bei euch vorne stehe oder dass ich mitsinge. Ich werde trotzdem als Zuhörerin dabei sein und unendlich stolz auf euch alle sein, wenn ihr singt.«

»Ich habe alles ruiniert!«, heulte Jette.

»Hast du«, brummte Joshua genervt.

»Bitte … Joshi, nicht!«, beschwichtigte Mia ihn. »Jeder macht mal einen Fehler. Und in diesem Fall hängen weder Menschenleben davon ab, noch geht die Welt deswegen unter. Es ist trotz allem nur ein Konzert, das auch ohne mich stattfinden wird. Und jetzt macht euch mal auf den Weg nach Hause. Ich werde alles Weitere mit Herrn Amantke besprechen.«

Als die beiden weggingen, sah sie ihnen traurig hinterher. Sie hatte sich so darauf gefreut, noch einmal mit diesen wunderbaren Schülern aufzutreten und damit einen ­Abschluss zu finden für die Jahre an der Schule, die ihr so viel bedeuteten. Leider erreichte sie Daniel auch nach mehrmaligen Versuchen nicht am Handy. Deshalb entschloss sie sich, zu seiner kleinen Wohnung im Stadtzentrum zu fahren. Doch vorher wollte sie noch auf den Friedhof ans Grab ihres Vaters. Seit seiner Beerdigung war es ihr wichtig, dass dort immer eine Kerze brannte.

Als sie an seinem Grab ankam, entdeckte sie zu ihrer Überraschung, dass bereits eine frische Kerze in der Laterne brannte. Die verblühten Trauerkränze hatte sie vor ein paar Tagen weggeräumt und durch ein weihnachtliches Gesteck ersetzt. Daneben lag ein Strauß roter Anemonen. Hatte Alma ihn ans Grab gelegt und eine Kerze angezündet? Oder womöglich die Gärtnerei im Auftrag von ­Valerie? Ansonsten wusste niemand von ­Alberts Lieblingsblumen. Sie würde Alma später anrufen und fragen.

Normalerweise blieb sie immer länger am Grab, hielt dort stille Zwiesprache mit ihrem Vater. Doch heute hatte sie es eilig, zu Daniel zu fahren.

»Bis morgen, Papa!«, murmelte sie und ging dann durch die verschneiten Wege zurück zum Parkplatz.

Nun stand sie vor der Haustür des Gebäudes, in dem Daniel wohnte. Er war weder zu Hause, noch ging er ans Handy! »Verdammt, Daniel! Wo steckst du denn nur?«, fragte sie, während sie wieder in den Wagen stieg. Was sollte sie jetzt machen?

Hatte Frau Wurm-Fischer Daniel bereits informiert und zu einem Gespräch zu sich zitiert? Oder hatte sie ihn ­womöglich ebenfalls rausgeworfen? Aber warum musste sie immer gleich vom Schlimmsten ausgehen? Vielleicht hatte ­Nele die Nachricht ja gelesen, jedoch noch keine Möglichkeit gehabt, mit der Direktorin darüber zu sprechen? Oder vielleicht hatte ­Nele den Beitrag überhaupt nicht gelesen? Immerhin war heute Samstag und außerdem der erste Ferien­tag. War es da nicht wahrscheinlicher, dass ­Nele noch geschlafen und von der ganzen Sache gar nichts mitbekommen hatte? Machte sie sich jetzt einfach nur völlig unnötige Gedanken?

Doch eine WhatsApp von Joshua setzte der Spekulation ein Ende. Sie hat es gelesen , hatte er geschrieben und ein ­wütendes und ein trauriges Smiley dahintergesetzt.

»Verdammt!« Mia schlug auf das Lenkrad.

Weiß Wurm-Fischer es auch schon? , schrieb sie zurück.

Keine Ahnung.

Mia versuchte noch einmal vergeblich, Daniel zu erreichen.

Dann startete sie den Wagen. Vielleicht konnte sie ja noch etwas retten.

Ein paar Minuten später parkte sie vor dem großen Anwesen der Gitters. Sie wusste, dass es eine bescheuerte Idee war, trotzdem wollte sie es versuchen. Entschlossen stieg sie aus dem Wagen, ging auf das Gartentor zu und klingelte an der Sprechanlage.

»Ja bitte?«, hörte sie eine weibliche Stimme, die nicht ­Nele gehörte.

Sie räusperte sich.

»Hier ist Mia Garber. Könnte ich bitte ­Nele kurz sprechen?«, fragte sie bemüht locker.

»Einen Moment bitte.«

Der Moment zog sich ungefähr drei Minuten lang hin, dann öffnete sich das Tor automatisch. Mia ging über den geräumten Weg auf die Haustür zu.

­Nele stand schon in der offenen Tür, die Arme fest verschränkt. Im Gegensatz zu den edlen Klamotten, die sie sonst in der Schule trug, hatte sie nur Jeans und ein dickes Sweatshirt an. Da sie nicht geschminkt war, sah sie noch dazu deutlich jünger aus.

»Hallo, ­Nele. Können wir vielleicht kurz reden?«

»Zu spät!«, entgegnete ­Nele. »Ich hab es ihr bereits ­gesagt.«

Mia sah sie für ein paar Sekunden an, ohne etwas zu sagen. Enttäuschung und Ärger krochen langsam ihren Rücken hoch.

»Warum musstest du das tun?«, fragte sie schließlich.

­Nele zuckte nur mit den Schultern.

»Warum nicht? Sie haben mir doch auch nie eine Chance gegeben. Dabei habe ich mir immer nur gewünscht, bei diesem Chor dabei zu sein, um von Ihnen zu lernen!«

Ihre Worte trafen Mia unerwartet.

»­Nele, du weißt, dass ich einzig und allein nach den Stimmen entscheide«, versuchte sie zu erklären. »Und deine Stimme … sie ist leider nicht so gut wie die der anderen.«

»Ich scheiß auf diesen Chor. Die wollen mich sowieso alle nicht dabei haben! Genau so wenig wie Sie mich wollten!«, schrie ­Nele und schlug Mia die Tür vor der Nase zu.

Nachdenklich ging Mia zu ihrem Wagen und stieg ein. Doch sie fuhr nicht los. Direktorin Wurm-Fischer wusste ­Bescheid. Um sich selbst machte sie sich deswegen keine Sorgen, sie konnte nun nur hoffen, dass Daniel und die Schüler ihres Chores das nicht ausbaden mussten.

Es gab jedoch noch etwas anderes, das ihr zu schaffen machte. Sie fragte sich, ob sie ­Nele tatsächlich nur deswegen nicht in den Chor aufgenommen hatte, weil ihre Stimme nicht gut genug war. Oder hatte sie unbewusst andere Mädchen bevorzugt, die nicht aus einem so wohlhabenden Elternhaus stammten? Hatte ihre eigene Geschichte, diese Wut auf ihre Mutter, die ihre Familie auseinandergebracht hatte, damit sie durch eine neue Heirat Zutritt in die New Yorker High Society bekam, ihre Entscheidung irgendwie beeinflusst? ­Nele war sicher nicht die allergrößte Sängerin, aber war sie wirklich schlechter als Jette, die auch ihre kleinen Defizite hatte? Hatte Mia übersehen, wie sehr das Mädchen in den Chor wollte, weil ­Nele ihr weniger sympathisch war als Janina oder Jegor? Das ließ ihr keine Ruhe.

Sie stieg wieder aus dem Wagen und klingelte ein weiteres Mal.

»Was wollen Sie denn noch?«, fragte ­Nele, die offenbar mitbekommen hatte, dass Mia nicht weggefahren war.

»Ich muss noch mal mit dir reden.«

»Ich aber nicht mit Ihnen.«

»Doch, ­Nele«, sagte Mia entschlossen. »Denn ich möchte herausfinden, ob ich dir unrecht getan habe!«

­Nele antwortete nicht, und Mia dachte schon, das war’s, da ging das Tor ein zweites Mal auf. Sie ging erneut zur Haustür.

»Ich will, dass du mir vorsingst!«, sagte Mia.

­Nele starrte sie mit weit aufgerissenen Augen perplex an.

»Sie wollen was?«

»Du hast schon richtig gehört. Ich möchte deine Stimme noch mal hören«, erklärte Mia. »Kannst du deine Eltern fragen, ob es okay ist, wenn ich reinkomme?«, fragte sie zur Sicherheit. Immerhin war ­Nele noch nicht volljährig.

»Meine Eltern sind auf Bali, um ein neues Hotel einzuweihen«, erklärte ­Nele. »Die werden schon nichts dagegen haben! … Kommen Sie!«

»Du bist aber hoffentlich nicht allein über Weihnachten«, rutschte es Mia heraus, während sie ­Nele in die große Diele folgte.

»Das geht Sie gar nichts an.«

»Stimmt. Geht mich nichts an.«

­Nele führte sie ins riesige Wohnzimmer, in dem neben einem weißen Bechstein-Flügel ein geschmückter Weihnachtsbaum stand, unter dem bereits hübsch verpackte Weihnachtsgeschenke lagen.

Das ganze Haus war sehr geschmackvoll und teuer eingerichtet, soweit Mia das beurteilen konnte.

»Soll ich was zu trinken bringen?«, fragte eine Frau etwa Mitte fünfzig. Mia erkannte die Stimme von der Sprech­anlage.

»Wollen Sie was?«, fragte ­Nele ihre frühere Lehrerin.

»Nein, danke.«

Sie hatte nicht vor, länger zu bleiben.

»Wir brauchen nichts, danke, Franziska«, sagte ­Nele zur Haushälterin, wie Mia vermutete.

»Okay … Also, was soll ich singen?«, fragte ­Nele ein wenig ruppig.

Mia ging gedanklich alle Lieder durch, die sie in den letzten Wochen vor ihrem Rauswurf mit den Schülern geübt hatte, und wollte ihr schon einen Titel vorschlagen, überlegte es sich aber dann doch anders.

»Das überlasse ich dir«, sagte sie.

»Okay«, sagte ­Nele überrascht.

Sie schien kurz zu überlegen, setzte sich dann ans Klavier, räusperte sich und begann zu spielen. Mia erkannte das Lied nach den ersten Takten. Chasing Cars von Snow Patrol.

­Neles Stimme klang warm und ein wenig tiefer, als Mia sie in Erinnerung hatte. Am Anfang vermeinte sie, ein leichtes Zittern zu hören. ­Nele war offenbar nervös, aber sie überspielte es gut. Inzwischen hatte sie die Augen geschlossen, und Mia hörte ihr aufmerksam zu. Sie war nicht perfekt. Doch zum ersten Mal spürte Mia etwas in ihrer Stimme, das sie berührte. Oder war es schon immer da gewesen und Mia hatte nicht achtsam genug zugehört?

Als ­Nele den Refrain erneut sang, setzte Mia mit der zweiten Stimme ein. ­Nele öffnete die Augen und sah sie überrascht an. Mia nickte ihr lächelnd zu, und die beiden sangen weiter im Duett.

Als sie geendet hatten, stand die Haushälterin in der Tür und tupfte sich Tränen aus den Augenwinkeln.

Mia legte eine Hand auf ­Neles Schulter.

»Ich will unbedingt, dass du heute beim Konzert im Chor mitsingst, ­Nele!«

Doch das Mädchen schüttelte den Kopf.

»Die werden es alle nicht zulassen. Nicht nach dem, was ich vorhin getan habe.«

»Das war zwar ein ziemlicher Mist, den du gebaut hast. Aber nicht nur du hast Fehler gemacht. Es war auch nicht fair, dich auszuschließen. Ich werde dafür sorgen, dass du mitsingst und dass niemand was dagegen hat, ­Nele. Das ist meine Art, einen Fehler wiedergutzumachen und mich bei dir zu entschuldigen.«

»Es tut mir leid, Frau Garber«, sagte ­Nele. »Ich hätte es nicht tun sollen. Aber ich … ich war so wütend.«

»Ich verstehe schon.«

Doch ­Nele schüttelte den Kopf.

»Nein … Ich glaube, Sie hatten recht. Ich war davor wirklich nicht gut genug für den Chor. Das wollte ich nicht wahrhaben. Aber heute … heute, als Sie mir zuhörten, da traute ich mich, alles zu zeigen.«

Mia schluckte.

»Dann bin ich besonders froh, dass ich hier war, ­Nele«, sagte sie ein wenig heiser.

»Frau Garber?«

»Ja?«

»Haben Sie Lust … ich meine, möchten Sie vielleicht noch ein Lied mit mir singen?«, fragte sie, fast ein wenig schüchtern.

»Gerne«, sagte Mia und nickte lächelnd. »Ich habe große Lust.«