Ackerland als Kapitalanlage

Nahrung ist noch lange nicht alles

Wenn Staaten, die keine Chance haben, ihre Bevölkerung ausschließlich mit eigenen Mitteln zu ernähren, anderswo Land aufkaufen, so kann man das zumindest nachvollziehen, auch wenn die Begleitumstände oftmals mehr als unschön sind. Tatsächlich aber ist der Ernährungsnotstand großer, wohlhabender Wirtschaftsnationen beileibe nicht der einzige Grund, warum weltweit Agrarflächen aufgekauft werden. Neben der ganz normalen Spekulation von Investment- und Hedgefonds, die auf zweistellige Renditen hoffen, gibt es zum Beispiel auch noch Energiekonzerne, die auf die Zukunft von sogenanntem Biosprit setzen, und jene international tätigen Ablasshändler, die mit Klimazertifikaten ein Vermögen machen wollen.

Die Grenzen zwischen Lebensmittelproduktion und Spekulation sind mehr als fließend: Die meisten Privatfirmen, die Land in armen Ländern Afrikas aufkaufen, um dort Landwirtschaft zu betreiben, tun das nicht, um hungernden Kleinbauern ein Auskommen zu sichern und die Menschen in ihrer Heimat mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Vielmehr geht es hauptsächlich darum, an einem Notstand zu verdienen.

Dagegen ist im Sinne einer funktionierenden Marktwirtschaft erst einmal wenig zu sagen. Es sieht allerdings ganz danach aus, als sei die ganze Sache in erster Linie ein Riesengeschäft. Seit dem Jahr 2000 haben weltweit Agrarflächen von der ungefähren Größe Westeuropas den Besitzer gewechselt – mehr als 220 Millionen Hektar. Der größte Teil davon, so die internationale Hilfsorganisation Oxfam44, wurde nach 2008 gehandelt, also nach der großen Lebensmittelkrise an den Börsen. Die Weltbank registrierte allein im Jahr 2009 großflächige Landgeschäfte im Umfang von etwa 45 Millionen Hektar. Seit jenem Jahr, so heißt es, hätten mehr als 1 200 Investoren Verträge über Land geschlossen, darunter allein 150 europäische Firmen. Von jedem dieser Vertragsabschlüsse seien im Durchschnitt 65 000 Hektar betroffen gewesen.

29,7 Prozent all dieser Verträge, so die Weltbank in ihrem Bericht »Rising Global Interest in Farmland« aus dem Jahr 2010, seien von Vertretern des großen Finanzkapitals geschlossen worden: von internationalen Banken, großen Versicherungen, Pensions- und Investmentfonds. Genaue Statistiken gibt es freilich nicht, auch die Weltbank hat ihr Wissen lediglich aus den Medien, die über derartige Transaktionen berichteten. Über ein Viertel dieser Verträge weiß auch die Weltbank nichts Genaueres. Nur 16,5 Prozent aller Abschlüsse seien von Vertretern des Agrobusiness geschlossen worden, 28,3 Prozent hingegen von großen Industrieunternehmen.

Auf den ersten Blick mag das überraschen. Schließlich handelt es sich um fruchtbare Ackerflächen, die da verkauft werden. Dass nur ein vergleichsweise geringer Anteil der Käufer in der Landwirtschaft tätig ist, erstaunt dann doch. Man kommt der Sache näher, wenn man bedenkt, das 44 Prozent aller Anlagen in Bodenwerte von europäischen Banken und anderen Finanzinstituten getätigt werden, wie die Welthandelsorganisation OECD im Jahr 2010 in ihrer Studie »Private financial sector investment in farmland and agriculture infrastructure« ermittelte.

Wir haben es hier wieder einmal mit dem »System Billig« zu tun. Es geht um Schnäppchenjagd. Mit dem Ausbruch der Finanzkrise, dem Untergang der amerikanischen Immobilienfinanzierung und den unerwarteten Preisexplosionen bei Grundnahrungsmitteln an den Weltbörsen entdeckten Investmentbanken und Hedgefonds nämlich eine ganz andere Form des Immobiliengeschäfts für sich: das Geschäft mit Agrarland. Landwirtschaftliche Nutzflächen waren plötzlich attraktiv geworden. Und noch besser: Sie waren extrem günstig zu haben, wenn man sich nur in den richtigen Ländern danach erkundigte. So existieren noch heute in den wenigsten Entwicklungsländern sichere und klare Eigentumsverhältnisse. Es gibt Hirten und Bauern, die sich häufig auf Land aufhalten, von dem kein Mensch weiß, wem es eigentlich gehört. Was bedeutet, dass es im Zweifelsfall niemandem gehört oder dem Staat, von dem man es für wenig oder fast kein Geld pachten oder kaufen kann, sofern die Regierenden einen Sinn darin sehen. Gegen eine ordentliche Provision sind viele wohl gerne bereit, mit dem Preis fürs Ackerland etwas runterzugehen.

Kein Wunder also, dass trotz der Krisenjahre 2007 und 2008 in der Finanzbranche schon bald wieder Goldgräberstimmung herrschte. Schließlich gab es ja massenhaft ungenutztes Land, und die Weltbank tat viel dafür, um es für Investoren interessant zu machen.

Die Weltbank als Motor des Landraubs

Man kann sogar sagen: Die Weltbank war die treibende Kraft hinter all den Grundstücksgeschäften in diesen Jahren. 1944 zusammen mit dem Internationalen Währungsfonds in Bretton Woods gegründet, wurde sie von Anfang an dominiert von den westlichen Industriestaaten – die USA halten heute mit 16,4 Prozent den höchsten Stimmenanteil am Bankvermögen, danach folgen Japan mit 7,8 Prozent, Deutschland mit 4,5 Prozent sowie Frankreich und Großbritannien mit jeweils 4,3 Prozent. Die Weltbank vertrat immer schon eine wirtschaftsliberale Grundhaltung und gab sich zusammen mit dem Internationalen Währungsfonds 1990 ein festes Regelwerk, den »Washington Consensus«, der Wohlstand und Wachstum für die Nationen der Welt ermöglichen soll und an den sich Staaten halten müssen, die von der Weltbank und ihren diversen Spezialabteilungen unterstützt werden wollen.

Die Grundregeln des »Washington Consensus« entsprechen im Wesentlichen den Schlagworten, mit denen in Deutschland die FDP regelmäßig in den Wahlkampf zieht. Sie passen aber auch in das Wahlprogramm jeder x-beliebigen anderen wirtschaftsliberalen Partei, und mit gewissen Abstufungen sind sie auch in den Programmen vieler großer Volksparteien wiederzufinden: Wahrung der Haushaltsdisziplin, Privatisierung öffentlicher Unternehmen und Güter, Förderung des Privateigentums, Abbau von Handelshemmnissen, Deregulierung staatlicher Vorschriften und Gesetze, Steuersenkungen, Ermöglichung ausländischer Investitionen im eigenen Land sowie öffentlicher Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur zu Lande, zu Wasser und in der Luft, Förderung von Ausbildung und Gesundheit. Man könnte es, geringfügig verkürzt, auch so ausdrücken: Gut ist alles, was der Wirtschaft nützt, schlecht ist alles, was ihr auch nur ansatzweise schaden könnte.

Kritiker sagen, die Weltbank verfolge »die Industrialisierung der Welt nach US-amerikanischem Muster«45, und das Gleiche gelte für die Weltlandwirtschaft. Tatsächlich hat sich die Weltbank lange Zeit nicht besonders für den Agrarsektor interessiert. Wenn sie sich aber doch damit beschäftigte, zum Beispiel in den Entwicklungsländern, dann ging es ihr meist um Massenproduktion und »weltmarktfähige Produkte«, wie das Zauberwort lautete. »Weltmarktfähig«, das bedeutete in erster Linie: so billig, dass man viel davon verkaufen kann. Die Ratschläge der Weltbank waren allerdings in vielen Ländern dieselben, und so kam es bisweilen zu völlig unerwünschten Ergebnissen. Wilfried Bommert nennt in seinem Buch Bodenrausch. Die globale Jagd nach den Äckern der Welt ein besonders abstruses Beispiel: »In Vietnam förderte die Weltbank den Kaffeeanbau und machte das Land international zum größten Kaffeeerzeuger. Allerdings verfuhr sie genauso mit Äthiopien, Kenia und Uganda.« Innerhalb kurzer Zeit brachen deshalb die Kaffeepreise auf dem Weltmarkt um 50 Prozent ein: »Allein in Kolumbien beförderte der Preisrutsch zwei Millionen Menschen ins Elend.«46 Dabei sind die rund 25 Millionen Kleinbauern und Landarbeiter, die weltweit vom Kaffeeanbau abhängig sind, ohnehin schon einem starken Preisdruck ausgesetzt. Der Markt wird nämlich dominiert von großen, internationalen Händlern, deren Marktanteil bei mehr als der Hälfte liegt, sowie von drei großen Röstfirmen, die 40 Prozent des Marktes unter sich aufteilen.

Aber Kleinbauern und Landarbeiter sind schließlich auch nicht die Klientel der Weltbank, die das Heil ja gerade in der Industrialisierung der Landwirtschaft und in der Öffnung der Märkte nach außen sieht, zwei Punkte, die vor allem Kleinbauern und Landwirte besonders hart treffen. Beispiel Ghana: Dort konnte sich die einheimische Bevölkerung mit Geflügel zu 95 Prozent selbst versorgen; Hühner waren damals noch das Geschäft der Kleinbäuerinnen. Dann forderte die Weltbank Mitte der Achtzigerjahre die Öffnung der Märkte, und seither werden die europäischen Geflügelreste zu Spottpreisen nach Afrika exportiert. Der Selbstversorgungsgrad in Ghana beträgt seitdem nur noch fünf Prozent. Ähnliches geschah im Nachbarland Kamerun.47

Nein, die Weltbank sieht sich offenbar mehr für die großen Einheiten zuständig, die es voranzubringen und für die es Investitionshemmnisse abzubauen gilt. So beraten die Töchter der Weltbank Regierungen in der ganzen Welt, wie sie Investoren anlocken können und wie sie Gesetze so gestalten können, dass sie den Geldgebern am weitesten entgegenkommen. Auf der anderen Seite geben sie jenen, die ihr Geld unterbringen wollen oder müssen, Tipps, wie das am besten zu bewerkstelligen ist und wo die größten Gewinne zu machen sind.

Die Weltbank hat herausgefunden, dass insgesamt 445 Millionen Hektar Land – immerhin fast ein Drittel des gesamten kultivierbaren Landes auf der Welt – noch mehr oder weniger ungenutzt und frei von Wald sind. Obendrein leben dort weniger als 25 Personen pro Quadratkilometer – mithin ideale Bedingungen für Investoren, die auf diesen Flächen irgendetwas anbauen wollen, was viel Geld einbringt. Die Investitionsvoraussetzungen sind denkbar einfach: wenig Menschen, aber viel Land, bislang geringe Ernteerträge, dafür aber viel Wasser. Jetzt muss nur noch die jeweilige Regierung mitspielen, Gesetze und Verwaltung entsprechend anpassen und für Straßen, Flugplätze und Häfen, Wasser- und Elektroanschluss sorgen.

Wo man investieren sollte, ist also klar: hauptsächlich in Afrika und in Südamerika, wo – anders als in den Industriestaaten – meist noch der Gemeinschaftsbesitz an Grund und Boden üblich ist. Den Staaten dort muss man jetzt nur noch nahebringen, dass das private Bodeneigentum ein wichtiger Wachstumsfaktor ist. Dafür ist die Weltbank dann zuständig, und sie bemüht sich auch, Handelshemmnisse so gut wie möglich abzubauen und das Investitionsklima zu verbessern, wie es in der Sprache der Banker heißt. Dies geschieht in erster Linie durch eine Anpassung des Bodenrechts an westliche Standards – selbstverständlich mit Ausnahme der Preise. Auch die Möglichkeit, Land auf 99 Jahre zu pachten, ist da recht hilfreich. Sodann finden Investoren es angenehm, wenn die Ernte später gefahrlos außer Landes gebracht werden kann. Im Inland sind die Erlöse in der Regel zu niedrig. Ebenfalls hinderlich beim Verdienen sind Steuern. Und deshalb siedeln sich Investoren am liebsten dort an, wo auf zehn Jahre oder länger völlige Steuerfreiheit garantiert wird.

Derlei Zugeständnisse, so unglaubwürdig sie klingen mögen, sind in Wirklichkeit durchaus normal. In Pakistan zum Beispiel hat die Weltbank exakt diese Bedingungen durchgesetzt. Im Ergebnis verloren laut Menschenrechtsorganisationen 25 000 bäuerliche Familien ihre Existenzgrundlage, sprich: ihr Land. Das wurde von Investoren aus den Vereinigten Arabischen Emiraten übernommen, andere aus Saudi-Arabien, Katar und China wollen folgen und für fünf Milliarden Dollar Agrarfabriken und Molkereien errichten.

Natürlich wird es von der einheimischen Bevölkerung nicht gerne gesehen, wenn dabei nicht einmal neue Arbeitsplätze herausspringen. Das Thema »innere Sicherheit« ist deshalb nicht unwichtig für ein investorenfreundliches Klima. In Pakistan lässt sich Saudi-Arabien das sogar vertraglich zusichern. Die pakistanische Regierung gestand zu, dass eine eigene Armee von bis zu 100 000 Sicherheitskräften Felder und Ernte-Transporte bewacht, wenn das Klima allzu unfreundlich zu werden droht.

So weit sind noch nicht alle Zielstaaten, die im Visier der internationalen Investoren stehen. Aber ein gewisses unternehmerisches Restrisiko gilt es wohl in Kauf zu nehmen.

Im Visier der Investoren: Gescheiterte Staaten

Auffällig ist, dass in der ökonomischen Gesamtrechnung der Weltbanker die allgemeine Wohlfahrt eine ziemlich untergeordnete Rolle spielt. Es wird zwar immer wieder behauptet, dass Investoren aus fremden Ländern Arbeitsplätze schaffen und damit auch der einheimischen Bevölkerung Wohlstand bringen, aber Beweise dafür kann oder will man nicht vorlegen.

In den Bilanzen und Berichten der Weltbank spielen derartige Erfolgsstatistiken keine Rolle, es werden keine sozialen und ökologischen Kosten erfasst, auch etwaige positive Auswirkungen auf den Hunger in der Welt oder der Region werden nicht gemessen. Im Denken der Weltbanker spielt all dies keine Rolle. Der Gedanke liegt nahe, dass es in dieser Hinsicht auch sehr wenig Positives zu berichten gäbe. Zumindest deuten die vorliegenden Berichte und Daten, die von Umweltschutzorganisationen und Menschenrechtsaktivisten gesammelt wurden, stark darauf hin.

Natürlich handelt es sich bei den weltweiten Investitionen in Ackerland nicht um die Aktivitäten wohltätiger Organisationen oder Stiftungen zur Verbesserung der Weltlage. Es geht um Profit, um nichts anderes. Und dafür braucht man im Wesentlichen billiges Land und billige Arbeitskräfte sowie Regierungen, die Investoren auch mal ein Stück entgegenkommen und nicht allzu sehr auf dem bisweilen doch recht kostspieligen Allgemeinwohl bestehen.

Solche willfährigen Regierungen findet man vor allem in Afrika: im südlichen Sudan, in Mosambik, Sambia, Tansania, Madagaskar, im Kongo, in Liberia, Äthiopien und Ghana. Dort kostet der Hektar Land für Großinvestoren oft nur fünf Dollar oder gar noch weniger. In Südamerika mit seinen im Vergleich noch stabileren politischen Verhältnissen haben sich Uruguay, Paraguay, Argentinien, Brasilien und Kolumbien als interessante Länder für internationale Investoren erwiesen.

Ackerbau auf Kosten der Kleinbauern

Viele dieser Länder sind extrem arm, haben unsichere politische Verhältnisse und oft lange Bürgerkriege hinter sich. Man nennt sie auch »Failed States«, gescheiterte Staaten. Meist werden sie diktatorisch oder zumindest quasi-diktatorisch regiert, die Korruption blüht, und nicht selten verdient eine kleine Herrscherkaste kräftig mit am Handel mit dem Land und den Agrarprodukten. Im Grunde läuft es überall gleich ab: Die Investoren kommen, kaufen oder pachten das Land auf viele Jahrzehnte hinaus, vertreiben die alteingesessene Bevölkerung, die meist aus verarmten Kleinbauern oder Hirten besteht, und ziehen nahezu voll automatisierte Agrarfabriken und Plantagen hoch.

Mit der bisherigen, angestammten Landwirtschaft hat das überhaupt nichts mehr zu tun, aber der Kulturbruch wäre noch das geringste Übel. Doch statt der Fruchtwechselwirtschaft und der damit einhergehenden wechselnden Bepflanzung des Ackerlandes herrschen künftig Monokulturen vor, die den Boden auslaugen und in vielen Fällen zerstört zurücklassen. Und dann sind da noch die ganz realen Vertreibungen von Menschen aus ihrer Heimat. Sie stören, weil sie auf dem Grund und Boden leben, auf dem die Investoren ihre Fabriken oder Plantagen anlegen wollen. Um diese Menschen loszuwerden, ist vielen der neuen Grundherren ausnahmslos jedes Mittel recht.

Eines der schlimmsten Beispiele dafür findet sich im Flächenstaat Brasilien, der von allen Ländern der Erde wohl den meisten fruchtbaren Boden besitzt. Entlang der Transamazonica breiten sich endlose Sojabohnen- und Baumwollplantagen aus. Ein nicht geringer Teil der Ernten wandert als Futterpflanzen in die europäische Landwirtschaft, landet in Hühnermastanlagen, bei Rinderzüchtern und Schweinemästern und in den Eierlegefabriken Europas und der Vereinigten Staaten. In ganz Südamerika sollen 35 Millionen Hektar Land nur für Viehfutter urbar gemacht worden sein. Und der Agrarkonzern Cargill, Marktführer auf diesem Gebiet, hat in Brasilien zusammen mit Blairo Maggi, dem größten Sojaproduzenten, eigens den Hafen von Santarém bauen lassen, der praktisch nur der Verladung der in Brasilien angebauten Sojabohnen dient.

Ureinwohner stören bei solchen Unternehmungen natürlich nur. Viele von ihnen wurden deshalb von den neuen Herren einfach von ihrem Land vertrieben, oft mit mehr als fadenscheinigen Begründungen. In Brasilien gilt nämlich der als Besitzer einer Landfläche, der sie seit mehr als fünf Jahren bewirtschaftet, sofern es keine anderen Besitzurkunden gibt. Weil viele Kleinbauern von diesen Gesetzen nie etwas erfahren haben, bemächtigen sich nun die Großinvestoren mittels plumper Fälschungen von Dokumenten des fruchtbaren Ackerlandes. Mehr als 100 Millionen Hektar Land sollen auf diesem Weg von Großgrundbesitzern übernommen worden sein. Es gibt aberwitzige Geschichten über diese Art des Grunderwerbs. Etwa die von Carlos Medeiros, dem größten Grundbesitzer des Landes, der zwölf Millionen Hektar besaß. Leider hat dieser Mann nie existiert. Er war nur die Erfindung eines Kreises von Großgrundbesitzern, die sich seine Ländereien immer wieder gegenseitig zuschoben.

Die von ihrem Land vertriebenen Kleinbauern flüchten in die Urwälder Amazoniens, von wo sie im Laufe der Zeit dann ebenfalls wieder vertrieben werden. Denn auch der Urwald dient als Expansionszone, nach und nach schieben sich die riesigen Plantagen auch dorthin vor. So ist abzusehen, wann die Flüchtigen abermals weiterflüchten müssen.

Eine moderne Form des Raubrittertums

Überall dort, wo noch große Ackerflächen zu finden sind, läuft die Landnahme durch die neuen Kolonialherren nach einem ähnlichen Muster ab. Die angestammte Bevölkerung – häufig Eingeborene oder Indios, die seit Jahrhunderten auf diesem Land und von diesem Land leben und kaum eine Ahnung haben von Bodenrecht und Besitzurkunden – wird vertrieben, notfalls mit Gewalt. Im günstigsten Falle erhalten diese Menschen eine kleine Entschädigung, die für den Aufbau einer neuen Existenz reicht. Manche bekommen auch Jobs auf den riesigen Plantagen, in die ihr Ackerland umgewandelt wurde, aber bestenfalls als Tagelöhner. Die meisten Arbeiten lassen sich auf den maschinengerecht angelegten Feldern ohnehin am besten mit Maschinen erledigen.

Im Grunde hat man es mit einer modernen Form des frühmittelalterlichen Raubrittertums zu tun. Handstreichartig übernehmen internationale Investoren riesige Mengen fremden Grund und Bodens, der angeblich niemandem gehört, weil Land in vielen Entwicklungsländern eben Gemein- oder Staatsgut ist. Man pachtet diesen Grund und Boden vielleicht auf 99 Jahre, weil das den Anschein von Rechtmäßigkeit hat, das aber zu einem Preis, der in den allermeisten Fällen rein symbolischen Charakter hat. Nutznießer im Lande selbst gibt es kaum, bestenfalls ein paar Minister oder hohe Beamte in korrupten Regierungen, die von den fremden Investoren ordentlich geschmiert wurden. Für die Geldgeber selbst sind das jedoch lächerliche Summen, verglichen mit dem Ertrag, der aus dem Boden herauszuholen ist.

Das »System Billig« hat sich damit durchgesetzt. Investoren haben mit wenig Einsatz viel bekommen, einheimische Habenichtse sind billig abgespeist worden und zahlen teuer für den Profit der neuen Grundherren.