Die drei Musketiere
W ährenddessen raste ein silberner Mercedes mit drei Männern an Bord über die Bundesstraße 42. Am Steuer saß der sonst mit Bedacht fahrende Dr. Berger, Arnold auf dem Beifahrersitz und der Rentner Willi auf der Rückbank.
Wegen der ungewohnt zügigen Fahrweise des Pathologen krallte sich der junge Winzer an den Griff über der Beifahrertür. Willi versuchte hinten die Balance zu halten, während er zwischen den beiden vorderen Sitze nach vorn schaute.
»Guck an, sonst jammert unser Doktorche’ immer, wenn die Tachonadel über achtzig Stundenkilometer geht«, rief Willi scherzhaft.
»Mein lieber Willi, da gibt es einen großen Unterschied. Meine Einwände gegen eine hohe Geschwindigkeit hege ich ausschließlich, wenn unser Kommissar Kießling am Steuer sitzt und jede mögliche Verkehrsregel bricht«, verteidigte sich der Gerichtsmediziner.
»Komischerweise fühle ich mich aber bei ihm sicherer«, kommentierte Arnold scherzhaft.
»Genug der Worte. Wir sind gleich in Winkel«, kündigte Dr. Berger an.
Es waren nur noch wenige Kilometer bis zum Abzweig. Der Pathologe drosselte die Geschwindigkeit und von der Bundesstraße aus waren bereits die ersten Häuser von Winkel erkennbar. Nach einer kleinen Kurve musste Dr. Berger abbremsen, da sich vor ihnen ein Stau bis in die Stadt gebildet hatte.
»Was is’ dann do los?«, hinterfragte Willi.
Arnold schüttelte ebenfalls den Kopf und sagte: »Um diese Zeit ein Stau? Das ist aber ungewöhnlich.«
Dr. Berger hingegen ahnte, was sich dahinter verbarg: »Ihr habt wohl vergessen, dass Kießling in Winkel unterwegs ist. Mich würde nicht wundern, wenn dieses Verkehrschaos etwas mit den Verhaftungsplänen zu tun hat.«
Mit dieser These hatte der Gerichtsmediziner den Nagel auf den Kopf getroffen. In der Tat stauten sich die Fahrzeuge, da im Ortskern von Winkel ein Großaufgebot an Polizei und Feuerwehr alles verstopfte. Die drei beschlich ein ungutes Gefühl und sie fragten sich, was in Winkel vor sich ging. Arnold versuchte weiterhin, Ella zu erreichen, doch ihr Handy klingelte unaufhaltsam, wie in einer Dauerschleife.
»Ich kann Ella einfach nicht erreichen. Wir sollten hier irgendwo parken und versuchen, zum Kern des Chaos zu gelangen«, schlug der Winzer vor.
»Denkt ihr denn, dass die beide’ do sin’?«, fragte Willi von der Rückbank.
»Keine Ahnung«, antwortete Arnold. »Aber irgendwo müssen wir doch anfangen.«
Willi lehnte sich zurück auf die Rückbank und brummelte nebenbei: »Mir bräuchte so ’en Spionagesatellit wie aus ’em Fernseh. Hab’ do letztens ’en gute James Bond gesehe’, der hat so was gehabt.«
Willi hatte den Satz kaum ausgesprochen, da starrten sich Dr. Berger und Arnold filmreif an.
Der Rentner bemerkte die Reaktion der beiden und fragte: »Was is’ dann mit euch los? Hab’ ich was Dummes gesagt?«
Dr. Berger schüttelte den Kopf und sagte: »Im Gegenteil – du bist ein Genie!«
Willi wusste nicht so ganz, worauf der Pathologe hinauswollte, genoss aber das Kompliment. Arnold zückte sofort sein Mobiltelefon und öffnete eine Standortapp. Über diese war er mit Ella verbunden und konnte die Position ihres Mobiltelefons ausmachen. Er hoffte, wenn seine Freundin schon nicht ranging, dass das Gerät zumindest in ihrer Nähe war. Er aktivierte die App. Schnell hatte die Software Ellas Handy lokalisiert. Arnold schaute wie gebannt auf das Display.
Dr. Berger fragte aufgeregt: »Wo ist Frau Nilsson?«
Der Winzer vergrößerte den Kartenausschnitt und erwiderte: »Es sieht so aus, als fahren sie in die Weinberge.«
»Weg von diesem großen Auflauf hier in der Stadt?«, hinterfragte Dr. Berger.
»Sieht so aus. Ich kann aber nicht erkennen, wo sie hinfahren.«
»Zeig’ mo her«, forderte Willi seinen Freund Arnold auf.
Dieser streckte das Handy nach hinten und zeigte Willi, wo sich Ella Handy befand.
Er antwortete: »Ei Bub, do sin’ mir doch auch erst vor Kurzem hingefahre’. Die sin’ auf ’em Weg zu Schloss Vollrads, wie das ausschaut.«
»Das scheint mir aber sehr dubios«, reagierte Dr. Berger auf das offensichtlich angepeilte Ziel von Ella und Kießling.
»Egal wohin, wir müssen zu den beiden. Wer weiß, was das zu bedeuten hat«, kommentierte Arnold.
»Da gehe ich d´accord«, sagte Dr. Berger, wendete auf der Bundesstraße spontan die Richtung, aus dem Stau hinaus, und rief: »Ich kenne von hier aus einen schnelleren Weg. Durch Winkel haben wir keine Chance, zum Schloss zu kommen.«
Mit quietschenden Reifen schaffte der Gerichtsmediziner eine Hundertachtziggradwendung und fuhr in schnellem Tempo über Umwege hinauf in die Weinberge zu Schloss Vollrads.
Willi applaudierte dem ungewohnten Fahrmanöver von Dr. Berger und rief inbrünstig von der Rückbank: »Gebe’ Sie Gas, Doktor, mir werde’ gebraucht. Einer für alle und alle für einen!«
Mit einem verschmitzten Lächeln drehte sich Arnold zu Willi und kommentierte den abgedroschenen Schlachtruf: »Echt jetzt?«
Der Rentner grinste und antwortete: »Jetzt sei nit so, das wollt’ ich schon immer mo rufe’!«