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Die Ausbildung dauerte länger als erwartet. Wir mussten nicht nur die Thesen auswendig lernen, sondern sollten auch in der Lage sein, vor einer Gruppe frei zu sprechen, uns modisch zu kleiden und uns auf höherem Niveau unterhalten zu können. Ziel war es, uns in die Anderen einzufügen.
Einen nicht unbedeutenden Teil stellten Vaters Vorträge über eventuelle Katastrophen dar, die ViaTerra bevorstehen könnten. Das konnte alles Mögliche sein, von einem negativen Blog-Eintrag bis hin zu der Lebensmittelvergiftung eines hohen Gastes. Wenn er erst einmal auf den Geschmack gekommen war, konnte das Stunden dauern. Wir waren zu seinen Vertrauten geworden.
Aber keine Katastrophe hat so große Nachwirkungen wie die mit Elisa.
Sie stieß nachträglich zu der Ausbildung dazu. Ihr Vater war einer der hingebungsvollsten Anhänger von ViaTerra. Alle Mädchen bei Kinder der Erde waren süß, jedes auf seine Art. Aber Elisa war nicht nur süß, sondern betörend. Sie hatte das liebliche Gesicht eines Mädchens und den Körper einer jungen Frau und schlug ein wie eine Bombe. Ihre langen Beine, das blonde Haar, das ihr über den Rücken fiel – alles an ihr war überirdisch schön. Sie bewegte sich selbstbewusst, sie ging wie eine Frau, die ein Ziel hatte. Ihr Lachen, ihre Blicke und ihre Bewegungen waren allesamt sinnlich. Sie trug dieselbe Uniform wie wir, aber keinen BH darunter, sodass man ihre Brustwarzen sehen konnte.
Wir Jungen drehten vollkommen durch. Sogar für mich, der kein ausgesprochenes Interesse an Sex hatte, wurden – nachdem ich Elisa das erste Mal gesehen hatte – das Onanieren und meine feuchten Träume zu einem Teil des Alltags. Ich wusste, dass sie unerreichbar für mich war, aber ich sehnte mich jeden Tag nach meinen Fantasien unter der Decke, wenn endlich das Licht ausgeschaltet wurde.
Sie erzeugte viel Unruhe im Klassenzimmer. Wir Jungs hatten alle ohnehin einen Überschuss an Testosteron und konnten kaum stillsitzen. Unser Lachen war lauter und schriller, und kaum war Elisa in der Nähe, standen alle unter Strom.
Ich erinnere mich genau an den Moment, als Vater sie zum ersten Mal zu Gesicht bekam. Er kam wie immer ins Klassenzimmer und stellte sich nach vorn, um einen seiner Vorträge zu halten. Elisa saß in der ersten Reihe. Er verzog keine Miene, aber ich werde niemals den Ausdruck in seinen Augen vergessen, mit dem er sie ansah. Es waren nicht die lüsternen, überwältigenden Blicke, die ihr die Jungs hinterherwarfen. Es war der Blick eines Raubtieres, das seine Beute gesichtet hatte.
Vater näherte sich Elisa zaghaft. Ab und zu unterbrach er seine Monologe, stellte ihr Fragen und lobte ihre Antworten. Er sah ihr immer ein bisschen zu lange in die Augen. Manchmal sah er ihr über ihre Schulter und tat so, als würde er das Geschriebene lesen, aber in Wirklichkeit starrte er ihr auf die Brüste.
Die Macht, die er ausstrahlte, und sein Charisma erregten ihre Aufmerksamkeit. Sie genoss sein besonderes Interesse an ihr. Sie machte einen Schmollmund, wenn sie sich von ihm beobachtet fühlte, lächelte kokett und zwirbelte anmutig ihre Haare zwischen den Fingern. Aber ich habe auch die Angst in ihren Augen gesehen.
Vater hatte es nicht eilig.
Und deshalb gelang es jemandem, vor ihm ans Ziel zu kommen.
Eigentlich hätte es Vic sein müssen, der Elisa als Erstes eroberte, aber dann kam Didrik. Er war älter als wir anderen und hatte eine Anziehungskraft, mit der sich der jüngere Vic nicht messen konnte.
Man sah Elisa und ihn überall zusammen herumhängen, in den Pausen, nach der Schule, eng ineinander verschlungen, hemmungslos knutschend. Das Vorspiel eines Paarungsaktes.
Ich wusste vom ersten Augenblick an, dass es in einer Katastrophe enden würde.
Eine neue Richtlinie
Es ist noch früh, als ich aufwache. Didriks Bett ist leer. Ich könnte mich umdrehen und weiterschlafen, aber die Neugierde treibt mich aus dem Bett. Denn ich weiß, mit wem er sich heimlich verabredet hat. Ich habe das Gefühl, dass Vic mich anstarrt, aber als ich zu ihm runtersehe, sind seine Augen geschlossen. Lautlos ziehe ich mich an und schleiche aus dem Schlafsaal.
Es ist Frühling. Die Sonne ist gerade aufgegangen, und ihr mattes Licht lässt den Rasen schimmern, als wäre jeder Grashalm fluoreszierend. Ein sanfter Wind weht vom Meer über das Anwesen. Das Wasser im Teich hat einen sanften rosa Ton. Es ist so schön, dass ich fast vergesse, warum ich nach draußen gegangen bin. Ich gehe vor einer einsamen Narzisse in die Hocke, Hunderte kleine Wassertropfen haben sich auf den Blütenblättern gesammelt. Sie sind so klein und leicht, aber gemeinsam sorgen sie dafür, dass die Blume ihren Kopf senken und sich vor mir verneigen muss.
Für einen Augenblick bin ich wieder ganz in meinem Traum, dass ich eines Tages an einem anderen Ort ein anderes Leben führen werde. Aber da höre ich Schritte hinter mir und zucke zusammen. Ich drehe mich um und sehe Vic, der in Richtung des Herrenhauses läuft. Er scheint mich nicht gesehen zu haben. Ich bleibe reglos sitzen, bis er verschwunden ist.
Doch da höre ich andere Geräusche, und zwar kommen sie vom Loch, in dem zurzeit eigentlich niemand ist und seine Strafe absitzt. Seufzen und Stöhnen. Ich renne so schnell ich kann einmal quer über den Rasen und bete, dass mich die Wachen nicht sehen. Auf der Rückseite des Schuppens gibt es ein kleines Fenster, in das man hineinsehen kann, ohne von den Wachen entdeckt zu werden.
Zuerst traue ich meinen Augen nicht. Elisa und Didrik liegen nackt auf dem Boden, genau an der Stelle, wo ich mit meinem Schlafsack gelegen hatte. Elisa liegt auf dem Rücken, ihre Haare umrahmen ihren Kopf wie ein riesiger Fächer. Sie hat ihre Augen geschlossen, ein paar Sonnenstrahlen haben sich durch das Fenster geschlichen und bestrahlen die weiße Haut ihrer Brüste. Didrik hält ihre angewinkelten Beine fest, während er seinen Unterkörper gegen ihren stößt. Sie bewegen sich rhythmisch, wie zwei Wesen, die zu einem einzigen verschmolzen sind.
Ihre heiseren, primitiven Laute lösen etwas in mir aus. Ich kann meine Augen nicht von ihnen nehmen. Ihre Bewegungen sind so harmonisch und schön. Seit Elisa bei uns aufgetaucht ist, hatte ich in meiner Fantasie schon sehr oft Sex mit ihr. Sie jetzt mit Didrik zu sehen ist fast so, als würden wir beide dort liegen. Der Druck in meinem Schritt wird fast unerträglich, ich will gerade eine Hand in meine Hose schieben, als ich das Geräusch eines Motorrades höre. Das wird einer der Wachmänner sein, denke ich, aber ein Blick über meine Schulter belehrt mich eines Besseren. Es ist Vater. Das passt überhaupt nicht zu ihm. Er steht nie so früh auf, meistens erst am späten Vormittag. Außerdem kommt er auf uns zu. Der Schuppen ist sein Ziel, und ich weiß auch, wer dahintersteckt.
Schnell und lautlos ziehe ich mich ins Gebüsch zurück und verstecke mich.
Ich höre, wie das Motorrad anhält, der Ständer herausgeklappt wird. Die Schritte sind so nah, dass ich mir vor Angst fast in die Hose mache.
Ich sehe Vater, er bleibt einen Moment reglos vor der Tür des Schuppens stehen, dann reißt er sie auf. Ich erwarte, dass er die beiden anbrüllt, einen Wutanfall bekommt, aber er betrachtet sie nur mit einem amüsierten Gesichtsausdruck.
»Komm raus da, du kleines Stück Scheiße«, sagt er mit eisiger Stimme.
Didrik kommt herausgeschlichen und bedeckt seinen Pimmel mit einer Unterhose. Der Schlag kommt so unerwartet, dass ich nicht gesehen habe, was eigentlich passiert ist. Ich sehe nur, dass Didrik auf dem Rücken liegt, am Boden. Er wimmert und schnieft wie ein kleines Kind.
»Es wäre etwas anderes, wenn du sie ordentlich gebumst hättest, aber das da war eine jämmerliche Veranstaltung«, sagt Vater. »Du bleibst hier.«
Elisa taucht in der Tür zum Schuppen auf. Sie blinzelt ins Sonnenlicht.
»Und du, meine Schöne, hast deine ersten Wochen hier bei uns nachweislich sehr gut gemeistert«, sagt Vater, seine Stimme trieft vor Sarkasmus. »Zieh dich an und komm dann in mein Büro. Du hast offenbar noch nicht begriffen, wer hier das Sagen hat.«
Ich schiebe mich tiefer ins Gebüsch, krümme mich zusammen, versuche, unsichtbar zu werden. Aber Vater sieht mich nicht. Er ist schon wieder aufs Motorrad gestiegen.
Von meinem Versteck aus verfolge ich die Situation. Didrik, noch ganz benommen von dem Schlag und mit Tränen in den Augen, sieht Elisa eindringlich an, die sich schnell angezogen hat und nun verängstigt vor ihm steht.
»Du musst ihm gehorchen!«, bläut er ihr ein. »Du musst ihm unbedingt gehorchen.«
Elisa nickt und macht sich auf den Weg zum Herrenhaus. Didrik schleicht in den Schuppen zurück.
Ich weiß, dass er nun eine ganze Weile dort verbringen muss, und ich bete, dass nicht ich ihn zu bewachen habe.
Unauffällig stehle ich mich in den Schlafsaal zurück. Alle schlafen, außer Vic, der mir einen triumphierenden Blick zuwirft. Leise ziehe ich mich wieder aus und klettere in mein Bett.
Am nächsten Tag bleiben Didriks und Elisas Plätze frei. Karsten erzählt uns, dass Didrik ins Loch geschickt worden sei. Den Grund dafür könne er uns noch nicht sagen. Hugo wird als Wache abkommandiert, und ich atme erleichtert auf.
Elisas Platz ist in den nächsten zwei Wochen frei, wir wagen nicht, über sie zu sprechen. Als sie wiederkommt, ist sie eine andere geworden. Ihr ganzes Wesen hat sich verändert. Sie sieht aus, als wäre sie in einen Orkan geraten. Als hätte dieses Ereignis sie vernichtet. Sie sammelt nur ihre Sachen zusammen und verlässt ViaTerra noch am selben Tag. Wir sehen sie nie wieder.
Nach dieser Aufregung präsentiert uns Vaters Sekretärin eine neue Richtlinie. Es existiert bereits die Regel, dass man keinen Sex haben darf, wenn man nicht zusammenwohnt, aber diese Richtlinie spricht jetzt Klartext. In den darauffolgenden Tagen müssen wir das neue Regelwerk auswendig lernen und aufsagen können. Ich werde es nie in meinem Leben vergessen.
RICHTLINIEN FÜR
SEXUELLE BEZIEHUNGEN IN VIATERRA
ViaTerra ist eine Gruppe von Eliten und muss darum immer die höchsten ethischen und moralischen Standards anstreben. Das sind die Richtlinien für sexuelle Beziehungen in ViaTerra, und sie gelten sowohl für die Mitarbeiter von ViaTerra als auch für die Kadetten von Kinder der Erde .
1. Das Personal in ViaTerra darf keinen außerehelichen Sex haben.
2. Frauen haben ihre Schlafsäle, zu denen Männer keinen Zutritt haben, und andersherum.
3. Das Personal darf keinen sexuellen Kontakt mit Gästen eingehen.
4. Auch grobes Petting zwischen den Mitarbeitern ist untersagt.
Onanie ist erbärmlich und lenkt von dem großen, wesentlichen Ziel von ViaTerra ab. Organisationen, die promiskuitives Verhalten dulden, gehen meistens zugrunde. Wenn du verhindern willst, dass ViaTerra seine Ziele nicht erreicht, verstoße gegen diese Regeln.
Dann kennen wir deine Pläne.
Franz Oswald von Bärensten
Gründe r
Nach der Lektüre der neuen Richtlinien bin ich niedergeschlagen und mutlos. Während der letzten Monate habe ich mich in einem Zustand konstanter sexueller Lust befunden. Fast täglich habe ich eine Erregung, manchmal mehrmals täglich. Ich kann gar nichts dagegen tun. Das passiert, wenn Sara an die Tafel geht, um eine Mathematikaufgabe zu lösen, und ihr Rock rutscht ein bisschen hoch. Oder wenn sich Livia nach vorne beugt und ich den Ansatz ihrer Unterhose sehe. Ich fange an, in der Nähe von Mädchen nervös zu werden. Sie riechen so gut, haben einen knackigen Po und kleine Brüste. Das Schlimme ist nicht einmal die Reaktion meines Körpers, sondern die meines Kopfes. Ich entwickle Zwangsgedanken, »aus Versehen« in den Schlafsaal der Mädchen zu gehen, um eine von ihnen nackt zu sehen. Ich fantasiere unablässig davon, richtigen Sex zu haben. Jetzt wird daraus nichts, bevor ich geheiratet habe. Heiraten? Das klingt so unwirklich. Manchmal träume ich von einem Mädchen und wache von der Explosion zwischen meinen Beinen auf, die mir Genuss und Scham bereitet.
Am meisten leide ich allerdings unter meiner kritischen Haltung Vater gegenüber. Ich weiß, was er Mutter angetan hat. Und ich kann mir vorstellen, was er Elisa angetan hat. Es ist unfassbar, dass ausgerechnet er uns eine Richtlinie vorlegt, die verhindert, dass wir Sex miteinander haben. Er, der den Sexualkundeunterricht eingeführt hat. Er, der jede Frau und jedes Mädchen anstarrt. Ich kann mir das nicht erklären. Gelten diese Regeln nur für die Untergebenen? Darf man sich als Anführer jedes Recht herausnehmen? Funktioniert das auch draußen so, in der richtigen Welt?
Ali-Khan fragt uns ab, ob wir die Richtlinien verstanden haben. Das haben wir, alles, nur … was ist grobes Petting? Was genau bedeutet »grob«?, wollen wir wissen. Zählt schon ein Ku ss dazu, oder ist damit gemeint, wenn ein Junge seine Hand in die Unterhose eines Mädchens steckt, ihre Brust berührt oder ein Mädchen den Penis eines Jungen anfasst? Wir wollen, dass Ali-Khan uns das genauer erklärt, aber sie stellt sich taub.
»Lass am besten alles sein, wenn ihr es nicht wisst«, faucht sie uns am Ende an.