Dax‘ Kopf fühlte sich an, als habe jemand in Whiskey getränkte und mit Nadeln verzierte Watte hineingestopft.
Er hätte Nein zum Wodka sagen sollen. Er hätte ahnen sollen, dass Lucy einen Weg finden würde, ihn zu diesem Fotoshooting zu bekommen. Und aus all diesen Gründen hätte er kein Lächeln auf dem Gesicht haben dürfen. Trotzdem war es da. Hartnäckig und beunruhigend. Denn er war sich ziemlich sicher, dass Lucy die Schuld daran trug. Er sollte wütend auf sie sein, weil sie in sein Loft eingestiegen war und ihn so unsanft geweckt hatte. Denn das war auf jeden Fall zu weit gegangen!
Warum störte es ihn dann nicht, dass sie das Erste gewesen war, das er nach dem Aufwachen gesehen hatte? Dass sie seine Wohnung inspiziert und ihm persönliche Fragen gestellt hatte?
Vielleicht, weil sie das Schlimmste schon wusste. Ebenso wie er wusste, dass die Informationen bei ihr sicher waren. Weil es erleichternd war, dass er sie nicht mehr nur mit sich allein herumschleppen musste. Weil sie kein Mitleid mit ihm hatte, wovor er die meiste Angst gehabt hatte. Weil sie tatsächlich wieder so etwas wie … normal gewesen waren. Und er das gebraucht hatte.
Unterm Strich war er für einen derart verkaterten Morgen erschreckend gut gelaunt. Allerdings hielt das Gefühl nur so lange an, bis er das Set des Fotoshootings betrat.
»Das ist nicht dein fucking Ernst«, stieß er aus und starrte entsetzt die Kostüme an, die auf zwei Stühlen vor einer weißen Leinwand hingen.
Lucy lief rosa an und kratzte sich den Kopf. »Ich gebe zu, dass das nicht meine Idee war, aber … der Fotograf meint, es würde etwas hermachen.«
Ungläubig sah er sie an. »Ich werde keine Teufelshörner tragen!«
»Ganz ehrlich, Dax«, flüsterte sie und beugte sich verschwörerisch zu ihm vor. »Sind die dir nicht lieber als die Engelsflügel, die Jack anziehen muss?«
Sofort glitt sein Blick zu dem Federhaufen auf dem rechten Stuhl, der jedes Huhn schockiert hätte zurückweichen lassen. Nun, da war schon was dran, aber dennoch … »Scheiße, nein! Das geht zu weit, Lucy!«
»Es ist gute Publicity!«, versicherte sie ihm mit hochrotem Kopf. »Devil und Saint treffen aufeinander und werden ungleiche Freunde.«
»Verkleidete , alberne Freunde!«, korrigierte er sie bissig.
Sie winkte ab. »Ist egal, die Message ist dieselbe.«
»Nein!«
»Aber Leslie war begeistert«, bemerkte sie und zog eine Grimasse. »Ich konnte es ihr nicht ausreden.«
»Ist mir egal! Es war ohnehin meine Regel, dass ich nichts mit Jack West tue, um mein Image aufzubessern.«
»Aber das hier ist nicht für dein Image! Hier geht es nur um Kartenverkäufe. Hier …«
»Oh mein Gott, nein«, unterbrach eine entsetzte Stimme sie und beide sahen auf.
Jack hatte das Set erreicht und sein Gesicht sah aus, wie Dax sich fühlte. »Nein!« Er deutete auf die Flügel. »Nein.« Er deutete auf die Teufelshörner. »Nein.« Er deutete auf Lucy.
Was sagte man dazu. Sie waren ausnahmsweise mal auf einer Seite.
Sie stöhnte – und so sehr Dax das Geräusch auch genoss, es war doch etwas unangemessen für den Arbeitsplatz.
»Probiert es doch zumindest aus!«, bat sie. »Wenn die Fotos blöd aussehen, machen wir noch welche ohne die Requisiten.«
»Nein!«, antworteten Jack und er unisono.
Dax warf seinem Bruder einen kurzen Blick zu und einige Sekunden lang blitzte ein Bild in seinem Kopf auf. Er und Jack, die ihrer Mutter erklärten, dass sie ihre kleine Schwester nicht mit zum Eishockeytraining nehmen würden. Dass sie ihren Rosenkohl nicht essen würden. Dass sie Dax’ Vater nicht seinen Alkohol zurückgeben würden.
»Doch«, beharrte Lucy, straffte die Schultern und reckte das Kinn. Oh, großer Gott, sie machte sich zum Kampf bereit! So zumindest sah sie immer aus, wenn sie für den ersten Schlag ausholte. »Ihr beide seid zurzeit die reinsten Fische auf dem Eis und der Grund dafür, warum halb Amerika sich das Maul über die Hawks zerreißt! Ihr schuldet es mir, es zu versuchen.«
Jap. Ihre Schläge waren tief und hart und hinterließen ein Gefühl von Schuld und Unbehagen im Magen.
»Aber wozu das Ganze?«, wollte Jack wissen, der offenbar nicht wusste, dass er einen längst verlorenen Kampf ausfocht. »Was bringen die Verkleidungen?«
»Nun, sie sollen … euch männlich aussehen lassen, schätze ich«, meinte sie und räusperte sich verlegen.
»Flügel und Hörner sind männlich?«, echote Dax. Denn wenn das stimmte, hatte er sich all die letzten Jahre völlig falsch gekleidet.
»Na ja, es gibt ja auch noch das Schwert und Pfeil und Bogen«, erklärte sie sachlich und gestikulierte zu den Waffen, die auf dem Boden vor den Stühlen lagen und die Dax bis gerade noch gar nicht gesehen hatte.
»Ich nehme das Schwert!«, sagten Jack und er wie aus einem Mund.
Mit verengten Augen sah Dax seinen Bruder an. »Was will ein Engel mit einem Schwert? Engel mögen keine Gewalt. Der Teufel schon.«
»Der Teufel hat Hörner, er braucht nichts anderes, um Sünder aufzuspießen«, belehrte Jack ihn. »Und mit Pfeil und Bogen sehe ich aus, als wolle ich gleich an den Hungerspielen teilnehmen.«
Dax grinste selbstgefällig. »Nein, mit Flügeln, Pfeil und Bogen sähst du aus, als wolltest du den Leuten Liebe bringen. Was gibt es Männlicheres als das?«
»Ich glaube, du hast den Kontakt zu deiner Männlichkeit verloren, wenn du das glaubst«, bemerkte Jack trocken.
»Wenigstens habe ich nicht jeden Abend Kontakt zu meiner Männlichkeit, so wie du wahrscheinlich, wenn du allein in deinem Bett liegst«, erwiderte er süß.
»Ich will das Schwert«, beharrte Jack ungerührt.
»Es ist mein Schwert. Der Teufel besitzt der Legende nach sogar ein flammendes Schwert! Es passt also.«
»Ja, aber du besitzt der Legende nach ja auch keinen Bruder – wie wichtig können Legenden in unserem Fall also sein?«
Dax biss die Zähne aufeinander. »Du …«
»Okay, niemand bekommt eine Waffe!«, unterbrach Lucy sie und fuchtelte mit den Händen zwischen ihnen hin und her. Vielleicht, um ihren Blickkontakt zu unterbrechen. »Die Kostüme sind ohnehin schon genug, findet ihr nicht?«
Zu viel. Das waren die Kostüme!
Aber schön. Er hatte schon Schlimmeres überstanden. Er würde sich von ein paar Hörnern nicht einschüchtern lassen.
»Und jetzt bitte einmal düster gucken … ja, genau so, Mr Temple! Aber Sie sollten glücklich aussehen, Mr West. Sie sind ein Engel.«
Dax war sich in seinem gesamten Leben noch nicht so dämlich vorgekommen. Und das schloss den Tag mit ein, an dem er für Anna in eine Drogerie gegangen war und sich eine halbe Stunde lang zu Tampons, Binden und Co. hatte beraten lassen. Bis die Verkäuferin ihn gefragt hatte, ob er einen Geschlechtswechsel in Betracht zog.
Doch Eyeliner und Rouge zu tragen und von einem dünnen Mann mit Schnauzbart angewiesen zu werden, den Engel neben ihm anzusehen, als wäre er seine Absolution und das Schönste, aber auch Gefährlichste, was er je gesehen hatte, übertraf alles. Auch wenn es zugegebenermaßen sehr einfach war, diesen bestimmten Blick aufzusetzen, weil er sich einfach vorstellen musste, Lucy anzusehen.
Doch die Scheinwerfer waren zu grell und strahlten unerträgliche Hitze aus. Jack und er trugen beide dreiteilige Anzüge – Jack in Weiß, er in Schwarz, denn das war offenbar die Alltagskleidung für Teufel und Engel – und die vielen Schichten drohten ihn zu ersticken. Außerdem juckten die verdammten Hörner, die mit einer Art Spange in seinen Haaren befestigt worden waren, auf seiner Kopfhaut.
Wie dämlich sie tatsächlich aussahen, konnte er Lucy am Gesicht ablesen. Denn die Frau, die sich dafür rühmte, stets professionell zu sein, kämpfte seit einer geschlagenen halben Stunde sichtlich mit einem Lachanfall. Sie mochte glauben, dass sie diesen Umstand geschickt verbarg, aber er erkannte selbst von Weitem, dass sie sich ständig auf die Unterlippe biss. Was unter anderem daran lag, dass er womöglich allgemein etwas fixiert auf ihre Lippen war.
»Was hältst du davon, etwas deinen Kopf zu beugen, Dax?«, schlug sie wie auf Kommando mit unschuldigem Glitzern in den Augen vor. »Sodass es aussieht, als würdest du Jack mit deinen Hörnern aufspießen?«
Davon hielt er in etwa so viel wie davon, seinen Lieblings-Hockeystick in den Häcksler zu werfen.
»Ich hab keine Ahnung, was du meinst. Vielleicht kommst du besser nach vorn, um mir genau zu zeigen, was du dir vorstellst«, erwiderte er trocken. Es gab schließlich keinen Grund, warum er der Einzige bleiben sollte, der sich zum Affen machte.
»Klar«, sagte sie fröhlich und grinste breit. »Kein Problem. Wenn du mich dann nachmachst.«
Shit. Ihm hätte klar sein müssen, dass sie keiner Herausforderung aus dem Weg ging.
Der Fotograf nickte abwesend und murmelte irgendetwas davon, dass er sich die bisherigen Bilder ohnehin mal ansehen musste. Leider gab er ihr somit die Zeit, sich auf die weiße Plane vor der Leinwand zu stellen, ihre Zeigefinger wie kleine Hörner an ihren Kopf zu halten, sich hinunterzubeugen und Jack wie ein Stier in der Kampfarena darauf aufzuspießen.
»Ungefähr so«, verkündete sie und pikste Jack in den Bauch, der Dax’ Meinung nach viel zu glücklich aussah. Trotz Flügeln und goldenem Glitzer auf den Wangen. »Das zeigt, wie viel Spaß ihr zusammen habt und dass ihr echte Freunde geworden seid.«
»Nein. Es zeigt, dass du einen besseren Therapeuten brauchst!«, widersprach er.
Sie lachte und richtete sich wieder auf. »Dir ist zu viel peinlich, Dax. Wirklich.« An Jack gewandt fügte sie hinzu: »Und autsch! Du hättest ruhig aufhören können, deine Muskeln anzuspannen.« Sie zog eine Grimasse und rieb sich die Finger.
»Ich hab sie nicht angespannt«, meinte der verdutzt.
»Wirklich nicht?« Beeindruckt hob sie die Augenbrauen. »Meine Güte. Bist du es womöglich, der einen Pakt mit dem Teufel eingegangen ist, und nicht Dax?«
Jack lachte leise. »Nur einen Pakt mit der Stemmbank, fürchte ich. Aber du siehst selbst aus, als würdest du trainieren, solltest dich also nicht wundern.«
Dax schnaubte laut, was ihm einen feindseligen Blick von Lucy einhandelte.
»Was ist daran so witzig?«, wollte sie scharf wissen.
Nun ja, er wollte Lucy nicht zu nahetreten, aber wenn sie irgendetwas trainierte, dann ihre Finger, indem sie Schokolade aus der Verpackung befreite. Sie hatte den Hintern und die Hüfte, um das zu beweisen. Was nichts Schlechtes war! Er mochte ihren Hintern und ihre Hüfte. Sie sahen aus, wie sie bei einer Frau eben aussehen sollten. Perfekt, um die Hände darin zu vergraben und sie gegen seine eigenen zu ziehen.
Aber er war nicht dumm genug, das laut auszusprechen.
»Überhaupt nichts«, sagte er todernst. »Hab nur an einen Klopf-Klopf-Witz gedacht.«
»Mhm, klar«, machte sie angesäuert.
»Hör nicht auf ihn, Lucy«, fuhr Jack unbeirrt fort. »Du hast die perfekte Figur.«
Dax’ Kiefer spannte sich an. Er hatte nie etwas anderes behauptet! Tatsächlich waren ihre Kurven so ziemlich alles, woran er die letzten Tage gedacht hatte. Nein, das stimmte nicht. Es war die ganze Person gewesen und … Warum liefen Lucys Wangen jetzt rosa an?
»Danke, das ist sehr lieb, aber nicht wahr«, meinte sie und warf Jack einen warmen Blick zu.
Hey! Was sollte das? Er hatte noch nie einen derartigen Blick von ihr bekommen. Und es war wahr.
»Es ist wahr«, sprach Jack seine Gedanken aus. »Ihr Frauen macht euch viel zu viele Gedanken um euren Körper.«
»Sagt der Typ mit dem Waschbrettbauch?«, fragte sie lachend, bevor sie abwinkte. »Aber mach dir keinen Kopf. Das weiß ich. Ich find mich okay. Ich mag meinen Körper. Egal, was manche Männer sagen.« Sie warf Dax einen vielsagenden Blick zu.
Perplex öffnete er den Mund, um ihr zu versichern, dass er überhaupt nichts gegen ihren Körper einzuwenden und nie etwas anderes behauptet hatte, doch Jack kam ihm wieder zuvor.
»Ach, manche Männer sind einfach Arschlöcher. Und ich finde, was eine Frau erst so richtig sexy macht, ist ihr Selbstbewusstsein. Ihre Art, mit Menschen umzugehen. Und in dem Bereich bist du ernsthaft gesegnet, Lucy.«
Der Rotton in ihren Wangen vertiefte sich weiter … ebenso wie der Rotton, der vor Dax’ Augen aufgetaucht war.
Was zur Hölle tat Jack da?
Ein bitteres, hässliches Gefühl ballte sich zu einem schwarzen Ball in seinem Magen und wäre er ein anderer Mann gewesen, hätte er gedacht, dass es Eifersucht war. Doch er war kein anderer Mann und er wurde nicht eifersüchtig.
Trotzdem rutschte ihm heraus: »Sagt mal, soll ich euch beide vielleicht lieber ein wenig allein lassen, damit ihr noch etwas mehr flirten könnt und Jack noch ein paar weitere meiner Geheimnisse ausplaudern kann?« Er hatte absichtlich im gelassenen Tonfall gesprochen, doch seine Worte waren offenbar doch bissig genug gewesen, um beide überrascht aufsehen zu lassen.
Jacks Blick flog zu Lucy. »Du hast es ihm erzählt?«
Sie seufzte leise. »Es ist mir so herausgerutscht. Aber Dax, du stehst genau neben uns. Du würdest es wissen, wenn er aus dem Nähkästchen plaudert.«
Als ob ihn das interessierte! Jack konnte Lucy erzählen, was er wollte, solange er endlich ein paar Schritte nach hinten trat und nicht bei jeder Bewegung mit seiner Schulter gegen ihre strich.
»Okay, wir haben schon einige gute Bilder in Kostümierung«, verkündete der Fotograf in diesem Moment und riss Dax somit aus seiner Fantasie, die sich um seine Faust in Jacks Gesicht gedreht hatte. »Wir können jetzt zu ein paar sexy Shots für die weiblichen Fans übergehen. Also, wer von euch beiden möchte denn sein Hemd ausziehen?« Er wackelte mit den Augenbrauen.
»Er«, sagten Jack und Dax wie aus einem Munde und deuteten auf den jeweils anderen.
Dax schnaubte. Er würde sich ganz sicher nicht ausziehen. Nicht, nachdem Lucys Gesicht heute Morgen allein bei dem Gedanken daran, dass er nackt war, ein Feuerwehrauto imitiert hatte. Das würde nicht … zur Normalität zwischen ihnen beitragen.
»Wieso sind denn unbedingt sexy Shots nötig?«, hakte Lucy nach, ihre Wangen dunkler als noch vor einer Minute, während sie zurück zu ihrem alten Platz schlenderte.
»Leslie meinte, ein paar Fotos ohne Hemd könnten nicht schaden«, sagte der Fotograf und zuckte die Achseln.
Lucy seufzte und machte eine unwirsche Handbewegung, die der Fotograf als Bestätigung sah.
»Also, wer zuerst?«, wollte er wissen.
»Schon gut, schon gut!«, bemerkte Jack seufzend und legte die Flügel, das Jackett und die Weste ab, bevor er sich das Hemd über den Kopf zog und mit freiem Oberkörper dastand.
Lucy pfiff durch die Zähne.
Dax biss seine aufeinander.
Jack klopfte sich mit selbstgefälligem Grinsen auf die Brust.
Lucy zwinkerte ihm lachend zu. »Dreh dich doch bitte einmal. Für den Fotografen natürlich.«
Dax grub die Fingernägel in seine Handballen.
»Weil ein schöner Rücken auch entzücken kann?«
Lucys Lachen wurde lauter.
Dax’ Kiefer schmerzte.
»Dein Rücken zumindest, Jack«, bemerkte sie wimpernklimpernd. »Und ich versteh jetzt, warum Leslie meinte, dass ein paar shirtlose Bilder nicht schaden könnten. Mir zumindest schadet der Anblick nicht.«
Hatte sie was von Schaden gesagt? Ja, den würde Dax gleich anrichten.
»Oh, du kannst gern mit aufs Bild, Lucy«, meinte Jack leichthin. »Um den Fans zu zeigen, wie eng Spieler und Marketing zusammenarbeiten.«
Eine zarte Röte schoss in Lucys Wangen.
Rauschendes Blut durch Dax’ Ohren.
»Wir haben da diese Regel im PR-Team. Nur gucken, nicht anfassen.«
Jack grinste. »Also ich hab überhaupt nichts dagegen, wenn du mich anfassen willst.«
Lucy kicherte und trat einen Schritt vor. »Also, ein wissenschaftliches Interesse hätte ich ja …«
Dax riss der Geduldsfaden.
»Es reicht!«, herrschte er sie an.
Überrascht wandte sie sich zu ihm um und weitete die unschuldigen, dunklen Augen. »Was reicht?«
»Oh, bitte «, knurrte er wütend und stapfte auf sie zu, bevor er die Stimme senkte, damit die anderen ihn nicht verstehen konnten. »Tu nicht so, du provozierst mich!«, zischte er und beugte sich vor, sodass er ihr direkt in die Augen sah, während sein Puls heftig an seinem Hals schlug. »Wieso sonst solltest du mit West flirten?«
»Weil es Spaß macht?«, erwiderte sie tonlos und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Mir macht es keinen Spaß, also hör verdammt noch mal damit auf!«
»Wieso?«, fragte sie scheinheilig. »Vielleicht ist er ja meine Nummer Zwölf.«
Er schnaubte. »Als ob. Du bist nicht bei zwölf, das hast du damals nur gesagt, um mich zu schockieren – und alle wissen, dass du nichts mit Spielern anfängst.«
»Ich fange nichts mit Spielern an, weil ihr alle noch kleine Jungs seid, die jammern, wenn sie ihren Willen nicht bekommen«, flüsterte sie, die Augen gefährlich verengt. »Aber Jack West ist ein Mann .«
Sein Kiefer knackte. Gott, wie gern würde er ihr zeigen, wie sehr Mann er war. Doch sie waren nicht allein. Er konnte die neugierigen Blicke des Fotografen und Jacks in seinem Nacken spüren. Abgesehen davon wollten sie sich ja normal verhalten und … Shit, er musste hier raus. Er konnte nicht mehr klar denken. Lucy vernebelte sein Gehirn.
»Was soll’s«, murmelte er also nur steif, wandte sich ruckartig um, durchquerte den Raum und riss die Tür auf.
»Äh, Lucy … wir brauchen ihn!«, hörte er den perplexen Fotografen noch rufen, bevor sie hinter ihm zufiel.
Dax atmete zischend aus und rieb sich mit beiden Händen übers Gesicht. Sog tief Luft in seine Lunge und versuchte sich zu beruhigen. Doch das enge Gefühl in seiner Brust verschwand nicht. Der bittere Geschmack auf seiner Zunge ebenso wenig. Das hier war nicht gut. Ebenso wenig wie die Schritte, die er auf der anderen Seite der Tür hörte, bevor Lucy sie aufzog.
»Wo willst du hin?«, fragte sie, ihre Augen groß, ihre Wangen noch immer gerötet. Aber wegen Jack, nicht wegen ihm!
Fuck.
Er hatte keine Lust, mit ihr zu reden und konnte für nichts garantieren, wenn er es tat. Also stieß er die nächstbeste Tür auf, die in ein leerstehendes Büro führte, trat hastig hinein und wollte sie direkt wieder hinter sich schließen. Doch Lucys Fuß schoss vor und hielt sie offen.
»Was zum Geier soll das?« Ungläubig sah sie ihn an und drückte sie mit roher Gewalt auf. »Läufst du gerade ernsthaft vor mir weg?«
»Du fragst mich, was das soll?«, erwiderte er hitzig, während seine Stimme mit jedem Wort lauter wurde. »Du bist es, die sich Jack gerade praktisch an den Hals geworfen hat!«
»Schrei nicht so«, zischte Lucy, blickte besorgt nach draußen in den Flur und schloss dann hastig die Tür und warf ihre Handtasche daneben auf den Boden, um ihre Arme zu verschränkte. »Und ich hab mich ihm nicht an den Hals geworfen. Wir haben nur … geredet.«
»Oh, komm schon! Ich kenne mich mit verbalem Vorspiel aus, Lucy!«, fuhr er sie an.
Sie blinzelte verdutzt. »Verbalem … was? Gott, Dax! Du hast sie doch nicht mehr alle. Es war Spaß . Abgesehen davon kann ich mit Jack reden, wie ich will.« Trotzig hob sie das Kinn. »Ich hab mich nicht zu erklären!«
Oh, das sah er anders.
»Shit. Das funktioniert so nicht«, sagte er genervt und ging auf und ab.
»Was funktioniert nicht?«, wollte Lucy verwirrt wissen.
»Das hier!«, fuhr er sie an und wedelte mit der Hand zwischen ihnen hin und her. »Normalsein, wenn es um dich geht! Du kannst nicht in mein Loft einbrechen und dann mit Jack flirten. Du kannst nicht die Augen schließen, wenn ich nackt an dir vorbeilaufe – und rot werden, wenn Jack sein Hemd auszieht! Das geht verdammt noch mal nicht! «
Er hoffte nur sehr, dass Lucy nicht noch mal Warum? fragte, denn er hatte absolut keine Antwort auf diese Frage.
Zum Glück hielt sie sich damit gar nicht auf.
»Was soll das, Dax?«, entgegnete sie genervt. »Wieso führst du dich plötzlich so auf? Du hast mich doch nur geküsst, weil du einen Standpunkt verdeutlichen wolltest! Du flirtest mit mir, um mich zu ärgern. Du provozierst mich, weil es dir Spaß macht! Und jetzt bist du eifersüchtig, wenn ich ein anderes hübsches Sixpack anschaue als deines?«
»Ich bin nicht eifersüchtig«, sagte er verächtlich. Was für ein lächerlicher Gedanke. »Ich bin genervt, weil ihr beide euch gegen mich verschworen habt!«
»Was? « Sie schnaubte laut, bevor sie die Augen verdrehte und sich mit verschränkten Händen gegen den fremden Schreibtisch lehnte. »Wir haben ein paar Witze miteinander gemacht. Was ist so schlimm daran?«
Hitze wirbelte in seiner Brust umher, brannte auf seiner Haut und er öffnete den Mund … nur um ihn eine Sekunde später wieder zu schließen.
Lucy seufzte schwer und rieb sich mit der Faust über die Stirn. »Ich verstehe dich nicht, Dax. Dein Loft sieht aus, als wärst du erwachsen, aber dann benimmst du dich wie ein zorniger Teenager und ich denke mir: Nein, dass er vernünftig und verantwortungsbewusst sein kann, habe ich mir nur eingebildet! Denn dass du jetzt so wütend bist, hat überhaupt nichts mit mir zu tun, sondern nur mit Jack. Hätte ich mit Matt geflirtet oder mit Fox, wäre es dir doch vollkommen egal gewesen.«
Sein Kiefer knackte. Warum zur Hölle sollte sie Matt oder Fox erwähnen? Stand sie auf sie?
»Und ich habe wirklich keine Lust mehr, zwischen die Fronten zu geraten«, fuhr Lucy unbehelligt fort und fixierte ihn mit festem Blick. »Du musst dich zusammenreißen. Entweder, du sprichst dich endlich mit Jack aus, oder du vergisst, was passiert ist. Denn wenn du so weitermachst, wirst du nicht nur seine und deine Karriere zerstören, sondern vermutlich auch meine. Ganz abgesehen davon, dass du mich in den Wahnsinn treiben wirst!« Kopfschüttelnd fuhr sie sich durch die Haare, bevor sie trocken auflachte. »Weißt du, dass ich eigentlich mal ein Fan von dir war?«
Er blinzelte verwirrt. »Was?« Er kam nicht mit. Ihr Gehirn sprang von einem belanglosen Punkt zum nächsten und alles, was er tun konnte, war, ihre Lippen anzustarren.
»Ja. Bevor ich dich kennengelernt habe, warst du mein Lieblingsspieler.«
Wieder blinzelte er und trat ein paar Schritte vor. Denn er hörte sie sehr schlecht, anders konnte er sich nicht erklären, was da gerade aus ihrem Mund gekommen war.
»Nicht wegen deines Sixpacks oder weil du so unfassbar hübsch bist, sondern weil du den besten Rückhandschuss der Liga hast«, murmelte sie. »Weil du bei den Interviews immer lustig und auf dem Boden geblieben gewirkt hast. Weil du das Spiel so offensichtlich geliebt hast! Weil du immer so nett gewirkt hast. Aber das ist lächerlich, oder?« Zweifelnd sah sie zu ihm hoch. »Du bist nicht nett, du bist nur ein guter Schauspieler. Oder?«
Die Frage war wie ein Schlag in seinen Magen.
Sein Blick glitt über ihr Gesicht. Über ihr spitzes Kinn, ihre rosa Wangen, ihre fragenden braunen Augen … bis zu ihren leicht geöffneten Lippen.
»Ich kann nett sein«, flüsterte er heiser.
Sie hob ironisch eine Augenbraue. »Wirklich?«
Er nickte – und küsste sie.