F ür Julia Durant spielte sich das Leben wochenlang nicht so ab, wie es zuvor gewesen war. Zuerst wurde sie von einer schweren Bronchitis mit tagelangem hohem Fieber flachgelegt, und die vielen einsamen Stunden im Bett und auf dem Sofa machten ihre Situation nicht unbedingt besser. Im Gegensatz zu ihr erholte sich Claus Hochgräbe vergleichsweise schnell. Er hatte nur eine mittelschwere Gehirnerschütterung, und das einzige Gift in seinem Körper war ein hoch dosiertes Beruhigungsmittel gewesen. Durant hatte ihre liebe Mühe damit, ihn davon abzuhalten, sie die ganze Zeit über zu umsorgen, auch wenn sich diese Geborgenheit schön anfühlte.
Schön. War das das richtige Wort dafür? Wie konnte es je wieder schön werden? Thibault hatte so tief in ihr Leben eingegriffen wie kaum jemand zuvor. Ihre beste Freundin Alina: tot. Für immer verschwunden. Und um ein Haar hätte er sich auch Claus geholt und am Ende vielleicht noch Berger oder Hellmer oder jemanden aus dessen Familie. Wie – und vor allem mit wem – sollte Durant diese Bürde verarbeiten?
Susanne Tomlin meldete sich noch aus ihrem Urlaubsdomizil, um ein langes Telefonat mit ihr zu führen. Rücksicht auf Telefonkosten brauchte eine reiche Frau wie sie nicht zu nehmen, deshalb führte sie das Gespräch mit dem Handy von ihrem Zimmer aus anstatt über das Gratis-WLAN . Susannes Reichtum verdankte Julia Durant ihre Wohnung am Holzhausenpark, und hierum drehte sich ein wesentlicher Teil des Gesprächs.
»Ich weiß, dass ich mir das nicht leicht machen sollte«, quälte sich Julia, »und du musst mir glauben, das tue ich auch nicht …«
»Es ist doch so was von egal«, versicherte ihre Freundin ihr zum wiederholten Mal. »Du musst dich damit wohlfühlen, und glaub mir, ich weiß, wovon ich rede! Ich bin doch selbst geflüchtet damals. Raus aus Frankfurt, raus aus Deutschland. Wenn du diesen Tapetenwechsel brauchst, dann zögere nicht. Nicht um meinetwillen jedenfalls.«
»Ich denke noch darüber nach«, murmelte Julia mit belegter Stimme. »Aber danke.«
»De rien! Du wirst mir nie etwas schuldig sein, und das weißt du auch. Du hast mich damals gerettet – jetzt geh und rette dich selbst.«
Doch Julia Durant konnte sich auch nach vielen schlaflosen Nächten nicht zu einer Entscheidung durchringen. Im Grunde war es ganz einfach: Sie wollte raus aus dem Haus. Raus aus einer Wohnung, in der man sie nun schon zum zweiten Mal heimgesucht hatte. In der so viele schmerzhafte Erinnerungen steckten, Gedanken, mit denen sie nicht tagein, tagaus leben konnte. Claus Hochgräbe sah das ähnlich, bestand aber darauf, dass sie die Entscheidung unabhängig von seiner Meinung traf. Zwischenzeitlich waren sie in Susannes Haus in der Provence eingeladen worden, und sobald hier alles Notwendige geregelt war, würden sie dorthin fliegen.
An einem trüben Herbsttag wurde Alina Cornelius zu Grabe getragen. Der Himmel war grau verhangen, und es regnete Bindfäden, als weinte die Welt um jene wundervolle Person, die ihr entrissen worden war. So zumindest empfand Julia Durant diesen Verlust. In der Trauerhalle sprach ein fremder Geistlicher, der Alina nie kennengelernt hatte, dem Julia aber die nötigen Infos hatte zukommen lassen. Sie wollte eine bessere, eine würdigere Rede hören als das, was sie bei Stephans Trauerfeier erlebt hatte. Die meisten Gäste waren aus den Reihen des Präsidiums, dazu eine Handvoll fremder Gesichter, wahrscheinlich Patienten, wie die Kommissarin vermutete. Verstohlen um sich blickend, als wolle man nicht erkannt werden als jemand, der eine Psychologin aufsuchte. Alina Cornelius stammte aus Lüneburg und war vor über zwanzig Jahren nach Frankfurt gekommen. In all dieser Zeit hatte sie den Kontakt zu ihrer Heimat verloren, und es gab auch heute niemanden, der von dort angereist war. An wen ihre Besitztümer gehen würden – Durant wusste es nicht, und diese Ungewissheit versetzte sie in Unruhe. Dasselbe galt für Stephans Nachlass. Angeblich befasste sich das zuständige Gericht bereits mit der Angelegenheit. Sie jedenfalls würde sich heraushalten, so viel war sicher. Denn wie hätte Alina Cornelius ihr geraten: »Kümmere dich nicht darum, denn es betrifft dich nicht. Darüber dürfen sich andere ärgern. Also lass es einfach los.«
Genau das würde sie tun. Müssen.
Als sie die Urne zum letzten Mal sah, gingen ihr zwei Dinge durch den Kopf.
Einmal, wie unerträglich oft sie sich in der jüngeren Vergangenheit mit Bestattungen hatte auseinandersetzen müssen. Und immer wieder mit dieser neuen Form der Einäscherung, die von vielen allein deshalb gewählt wurde, weil sie keine riesige Grabfläche hinterlassen wollten, die am Ende jemand pflegen musste.
Und zum Zweiten, wie sie Alina Cornelius zum ersten Mal begegnet war. Diese junge, sinnliche Person in ihrem langen Kleid und mit dem roten Stoffschal. Die zierlichen Sommersprossen und die feingliedrigen Hände. Die einzige Frau, die jemals eine erotisierende Wirkung auf sie gehabt hatte. All das reduziert auf ein Häufchen Asche.
Nicht nur der Himmel weinte an diesem Tag.
»Und er hat das alles nur aus Rache getan?«
Peter Brandt ließ seinen Blick für einige Sekunden auf der Todesanzeige verweilen, die Durant ihm gezeigt hatte. Dann schüttelte er den Kopf, nippte an seinem Espresso und leckte sich anschließend über die Oberlippe. Von den Folgen seines Unfalls war nicht mehr viel zu sehen außer einem blauen Fleck über dem Auge, den er sich zugezogen hatte, als er, vom Aufprall benommen, seinen Anschnallgurt löste und daraufhin mit der Fahrertür kollidiert war.
Julia Durant hatte sich mit ihm in einem Café in Offenbach verabredet, es war einer der letzten milden Tage dieses Herbstes, an dem die Sonne sich noch einmal mächtig ins Zeug legte.
Langsam nickend antwortete sie: »Nur ist gut.«
Brandt tippte auf die Anzeige. »Du hast gesagt, das sei ein Hugenottenkreuz. Um ehrlich zu sein: Ich hätte das nicht auf Anhieb gewusst, auch wenn die Hugenotten gerade in meinem Bezirk ziemlich bedeutend gewirkt haben. Das heißt, der Täter hat sich intensiv mit dir beschäftigt.«
»Nicht nur mit mir«, antwortete Durant. »Er kannte meine Adresse, er kannte aber auch die Privatadressen von dir und von Frank und von vielen anderen. Vermutlich ist er jedem von uns systematisch vom Präsidium nach Hause gefolgt. Er hat sich in Frankfurt niedergelassen, monatelang hier im Verborgenen gelebt und alles in Erfahrung gebracht, was das Internet über mich und mein Umfeld hergab. Wir haben zwei Wohnungen und eine Ferienpension ausmachen können, eine Mietgarage, ein Langzeitgepäckfach und mehrere Fahrzeuge.«
»Das Ganze erinnert mich an die Achtziger«, sagte Brandt, und sein Blick verlor sich in der Ferne. »Das, was unsereins damals über die RAF oder andere Zellen gelernt hat. Aber noch mal: Nur aus Rache?«
»Ich habe ihn weggesperrt. Ich habe seit damals nie in Betracht gezogen, dass er je wieder auf freien Fuß kommen könnte. Um ehrlich zu sein, habe ich auch nie an ihn gedacht.«
»Weil du nicht an München denken wolltest.«
Durant lächelte. »Vermutlich.«
Brandt verstand das. Denn auch er hatte, wie sie wusste, eine äußerst unschöne Scheidung hinter sich gebracht.
»Thibault hat sich bei Stephan eingenistet, wie auch immer er das geschafft hat. Aber so habe ich ihn in Erinnerung. Ein Mensch, der über Charisma verfügt und dieses schamlos benutzt, um andere zu manipulieren. Um Personen zu quälen, ohne dabei selbst das Geringste zu empfinden. Genüsslich hat er eine Spur nach der anderen ins Nichts gelegt. Hat es geschafft, meinen Verdacht, so absurd es auch war, auf Stephan zu lenken. So weit, dass ich bereit war zu glauben, er habe seinen Tod nur vorgetäuscht. Und parallel dazu immer wieder diese Hinweise, die auf meine Vergangenheit in München zielten. Die mir ins Gesicht hätten springen müssen, es aber nicht taten. Denn immer dann, wenn ich Zweifel an der Stephan-Theorie bekam, tauchte ein neues Indiz auf. Dieser bescheuerte Zahn! Thibault hat ihm tatsächlich einen Zahn gezogen, nur, um ihn irgendwann zwischen Beisetzung und Exhumierung in die Urne zu schmuggeln. Was für ein Aufwand! Und was wollte er mir damit sagen? Dass die Asche tatsächlich von Stephan stammt, oder sollte ich den Zahn als kläglichen Versuch einordnen, mir Stephans Tod vorzugaukeln?
Wer weiß, wie viele Hinweise er noch platziert hatte. Er muss gewusst haben, dass nicht alle gefunden werden. Dass wir nicht alles erkennen. Aber das konnte er in Kauf nehmen, denn selbst wenn ich ihn frühzeitig als Hintermann erkannt hätte, wäre er noch immer ein Unsichtbarer geblieben. Es war ein Spiel, ein Todesspiel, in dem er die Kontrolle behielt. Er wusste, dass es von ihm keine DNA gibt, das haben wir damals noch nicht gemacht. Fingerabdrücke, sicher, aber stattdessen gab er uns einen Zehenabdruck. Er hat jede Sekunde seines Daseins damit verbracht, seinen Hass auf mich zu konzentrieren. Einzig und allein darauf ausgerichtet, mich zu zerstören, wenn seine Zeit gekommen ist.« Durant atmete schwer und nahm einen Schluck aus ihrem Latte-macchiato-Glas. Rieb sich den Schaum vom Mund und fuhr fort: »Er hat seine verlorene Zeit, für die er mich verantwortlich machte, auf mich projiziert. Sie mit mir gefüllt. Um mich komplett zu zerstören, und ich sag’s dir unter uns, Peter, er hat es beinahe geschafft. Allein die Sache mit Alina …«
Julia brach ab und rieb sich die Tränen aus den Augenwinkeln.
Brandt legte ihr die Hände auf die Unterarme, als diese wieder hinabgesunken waren.
»Aber nur beinahe«, sagte er leise.
»Stell dir mal vor, er hätte Elisa erwischt.«
»Hat er aber nicht. Und mich auch nicht, jedenfalls nicht so. Wobei mein guter alter Alfa jetzt Geschichte ist. Da ist nichts mehr zu machen, und das nehme ich ihm übel. Aber viel wichtiger ist, dass der Rest von uns unverletzt ist. Dein Claus, Berger und natürlich auch Frank Hellmer.«
»Du hättest Franks Porsche sehen sollen«, erwiderte Durant mit dem Anflug eines matten Lächelns. Sie wollte sich nicht ausmalen, wie viel Schlimmeres Thibault der Familie Hellmer noch hätte antun können. Vielleicht hatte ihn das gut gesicherte Anwesen davon abgehalten. Vielleicht hatte Hellmer auch einfach nur Glück gehabt. So wie manch andere auch – und wieder andere leider nicht. »Das Leder und der Fußraum«, fuhr sie hastig fort, um diese Gedanken nicht Oberhand gewinnen zu lassen, »völlig versaut mit Kirschsaft.«
»Das mit den Kirschen kapiere ich immer noch nicht«, gestand Brandt ein und löffelte sich etwas Schaum aus dem Glas.
»Tiefkühlkirschen. Thibault wollte Präsenz zeigen, an möglichst vielen Orten. Ein Ex-Kollege in München, bei Frank zu Hause und wer weiß, wo er die noch überall platziert hätte, nur um mir zu zeigen, dass er nicht aufzuhalten ist. In meiner alten Wohnung hing ein Stillleben mit Kirschen. Darunter hat er den blöden Kosenamen geschmiert, den mein Ex damals verwendet hat. Chérie . Französisch. Du weißt schon.«
»Ciliegia«, murmelte ihr Gegenüber in klangvollem Italienisch und zwinkerte verschmitzt. »Das wäre dir mit einem italienischen Liebhaber jedenfalls nicht passiert. Wir mögen zwar ein Volk von Genießern sein, aber Früchte als Kosenamen fallen mir da keine ein.« Er griff nach Julias Hand. »Das Ganze ist jetzt vorbei, hörst du? Endgültig. So schrecklich es auch war, Thibault ist gefasst. Er wird dir nie wieder etwas antun, und irgendwann wirst du ihn vergessen können, auch wenn dir das im Augenblick noch unvorstellbar erscheint. Er allerdings wird sich für den Rest seiner Tage mit dir auseinandersetzen müssen, und zwar mit dir als freier und lebendiger Person.«
Damit sollte Brandt recht behalten.
Der Prozess gegen Sascha Thibault begann noch im Oktober. Die Beweislast war erdrückend, und er hatte, so gesehen, ein volles Geständnis abgelegt. Gegenüber ihr, gegenüber Claus. Außerdem die Identifizierung durch mehrere Zeugen, begonnen bei Lars Rüttlich von der Zeitung, wo er die Anzeige aufgegeben hatte, und nicht zuletzt durch Mia Emrich. Oberstaatsanwältin Elvira Klein, die den Fall zwar nur von außen verfolgte, aber stets über die neuesten Informationen verfügte, hatte keinen Zweifel daran, dass es am Ende zu einem klaren Urteil kommen würde, und damit behielt sie recht. Der Richter entschied auf das höchste Strafmaß und Sicherungsverwahrung.
»Thibault wird im Knast verrotten«, kommentierte Hellmer nach der Urteilsverkündung, und keiner von seinen Kollegen machte einen Hehl daraus, dass er genau das verdient hatte. Mit seinen einundsechzig Jahren und der Härte der aktuellen Verbrechen würde er jedenfalls kaum eine weitere Begnadigung erleben. Am Ende war seine Rechnung, sich für die im Gefängnis vergeudeten Jahre zu rächen, nicht aufgegangen. Denn die Zeche für diesen Deckel kostete ihn sein restliches Leben.
Josef Hallmann kehrte zurück nach München, wo ihn die Verhandlung mehrerer Vorwürfe von sexueller Nötigung erwartete, außerdem eine nicht unwesentliche Forderung an ausstehendem Unterhalt. Doch schneller als erwartet stellte sich heraus, dass es im Rechtssystem eine ganze Reihe von Wegen gab, sich aus der Verantwortung zu ziehen. Man brauchte nur den richtigen Anwalt, und schon wurde den Klägerinnen das Wort derart im Munde umgedreht, dass es für den Richter am Ende so aussah, als seien sie es gewesen, die Hallmann mit sexuellen Angeboten bestochen hatten. Hallmann sei in unzähligen Fällen standhaft geblieben, aber eben auch nur ein Mann. Und er beharrte darauf, niemals Forderungen oder Versprechen an den Beischlaf geknüpft zu haben. Am Ende wurde er freigesprochen. So wie es immer wieder geschieht in einem System, in dem das eine Geschlecht das andere dominiert.
Die Urne mit Stephans Asche wurde zurück auf den Friedhof gebracht. Julia Durant und Pastor Aumüller trafen sich dort, im Hintergrund Claus Hochgräbe. In dreißig Metern Entfernung wartete eine blonde Frau in elegantem Mantel, in den Händen eine langstielige rote Rose. Auch im Schatten der Bäume und mit großer Sonnenbrille, die wie Insektenaugen wirkten, brauchte es nur einen kurzen Blick, um sie zu erkennen. Karin Forsbach. Julia Durant nickte ihr schweigend zu, als sie die Stele verließen.
Sie hatte viel zu lange dagegen angekämpft und es doch nicht gänzlich von der Hand weisen können, dass er zu solch bestialischen Taten fähig war. Thibault hatte aber wirklich alles dafür getan, um es danach aussehen zu lassen. Sie wusste nicht, wie er Stephan kennengelernt hatte. Doch er hatte sich sein Vertrauen erschlichen. Hatte gewartet, bis das Terrain sicher genug war, um ihn in seine Gewalt zu bringen. Die Anonymität des Hauses genutzt, um sich unerkannt bei ihm einzunisten und ihn zu all den Aufnahmen und Schriftstücken zu zwingen. Stephan hatte wohl keine andere Wahl gehabt, als sich Thibault zu fügen. Hatte seine Stimme auf den Bändern deshalb so gepresst gewirkt? Weil Thibault ihm eine Waffe in den Nacken gedrückt hatte? Hatte Stephan begriffen, dass es für ihn keinen Weg gab, lebend aus der Sache herauszukommen? Hatte er am Ende darauf gehofft, dass, wenn schon er das Ganze nicht überleben würde, wenigstens Julia eine Chance hatte? Er wusste doch um ihre Erfolge, jedenfalls damals, in München. Er wusste, dass sie Thibault schon einmal gestellt hatte. Waren Stephans letzte Stunden, Tage, vielleicht auch Wochen von einer Art banger Liebe erfüllt gewesen? Eine seltsame Form der Wiedergutmachung für das, womit er die Beziehung einst zerstört hatte. Wenn auch nicht so, wie man sich eine Wiedergutmachung vorstellte. Und auch wenn die Worte in dem Brief, der sie über Pastor Aumüller erreicht hatte, nicht von Stephan geschrieben waren: Für Julia würden sie für immer einen wahren Kern enthalten. Wenigstens eine kleine Gewissheit, dass Stephan bei all seinen Fehlern kein böser Mensch gewesen war.
Umso wichtiger war es Julia daher, ein letztes Mal – richtig – Abschied zu nehmen. Diesmal in einem viel tieferen Frieden als vorher und, vor allem, zum letzten Mal. Denn sie hatte sich geschworen, danach nie wieder hierher zurückzukehren.
Ihre Vergangenheit mit Stephan war nun endgültig begraben.
Und die Zukunft gehörte einem anderen.
Julia Durant stand vor Claus Hochgräbe am Check-in, den Personalausweis und ihren Boardingpass in der Hand.
»Zwei Personen.« Die Brünette in der dunkelblauen Lufthansa-Tracht lächelte über den Tresen. »Herr Durant? Ich bräuchte auch Ihren.«
Hochgräbe schüttelte den Kopf und streckte ihr seinen Ausweis entgegen. »Hier, bitte. Nur der Name stimmt nicht.«
Eine Schrecksekunde und ein Aufflammen ihrer dunklen Kulleraugen später hatte die Dame sich wieder gefangen. Murmelte ein schnelles »Bitte entschuldigen Sie, da war ich wohl voreilig« und erledigte dann das weitere Prozedere.
»Wie viele Gepäckstücke möchten Sie aufgeben?«
»Zwei«, antwortete Julia, und noch bevor Claus reagieren konnte, wuchtete sie die erste der beiden Reisetaschen auf die Waage, die in das Laufband der Gepäckabfertigung mündete. Am Schalter war nicht viel Betrieb, denn die meisten Fluggäste nutzten heutzutage die Möglichkeit, alles online zu erledigen und sogar das Gepäck mit selbst gedruckten Aufklebern in einen Automaten zu schieben. Aber so modern war Julia Durant noch nicht. Wollte sie auch nicht sein. Sie blickte dem Koffer hinterher, bis das Band ihn verschluckt hatte.
Die Temperaturen an der Côte d’Azur lagen in diesem Jahr auch zu Beginn der Adventszeit noch weit über dem statistischen Mittelwert für diese Region. Doch Susanne Tomlin hatte die beiden gewarnt: »Sonne, Sturm, Regen, ja, selbst Nachtfrost … Ihr solltet in puncto Kleidung auf alles vorbereitet sein.«
Das waren sie. Denn sie hatten sich eine Menge vorgenommen. Julia und Claus wollten das Hinterland der Provence erkunden, auf Picassos Spuren wandeln und (wieder einmal) nach Grasse fahren, jener Stadt, die spätestens seit der Verfilmung von Patrick Süskinds Bestseller Das Parfum als Hauptstadt der Düfte bekannt wurde.
Nicht vorbereitet war Claus Hochgräbe hingegen auf eine Bemerkung, die ihn wie aus dem Nichts traf, während Durant auch die zweite Tasche in Richtung Gepäckannahme wuchtete.
Die Hand noch um die Schlaufen mit dem Namensschild geklammert, war es mehr ein gepresstes Keuchen, mit dem sie ihm ihren Vorschlag präsentierte:
»Eigentlich könnten wir doch heiraten.«