Die vernichtenden Niederlagen von 1848 bedeuteten nicht, dass die Schwungkraft der Revolution erlahmt war. Die Restauration hatte nicht überall triumphiert, und selbst als die Konservativen wieder an der Herrschaft waren, fühlten sie sich nicht stark genug, die liberalen Institutionen ganz vom Erdboden verschwinden zu lassen. Auch legten die meisten Regierungen immerhin Lippenbekenntnisse zum Thema Verfassung ab. Wenn die Liberalen nicht so optimistisch hinsichtlich der Umsetzung ihrer Ideale gewesen sein mögen, so waren sie dennoch fest entschlossen, das zu verteidigen, was von ihren Errungenschaften noch übrig geblieben war. Die europäischen Radikalen unternahmen derweil neue Anstrengungen, ihre demokratischen und sozialen Programme voranzubringen oder der liberalen Ordnung eine verspätete Verteidigung angedeihen zu lassen. Erst als die zweite Welle revolutionärer Aktivitäten unterdrückt wurde, kamen die Revolutionen der Jahrhundertmitte an ihr Ende.
Motor der deutschen Revolution von 1849 waren die Radikalen, die (ironischerweise) um jene liberale Verfassung kämpften, die vom Rest der deutschen Nationalversammlung erarbeitet worden war. In Italien und Ungarn dagegen radikalisierte sich die Revolution aufgrund von militärischen Krisen. In Frankreich trugen die Radikalen die Kämpfe von den Städten, wo sie 1848 zerschlagen worden waren, in die Provinzen und aufs Land hinaus. Die démoc-socs arbeiteten im ländlichen Frankreich fieberhaft an der Basis, verwandelten Klagen in Wählerstimmen und erzielten ein so gutes Wahlergebnis, dass 1851 Monarchisten wie gemäßigte Republikaner ordentlich alarmiert waren.
I
Zu Neujahr sah sich die deutsche Nationalversammlung indessen mit der unangenehmen Tatsache konfrontiert, dass keine der beiden großen Mächte – Österreich und Preußen – ihr viel Beachtung schenkte, die deutsche Einheit aber ohne deren Zutun eine Schimäre bleiben würde. Die kleineren deutschen Länder fanden nach wie vor Parlament und Regierung nützlich, da sie, allein auf sich gestellt, schwach waren; auch hatten sie immer unter einem weiter gespannten, pandeutschen Schirm Schutz gesucht. Aus diesem Grund schmiedeten die Abgeordneten immer noch an der Verfassung. Ende Dezember 1848 hatten sie einen Grundrechtskatalog veröffentlicht, der nicht durch eine nachträgliche Gesetzgebung, sei es auf Bundes- oder Länderebene, ausgehebelt werden konnte. Die Grundrechte garantierten die persönliche Freiheit, die Gleichheit vor dem Gesetz und das Habeas-Corpus-Prinzip. Adelstitel und sämtliche Standesprivilegien wurden abgeschafft, darunter auch herrschaftliche Gerichtsbarkeit und Polizeigewalt der Grundherren; zur Leibeigenschaft würde man nicht mehr zurückkehren. Außerdem wurden Glaubens-, Meinungs- und Pressefreiheit sowie die Freiheit von Erziehung und Lehre garantiert. Todesstrafe, körperliche Züchtigung und Pranger fanden ein Ende. Die säkularen Vorstellungen des Parlaments gingen in die Klausel zur Eheschließung ein, durch die die zivile Trauung zum bindenden Akt wurde, sowie in den Bereich Bildung, die man den kirchlichen Händen entzog. Die Gewaltenteilung wurde dahin gehend festgeschrieben, dass die Judikative frei von politischer Einflussnahme bleiben musste. Den nationalen Minderheiten wurde »ihre volksthümliche Entwicklung gewährleistet, namentlich die Gleichberechtigung ihrer Sprachen« in Kirche, Unterricht, Rechtspflege und innerer Verwaltung. Im Gegensatz zum Eigentumsrecht, das aufrechterhalten wurde, gab es kein Sozialrecht: Die Liberalen waren fest davon überzeugt, dass Handelsfreiheit und freier Wettbewerb das wirtschaftliche Elend der Armen lindern würden. Aus diesem Grund sollten alle deutschen Staatsangehörigen das uneingeschränkte Recht auf freien Aufenthalt und freie Wohnortwahl erhalten. Mit anderen Worten: Hier lag in jeder Hinsicht ein klassisches liberales Dokument vor.
Doch nicht alle deutschen Staaten akzeptierten den Grundrechtskatalog. Württemberg, Baden und Hessen-Darmstadt erkannten ihn umgehend an, Preußen, Österreich und Bayern dagegen weigerten sich. Ihre Argumente klingen verblüffend modern, wenn sie etwa einwandten, dass das Recht auf freien Aufenthalt »Kommunisten« erlauben würde, sich in ihrem Territorium niederzulassen, während andere fürchteten, dass Heere arbeitsloser Arbeiter durch das Land ziehen würden, und wieder andere beklagten, dass »die Bemühungen aller Länder und Gemeinden in Bedarfsfällen unnütz auf die Beschaffung von Arbeit und notwendiger Unterstützung gerichtet« würden. Auch die Zünfte wiesen die freie Wahl der Erwerbstätigkeit zurück, da sie dadurch die Kontrolle darüber verloren, wer ihrem Gewerbe beitrat.1
Die politische Gliederung des Deutschen Reiches sah einen Reichstag mit zwei Kammern vor. Die Hälfte der Mitglieder der ersten Kammer, des Staatenhauses, sollte von den Volksvertretungen der einzelnen Staaten und die andere Hälfte von den Regierungen ernannt werden, wodurch das Prinzip der Bundesstaatlichkeit verankert wurde. Darüber hinaus waren alle deutschen Staaten zu einer aus allgemeinen Wahlen hervorgehenden Volksvertretung verpflichtet, der die Minister verantwortlich waren. Die Mitglieder der zweiten Kammer, des Volkshauses, sollten ebenfalls durch Wahlen berufen werden. Der Umfang des Wahlrechts indessen war ein heikles Thema: Die Linke verlangte natürlich nach einem allgemeinen Wahlrecht für Männer, während die Liberalen hofften, es auf jene zu beschränken, die wirtschaftlich unabhängig waren, womit sie Lehrlinge, Fabrikarbeiter, Gesellen, Landarbeiter und häusliche Angestellte ausgeschlossen hätten. Mit der endgültigen Zurückweisung der deutschen Einheit durch die Österreicher mussten sich die Liberalen jedoch die Unterstützung des linken Flügels für die kleindeutsche Lösung mit dem preußischen König als Erbkaiser sichern. Der Kompromiss wurde besiegelt und das Reichswahlgesetz legte fest: »Wähler ist jeder unbescholtene Deutsche, welcher das fünfundzwanzigste Lebensjahr zurückgelegt hat.« Die geheime Wahl »durch Stimmzettel ohne Unterschrift« wurde mit nur hauchdünner Mehrheit durchgebracht. Obwohl dieses Wahlgesetz aufgrund der Gegenrevolution niemals in Kraft trat, sollte es wider Erwarten fortbestehen: Kein anderer als Bismarck benützte es als Grundlage der Verfassung des geeinten Deutschen Reiches von 1871.2
Die Verfassung wurde am 27. März 1849 verabschiedet und am folgenden Tag König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen zum Erbkaiser gewählt, mit dem Recht, die Gesetzgebung durch aufschiebendes Veto zu verzögern. Nun musste er nur noch die Krone annehmen; doch er zögerte einen Monat lang: Nicht alle seine Ratgeber standen der Idee eines Deutschland unter preußischer Führung ablehnend gegenüber, hofften sie doch, als Gegenleistung für die preußische Zustimmung zur Verfassung wichtige Änderungen, darunter eine Einschränkung des Wahlrechts, durchsetzen zu können. Währenddessen nahmen die liberalen Regierungen von achtundzwanzig deutschen Ländern die Verfassung an, allerdings war es ein schlechtes Zeichen, dass die größeren der deutschen Mittelstaaten – Hannover, Bayern und Sachsen – sich ihr verweigerten. Gleichwohl hing die neue politische Ordnung letztlich von einer positiven Antwort Preußens ab. In diesem Bewusstsein schickten die achtundzwanzig Unterzeichnerländer Mitte April ein gemeinsames Memorandum nach Berlin, in dem sie die preußische Regierung drängten, ihrem Beispiel zu folgen, auch wenn Friedrich Wilhelm den Verdacht hatte, dass ihre Einwilligung nur ungern erfolgt war. Die Frankfurter Nationalversammlung hatte inzwischen eine zweiunddreißig Mann starke Deputation unter der Führung von Eduard Simson losgeschickt, um beim König vorstellig zu werden, sie traf am 2. April ein. Friedrich Wilhelm versicherte, dass sie sich immer auf Preußens »Schild und Schwert« verlassen könnten, um Deutschlands Ehre gegen äußere und (mit Betonung) innere Feinde zu verteidigen, doch weiter versprach er nichts. Der Kreis der Kreuzzeitung stellte sich hinter Friedrich Wilhelm. Seine Mitglieder hatten den Verdacht, dass ihre preußische Identität in einem gesamtdeutschen Rahmen verwischen würde. Bismarck schrieb später, dass seine Ablehnung der Kaiserkrone in erster Linie »in dem instinktiven Mißtrauen« gegen die 1848er-Revolution begründet war, zugleich aber auch in seiner Empfänglichkeit »für das Prestige der Preußischen Krone und ihren Träger«.3 Dem König war die Vorstellung verhasst, »Kaiser der Deutschen« zu sein – so der offizielle Titel, der suggerierte, dass er seine Stellung nicht Gott schulde, sondern den ungewaschenen Massen. Er scherzte mit seinen Höflingen, nannte die kaiserliche Krone ein »Wurstprezel« und ein Geschenk von »Meister Bäcker und Metzger kommend«.4 In dunkleren Momenten beschimpfte er sie als »Hundehalsband, mit dem man mich an die Revolution von 1848 ketten will«, eine »Schweinekrone« und eine »Krone aus der Gosse«. Darüber hinaus existierte noch ein diplomatischer Grund für die Ablehnung der Verfassung: Wie würde Russland auf ein vereinigtes Deutschland unter preußischer Vorherrschaft reagieren? Einen letzten Hoffnungsschimmer brachte der 21. April, als beide Kammern des neuen preußischen Parlaments die deutsche Verfassung akzeptierten und die zweite Kammer den König drängte, es ihnen gleichzutun. Friedrich Wilhelm reagierte umgehend: Er löste beide Kammern auf und gab eine Woche später seine formelle Ablehnung der deutschen Krone bekannt. Unheilschwanger sicherte er all jenen militärische Hilfe zu, die sich gegen die Verfassung aussprachen.
Diese Entscheidung traf die Frankfurter Nationalversammlung bis ins Mark und schickte eine Welle der Erschütterung über Deutschland. Karl Welcker, ein Mitglied des Verfassungsausschusses, schrieb: »Wir hofften am Ende unsers großen Werks zu stehen, wir hofften, es würde gelingen, die Revolution zu schließen … es scheint, eine Revolution, größer, furchtbarer und schwerer als die des Jahres 1848 will sich uns eröffnen.«5 Während des langen Wartens auf Friedrich Wilhelms Entscheidung waren die politischen Spannungen bis zum Äußersten gestiegen, jetzt kippten sie um. Am 4. Mai forderte die Frankfurter Nationalversammlung alle deutschen Regierungen auf, die Verfassung zu ratifizieren und die Wahlen für das Volkshaus auf den 15. Juli festzusetzen. Sollte Friedrich Wilhelm es weiterhin ablehnen, würde stattdessen ein Herrscher aus einem der Mittelstaaten zum Kaiser bestellt. Preußen und die Konservativen verstanden sofort, was mit diesem Ultimatum gemeint war, und geißelten es als Aufruf zu einer neuen Revolution. Als in Sachsen ein Aufstand mithilfe Preußens niedergeschlagen wurde und Erzherzog Johann sich weigerte, die preußische Intervention zu verurteilen, trat Heinrich von Gagern, dem es nicht gelungen war, einen Kompromiss zwischen dem Frankfurter Parlament und Friedrich Wilhelm zu finden, am 10. Mai als Reichsministerpräsident zurück. Zehn Tage später führte er sechzig Deputierte mit dem Argument aus der Nationalversammlung, dass es zu einem Bürgerkrieg komme, wenn man Deutschland eine Verfassung aufzwinge. Diese Amtsniederlegungen waren nur einer von mehreren Schlägen, die die Versammlung trafen. Im April wurden die österreichischen Abgeordneten von ihrer Regierung zurückgerufen, am 14. Mai die preußischen, ihrem Beispiel folgten zwei weitere Staaten: Sachsen und Hannover. Als Nationalversammlung stand das deutsche Paulskirchenparlament vor dem Aus.
Am 30. Mai zogen sich die verbliebenen Abgeordneten nach Stuttgart zurück, um aus der Schusslinie der österreichischen und preußischen Truppen in Mainz zu gelangen. Nur noch 104 Abgeordnete, größtenteils aus den Reihen der Linken, waren übrig. Das Rumpfparlament konnte sich einer guten Aufnahme in Stuttgart, wo am 16. April eine Großdemonstration zugunsten der Verfassung stattgefunden hatte, sicher sein. Die Regierung wollte die Proteste nicht niederschlagen, weil sie fürchtete, dass sich die Armee auf die Seite der Leute schlagen würde. Widerwillig nahm König Wilhelm I. die Verfassung an. Allerdings verließ er danach Stuttgart und verlegte die Residenz nach Ludwigsburg. Zwei Tage später stimmte die Abgeordnetenkammer der württembergischen Landstände in Abwesenheit des Königs offiziell der deutschen Verfassung zu. Als der Rest der Nationalversammlung jedoch in seiner Hauptstadt zusammentrat, weigerte er sich, dorthin zu kommen, solange sie vor Ort waren. Inzwischen rasselten die Preußen mit dem Säbel, drohten mit Gewalt, wenn die Parlamentarier nicht ausgewiesen würden. Unter diesen Voraussetzungen verstanden selbst die entschlossensten Abgeordneten, dass ihre Mission mittlerweile eher ein Symbol des Widerstands als der Staatsbildung war. Johann Jacoby schrieb einem Freund: »Wir können es uns alle nicht verhehlen, daß bei der Apathie, in welche ein großer Teil Deutschlands verfallen, die Aussicht auf Erfolg unserer Schritte nur gering ist, wir glaubten es aber der Ehre der Nation […] schuldig zu sein, diesen letzten Versuch zu machen.«6 Die Regierung in Stuttgart war außer sich über die Drohungen Preußens (der Staatsrat Friedrich Römer, der faktisch die württembergischen Regierungsgeschäfte leitete, bezeichnete Berlin sarkastisch als Württembergs neue Hauptstadt), sah sich aber mit der realen Gefahr einer preußischen Invasion konfrontiert. Man gab dem Druck nach – was für die deutsche Nationalversammlung das Ende bedeutete. Am 17. Juni blockierten königliche Truppen alle Stuttgarter Ausfallstraßen, und die Regierung untersagte dem deutschen Parlament alle weiteren Sitzungen. Am folgenden Tag hörte man das Stampfen der Kommissstiefel in den Straßen der Stadt. Soldaten schlugen die Bänke und Tische der Versammlungslokale kaputt und rissen die deutschen Farben herunter. Eine kleine Gruppe von Abgeordneten versuchte sich in einem Hotel zu versammeln, doch der ehrwürdige Demonstrationszug wurde von Dragonern aufgehalten. Man verwies sie des Landes und der Abgeordnete Adolf Schoder versuchte mit diesen Worten, seine Kollegen zu trösten: »Die Nationalversammlung geht heute unter; die deutsche Sache wird vielleicht in den Staub getreten werden; aber der Geist wird sich aller Bajonette zum Trotz bald wieder erheben.«7
Um die Revolution von 1848 zu verteidigen, sammelte sich schließlich deutschlandweit ein breites politisches Spektrum im Zentralmärzverein, der eine halbe Million Mitglieder zählte. Diese Organisation suchte Unterstützung für eine »Kampagne« oder einen »Bürgerkrieg« um die Verfassung. Das unruhige Zentrum dieser Bewegung war das Rheinland. In Köln fanden ab dem 6. Mai innerhalb von nur drei, vier Tagen fünf verschiedene Kongresse statt, zwei von ihnen liberal, drei demokratisch. Die eine oder andere Organisation schien einen echten Aufstand im Rheinland zu erwarten, und als die preußische Regierung die Landwehr in Bereitschaft versetzte, war der zündende Funke da. Unzählige politische Vereine und Vereinigungen des Rheinlands appellierten an die Soldaten, keine Gewalt einzusetzen. Als am 8. Mai die Deputierten von über dreihundert Gemeinde- und Stadträten des preußischen Rheinlands auf einem der demokratischen Kongresse in Köln zusammenkamen, forderten sie von Friedrich Wilhelm, die Verfassung anzuerkennen, den Ruf zu den Waffen rückgängig zu machen und das konservative preußische Kabinett zu entlassen – oder der Zerschlagung des Königreichs Preußen ins Auge zu sehen. Auf die Frage, ob sie »Deutsche« oder »Preußen« seien, kannten die Räte nur eine Antwort: »Deutsche! Deutsche! Abspaltung von Preußen!«8
Diese schien tatsächlich in greifbare Nähe zu rücken, denn am Gehorsam der Landwehr gegenüber der Regierung bestanden Zweifel. Carl Schurz war Augenzeuge des Protests in Bonn, vernahm Aufrufe, der preußischen Regierung nicht zu gehorchen. Immer mehr Landwehrsoldaten aus dem Umland kamen in die Stadt.9 Am 3. Mai verkündete die Landwehr bei einer Zusammenkunft in Elberfeld, dass sie die Verfassung unterstütze. Marx’ Neue Rheinische Zeitung dagegen drängte ihre Leser, sich von der Verfassungskampagne ganz zu distanzieren. Ihre Anführer fühlten sich nicht der Arbeiterrevolution verpflichtet, auch lauerten »Verrat und Eigennutz« in den demokratischen Vereinen.10 Marx warnte, dass eine vorzeitige Revolution der Linken nur Repressalien bescheren, ihr aber sonst sehr wenig einbringen werde. Sein Kölner Kongress diente in erster Linie der Vorbereitung einer nationalen Arbeiterversammlung, die im Juni in Leipzig stattfinden sollte.
Dennoch kam es im Rheinland zu Ausbrüchen revolutionärer Gewalt. Die Bürgerwehr um Elberfeld, Düsseldorf und Solingen meuterte. Am 8. Mai sammelten sich Tausende in einem mit Waffen ausgerüsteten Lager oberhalb von Elberfeld, riegelten anschließend die Innenstadt ab und widerstanden am nächsten Tag erfolgreich einem Angriff regulärer Truppen. In Solingen waren Frauen mit roten Tüchern unter den Revolutionären. Sie hatten Revolver und Dolche dabei. In Düsseldorf bauten Demokraten Barrikaden, die aber sogleich durch mobile Geschütze in Trümmer gesprengt wurden. Der Aufstand breitete sich nun auf das Umland aus, wo dörfliche Demokraten sich darauf verständigt hatten, als vereinbartes Signal für die Erhebung die Kirchenglocken zu läuten. Am 10. Mai marschierten Tausende bewaffnete Bauern nach Düsseldorf, um den belagerten Demokraten zu Hilfe zu kommen, sie mussten aber feststellen, dass diese bereits niedergezwungen worden waren. Die Aufständischen zerstreuten sich und kehrten nach Hause zurück; doch der Aufstand hatte die Behörden an den Rand ihrer Möglichkeiten gebracht. In die Hände der Demokraten fiel erst Elberfeld, dann Solingen. Beide hatten »Sicherheitsausschüsse« gebildet, um die Erhebung zu steuern. Diese Ausschüsse versuchten einen möglichst breiten Konsens herzustellen und arbeiteten mit Liberalen und konstitutionell gesinnten Monarchisten zusammen. Als sich Marx’ enger Mitstreiter Friedrich Engels den Aufständischen von Elberfeld anschließen wollte, wurde er schon bald mit der Begründung ausgeschlossen, er wolle die Revolution von einer »schwarzrotgoldenen« (Verfassungs-)Bewegung zu einem rein »roten« (sozialen, republikanischen) Aufstand umwandeln.
Doch nicht lange, und der Aufstand im preußischen Rheinland sollte versanden: Abgeordnete, die man nach Berlin geschickt hatte, glaubten der Regierung nur allzu gern, dass Friedrich Wilhelm die Einheit wünsche. Die Aufständischen bauten die Barrikaden ab, und als die preußischen Streitkräfte eintrafen, fanden sie keinen Widerstand vor. Doch immerhin hatten zehn- bis fünfzehntausend Leute in einer der wohlhabendsten Provinzen Friedrich Wilhelms zu den Waffen gegriffen.11 Zugleich gab es Erhebungen in Sachsen, der zu Bayern gehörenden linksrheinischen Pfalz und Baden. Bei diesen Aufständen spielten Frauen eine bedeutende Rolle: Aktiv beteiligt waren sie im Mai in Dresden, doch normalerweise bildeten sie Netzwerke, die die Rebellen unterstützten und jenen Hilfe anboten, die nach der Niederschlagung gefangen oder ins Exil verwiesen wurden.
In Sachsen versuchte der Landtag König Friedrich August II. zu zwingen, die Frankfurter Verfassung zu ratifizieren. Den Beistand der Preußen im Rücken, weigerte der sich, vertagte am 30. April das Parlament und berief dann eine ultrakonservative Regierung. Alarmiert von der Kunde, dass die preußischen Truppen sich an der Grenze konzentrierten, um dem König zu helfen, gingen Arbeiter und Handwerker in Dresden auf die Straße. Als Soldaten am 3. Mai in die Menge schossen, kam es zu gewalttätigen Ausschreitungen. Der König floh, und eine provisorische Regierung wurde eingesetzt, in der sich Radikale wie Stephan Born, der russische Anarchist Michail Bakunin und der Komponist Richard Wagner (der als Hofkapellmeister wohl den Ast absägte, auf dem er saß) befanden. Bakunin hoffte, Dresden werde eine europaweite revolutionäre Bewegung in Gang setzen – tatsächlich wurde in Prag eine durch die Vorgänge in Dresden angeregte Verschwörung aufgedeckt. Dort hatten die Behörden in nächtlichen Verhaftungen Studenten und Intellektuelle vorbeugend aufgegriffen, um einen Aufstand, der für den 12. Mai geplant war, zu unterbinden.12 In Dresden allerdings nahm der Aufstand ein gewaltsameres Ende: Am 5. Mai marschierten preußische Truppen in die Stadt ein. Bei den nun folgenden viertägigen Straßen- und Häuserkämpfen benutzten sie neue Handfeuerwaffen, die mit modernen Schlagbolzen arbeiteten und schlimme Verletzungen zufügten. Schließlich ging das Opernhaus in Flammen auf. Wagner kletterte Kirchtürme hinauf und läutete die Glocken, um die Revolutionäre zu sammeln und die preußischen Truppen auszuspähen. Begleitet wurde er von einem Lehrer, mit dem er über Religion und Philosophie diskutierte, während das Mauerwerk um sie herum von Geschossen durchlöchert wurde.13 Born dagegen nutzte sein Organisationstalent, um die Arbeiter zu mobilisieren. Diese setzte er zum Offenhalten der Nachschublinien ein, indem er sie die Innenwände der Häuser durchbrechen ließ. Dadurch konnten sich die Aufständischen von einem Haus zum anderen bewegen, ohne sich auf den Straßen der tödlichen Gefahr des gegnerischen Feuers aussetzen zu müssen. Als sich das Ende näherte, paffte Bakunin, der die »dilettantischen« sächsischen Revolutionäre ziemlich verachtete, gelassen seine Zigarre und schlug kaltblütig vor, das Rathaus, den Sitz der provisorischen Regierung, mit der verbliebenen Munition vollzupacken und in die Luft zu jagen. Seine Kollegen waren dazu allerdings nicht in der Stimmung. Insgesamt wurden schließlich etwa 250 Aufständische getötet und 400 verwundet, 869 Menschen, meist Arbeiter, verhaftet und verhört. Seit der Märzrevolution 1848 waren damit weitere 6000 für ihre Aktionen strafrechtlich belangt, 727 davon zu längeren Gefängnisstrafen verurteilt worden.14 Born hatte es geschafft, mit 2000 seiner Mitstreiter einen geordneten Rückzug aus der zerstörten Stadt auf die Beine zu stellen, bevor er allein weiterzog und schließlich sicheren Schweizer Boden erreichte. Wagner gelang, versteckt in der Kutsche eines Freundes, die Flucht nach Zürich.
In Bayern verwarf König Maximilian II. die Verfassung, nachdem Friedrich Wilhelm ihn dazu ermutigt hatte. Im rheinländischen Teil des Königreichs fand in Kaiserslautern ein Großtreffen von Vereinen und Organisationen aller liberalen und republikanischen Schattierungen statt, bei dem am 2. Mai ein aus zehn Mitgliedern bestehender provisorischer Verteidigungsausschuss gebildet wurde, der als Übergangsregierung fungieren sollte, bis der König zur Besinnung kam. Die Versammlung erklärte darüber hinaus (in einer recht geschickten, wenn nicht sogar witzigen Verdrehung konservativer Auffassungen), dass die bayerische Regierung des Hochverrats an der Verfassung schuldig und der König somit ein Rebell sei. Im Anschluss rief die provisorische Regierung alle übrigen Teile des Königreichs auf, sich ihren Beschlüssen zu fügen. Da die Ordnungsmächte in der linksrheinischen Pfalz schwach waren, breitete sich die Revolution mühelos aus und die Leute bewaffneten sich, um die Verfassung zu verteidigen. Die gut organisierten Radikalen übernahmen durch die »Volksvereine« die Führung, indem sie Eide abnahmen, rote Fahnen hissten und dem Aufstand einen kräftigen republikanischen Farbton verliehen. Unter denen, die sich der Revolution anschlossen, war auch Carl Schurz, der – all seinen Besitz in einem Rucksack – zu Fuß nach Kaiserslautern gekommen war, um sich seinem Freund und Lehrer Gottfried Kinkel anzuschließen, der als Sekretär des provisorischen Verteidigungsausschusses ein Ventil für seine revolutionären Energien gefunden hatte. Schurz wurde zum persönlichen Adjutanten befördert und als Bevollmächtigter eingesetzt; seine Aufgabe war es, in Vorbereitung auf den königlichen Gegenschlag die ländlichen Gebiete zu mobilisieren. Bis zum 17. Mai befand sich fast der gesamte bayerische Westen am Rhein in den Händen der Revolutionäre. Dieser Erfolg regte die Demokraten im benachbarten Rheinhessen zu dem Versuch an, die preußische Besatzung aus Mainz zu vertreiben und den Republikanern in Kaiserslautern zu helfen. Darüber hinaus griffen die Revolutionäre einmal mehr auf das schon lange leidende Baden über, das nun seine dritte Revolution durchmachte.
Die Stärke der badischen Republikaner war der Rückhalt, den sie unter der breiten Masse der Soldaten fanden. Die jüngste Revolution begann als Meuterei innerhalb der Armee, in deren Verlauf am 12. Mai die Festung Rastatt besetzt wurde. Großherzog Leopold floh in der Nacht vom 13. auf den 14. Mai aus der Hauptstadt Karlsruhe und brachte sich jenseits der Grenze zu Frankreich in Sicherheit. Jetzt war Baden eine Republik mit einer provisorischen Regierung unter der Leitung von gemäßigten Demokraten, zu denen etwa Franz Raveaux, Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung, gehörte, der als Verbindungsmann zwischen der badischen Republik und dem Rest der Nationalversammlung agierte. Darüber hinaus setzte er sich dafür ein, die badischen, rheinischen und pfälzischen Republikaner zur Koordination zu bewegen. Sie kamen überein, entlang des Rheins einen Angriff in Richtung Frankfurt zu starten, um das deutsche Parlament vor den preußischen Truppen zu schützen, während ein kleinerer pfälzischer Einsatz, der nach Rheinhessen führte, als Ablenkung dienen sollte. Der Hauptangriff der Badener, an dessen Spitze Friedrich Heckers militärischer Ratgeber Franz Sigel stand, geriet zum Desaster, auch wenn die Pfälzer Worms einnahmen und es vier Tage lang (vom 25. bis 29. Mai) hielten. Doch dann beschoss die hessische Armee die Stadt und zwang die Aufständischen zum Rückzug.
Im Frühsommer entwickelte sich Baden zum Zentrum der demokratischen Hoffnungen. Der unfähige Sigel wurde als Kommandeur der Streitkräfte des ehemaligen Großherzogtums durch Ludwik Mierosławski ersetzt, der die polnischen Rebellen gegen Preußen geführt hatte. Der standhafte Gustav Struve, der aus der Haft entlassen worden war, erschien ebenfalls wieder auf der Bildfläche. Er organisierte eine bunt gewürfelte Truppe aus Arbeitern, Studenten und Republikanern, die aus dem Exil zurückgekehrt waren. Schurz schrieb später: »Da der bei weitem größte Teil der pfälzischen Volkswehr nicht uniformiert war und jeder Soldat mit Ausnahme der Waffen so ziemlich für seine eigene Ausstattung zu sorgen hatte, so fand der individuelle Geschmack verführerischen Spielraum. Manche der Leute bestrebten sich, als Krieger möglichst wild und schrecklich auszusehen […]. So gab es denn unter uns Wallensteins-Lager-Gestalten genug, die fürchterlich erschienen wären, hätten sie nicht gar so gutmütige Gesichter gehabt.«15 Unter den Freischaren befand sich eine Legion, die nach Robert Blum benannt worden war und unter der Führung seiner Tochter stand. Sie ritt vorneweg, gekleidet in einen samtenen Reitanzug und mit einem breitkrempigen Schlapphut, den eine rote Feder schmückte. An der Seite klapperten Säbel und Pistole, und in der Hand trug sie ein rotes Banner, auf dem die Worte »Rache für Robert Blum« zu lesen waren.16 Man hoffte, Baden würde Zentrum einer großen deutschen Republik, doch kein anderer deutscher Staat, egal wie liberal er war, wäre bereit gewesen, das zuzulassen. Das war auch der Grund, warum die Regierungen von Hessen, Nassau und Württemberg Truppenkontingente zur Verfügung stellten, während die preußische Armee das Rückgrat der konterrevolutionären Mächte bildete. Diese Streitkräfte nahmen sich zuerst die linksrheinische Pfalz vor, in die sie am 12. Juni einmarschierten. Schurz gehörte den republikanischen Truppen an, die sich nach Baden zurückzogen, und er erinnert sich an »das dumpfe Rollen der Räder auf der Straße, das summende und schurrende Geräusch der Marschkolonne, das leise Schnauben der Pferde und das Klirren der Säbelscheiden in der Finsternis«.17
Ein Grüppchen deutscher Republikaner in Baden, Mai 1849. Zwei Monate später ging es in der Stadt nicht mehr so entspannt zu. Zeichnung von Ernst Schalck. (akg-images)
Die Preußen hatten Kaiserslautern am 14. Juni erreicht und überquerten, den zurückweichenden Demokraten dicht auf den Fersen, am 19. Mai den Rhein, um in Baden einzumarschieren. Aufgebracht durch den Anblick der verhassten Preußen, fanden sich an die 20 000 Menschen bereit, Gegenwehr zu leisten, und kämpften am 21. bei Waghäusl tapfer gegen eine vernichtende Übermacht. Mierosławski führte seine Truppen geschickt ins Manöver und erzielte ein paar kleinere Erfolge, bis seine Streitkräfte unter dem Druck zwangsläufig aufgerieben wurden; etwa 2000 seiner Männer schafften es in die Schweiz.
Der letzte Widerstand der deutschen Revolution von 1848/49 konzentrierte sich in Rastatt. Die Festung hielt durch, solange ihre Verteidiger glaubten, dass Mierosławskis Armee auftauchen würde. Als sie von deren Zerschlagung erfuhren, hielten sie Kriegsrat ab, bei dem sich ein paar Hitzköpfe für einen Kampf bis zum letzten Mann aussprachen. Die Mehrheit aber war entschlossen, der Stadt weiteren Beschuss durch die Preußen und die Gräuel einer langen Belagerung zu ersparen. Diese Sicht setzte sich auch durch. Die 6000 Verteidiger kapitulierten am 23. Juli. Oberbefehlshaber über die preußischen Streitkräfte war Prinz Wilhelm, den man inzwischen »Kartätschenprinz« nannte, weil ihm nachgesagt wurde, am 18. März 1848 den Befehl zum Feuern auf die Berliner gegeben zu haben. Als wollte er diesem Ruf gerecht werden, setzte er sich über seine Offiziere hinweg, die vorgeschlagen hatten, Gnade walten zu lassen: Jeder zehnte Gefangene wurde erschossen, die Leichen in Massengräber geworfen; andere wurden zu längeren Haftstrafen verurteilt. Als preußischer Untertan wäre Schurz wahrscheinlich ebenfalls erschossen worden, aber er flüchtete durch einen unterirdischen Abwasserkanal aus der Stadt und versteckte sich mit zwei Kameraden auf dem Speicher einer Scheune. Doch bald wurde das Gebäude von preußischer Kavallerie besetzt, sodass Schurz und seine Freunde »still wie Tote« daliegen und den Feind durch die Ritzen der Holzbretter hindurch beobachten mussten. Nach qualvollen Tagen konnten sie sich aus dem Staub machen, als die Husaren unter ihnen geräuschvoll zechten. Ein mitfühlender Arbeiter führte sie auf ihrer Flucht zum Rhein und damit in die Sicherheit Frankreichs. Dort erklärten sie zwei verwirrten Zöllnern, dass sie nichts zu verzollen hätten.18 Mutig und unter Einsatz seines Lebens kehrte Schurz 1850 nach Deutschland zurück, um seinen Freund und Mentor Gottfried Kinkel zu retten, der vor Rastatt gefangen genommen worden war und jetzt im Spandauer Gefängnis einsaß. Später reiste er in die Vereinigten Staaten, wo er sich 8000 Badenern anschloss, die nach der Revolution nach Nordamerika ausgewandert waren. Schurz machte politische Karriere und trat für fortschrittliche Themen ein. Während des Bürgerkriegs diente er als Offizier in der Unionsarmee, danach wurde er in den Senat gewählt und schließlich zum Sekretär des Inneren ernannt. 1906 verstarb er im Alter von siebenundsiebzig Jahren. Die preußische Armee sollte in Baden einen tiefen Eindruck hinterlassen, Erinnerungen an die Repressalien überlebten in einem finsteren Kinderlied:
Schlaf, mein Kind, schlaf leis!
Dort draußen geht der Preuß.
Deinen Vater hat er umgebracht,
Deine Mutter hat er arm gemacht.
Und wer nicht schläft in guter Ruh,
Dem drückt der Preuß die Augen zu.
Schlaf, mein Kind, schlaf leis!
Dort draußen geht der Preuß.19
II
Als in Italien das Jahr 1849 heraufdämmerte, waren die Radikalen in Rom und in der Toskana bereits an der Macht, während die venezianischen Republikaner den Österreichern noch immer hartnäckigen Widerstand entgegensetzten. Im Süden war König Ferdinand II. dabei, das letzte Lebenszeichen der liberalen Ordnung Neapels und die separatistische Bewegung in Sizilien gewaltsam auszulöschen. Noch fühlte sich der Monarch nicht sicher genug, um sich der neapolitanischen Volksvertretung ganz zu entledigen. Die diplomatischen Beziehungen zur Toskana und zum Piemont brach er demonstrativ ab, während er Pius IX. Schutz in Gaeta gewährte. Als im März der Krieg zwischen Piemont und der Toskana erneut aufflackerte, warf Ferdinand sein Schicksal zu dem der Habsburger in die Waagschale, rief den österreichischen Gesandten zurück und entließ das Parlament. Die Piemonteser wurden bei Novara besiegt, und damit schwanden die Hoffnungen der italienischen Patrioten dahin. Damit war für Ferdinand klar, dass er vonseiten der nationalen Bewegung in Neapel keine Schwierigkeiten mehr zu erwarten hatte. Die Parlamentsabgeordneten der Liberalen wurden verhaftet, ihre Zeitungen eingestellt, die Druckerpressen zerstört. Anschließend gelangte Sizilien unter denselben absolutistischen Stiefelabsatz. Als am 29. März die von den Franzosen und Briten ausgehandelte Waffenruhe auslief, brachen die neapolitanischen Streitkräfte auf und traten der kleinen Armee von nur 7000 Mann unter dem omnipräsenten Ludwik Mierosławski entgegen. Dass der polnische Revolutionär kein Italienisch sprach, war nicht wirklich hilfreich, aber er kämpfte sowieso einen fast unmöglichen Kampf. Seine Soldaten waren unerfahren und desorganisiert, manche meuterten. Das an der Ostküste gelegene Catania wehrte sich erbittert, bevor es fiel. Und der Anblick von Rauchsäulen, die aus der Stadt aufstiegen, sowie die Tatsache, dass beide Seiten Gefangene hinrichteten, ließ den Widerstandsgeist anderer Städte erlahmen. Syrakus ergab sich kampflos. Nach Catania marschierten Ferdinands Soldaten fast unbehindert auf Palermo zu.
Auch in der Hauptstadt gab es wenig Wille zur Gegenwehr: Zwar hassten die sizilianischen Gemäßigten Ferdinand, doch zugleich fürchteten sie den Krieg und die Unruhe, die die Revolution mit sich brachte. So hatten die Squadre während der Kämpfe von ihrem kriminellen Tun abgelassen, doch als sich die separatistische Bewegung auflöste, verhielten sie sich einmal mehr, wie es ihrem wahren Charakter entsprach – sie plünderten und erpressten Schutzgelder. Das sizilianische Parlament war vollkommen gespalten. Im Februar hatte Ferdinand ein Ultimatum gestellt: Sollte Sizilien seine Herrschaft anerkennen, würde im Gegenzug die Verfassung von 1812, dazu eigenes Parlament und Regierung zur Einführung kommen. Lange hatten sich die Sizilianer gegen Ferdinands Forderungen – Oberbefehl über die Streitkräfte und das Recht, das Parlament nach Belieben aufzulösen – gesträubt. Um den neapolitanischen Schlägen zu entgehen, zeigten sich die Gemäßigten nun aber gewillt, die Bedingungen anzunehmen, und baten Mitte April Frankreich um die Vermittlung. Doch dieser Vorschlag kam zu spät. Am 26. April tauchte die neapolitanische Flotte vor Palermo auf. Die Radikalen waren zum Widerstand bereit, doch die Mehrheit der Nationalgarde wollte lediglich Eigentum schützen. Der Radikale Francesco Crispi, schrieb verbittert: »Die Gemäßigten fürchteten den Sieg des Volkes mehr als den der bourbonischen Truppen«.20 Zwar errichtete man ein paar Barrikaden, mit roten Fahnen drapiert, doch das trieb die Gemäßigten erst recht zu Verhandlungen mit Ferdinand. Nachdem man sich auf eine Kapitulation geeinigt hatte, half so mancher Liberale aus der sizilianischen Führung, die königlichen Truppen nach Palermo zu führen, wobei auch gesagt werden muss, dass damit so manchem Revolutionär die Flucht ermöglicht wurde. Am 11. Mai war die sizilianische Revolution beendet, die Insel unterstand nach mehr als einem Jahr der Unabhängigkeit einmal mehr der bourbonischen Herrschaft.
Während »Bomba« seine absolutistische Herrschaft über Neapel und Sizilien wiederherstellte, wurde Rom mehr und mehr zur Republik. Grund dafür war die politische Polarisierung, die nach der Flucht des Papstes eingesetzt hatte. Aufseiten der Linken radikalisierten sich politische Klubs, Carabinieri und Bataillone der Bürgergarde, als deutlich wurde, dass Pius nicht bereit war, sein Asyl in Gaeta zu verlassen. Als bekannt wurde, dass sich das ursprüngliche Parlament am 26. Dezember aufgelöst hatte, exkommunizierte Pius vorsorglich alle, die an den Wahlen zu der neuen verfassunggebenden Versammlung teilnehmen wollten. Die Position der eher Gemäßigten, die – vorausgesetzt, Pius würde die Verfassung behalten – über die Rückkehr des Papstes hatten verhandeln wollen, war damit obsolet. Unter dem Druck weiterer Demonstrationen durch die Radikalen verkündete die Übergangsregierung in Rom das allgemeine Wahlrecht für Männer. Doch die Stimmen der gemäßigten Liberalen gingen in den am 21. Januar abgehaltenen Wahlen unter. Zwar kam es weder zu Gewalt noch zu Einschüchterungsversuchen, aber Konservative und Liberale blieben entweder aus Wut (oder aus Angst vor ewiger Verdammnis) den Wahlen fern und verhalfen damit den Radikalen zu einem überwältigenden Sieg. Obwohl die meisten Abgeordneten nach wie vor Grundbesitzer oder gutbürgerliche Akademiker waren, galten ihre Sympathien den Demokraten oder sogar den Republikanern. Zu den sieben Außenseitern, die schließlich gewählt wurden, gehörten Garibaldi und Mazzini.
Zum ersten Mal trat die verfassunggebende Versammlung am 5. Februar zusammen. Sofort stellte sich die Frage, was jetzt zu tun sei, wo der Papst sich klar auf die Seite der Reaktionäre geschlagen hatte. Die Ausrufung einer Republik stand nicht von vornherein fest. Begeisterte italienische Patrioten betrachteten die Versammlung als gesetzgebende Gewalt nicht nur für den Kirchenstaat, sondern für ganz Italien – als die lang ersehnte costituente. In der Toskana ermahnte Montanelli die Römer, die italienischen Wähler nicht durch eine Absetzung des Papstes zu verprellen. Kühle Köpfe in der Versammlung, etwa Mamiani, sorgten sich indessen, dass eine römische Republik wenig Überlebenschancen hätte, da weder das reaktionäre Neapel noch das monarchistische Piemont sie lange tolerieren würden. Dennoch schien es keine Alternative zu einer Republik zu geben, da Pius zu keinem Kompromiss bereit war und die politische Unsicherheit Teile des Landes in einen Bürgerkrieg zu treiben drohte. Am 9. Februar erklärte deshalb die verfassunggebende Versammlung mit großer Mehrheit: Rom ist nun eine »reine Demokratie und wird den ehrenvollen Namen ›Römische Republik‹ annehmen«. Zwar sei »die weltliche Regierung des Papsttums damit faktisch und rechtlich beendet«, doch dem Papst werde »alles garantiert, was zur unabhängigen Ausübung seiner geistlichen Macht nötig ist«.21 Was die Rolle der Versammlung im Hinblick auf Italien bedeuten würde, wurde noch nicht entschieden. Montanelli etwa wollte in ihr eine demokratisch gewählte Versammlung für ganz Italien sehen, Mazzini hingegen war realistischer. Er befand sich noch in seinem Schweizer Exil, als ihn die aufregende Neuigkeit aus Rom erreichte, und reiste so schnell es nur ging in die große Stadt. Dort wandte er ein, dass sich weder Piemont noch Neapel an einer republikanischen Volksversammlung beteiligen würden. Erster Schritt auf dem Weg zu einem geeinten demokratischen Italien sei deshalb die Union der toskanischen mit der römischen Republik.
Als er dies in Rom vorschlug, überging Mazzini die Lage in Florenz. Dort fürchtete sein einstiger Freund Guerrazzi seine Popularität und sah in ihm einen schädlichen Einfluss.22 Guerrazzi hatte Bedenken, dass die Italiener bei ihrem Sprung in eine unsichere republikanische Zukunft die soziale Stabilität gefährden würden – und Stabilität sah er als unabdingbar für die Wiederaufnahme des Krieges gegen Österreich an. Zudem fürchtete er, dass eine demokratische Toskana eine piemontesische Intervention provozieren werde, weshalb er sich konsequent gegen ein allgemeines Wahlrecht für Männer stellte. Krawalle von Demokraten bei den Wahlen am 20. November 1848 waren die Folge. Guerrazzi geriet jetzt als Gegner der radikalen Sache ins Visier. Als die toskanische Volksvertretung am 10. Januar zusammentrat, wurde sie von gemäßigten Liberalen beherrscht, doch die Nachricht, dass in Rom eine verfassunggebende Versammlung einberufen worden war, bescherte der demokratischen Opposition großen Auftrieb. 30 000 Demonstranten forderten, die Wahl der siebenunddreißig Delegierten für Rom anzuerkennen. Am nächsten Tag, dem 31. Januar, floh Großherzog Leopold über Siena zum kleinen Hafen von Santo Stefano. Als Habsburger erhielt er von Radetzky die Zusage militärischer Unterstützung, »sobald ich die Demagogen von Piemont niedergeworfen habe«.23 Binnen dreier Wochen sollte Leopold die herzliche Einladung König Ferdinands von Neapel annehmen und sich zu Papst Pius ins Exil nach Gaeta gesellen.
Inzwischen wurden in Florenz die Wappen des Großherzogs entfernt, und im radikalen Livorno hielt nur die Ankunft Mazzinis – en route nach Rom – die Stadt davon ab, sich auf der Stelle zur unabhängigen Republik auszurufen. Derweil übertrug in Florenz die toskanische Volksvertretung, belagert von einer riesigen Menschenmenge vor dem Palazzo Vecchio, die Macht einem Triumvirat: Guerrazzi, Montanelli und dem Demokratzen Giuseppe Mazzoni. Am 18. Februar erklärten sie zusammen mit Mazzini die Toskana zur Republik. Jetzt erschien Mazzinis Vorschlag einer Union zwischen der Toskana und Rom als gangbarer Weg, doch Guerrazzi blieb hart und bestand auf der Unabhängigkeit der Toskana. Schwer enttäuscht, dass sein auf Vereinigung zielender Nationalismus es nicht geschafft hatte, die alten Provinzloyalitäten zu überwinden, reiste Mazzini nach Rom ab.24 Parallel zur Wahl der römischen costituente wurde in der Toskana ebenfalls die neue verfassunggebende Versammlung bestimmt. Das brachte die Toskana an den Rand eines Bürgerkriegs. Nur 20 Prozent der Wählerschaft nahm überhaupt an der Wahl teil: Und so erhielten die Anhänger des Triumvirats vor allem deshalb die Mehrheit, weil Konservative und Gemäßigte die Urnen mieden. Guerrazzi musste Soldaten und Zivilgarde einsetzen, um Florenz gegen Aufständische aus der Bauernschaft zu verteidigen. Diese unterstützten den Großherzog, weil sie Angst hatten, dass eine republikanische Toskana Krieg – entweder mit Österreich oder mit Piemont – sowie höhere Steuern verhieß. Mit Leichtigkeit konnten Klerus und Grundbesitzer hier ihren Einfluss geltend machen, jetzt, da eine österreichische Invasion zu befürchten stand.
Der Angriff war das Nachbeben des Krieges zwischen Piemont und Österreich, der schon im März erneut aufgeflammt war. Karl Albert hatte Gründe, um nochmals zuzuschlagen. Innenpolitisch stand er unter dem Druck der Demokraten, nach Custoza die einzig wahren Befürworter der italienischen Unabhängigkeit. Um die Opposition zu besänftigen, sein Gesicht zu wahren, und die Demütigung des vergangenen Jahres auszulöschen, lehnte er am 12. März einen Waffenstillstand ab. In dieser Angelegenheit wiederum hatten Briten und Franzosen versucht zu vermitteln und die Waffenruhe in einen dauerhaften Friedensschluss zu verwandeln, doch weder Österreich noch Piemont waren bereit, ihre Ansprüche auf die Lombardei aufzugeben. Bei Kriegsausbruch bot zudem die junge Römische Republik an, ihre 15 000 Mann starke Streitmacht Karl Alberts Befehl zu unterstellen, doch die Offerte republikanischer Usurpatoren lehnte der Monarch rundheraus ab. Deutlicher noch als 1848 handelte es sich hier um einen dynastischen Expansionskrieg. Auch war die piemontesische Führung den Republikanern so feindlich gesinnt, dass etwa der liberale Graf Camillo di Cavour (eine der wichtigsten politischen Figuren Italiens im 19. Jahrhundert) lieber den Sieg Österreichs im kommenden Krieg in Kauf nahm, als Leute wie Mazzini an der Macht zu beteiligen.25
Cavour hätte sich lieber etwas anderes wünschen sollen. Denn die Kämpfe waren äußerst schnell zu Ende. Zwar hatte Piemont eine Armee von 80 000, doch viele waren übereilt rekrutiert worden und noch ohne Ausbildung, somit weder für die taffen Österreicher noch für den eisernen Radetzky ein ernst zu nehmender Gegner: Und so wurden sie denn auch am 23. März in der Schlacht bei Novara besiegt. Als sein Vorhaben sich in Rauch aufzulösen drohte, ritt Karl Albert mitten ins Schlachtgetümmel, wo er sich erfolglos bemühte, den Heldentod zu sterben (»Selbst der Tod hat mich verschmäht«, musste er feststellen). Daheim in Turin drohte ihm der Verlust seines Throns, weil sein Königreich von den Österreichern überrannt wurde und zudem noch im Inneren Aufstand herrschte. In Genua (aufsässig wie immer) kam es zu einer Erhebung, ausgelöst von dem falschen Gerücht, Karl Albert habe die Verfassung abgelehnt und den Hafen an Österreich übergeben. Um weiteren Schaden von seinem Haus fernzuhalten, entschloss sich der König, zugunsten seines Sohnes Viktor Emmanuel II. abzudanken. Nach langer Diskussion im Parlament wurde ein Waffenstillstand angenommen: Dessen Bedingungen waren ausgesprochen großzügig – nicht zuletzt deshalb, weil Radetzky weder den italienischen Republikanismus weiter befeuern noch eine französische Invasion provozieren wollte. In einem späteren Friedensvertrag blieb Piemonts Territorium unangetastet, allerdings mussten die Piemonteser eine Kriegsentschädigung von 75 Millionen Lire zahlen (anfangs hatten die Österreicher 230 Millionen gefordert), und Viktor Emmanuel musste sich verpflichten, von allen Territorialforderungen außerhalb seines eigenen Königreichs abzusehen. Bis auf einen harten Kern wurden alle venezianischen und lombardischen Revolutionäre amnestiert – ein Passus, den das piemontesische Parlament durch die Einbürgerung all derer abmilderte, die von der Amnestie ausgeschlossen waren.
Somit ging der piemontesische Staat relativ unversehrt aus der Krise hervor. Der neue König war bereit, das statuto zu achten, das noch von seinem Vater stammte. Dies aber machte das Königreich Piemont-Sardinien in Italien so besonders: Es blieb bei seiner Verfassung, selbst als die revolutionäre Strömung längst verebbt war. In den Augen der angeschlagenen italienischen Nationalisten der 1850er-Jahre war es denn auch Piemont, im Übrigen der erste Militärstaat Italiens, das bei der italienischen Einigung moralisch und politisch die Führung beanspruchen konnte. Viktor Emmanuel selbst verkündete: »Ich werde die Trikolore hoch und heilig halten«, während Massimo d’Azeglio, sein im Mai 1849 berufener Ministerpräsident, erklärte: »Ich bin Ministerpräsident, um die Unabhängigkeit der italienischen Festung zu bewahren«26 – eine Anspielung auf Piemont als Kern eines vereinigten italienischen Königreichs.
Nach dem Unglück Piemonts fand sich die Toskana der Rache Habsburgs schutzlos ausgeliefert. Guerrazzi war sich bewusst, dass seine einzige Aufgabe darin bestand, das Land vor einem Einmarsch der Österreicher zu retten. Am 27. März erhob er sich deshalb vor der verfassunggebenden Versammlung und widerrief die Republik, um so den Boden für eine friedliche Wiedereinsetzung des Großherzogs zu bereiten. Im Anschluss sorgte Montanelli dafür, dass die Versammlung Guerrazzi zum Diktator erhob, während er selbst wohlweislich das Land verließ. Zwar versuchte der, die Toskana auf die unvermeidliche Invasion vorzubereiten, verhandelte aber vergeblich mit den Gemäßigten über die Bedingungen für eine Rückkehr Leopolds. Schließlich war es so weit: Am 26. April strömten zunächst 15 000 Soldaten in das Großherzogtum – Leopold war allerdings noch nicht darunter. Der ließ sich Zeit und wartete bis Juli, bevor er seinen Platz als Herrscher wieder einnahm.
Unterdessen wurde die Römische Republik in Atem gehalten, in der Mazzini endlich an die Macht gelangt war. Das sollte seine einzige praktische Erfahrung in Sachen Regieren sein und hundert Tage dauern.27 Anfang März war er »mit dem Gefühl von Ehrfurcht, ja Verehrung« in Rom angekommen und »spürte wie ein Schauder mich durchlief – der Frühling eines neuen Lebens«.28 Bald schon brachte er seine Zeitung Italia del Popolo wieder heraus und ermahnte alle patriotischen Italiener, gleich welcher politischen Richtung, zu Einheit und Kampfgeist. Daher war er bestürzt, als er von der Niederschlagung des genuesischen Aufstands durch die piemontesische Armee erfuhr. Die Republikaner in Rom hatten wohl gedacht, einen Krieg gegen Neapel zu wagen, um ihre revolutionäre Botschaft unter den Bewohnern des Südens zu verbreiten. Jetzt aber lenkte die Kunde einer Niederlage Piemonts den Blick gen Norden. Sogleich berief die verfassunggebende Versammlung eine neue Notstandsregierung, ein Triumvirat, bestehend aus Mazzini, dem Anwalt Carlo Armellini und einem Radikalen aus der Romagna namens Aurelio Saffi. Kriegsvorbereitungen gegen Österreich und die Sicherung der Republik, so lautete ihr Mandat.
Der vorausschauende Mazzini war besorgt, dass die Republik nicht überleben werde. Andererseits solle sich die Nachwelt ihrer erinnern. »Wir müssen«, sprach er vor der verfassunggebenden Versammlung, »wie Männer handeln, deren Feind vor den Toren steht, und gleichzeitig wie Männer, die für die Ewigkeit arbeiten.«29 So wurden die Religion und der Glaube geschützt, denn in einer Republik konnte es zumal unter diesen Umständen schnell zu antiklerikaler und antikirchlicher Gewalt kommen. Zwar gab es einige schlimme Morde, aber die Regierung verhielt sich politisch neutral. Als der besonders blutgierige Extremist Callimaco Zambianchi und seine kleine Bande von Anhängern einen Mönch erschossen und anschließend sechs Angehörige eines Klosters in den Elendsvierteln von Trastevere niedermetzelten, wurde er von den Behörden gefangen genommen. In Ancona, wo die Gewalt verbreiteter war, ging Felice Orsini (der später traurige Berühmtheit erlangte und guillotiniert wurde, als er 1858 versuchte, ein Bombenattentat auf Napoleon III. zu verüben) als Beauftragter der Regierung (ironischerweise) hart gegen die »Terroristen« vor. Inquisition und Zensur wurden abgeschafft, die geistlichen Gerichtshöfe durch weltliche ersetzt und der Zugriff der Kirche auf Erziehung und Bildung wurde gelockert. Zwar wurde Kircheneigentum beschlagnahmt, um den Obdachlosen Unterkunft zu geben, auch wurde die Besteuerung so verändert, dass die Armenkasse bessergestellt war. Doch all das war auch bitter nötig, da die wohlhabenderen römischen Familien nach Rossis Ermordung geflohen und Händler und Handwerker, deren Kundschaft sie normalerweise waren, plötzlich ohne Arbeit dastanden. Gleichzeitig war Mazzini sehr darum bemüht, katholische Empfindsamkeiten zu achten. Demonstrativ besuchte er die Ostermesse im Petersdom, während die Republik Religionsfreiheit verkündete.
Für die normalen Bürger wirkten die Straßen von Rom jetzt sicherer als unter dem Papst – und das unter einem demokratischen Regime, das gerade die Todesstrafe abgeschafft hatte. Nichts von all dem passte zu den Vorwürfen, Mazzini sei ein »Kommunist« oder (wie Cavour es nannte) ein neuzeitlicher Robbespierre. »Kein Klassenkrieg, keine Feindseligkeit vorhandenem Reichtum gegenüber … aber eine gleichbleibende Tendenz, die materiellen Bedingungen der Klassen, die weniger vom Glück begünstigt waren, zu verbessern« durchzog das Programm des Triumvirats vom 5. April.30 Wer damals mit Mazzini zusammenkam, war beeindruckt: Der amerikanische Konsul Lewis Cass beschrieb ihn als »Mann von großer charakterlicher Integrität und umfassenden intellektuellen Kenntnissen«.31 Einem erstaunten Ferdinand de Lesseps, der im Mai als französischer Gesandter nach Rom geschickt wurde, fiel auf, dass es sogar eine Menge gläubiger Katholiken gab, die ganz gewiss die Rückkehr des Papstes in den Vatikan wollten, doch nur als geistlichen Führer und nicht als absoluten Monarchen. Trotz allem sollte die Republik keinen Bestand haben. Dennoch wurde sie nicht durch einen österreichischen Einmarsch zerstört, sondern durch einen französischen Anschlag auf Rom. Während der ganzen Zeit von 1848/49 hatten die italienischen Republikaner zu ihrer Rettung das französische Eingreifen ersehnt. Doch als es endlich so weit war, sollte die Seite der Revolution nichts davon haben.
Sobald Pius nach Gaeta geflohen war, stand eine Invasion ausländischer Mächte im Raum, um den Papst wieder in sein Amt einzusetzen. Im Februar hatte Kardinal Antonelli vorgeschlagen, dass die katholischen Mächte Neapel, Spanien und Österreich, vielleicht im Verein mit Frankreich, gemeinsam den Kirchenstaat besetzen sollten. König Ferdinand, ganz der enthusiastische Reaktionär, der er war, zog seine Streitkräfte bereits an der nördlichen Grenze zusammen. Die Österreicher hatten Ferrara zurückerobert und zogen einen weiteren Angriff auf Bologna in Betracht, Spanien führte eine Expedition auf dem Seeweg an, die Haltung der Franzosen war unklar. Als er von Novara erfuhr, wollte Präsident Louis-Napoleon Bonaparte zunächst gegen Österreich kämpfen. Sosehr die konservative Meinung in Frankreich mit dem Papst sympathisierte, war sie doch noch immer patriotisch genug, die österreichische Macht zu fürchten, wenn nicht zu verachten. Ende März genehmigte die Nationalversammlung die Besetzung von Roms Hafen Civitavecchia durch eine 6000 Mann starke französische Truppe unter General Nicolas Oudinot, nicht aber den Einmarsch in die Stadt selbst, solange es dort nicht sicher war. Vordergründig galt diese Mission dem Schutz Roms vor einem österreichischen Angriff, doch Bonaparte hatte Oudinot mit dem geheimen Befehl ausgestattet, die Römische Republik zu zerschlagen. Auf diese Weise konsolidierte der Präsident sein konservatives Fundament, da er die katholische Rechte einband. Die französischen Truppen gingen am 24. April an Land. Sechs Tage später marschierten sie in Richtung Vatikan, doch eine bunte Mischung italienischer Demokraten – an die 9000 Mann, angeführt von Garibaldi und anderen – schlugen sie unter hohem Blutzoll zurück: Die Franzosen zählten 500 Gefallene und Verwundete.
Obwohl Oudinot dreist behauptete, diese verheerende Operation sei nur eine »Auskundschaftung«, noch dazu eine »glorreiche«, gewesen,32 war die Niederlage für Louis-Napoleon, der bei der französischen Wählerschaft vor allem deshalb Anklang gefunden hatte, weil man ihn mit den militärischen Ehren seines Onkels in Verbindung brachte, mehr als peinlich. Jetzt kam er politisch unter Druck und musste sich vor einer Nationalversammlung verteidigen, die Oudinots »neuer« Mission mit unverhohlener Ablehnung begegnete. Die Politik der Regierung wurde am 7. Mai in einer parlamentarischen Anklage, die der Anwalt Jules Favre führte, von der Versammlung abgelehnt. Neuerliche Wahlen verschafften Louis-Napoleon jedoch die konservative Mehrheit, die er brauchte. Darüber hinaus zeigte sich, dass er, sollte er nicht schnell handeln, um seinen Sieg gebracht würde, da die Österreicher, Spanier und Neapolitaner im Anzug waren. Am 8. Mai warfen sich die Österreicher auf Bologna. Nach einem achttägigen Kampf war der Widerstand unter dem Einfluss der Kanonenkugeln gebrochen. Weiter ging es gegen Ancona, wo der Hafen belagert wurde. Die Franzosen fürchteten, dass jene bald das Juwel Rom an sich reißen würden: Thiers bemerkte später: »Das Wissen um die Fahne Österreichs auf der Engelsburg ist eine Demütigung, die kein Franzose ertragen kann.« Das fand auch der neue französische Außenminister – kein Geringerer als Alexis de Tocqueville –, der sein Amt gerade erst am 2. Juni angetreten hatte und für den es daher unerlässlich war, Frankreichs Auftreten als Großmacht zur Geltung zu bringen.33 Nachdem nun auch die Spanier an die 5000 Mann mit dem Ziel Fiumicino eingeschifft hatten, schien der Handlungsbedarf noch größer. Auch die Neapolitaner waren nicht faul und hatten die Umgebung von Palestrina besetzt, waren aber am 19. Mai bei Velletri von Garibaldi geschlagen worden. Für die Franzosen war es damit höchste Zeit, sich in Bewegung zu setzen. Oudinot bekam das neueste Gerät: In Civitavecchia konnte man sehen, wie schwere Belagerungsgeschütze an Land gebracht wurden.
Der bevorstehende Kampf sollte mehr als ungleich sein: Oudinot stellte jetzt 30 000 Mann gegen Roms hoch motivierte, aber bunte Truppe, bestehend aus 16 000 loyalen regulären Soldaten, dazu Carabinieri, Zivilgardisten, Freiwillige aus der Bürgerschaft und natürlich Garibaldis Männer, von denen manche seit südamerikanischen Tagen bei ihm waren. Weil Oudinot sich im April so übel die Finger verbrannt hatte, konzentrierte er sich jetzt auf den Gianicolo-Hügel als Angriffsziel, einen langgestreckten Höhenzug, an dem sich die westlichen Verteidigungsanlagen der Stadt befanden. Von dort aus konnte er Geschütze in Stellung bringen und ungestraft Kanonenkugeln auf Rom regnen lassen, was wiederum der Grund war, warum Garibaldi diese Position mehr als entschlossen verteidigte. In den frühen Stunden des 3. Juni stürzten sich französische Soldaten auf die italienischen Außenposten, die Villa Doria Pamphili und den Palazzo Corsini. Erstere war leicht einzunehmen, doch der Corsini, der dank seiner Lage auf einer kleinen Anhöhe einen beherrschenden Blick auf das Stadttor San Pancrazio erlaubte, wurde in einem erbarmungslosen Gefecht nach sechzehnstündigem Kanonen- und Musketenfeuer zerstört. Als die Kämpfe am 4. Juni zu Ende waren, hatten die Italiener mindestens 550 Tote und Verwundete zu verzeichnen, viele von ihnen auf der Straße zwischen der Porta San Pancrazio und dem Corsini, nun in französischer Hand. Nur der Vascello, ein Gebäude an derselben Straße, hielt mithilfe der italienischen Geschütze auf den Stadtmauern stand.
»Der 3. Juni«, schrieb Garibaldi pathetisch, »besiegelte Roms Schicksal.«34 Dennoch hatten auch die Franzosen 265 Opfer zu verzeichnen und die Gelegenheit zu einem Überraschungsangriff auf die Stadt verloren. Mazzini indessen erwies sich einmal mehr als Anführer der Stunde (auch wenn Garibaldi dies ungern zugab). Einfache Bürger, Männer und Frauen fanden sich ein, um die Stadt zu verteidigen. Die französischen Kanonenkugeln – vor allem jene, die auf die engen Straßen und Häuser Trasteveres fielen, konnten die Moral nicht brechen. Die Fürstin Belgiojoso stand an der Spitze der freiwilligen Krankenschwestern. Da die Franzosen an Malaria litten, musste Rom vielleicht nur lange genug durchhalten, um ein diplomatisches Eingreifen seitens der Engländer zu provozieren und die Franzosen so weit zu zermürben, dass sie dies zuließen. Schließlich aber sollten es die Römer sein, die ermatteten. Schon aufgrund ihrer zahlenmäßigen Übermacht gelangten Oudinots Belagerungswerke in der Nacht vom 21. auf den 22. Juni in die Nähe der südlich der Porta San Pancrazio gelegenen Bastionen. Als die durchbrochen waren, standen die Franzosen auf den Stadtmauern. Garibaldis Männer zogen sich in eine zweite Verteidigungslinie zurück, die um die Villa Spada lag (heute die irische Botschaft beim Vatikan) und tagelang beschossen wurde. (An diesem Punkt beschloss im Übrigen Garibaldis schwangere Frau Anita, sich wieder ihrem Mann anzuschließen.) Verzweifelt hielten die Italiener durch bis in die Nacht vom 29. auf den 30. Juni, als die Franzosen die Ruinen des Palazzo Spada einnahmen. Die Verteidiger trugen die berühmten roten Hemden, die am Tag zuvor erstmalig an Garibaldis Legionäre ausgegeben worden waren. Am 30. Juni stimmte die verfassunggebende Versammlung für eine Kapitulation. In einem letzten Moment des Widerstands ratifizierten die Deputierten allerdings noch die Verfassung der Römischen Republik, in der es – obwohl im Hagel der Kanonenkugeln entstanden – heißt: »Die Republik erklärt alle Nationen zu Schwestern: Sie achtet alle Nationalitäten: sie unterstützt die Italiener«.35
Garibaldi, der wie Mazzini, den Kampf eigentlich weiterführen wollte, sammelte seine Truppe auf dem Petersplatz. Das waren an die dreitausend Leute, darunter Cicerruacchio, Ugo Bassi (der seit dem Frühjahr Geistlicher in Garibaldis Streitmacht war) und Anita, die sich die Haare kurz schnitt und eine grüne Militäruniform trug, bis ihre Schwangerschaft weiter fortgeschritten war.36 Von den Franzosen verfolgt, von den Bauern gemieden, schmolz Garibaldis Truppe während der beschwerlichen Überquerung des Apennins allmählich durch Erschöpfung, Krankheit und Desertionen dahin; als er die Adria erreichte, waren ihm nicht mehr als 200 treue Gefährten geblieben. Sie requirierten Boote, um nach Venedig zu segeln, wurden aber auf See von den Österreichern erwischt. Garibaldi und sein jetzt winziges Grüppchen schafften es an Land und versteckten sich im Wald von Comacchio, Garibaldi trug seine inzwischen ernsthaft erkrankte Anita auf den Armen (sie hatte auf dem langen Marsch vermutlich Malaria bekommen). Als sie – und ihr ungeborenes Kind – starben, weinte Garibaldi bitterlich. Kaum wollte er sich von ihrem leblosen Körper trennen.37 Die Österreicher ergriffen Bassi, zogen ihm barbarisch die Haut von Händen und Stirn (wo er zum Mönch gesalbt worden war), bevor sie ihn erschossen. Garibaldi überquerte nochmals die Berge, erreichte schließlich die toskanische Küste. Zehn Jahre sollte sein Exil dauern und er durch alle Welt reisen. Dann kehrte er nach Italien zurück – dieses Mal im Triumph.
Mazzini hingegen blieb nach dem Einmarsch der französischen Truppen noch eine Woche in Rom. Die Franzosen hatten ihre Mission vollbracht und waren jetzt darauf bedacht, Vergeltungsmaßnahmen zu vermeiden. Schließlich ging er an Bord eines Schiffes, das nach Marseille unterwegs war, und von dort aus zurück in die Schweiz ins Exil.
In Rom erklärte Oudinot Mitte Juli die Herrschaft des Papstes für wiederhergestellt. Er übergab die Macht dem »roten Triumvirat«, so genannt, weil es aus drei Kardinälen in scharlachroten Soutanen bestand. Die verfassunggebende Versammlung wurde von französischen Soldaten mit aufgepflanztem Bajonett daran gehindert, noch einmal zusammenzutreten. Die Zensur wurde wiedereingeführt, doch Louis-Napoleon bat Pius IX., einige der Reformen von 1848 beizubehalten: »Die Französische Republik«, erklärte er dem Papst in wahrhaft bonapartistischem Stil, »hat keine Armee nach Rom entsandt, um Italiens Freiheit zu vernichten, sondern um sie zu lenken und vor ihren eigenen Verfehlungen zu bewahren.«38 Daraufhin weigerte sich Pius nach Rom zurückzukehren, und zog sich stattdessen äußerst aufgebracht nach Portici in König Ferdinands Palast zurück. Dort veröffentlichte er am 12. September ein Manifest, in dem er zwar kleine Zugeständnisse machte, im Grunde aber die absolutistische Herrschaft wiederherstellte. Amnestie gewährte er nur in wenigen Fällen, doch weil dadurch sehr viele Menschen der Strafverfolgung ausgesetzt waren, stumpfte dies ihre Wirkung ab: Zeugen verweigerten die Aussage, und am Ende wurden nur achtunddreißig der Anvisierten bestraft. Das rote Triumvirat führte die Inquisition wieder ein, ebenso die Todesstrafe (durch die Guillotine) und öffentliche Auspeitschungen. Selbst gemäßigte Liberale wurden ausgewiesen, und die Juden, in der Republik rechtlich gleichgestellt, in die Gettos zurückgezwungen. Als der Papst im April 1850 endlich nach Rom zurückkehrte, bereitete man ihm dort einen spürbar kühlen Empfang.
Als letzter Hort des italienischen Widerstands blieb nun nur noch Venedig. Da die frankoenglische Vermittlung keine Fortschritte zeigte, war Manin trotz seiner republikanischen Überzeugung pragmatisch genug zu erkennen, dass Anfang des Jahres 1849 das Schicksal der Stadt von einem Sieg der Piemonteser abhing. Zudem versuchte er, ohne Piemont zu brüskieren, mit der Toskana und Rom in diplomatische Beziehungen zu treten. Weil er die Römische Republik anerkannte, wurde er von Tommaseo angegriffen, der als gläubiger Katholik die Revolution gegen den Papst verurteilte. Doch Manins Popularität bei den Januarwahlen zur neuen venezianischen Versammlung tat das keinen Abbruch. Nur vonseiten der Mazzinianer, die nach dem scharfen Vorgehen durch die Regierung im Oktober versuchten, erneut die Initiative zu ergreifen, und vonseiten der Konservativen, die den Krieg durch einen Vergleich mit den Österreichern beenden wollten, kam ein gewisser Widerstand. Diese Gegner vom linken und rechten Flügel formierten sich nun in der Versammlung zu einer ungewöhnlichen Allianz, Manin aber behielt die Unterstützung des größten Teils der arbeitenden Bevölkerung von Venedig – einschließlich der Gondoliere (der Elite der Arbeiterklasse), deren Sprecher den Triumviren das Vertrauen bekundet hatte. Ermutigt durch die Neutralität der Zivilgarde, stürmten schließlich eifrige Venezianer am 5. März die Versammlung im Dogenpalast und verlangten, Manin zum Diktator zu erheben. Nur der kleine Mann selbst stellte sich ihnen mit gezogenem Schwert in den Weg und forderte sie auf, sich zu zerstreuen. Zwei Tage später stimmte die Versammlung so oder so dafür, Manin die volle Entscheidungsgewalt zu übertragen, darunter auch das Recht, die Versammlung für fünfzehn Tage aufzulösen und eine Notstandsgesetzgebung zu erlassen. Als die Piemonteser einmal mehr in den Krieg mit Österreich eintraten und Karl Alberts Schiffe in der Lagune erschienen, belebte sich die Stimmung,39 doch am 2. April trafen die schlimmen Nachrichten aus Novara ein.
Die Versammlung reagierte sofort. Manin informierte die Delegierten über die neue Situation der Stadt und endete mit dem Aufruf, bis zum bitteren Ende zu kämpfen: »Wünscht die Versammlung, dem Feind zu widerstehen?« – »Ja«, riefen die Abgeordneten zurück. »Um jeden Preis?« Die Versammlung erhob sich bis auf den letzten Mann und schrie: – »Ja!« Nicht lange darauf erschienen die Österreicher in großer Überzahl vor Venedig. Bald erreichten die Belagerungsgräben, von den österreichischen Pionieren ausgehoben, die Mauern der Festung Maghera, dem hauptsächlichen Angriffsziel.40 Ab dem 4. Mai geriet die Festung unter den Beschuss von fast 60 000 Granaten und Raketen – ein Viertel davon ging allein am 25. Mai nieder, dem Höhepunkt des Feuerregens. Die Venezianer dagegen konnten den Angriff mit gerade einmal 130 Kanonen und Mörsern parieren. Schließlich war die Munition knapp, und als die Festung fiel, war jeder dritter Schütze tot. Cholera und Malaria taten schließlich das Ihre. Als die Überlebenden sahen, dass die Österreicher ihre Gräben mit Männern besetzten – Signal für den bevorstehenden Angriff – traten sie am 26. Mai über die Eisenbahnbrücke oder per Boot den Rückzug in die Stadt an. Um den österreichischen Vormarsch aufzuhalten, sprengte man fünf Brückenbögen in die Luft. Auch wurden die Plattformen auf der Brücke mit Artilleriegeschützen bestückt. Der Dienst an den Geschützen war im Grunde ein sicheres Todesurteil: Tag um Tag unter Beschuss, trug man nachts die Gefallenen und Verletzten zurück in die Stadt, um tagsüber die beschädigten Verteidigungsanlagen immer wieder abzusichern.
Als sich die Belagerung verschärfte, wurden Stimmen laut, die auf Pepes Absetzung drängten; zu alt, zu wenig gewandt sei er, um als Kommandant der Venezianer zu taugen. Der italienische Klub lud alle Soldaten ein, sich dazu zu äußern. Manin, der erkannte, was das für die Disziplin bedeutete und nicht zuletzt für seine Autorität, schloss den Klub am 3. Juni, kam aber dem Wunsch nach Veränderung entgegen: Ein neuer militärischer Ausschuss, darunter General Ulloa, der Held des hartnäckigen Widerstands Magheras, bekam das Oberkommando. Pepe trat zurück, doch Ulloa berief ihn taktvoll als Präsident des Ausschusses.41 Inzwischen hatte Venedig einen neuen Verbündeten: Ungarn. Kossuth hatte im Mai einen Gesandten geschickt, um mit Manin zu verhandeln, und zwar zu einem Zeitpunkt, als er glaubte, die Ungarn könnten ihre Armee vielleicht erfolgreich durch Kroatien manövrieren und Triest, den Heimathafen der kaiserlichen Flotte, besetzen. Die Allianz zwischen Venedig und Ungarn wurde am 20. Mai besiegelt. Dabei versprach Ungarn den Venezianern finanzielle Unterstützung, wenn sie im Gegenzug einen der Ablenkung dienenden Ausfall unternahmen, sobald Ungarn die See erreichte.42
Dieses Bündnis weckte in den Venezianern falsche Hoffnungen, in Wirklichkeit zog sich die Schlinge langsam, aber sicher immer enger zusammen. Radetzky forderte die Stadt zur Kapitulation auf, doch während Manin eine Autonomie innerhalb des Kaiserreiches zur Mitbedingung machte, bot der Feldmarschall lediglich die Amnestie für die Soldaten und freien Abzug für jeden, der ins Exil zu gehen wünschte. Das wies die Versammlung Ende Juni natürlich mit überwältigender Mehrheit zurück. Dieser Widerstand allerdings sollte die tapfere Stadt teuer zu stehen kommen. Während sich die Soldaten gegenseitig in der Lagune umbrachten, waren die venezianischen Zivilisten langem Artilleriebeschuss ausgesetzt. Die Geschütze, deren Rohre von den Fahrgestellen entfernt und in eigens konstruierte hölzerne Lafetten eingelassen waren, was eine Aufrichtung von 45° erlaubte, zielten in den Nachthimmel und schickten 24 Pfund schwere Kanonenkugeln hoch über die Lagune fünfeinhalb Kilometer weit auf die Stadt hinunter.43 Der Beschuss begann in der Nacht vom 29. auf den 30. Juli und dauerte drei Wochen. Das Bombardement und die damit einhergehenden Feuer kosteten allerdings weniger Menschenleben, als man denken sollte. Das lag zum Teil an den Brandschutzaktivitäten der Venezianer und zum Teil daran, dass die Kanonenkugeln, obwohl glühend heiß, auf die weite Entfernung an Schlagkraft verloren. Zwar hinterließen sie klaffende Löcher in Dächern, explodierten aber nicht immer beim Aufschlag. Auch drangen sie nicht bis in die tiefer liegenden Stockwerke durch. Die venezianischen Feste und Prozessionen gingen daher weiter, auch die Theater fuhren mit ihren Aufführungen fort. Pro Tag feuerten die Österreicher tausend Projektile auf die Stadt ab, doch die Venezianer nannten die brennenden Geschosse aufmüpfig »Wiener Orangen«.44
Zwei Widersacher gab es indessen, denen Venedig nicht standhalten konnte: Krankheit und Hunger. Etwa viertausend Venezianer erlagen während des Sommers Typhus und Cholera, und Essen war knapp. Man ernährte sich von ein bisschen Gemüse und Polenta, Fleisch oder Fisch waren rar. So kostete ein Hühnchen den Wochenlohn eines Arbeiters. Auch Medikamente gab es bald nicht mehr und keinen Wein (was bei Cholera besonders schlimm war, da Alkohol die Bakterien abtötet). Darüber hinaus ging den Soldaten bald das Schießpulver aus. Mitte Juli war die Lage brisant, und die Venezianer, bis dahin unerschütterlich, wurden nun unruhig. Ein Priester warnte den Militärausschuss: »Die Frauen, die sich anstellen, um Brot zu kaufen, fluchen und beten, sie reißen sich die Ohrringe aus den Ohrläppchen und die Hochzeitsringe von den Fingern … Wir dürfen nicht warten, bis die Leute die Sache selbst in die Hand nehmen.«45 Angesichts drohender Unruhen wurde am 16. Juli Tommaseos Antrag angenommen, ein Rationierungssystem einzuführen. Da die Menschen aus den westlichen Stadtvierteln flohen, weil sie vom Bombardement am stärksten betroffen waren, war der Rest Venedigs bald überfüllt. Viele mussten mit feuchten Kellern vorliebnehmen, so mancher teilte das Bett mit Toten und den an Cholera Erkrankten. Manin wusste, dass die Vorräte der Stadt bis Ende August aufgebraucht sein würden, und so erlaubte ihm – gegen Tommaseos heftigen Widerstand, aber mit Unterstützung Pepes – eine hauchdünne Versammlungsmehrheit am 6. August, mit den Österreichern zu verhandeln. Für Manin, der sich am 13. August auf dem Markusplatz zum letzten Mal an die Venezianer wandte, war es ein schrecklicher Moment. Von Gefühlen überwältigt, konnte er seine Rede nicht zu Ende halten. Als er vom Balkon zurücktrat, rief er aus: »Was für ein Volk! Kapitulieren zu müssen mit solch einem Volk!«46 Nicht einmal auf ungarischen Beistand konnte Venedig nun hoffen, denn am 18. August traf die Nachricht von der Kapitulation Ungarns vor Russland ein. Fünf Tage später sahen venezianische Freischärler, die die Eisenbahnbrücke verteidigten, eine Gondel aus der landeinwärts gelegenen Seite der Lagune kommen: Darin saß Manins Triumviratsmitstreiter Cavedelis, der in den späten Abendstunden des 22. August die Kapitulation unterzeichnet hatte. Er befahl den betrübten Soldaten, in die Stadt zurückzukehren und die weiße Fahne zu hissen.
Die Scuola dei Morti geht in Flammen auf, als Venedig am 29. Juni 1849 von den Österreichern bombardiert wird. Gemälde von Luigi Querena. (akg-images)
Unter den gegebenen Umständen fielen die Bedingungen gnädig aus: Alle Revolutionäre erhielten Amnestie, ausgenommen vierzig führende Köpfe, denen man aber erlaubte, ins Exil zu gehen: Ein Dampfschiff, vom französischen Konsul zur Verfügung gestellt, brachte Manin und seine Familie, Pepe, Ulloa, Tommaseo und die anderen fort.47 Manin endete schließlich in Paris. Als die kaiserlichen Truppen (die während der Belagerung 8000 Tote zu beklagen hatten) am 27. August die Stadt einnahmen, marschierten zuvorderst die ungarischen Bataillone, die Kossuth im Sommer 1848 in der Hoffnung, dadurch die Anerkennung der Aprilgesetze durch die Österreicher zu erlangen, nicht nach Ungarn zurückgerufen hatte. Diese bittere Ironie veranschaulicht vielleicht am besten die schmerzlichen Widersprüche der 1848er-Revolutionen.
III
Für Ungarn endete das Jahr 1848 nicht gut. Die Österreicher kontrollierten Budapest, die Nationalversammlung hatte sich ins weit entfernte Debrezin zurückgezogen, wo von den 415 Abgeordneten bis zur ersten Sitzung am 9. Januar nur 145 aufgetaucht waren. Zwar sollte sich deren Zahl noch auf 300 erhöhen, doch für den Augenblick wurde der kleine Rest von denen beherrscht, die mit Österreich verhandeln wollten. Das liberale Ungarn aber hielt durch. Standhaftigkeit und Entschlossenheit waren Tugenden, die für die Beförderung junger Offiziere ausschlaggebend waren, zugleich konnten, auch wenn die meisten nach wie vor adeliger Herkunft waren, Nichtadelige aus den Mannschaftsständen aufsteigen. Das Heer, das im Frühjahr 1849 die Österreicher entschlossen vertrieb, rekrutierte sich daher zum großen Teil aus der bürgerlichen Streitmacht der Honvéd-Bataillone. Ihre Anzahl war von 16 im September 1848 auf beachtliche 140 im Juni 1848 gestiegen; im selben Zeitraum war die Armee, inklusive der regulären Soldaten, von 100 000 auf 170 000 Mann angewachsen. Zu einem guten Teil verdankte sich dies der Wehrpflicht, die bei Ausbruch des Krieges eingeführt worden war. 10 Prozent der Mannschaften waren Studenten, Intellektuelle und Grundbesitzer, etwa zwei Drittel der Rekruten entstammten der ärmeren Bauernschaft, ein Fünftel waren Handwerksmeister und Gesellen. Diese Zahlen spiegeln allerdings auch den Umstand wider, dass wer reich genug war und bei der Einberufung den Kürzeren zog, durchaus einen anderen (zumeist ärmeren) bezahlen konnte, der seinen Platz einnahm. Doch das heißt nicht, dass die Mannschaften nicht patriotisch waren – so wurde zum Beispiel das 9. Bataillon, die »roten Mützen«, für seine Kampfbereitschaft und Entschlossenheit berühmt. Und auch die Befehlshaber spielten hier eine wichtige Rolle. Offiziere der alten kaiserlichen Armee, die sich den Honvéd-Bataillonen anschlossen, erhielten in ihren neuen Einheiten fast automatisch einen höheren Rang, während Unteroffiziere zu Offizieren befördert wurden. Diese erfahrenen Soldaten und die geschulten Freiwilligen der Mannschaften im Rang von Unteroffizieren stellten den Kern der Ausbilder. Unter den rebellischen Rumänen und den südslawischen Bevölkerungsgruppen Rekruten anzuwerben war indessen fruchtlos, weshalb die meisten gebürtige Ungarn waren. Unter den Offizieren allerdings waren viele Polen und Deutsche. Letztere machten Anfang 1849 rund 10 Prozent des Offizierkorps aus, Leiningen war demnach kein Einzelfall.48
Der Nationale Verteidigungsausschuss mit Kossuth an der Spitze, kaufte – und schmuggelte – Waffen aus dem Ausland und zahlte mit den ungarischen Goldreserven. Unterdessen produzierten inländische Werkstätten fast fünfhundert Musketen am Tag, zusätzlich zu denen, die man schon unter Batthyány im Sommer 1848 aus dem Ausland, vor allem aus Belgien, bezogen hatte. Trotzdem zeigte sich, dass es viel schwerer war, eine Armee auszustatten, als sie zu rekrutieren. Bei Kriegsausbruch besaßen viele der Freiwilligen, obwohl die kalte Jahreszeit näher rückte, noch keine Mäntel. Auch die Stiefel waren nicht fertig. Um diesem Notstand abzuhelfen, schickte die Regierung Rohmaterial in die Provinzen und erteilte Aufträge an die einheimischen Handwerker, wodurch die vor Ort stationierten Truppen direkt beliefert werden konnten.49 Der Ausschuss bot den Herstellern Kredite an, wenn sie auf Kriegsproduktion umstellten; er sonderte qualifizierte Arbeiter aus den Honvéd-Bataillonen aus und schickte sie in die Werkstätten, zweigte Getreideüberschüsse für das Militär ab und gründete eine Militärakademie und neue Feldlazarette. Die Druckerpressen für die ungarischen Banknoten waren von Budapest nach Debrezin transportiert worden. Rund 80 Regierungskommissare wurden durch das Land geschickt, um, ausgestattet mit Sondervollmachten, die Bevölkerung und ihre Ressourcen für die Kriegsanstrengungen zu mobilisieren, das Militär zu beaufsichtigen und dem Ausschuss Bericht zu erstatten. Das aber war als Gegengewicht zu den örtlichen Komitatbeamten auch nötig, hatten doch Letztere die schlechte Angewohnheit, ihr politisches Fähnchen nach dem Wind zu drehen. Und das wehte im neuen Jahr aus Richtung Österreich.
Unglücklicherweise lief der ungarische Gegenangriff nicht ohne Blutvergießen im Innern ab. Die Krise verlieh den Radikalen neue Lebenskraft; in Debrezin drängten sie auf ein allgemeines Wahlrecht für Männer, die Ausrufung zur Republik, die Abschaffung des Adels und ein Gesetz, das die Forderungen der nationalen Minderheiten als Hochverrat einstufte. Das Parlament reagierte mit der Einführung von Revolutionstribunalen. Radikale wie Gemäßigte wollten dem Aufruhr der Minderheiten begegnen. Am Ende verhängten diese Tribunale 122 Todesstrafen – zumeist gegen Nichtungarn.50
Die Regierung sah sich außerdem von einem ihrer eigenen Kommandeure herausgefordert – von Görgey. Der war persönlich von den Aprilgesetzen überzeugt, doch jetzt hatte er Bedenken, dass Ungarn in Richtung Republik gesteuert würde. Unzufriedene Offiziere spalteten das Heer, da sie glaubten, das Gesetz auf ihrer Seite zu haben, solange sie für die Verfassung kämpften, nicht aber für etwas Radikaleres. Die Offizierkorps ganzer Einheiten desertierten zu den kaiserlichen Truppen. Da seine Streitmacht den Eindruck allgemeiner Auflösung vermittelte, verkündete Görgey in Vác, wo sich seine Obere Donauarmee dem Vormarsch auf Budapest entgegenstellte, am 5. Januar: Dieses »Armeecorps an der obern Donau bleibt treu seinem Schwur, für die Aufrechterhaltung der […] Constitution des Königreichs Ungarn gegen jeden äußern Feind entschieden zu streiten«. Es werde dem rechtmäßigen Kriegsminister gehorchen – mit anderen Worten, dem, der vom König berufen und dem ungarischen Parlament verantwortlich war, nicht aber dem Ausschuss. Die politische Führung der ungarischen Revolution erteilte damit dem radikalen Liberalismus – und mutmaßlichen Republikanismus – eine Absage.51 Die kühne Verlautbarung dämmte die Flut der Desertionen ein – endlich, schrieb Karl Leiningen, habe er einen Anführer gefunden, der ein entschiedener Gegner der »republikanischen Partei« sei und »nichts mehr als die Verfassung von 1848« anstrebe.52 Kossuth indessen bezichtigte Görgey wegen dieser Meuterei insgeheim des Verrats. Trotzdem war der General kein Überläufer. Als Windischgrätz ihn aufforderte, zu kapitulieren und seine Armee mitzubringen, verlangte Görgey Verhandlungen auf der Basis der Aprilgesetze. Doch so oder so, er besaß wenig politischen Rückhalt: Die gemäßigte »Friedenspartei« in Debrezin hätte ihn als Verbündeten sehen sollen, sie fürchtete aber, er wolle die Militärdiktatur. Görgey indessen, nicht weniger misstrauisch, fand, dass alle Politiker zwielichtige Gestalten seien. Und doch sollte er sich bald als der Retter der Liberalen erweisen. Nachdem die Österreicher Budapest eingenommen hatten, konnte er seine Armee durch den Rückzug in die slowakischen Berge unversehrt erhalten. Seine Truppen kämpften sich durch hartes Winterwetter und über bergiges Gelände, fielen über die österreichischen Einheiten her, die sich nach Debrezin vorgewagt hatten, und zwangen sie, sich zurückzuziehen und sicheren Anschluss an Windischgrätz’ Hauptarmee im Westen zu suchen. Anschließend marschierte Görgey nach Süden zur Theiß, wo Ungarn die Stellung gegen die Österreicher hielt.
Görgeys überragende Fähigkeiten ließen Kossuth keine andere Wahl, als ihm im Frühjahr die Führung der Gegenoffensive anzuvertrauen, auch wenn er ihn nicht zum Oberbefehlshaber ernannte. Anfang April trugen die Ungarn eine Reihe blutiger Schlachten aus und drängten Richtung Budapest vor. Görgey wollte Kossuth davon überzeugen, sich bei der Rückeroberung der Hauptstadt nicht zu verausgaben, sondern das Gros der Streitkräfte Budapest umgehen und die Festung Komárom zurückerobern zu lassen. Letztere war von großer strategischer Bedeutung. Während nun die Ungarn die Österreicher vor sich hertrieben, kam es zu einem bedeutsamen Ereignis: Am 14. April erklärte Kossuth vor Parlament und begeisterten Zuschauern Ungarns Unabhängigkeit. Im Eröffnungsparagrafen wird erklärt, dass »die bis zu Tode gehetzte Ungarische Nation […] durch gänzliche Erschöpfung der Geduld und die Nothwendigkeit der Selbsterhaltung« dazu veranlasst worden sei.53 Fünf Tage später wurde das Manifest veröffentlicht.
Als Katalysator hatte hier die neue Verfassung gewirkt, die der Kaiser am 5. März erlassen hatte. Sie hatte Ungarn seiner Aprilverfassung beraubt und seinen Status innerhalb des Kaiserreiches herabgesetzt. Mit anderen Worten: Ein Kompromiss zwischen dem liberalen Regime in Ungarn und der Monarchie in Wien war nicht möglich. Abgesehen davon, dass sie die ungarischen Friedensbemühungen diskreditierte und den ungarischen Liberalen Krieg und Unabhängigkeit als einzige Alternative ließ, verhieß die kaiserliche Verfassung auch für die anderen Nationalitäten des Königreichs nichts Gutes. Für die Serben der Woiwodina etwa, die seit dem Sommer 1848 in Südungarn alles nur Mögliche an ethnischen Gräueln erlitten hatten. Sie mussten nun erfahren, dass der Kaiser ihre Loyalität, anders als gedacht, nicht mit der Anerkennung ihrer Nationalität belohnen würde. Der serbische Widerstand gegen die Ungarn begann daraufhin zu bröckeln. In Siebenbürgen dagegen hatte General Bem mit Zuckerbrot und Peitsche den Widerstand beschwichtigt. Zum Ärger Kossuths hatte er allen rumänischen Kämpfern, die bereit waren, ihre Waffen abzuliefern, die Amnestie angeboten; mit ein wenig Selbstverwaltung sowie der Erlaubnis, die Muttersprache in gewissem Umfang zu nutzen, hatte er versucht, die Bevölkerung zu beruhigen. Für Kossuth dagegen war – wie für ungarische Nationalisten überhaupt – Siebenbürgen fester Bestandteil der Stephanskrone. Zugeständnisse waren obsolet. Doch jetzt, mit der Unabhängigkeitserklärung, bot Kossuth den Rumänen endlich die Hand und schickte einen Parlamentarier in die Karpaten. Der sollte sich mit den noch verbliebenen Rebellen treffen – seine Ermordung indessen war die Antwort.54
Die genaue Regierungsform des neuen Ungarn – ob Republik oder Monarchie – wollte Kossuth einer verfassunggebenden Versammlung überlassen, die nach dem Krieg gewählt werden sollte. Am 23. April gaben die Österreicher in Erwartung des Vormarschs von Görgey auf Komárom Budapest auf, um nicht eingekesselt zu werden. Allerdings ließen sie eine Besatzung auf dem Budaer Schloss zurück. Nur Stunden später zogen unter begeistertem Willkommensjubel ungarische Soldaten in die Stadt. Görgey, der von Kossuth jetzt zum Kriegsminister ernannt wurde, wollte die Armee erst einmal ausruhen lassen. Auch sollten die Offiziere Gelegenheit haben, sich mit der neuen Lage anzufreunden. Kossuth dagegen wollte, dass die Befreiung Budapests mit der vollständigen diplomatischen Anerkennung der ungarischen Unabhängigkeit einhergehen solle. Die Zeit drängte, da die Österreicher nach Novara schon bald Truppenverstärkung aus Italien erhalten würden. Görgey beugte sich dem politischen Druck und überstellte den Hauptteil seiner Honvéd-Streitkräfte von Komárom nach Buda, um das Schloss zu belagern.55 Das war ein folgenschwerer Fehler: Wären die Ungarn in Richtung Wien vorgestoßen, hätten sie vielleicht einen Frieden aushandeln können.
So kam es, dass der Schlossberg am 4. Mai von 40 000 ungarischen Soldaten umstellt wurde. Die Schlacht dauerte zweieinhalb Wochen. In diesen kritischen Tagen bombardierten die österreichischen Geschütze die Stadt vom Schloss aus und versuchten, wenngleich erfolglos, sich auf Széchenyis Kettenbrücke einzuschießen. Schließlich sprengten die ungarischen Belagerungsgeschütze, extra aus Komárom herangeschafft, eine Bresche in die Mauern der Zitadelle. In der Nacht vom 20. auf den 21. Mai arbeiteten sich anschließend die Honvéd-Soldaten unter mörderischem Beschuss der Österreicher den Steilhang hoch und die Bresche hindurch. Görgey hatte angeordnet: kein Pardon, und so kam es in der von berstenden Kanonenkugeln und Musketenfeuer hell erleuchteten Nacht zu einem erbitterten Kampf – grausam und blutig. In dieser einen Nacht verloren eintausend Österreicher ihr Leben.56 Und obwohl dieser Sieg von immenser symbolischer Bedeutung war, hatten die ungarischen Streitkräfte doch nur wertvolle Wochen verloren, die sie hätten nutzen können, um die Österreicher weiter nach Westen abzudrängen. Wie Görgey befürchtet hatte, waren seine Männer jetzt zu erschöpft, um nach Österreich hinein vorzudringen. Die kaiserlichen Truppen blieben daher an den westlichen Rändern des Landes stationiert. Die ungarischen Revolutionäre indessen, den baldigen Sieg und die Unabhängigkeit vor Augen, setzten bereits jetzt auf innenpolitischen Gewinn.
Die Nationalversammlung wählte Kossuth zum Gouverneur-Präsidenten, wobei er sich nicht zum Diktator erhob. So ernannte er am 2. Mai ein Kabinett, an dessen Spitze sein enger Mitstreiter Bertalan Szemere stand. Der Landtag trat nach wie vor zusammen, und die Regierung besaß die Unterstützung der Mehrheit. Während Kossuth von seinem Recht Gebrauch machte, die allgemeine Richtung der Politik vorzugeben, stimmte er zu, dass die Minister seine Dekrete gegenzeichnen mussten und er verpflichtet war, sich an die Gesetze, die die Nationalversammlung erließ, zu halten – entsprechend lautete auch der Amtseid, den er am 14. Mai ablegte.57 Auf diese Weise waren Kossuths präsidiale Macht und die Legislative ungeschickt miteinander verzahnt. Ende Mai bat Szemere die Versammlung um ihre Auflösung und ihr erneutes Zusammentreten am 2. Juli in Budapest.
Währenddessen wurde andernorts der endgültige Untergang des liberalen Ungarn vorbereitet. Zar Nikolaus I. hatte Kaiser Franz Josephs dringlicher Bitte nach einer Intervention »im heiligen Krieg gegen die Anarchie« zugestimmt.58 Görgey, der als Kriegsminister den Oberbefehl über alle ungarischen Armeekorps innehatte, war einer der Ersten, die die Zeichen lesen sollten. Da er allerdings ohnehin nicht bis zum bitteren Ende kämpfen wollte, wollten er und viele Offiziere lieber verhandeln als zusehen zu müssen, wie Ungarn ans Messer geliefert wurde. Zweifellos wurde ihr Wunsch nach einem schnellen Verhandlungsfrieden durch die Gefangennahme zweier ungarischer Offiziere verstärkt, die als Rebellen verurteilt, am 5. Juni standrechtlich erschossen wurden. Das alles unter dem Befehl des neuen österreichischen Kommandanten, des berüchtigten Generals Ludwig Haynaus. An einen Verhandlungsfrieden aber war, solange Kossuth das Ruder in der Hand hielt, nicht zu denken. Görgey erwog die Möglichkeit eines Militärputsches, doch es gelang ihm nicht, sich bei den zivilen Politikern Rückendeckung zu verschaffen.
Als Kossuth zum ersten Mal vom Gesuch des Kaisers an den Zaren erfuhr, rief er das Volk auf, sich gegen einen russischen Einfall zu erheben. Zugleich versuchte die Regierung vergeblich, internationale Hilfe zu erhalten, wobei sie die Gefahr des Übergriffs des russischen Militärs auf Mitteleuropa betonte. Unglücklicherweise war Preußen Ungarn ausgesprochen feindlich gesinnt: Zwar fürchteten die Konservativen die Folgen einer russischen Militärintervention, doch anstatt den Magyaren zu helfen, boten sie an, eigene Truppen zu schicken, um am Einmarsch teilzunehmen und dadurch eine gewisse Kontrolle über die Situation zu bekommen. Weniger ablehnend waren die westlichen Mächte, entsandten aber auch keine Unterstützung. Louis-Napoleon war nicht in der Stimmung, die Russen herauszufordern und im Moment sowieso dabei, die Römische Republik zu zerschlagen. Nur bei der radikalen Linken konnten die Ungarn Sympathie gewinnen, doch außer ein bisschen Tamtam in ihren Zeitungen kam dabei nichts heraus. Paris selbst quittierte die ungarische Bitte mit eisigem Schweigen. Und da die Briten darauf beharrten, dass Ungarn rechtlich gesehen noch immer Teil des österreichischen Kaiserreichs war, blieb als einziger Verbündeter der Ungarn Manin mit seiner Republik Venedig. Die Vereinigten Staaten zeigten sich wohlwollend, boten aber nur die diplomatische Anerkennung an – und bei der Entfernung, die die ungarischen Gesandten zurückzulegen hatten, wäre bei ihrer Ankunft in Washington die Revolution schon vereitelt gewesen.59
Die ungarische Regierung unternahm deshalb nun den verspäteten Versuch, die östlichen Grenzen zu sichern, indem sie mit den rumänischen Nationalisten verhandelte. Diese sagten Mitte Juni den Ungarn ihre Unterstützung zu, sofern im Gegenzug Rumänisch als offizielle Amts- und Unterrichtssprache eingeführt und der bäuerliche Frondienst abgeschafft würde. Das »Nationalitätengesetz« vom 28. Juli weitete diese Zugeständnisse auf alle ethnischen Gruppen des Königreichs aus und garantierte ihnen die nationale Identität. Während das Ungarische die Sprache der Regierung blieb, konnten die Komitate die Sprache benutzen, die sie als passend für die örtlichen Gegebenheiten ansahen. Am selben Tag gewährte man außerdem den Juden Rechtsgleichheit. Dennoch waren sowohl die Bauern- als auch die Nationalitätengesetzgebung nicht ausreichend und kamen zu spät, um Ungarn vor dem endgültigen Angriff zu bewahren. Auch gab es keine weitreichende Sozialreform, die die Bevölkerung für den großen Kampf hätte begeistern können. Und schließlich boten die Nationalitätengesetze den Minoritäten weniger als die Verfassung des Kaisers vom März 1849.
Zar Nikolaus I. hatte seine Gründe, als er dem jungen Franz Joseph bei der Zerschlagung der ungarischen Revolution beistand. Zum einen verdächtigte er die Ungarn des Versuchs, eine Revolution in den Donaufürstentümern anzuzetteln, zum anderen fürchtete er, dass ein unabhängiges Ungarn Österreich schwächen und Preußen erlauben würde, Deutschland zu dominieren; drittens machten ihm die möglichen Auswirkungen des ungarischen Beispiels auf seine weiterhin rebellischen polnischen Untertanen Sorgen. Diese Ängste kulminierten, als der polnische Kommandant der ungarischen Streitkräfte in Siebenbürgen, Józef Bem, seinen Soldaten im Januar 1849 erlaubte, in die Bukowina überzugreifen, was die russischen Offiziellen im benachbarten Polen in Alarmbereitschaft versetzte. Als Reaktion darauf erteilte Nikolaus seinem Feldmarschall Iwan Paskewitsch, dem Statthalter Polens, »die Vollmacht, die Grenzen zu überschreiten und sich in einen Kampf mit den Aufständischen einzulassen, wenn die österreichische Obrigkeit danach verlangte«. Das alles war schon passiert, bevor der neue österreichische Außenminister Schwarzenberg auch nur ein offizielles Ersuchen auf russische Unterstützung gestellt hatte – aber jetzt, wo die Ungarn in der Klemme steckten, zögerte Schwarzenberg, den großen Bären nach Mitteleuropa zu bitten; er wollte beweisen, dass Österreich »stark genug ist, seine innerstaatlichen Turbulenzen selbst auszugleichen«.60 Tatsache war, dass die Russen einen kurzen Vorstoß nach Siebenbürgen hinein unternommen hatten, ohne davon durch Wien ermächtigt gewesen zu sein. Lediglich die Bitte General Puchners von der Peripherie aus, ihm gegen die Magyaren zu helfen, war der Grund. Das kleine, 6000 Mann starke russische Heer gehörte zu den kaiserlichen und rumänischen Truppen, die Bem im Frühling zurückdrängte, was Wien einigermaßen in Verlegenheit brachte, nicht aber die Russen, die nicht bereuten, im Namen der »Humanität« gegen die ungarischen Revolutionäre vorgegangen zu sein.
Gleichwohl wurden die Russen hier gedemütigt, und der Zar war darüber noch nicht hinweg, als Görgey im April Windischgrätz beinah aus Ungarn vertrieb. Daher war Nikolaus durchaus offen, als Schwarzenberg, seinen österreichischen Stolz ignorierend, dem kaiserlichen Gesandten in Sankt Peterburg erlaubte, offiziell um russischen Beistand zu bitten. Bereitwillig ging der Zar darauf ein: Während er Paskewitsch im Vertrauen gestand, dass er »nicht darauf brenne«, in die ungarischen Angelegenheiten verwickelt zu werden, sah er zugleich »in Bem und in den anderen Lumpen Ungarns nicht nur die Feinde Österreichs, sondern auch die Feinde der Ordnung und Ruhe der Welt, die Personifikation von Verbrechern, Schurken und Zerstörern, die wir um unserer eigenen Ruhe willen vernichten müssen«.61 Als sich Franz Joseph am 21. Mai nun persönlich an Nikolaus wandte, damit dieser sich den Habsburgern bei der Rettung »der modernen Gesellschaft vor dem Ruin« anschließe und »den heiligen Kampf der sozialen Ordnung gegen die Anarchie« führe, lief er offene Türen ein.62 Der junge habsburgische Kaiser war nach Warschau gereist, um den Zaren zu treffen, der es zufrieden war, den Österreicher auf die Knie fallen und seine Hand küssen zu sehen.
Die Ungarn konnten höchstens 170 000 Mann, unterstützt von 500 Geschützen, ins Feld schicken. Dagegen hatten die Österreicher und Russen eine zahlenmäßig vernichtende Übermacht mit insgesamt 375 000 Mann; davon allein im Westen Haynaus Streitmacht mit 83 000 Mann und 330 Kanonen, im Süden 44 000 Mann und 190 Kanonen unter Jelačić und etwa 48 000 rumänische Partisanen und kaiserliche Soldaten in Siebenbürgen. Die übrigen alliierten Truppen stellten die Russen unter Paskewitsch, der ein Veteran der Eroberungskriege im Kaukasus und ein Held (sofern man das so nennen kann) der Unterdrückung des polnischen Aufstands von 1831 war. Er führte stattliche 200 000 Mann mit stattlichen 600 Geschützen ins Feld, die gefechtsbereit in den rumänischen Fürstentümern und in Polen standen, allerdings war er nicht willens, sich von der Ungeduld der Österreicher zu einem voreiligen Angriff hinreißen zu lassen. Obwohl die Russen versprochen hatten, am 17. Juni einzumarschieren, wartete Paskewitsch, bis seine Truppen bereit und genug Vorräte und Ausrüstung gehortet waren, um sein Heer versorgen zu können. So kam es, dass der angriffslustige Haynau zuerst zuschlug und mit dem Ziel Budapest ins westliche Ungarn eindrang, wobei er klugerweise Komárom umging. Der Krieg im Süden war weiterhin ethnisch geprägt und insgesamt ein schmutziges Geschäft.
Als die Russen schließlich im Osten angriffen, trafen sie auf wenig Widerstand, weil die Ungarn bereits in Kämpfe mit den Österreichern verwickelt waren. Nur langsam kam Paskewitsch in Siebenbürgen voran, wo die bloße Überzahl der Russen die Waage zugunsten der rumänischen und kaiserlichen Streitkräfte neigte. Anders als erwartet, verhielten sich die Russen zurückhaltend: Ungarische Gefangene wurden gut behandelt, und es gab wenig oder gar keine Plünderungen oder Gewalt gegen die einheimische Bevölkerung. Offensichtlich stimmten die russischen Invasoren und die Magyaren darin überein, dass die eigentlichen Verbrecher die »feigen und räuberischen Österreicher« waren.63 Während die Russen langsam durch das östliche Ungarn vordrangen und dabei mit Cholera zu kämpfen hatten, rückten im Westen die Österreicher energisch vorwärts und nahmen am 13. Juli Budapest ein. Görgey zog seine verbliebenen Truppen an die Drau zurück – die Männer waren erschöpft und viele von ihnen ohne Schuhe – doch selbst seine Entschlossenheit vermochte den endgültigen Zusammenbruch Ungarns nicht zu verhindern. Am 8. Juli flohen das ungarische Parlament und die Regierung einmal mehr aus Budapest und trafen – die Nationalversammlung zählte dieses Mal 200 Abgeordnete – weit im Süden, in Szegedin, zusammen; man ging davon aus, dass die ungarische Revolution hier ihren letzten großen Widerstand leisten würde. Szegedin – wie Debrezin eine Stadt mit matschigen Straßen und primitiven Häusern – war für eine Woche lang, zwischen dem 21. und dem 28. Juli, die Kulisse für das letzte Zusammentreten des ungarischen Revolutionsparlaments. Unterdessen handelte Görgey, der mit seinem Korps südwärts in Richtung Szegedin unterwegs war, mit den Russen die Bedingungen für seine eigene Kapitulation aus und versuchte dabei, als unwahrscheinliche Friedensdividende die zaristische Unterstützung der Aprilgesetze zu ergattern. Kossuth war außer sich vor Wut. Doch Paskewitsch akzeptierte nichts anderes als die bedingungslose Aufgabe. Regierung und Parlament flohen am 30. Juli aufs Neue, dieses Mal nach Arad. Am Tag zuvor war der radikale Dichter Sándor Petöfi, Adjutant unter General Bem, in Siebenbürgen von Kroaten im Kampf getötet worden. Sein Leichnam wurde nie gefunden. Haynaus Armee wiederum war inzwischen so weit in Ungarn vorgedrungen, dass sie Temeswar erreichte, wo am 9. August ein mörderischer Artilleriebeschuss die Soldaten der Honvéd-Einheiten in Angst und Schrecken versetzte. Auf der anschließenden Flucht wurden viele von ihnen unter den Hufen der österreichischen Kavallerie zermalmt.
Als Kossuth am 11. August von diesem letzten Desaster erfuhr, trat er zurück und übergab Görgey umstandslos die volle zivile und militärische Entscheidungsgewalt. Seinen typischen Oberlippen- und Backenbart und die löwenartigen Koteletten rasierte er sich ab, nahm zwei falsche Pässe und floh über Konstantinopel ins Exil. Szemere, der die Stephanskrone mitgehen ließ und an der Grenze zum Osmanischen Reich in Orschowa vergrub, folgte ihm. Ebenfalls am 11. August kamen ganze zwölf Mitglieder der Nationalversammlung in Arad zusammen und lösten das Parlament auf. Görgey indessen bereitete die Kapitulation seiner Truppen gegenüber Russland vor. Dies tat er auch, um seine Offiziere der Rache der Österreicher zu entziehen. Zwei Tage später wurde die Kapitulation nahe Arad in dem Dorf Világos vollzogen. Alles in allem hatten beide Seiten 50 000 Gefallene zu beklagen. Auf der österreichischrussischen Seite zählten die Österreicher die meisten Verwundeten. Dafür waren die Russen stärker von Krankheiten betroffen: Sie verloren 550 Männer auf dem Schlachtfeld, aber über 11 000 durch die Cholera.64
Vergeltung durch die Habsburger in Ungarn: Hinrichtung ungarischer Offiziere bei Arad am 6. Oktober 1849. (Bridgeman Art Library)
Die Russen (und auch Zar Nikolaus) bewunderten den Mut der Ungarn. Deshalb waren sie für volle Amnestie, doch die Wiener Regierung gewährte diese am 20. August nur den Mannschaften, den Jungoffizieren – die in die österreichische Armee eingezogen wurden – und Görgey. Alle Übrigen hatten sich in einem Schnellverfahren vor einem Militärgericht zu verantworten. Bis Ende 1850 wurden 4600 Ungarn verurteilt, rund 500 zum Tode, wobei etwa 120 der Urteile auch vollstreckt wurden. Etwa 1500 Menschen wurden zu Haftstrafen verurteilt – normalerweise bewegte sich das Strafmaß zwischen zehn und zwanzig Jahren –, viele von ihnen legte man in Ketten. Kossuth, Szemere und andere Exilanten wurden in Abwesenheit vor Gericht gestellt, für schuldig befunden und symbolisch »gehängt«, indem ihre Namen an die Galgen des Militärgefängnisses in Budapest genagelt wurden. Zu den unrühmlichsten Exekutionen gehörten die von vierzehn ungarischen Feldherren am frühen Morgen des 6. Oktober in Arad und die von Batthyány am selben Tag in Budapest. Unter denen, die in Arad erschossen oder erhängt wurden, befand sich Leiningen, der seiner geliebten Frau Lisa noch einen letzten Brief schrieb, bevor er vor den Henker trat. Als er beim Galgen ankam, scherzte er mit der Wache: »Sie hätten uns wenigstens zum Frühstück einladen können.« Die Urteile wurden einzeln vollstreckt, weshalb die gesamte Zeremonie quälende drei Stunden dauerte, drei Stunden bis die Körper leblos von den Galgen baumelten oder am Pfahl hinuntersackten.65 Batthyány hingegen war im August vor einen Olmützer Militärgerichtshof gebracht worden und sollte unter Schwarzenbergs persönlichem Kommando gehängt werden. Auf dem Transport nach Budapest schnitt er sich aber mit einem Dolch, den ihm seine Frau ins Gefängnis geschmuggelt hatte, die Kehle durch. Obwohl er überlebte, sorgte die Wunde dafür, dass er nicht durch den Strang getötet werden konnte, stattdessen richtete ihn am 6. Oktober bei Sonnenuntergang ein Erschießungskommando. Standesgemäß verweigerte auch er eine Augenbinde und bestand darauf, den Befehl zum Schießen selbst zu geben.66
Warum der »Unabhängigkeitskrieg« (als solcher wird er in Ungarn gesehen) scheiterte, ist strittig. Nach Meinung István Deáks lag der Schlüssel in den ethnischen Konflikten, insbesondere dem ungarischrumänischen in Siebenbürgen. Dieser sei, so argumentiert er, absolut vermeidbar gewesen: Hätten die Ungarn rechtzeitig Zugeständnisse gemacht, hätten sich die Rumänen ruhig verhalten, als sich die Regierung der Invasion Jelačićs im Süden und dem österreichischen Angriff im Westen gegenübersah. So aber schmetterten die Ungarn, wie Alan Sked meint, die kroatische Herausforderung ab und kontrollierten dort wie auch nach dem anfänglichen Schock in Siebenbürgen bald die Lage. Der russischen Intervention indessen weisen Sked und Deák keine besondere Bedeutung zu. Zu langsam bewegte sich Paskewitschs riesige Armee durch das östliche Ungarn, auch focht sie keine entscheidenden Schlachten. Hätte sich der Krieg länger hingezogen, wäre die zahlenmäßige russische Übermacht ins Gewicht gefallen; so aber wurden die Ungarn im Sommer 1849 mehrfach und entscheidend durch die Österreicher besiegt. Am Ende verloren die Ungarn, weil die Österreicher zahlenmäßig überlegen waren, dies galt insbesondere im profanen, aber lebenswichtigen Bereich der Logistik. Die Österreicher waren besser versorgt, besser ausgerüstet und besser gedrillt als die eilig zusammengestellten ungarischen Honvéd-Bataillone. Die improvisierte ungarische Rüstungsindustrie hatte zwar immer neue Feuerwaffen produziert, im Kampfgeschehen jedoch kam es bei jedem vierten Musketenschuss zu einer Fehlzündung. Auch führte der Waffenmangel dazu, dass Angriffe nicht sofort pariert werden konnten. Österreich dagegen besaß wichtige Fertigungskapazitäten – darunter auch bei den strategisch wichtigen Eisen- und Stahlwerken. Die Ungarn versuchten verzweifelt, ihre Munitionsknappheit wettzumachen (Görgey selbst war ja für diese Aufgabe eingesetzt worden), doch sie konnten die Lücken nie schließen. Da außerdem die größte ungarische Waffenfabrik in Budapest lag, einer Stadt, die 1848/49 zweimal von den Österreichern eingenommen wurde, war die Produktion unterbrochen, bis sie nach Nagyvárad verlagert wurde. Und schließlich kam noch hinzu, dass die Ungarn fast das ganze Jahr 1848 über ihr Waffen- und Munitionsdefizit nicht durch Importe ausgleichen konnten, da das Land von der übrigen Welt abgeschnitten war.67
Ohne die Bedeutung der militärischen Stärke Österreichs (und der relativen Schwäche Ungarns) herunterspielen zu wollen: Man kommt nicht umhin, dass das Zusammentreffen der Faktoren ethnischer Konflikt plus russische Intervention der maßgebliche Grund für die ungarische Niederlage war. Zwar stimmt, dass Jelačić relativ leicht aus dem Weg geräumt werden konnte und General Bem es schaffte, die Rumänen zurückzudrängen, aber allein schon die Standhaftigkeit der südslawischen und rumänischen Opposition gegen den magyarischen Nationalismus brachte es mit sich, dass die ungarischen Streitkräfte sich nicht völlig auf den westlichen Schauplatz konzentrieren konnten, um den österreichischen Gegenangriff, als es soweit war, zurückzuschlagen. Nach Lage der Dinge stand Görgey der 83 000 Mann starken österreichischen Streitmacht mit nur 63 000 Mann gegenüber, und das zu einer Zeit, in der die bewaffneten ungarischen Streitkräfte insgesamt 170 000 Mann zählten. Die Übrigen waren im Einsatz gegen Kroaten, Serben oder Rumänen gebunden, zudem bereiteten sie sich auf die Begegnung mit den Russen vor. Auch wenn der russische Schlag nicht, wie man vielleicht vermuten könnte, mit aller Macht erfolgte, hielt die potenzielle Gefahr eines solchen die Ungarn bis zum letzten Moment von einer Konzentration ihrer Truppen ab. Görgeys zahlenmäßige Unterlegenheit gegenüber den Österreichern mag nicht so groß gewesen sein. Doch unter anderen Umständen hätte ein Kommandant seines Schlages mit gleich vielen oder mehr Soldaten das Kriegsglück zugunsten Ungarns beeinflussen können.
Die Beharrlichkeit der ungarischen Revolution sollte Auswirkungen auf das ganze Habsburgerreich haben. Dadurch konnte die österreichischen Regierung perfekt begründen, warum sie das in der Verfassung vom März 1849 zugesagte Parlament nicht einberief. Mehr noch, sobald die Revolution in Ungarn und Italien ausgemerzt war, fühlte sich die Regierung stark genug, die versprochene Verfassung ganz zurückzuziehen. Franz Joseph bat am 19. Oktober 1850 Karl Freiherr von Kübeck, einen Konservativen, die Rolle des Reichsrats oder kaiserlichen Rats zu definieren, der dem Parlament vorstehen und vom Kaiser berufen werden sollte. Zusammen manövrierten der Kaiser und Kübeck dann den reformgesinnten Schwarzenberg aus. Von den verfassungsgemäßen Institutionen würde nur der Reichsrat umgesetzt werden. Mit anderen Worten: Der Kaiser hatte nicht die Absicht, die Macht mit einem gewählten Unterhaus zu teilen. Der Reichsrat trat erstmals im April 1851 zusammen und wurde im August mit der Untersuchung beauftragt, ob die Verfassung vom März 1849 sinnvoll sei. Es überrascht nicht, dass er zu einem negativen Urteil kam, und so wurde die Verfassung zum 31. Dezember 1851 durch das »Silvesterpatent«, das erneut den Absolutismus im Habsburgerreich verankerte, verworfen.
Damit war die Zentralisierung nun lückenloser als zuvor. Die ungarische Verfassung war zerstört, und mit dem Vormarsch russischer und österreichischer Truppen hatten proösterreichische Beamte die Regierungsgeschäfte in Ungarn übernommen. Österreichische Gesetze wurden eingeführt, und der Oberste Gerichtshof in Budapest wurde geschlossen, in Zukunft hatten alle Klagen in Wien eingereicht zu werden. Die ungarische Polizei, die Panduren, wurde durch österreichische Gendarmerie ersetzt. Von da an war das Kaiserreich nicht mehr als multinationaler, sondern als nicht nationaler Staat zu betrachten, in dem alle dem Kaiser gleichermaßen unterworfen waren. Konkret bedeutete das aber, dass der politische Vorteil jetzt aufseiten der Deutschen lag, da ihre Sprache Amtssprache war. In Ungarn trugen die deutschsprachigen Beamten, die aus dem Land stammten, eine eigene Uniform, die sich an der der berühmten ungarischen Kavallerie orientierte und ihnen – nach dem Minister, der diese Politik der Zwangsassimilation durchsetzte – den Spitznamen »Bachs Husaren« einbrachte. Auch die rumänischen Hoffnungen auf eine Belohnung ihrer Loyalität zerschlugen sich nun rapide: Mit der Vernichtung der ungarischen Revolution machten sich österreichische Beamte mit Rückendeckung der Armee über Siebenbürgen, die Bukowina und das Banat her.68 Selbst die treu ergebenen Serben und Kroaten wurden ob ihrer traditionellen Gegnerschaft zu den Ungarn nicht belohnt. Jelačić wurde 1853 aus seinem Amt als kroatischer Ban entlassen und war von da an österreichischer General. So klagte ein Kroate einem ungarischen Freund: »Wir erhielten als Belohnung, was Ihr als Bestrafung bekommen habt.« Er hatte Recht: Ungarn mochte bis 1854 unter Kriegsrecht stehen, aber Kroatien als Grenzland unterstand faktisch weiterhin der Kontrolle durch die kaiserliche Armee.69
IV
Ein halbes Jahrhundert nach den Revolutionen, kam Bolton King, der Mazzini noch gekannt hatte und große Sympathien für die italienische Sache hegte, zu dem vernichtenden Urteil, dass die französische Intervention in Rom »eine der niederträchtigsten Taten« gewesen sei, »die je Schande über eine große Nation gebracht hat«. Tatsächlich hatten Augenzeugen gesehen, dass so mancher von Oudinots Männern bei der Besetzung der Stadt beschämt gewesen war.70 Der Akt, der das Leben einer Schwesterrepublik vernichtet hatte, forderte denn auch einmal mehr die französischen Radikalen heraus. Die erhoben sich am 13. Juli 1849 in Paris. Seit Louis-Napoleons Sieg bei den Präsidentschaftswahlen im vorangegangenen Dezember hatten die démoc-socs an Stärke gewonnen. Viele Pariser Politiker glaubten noch immer, Bonaparte sei eine bloße Marionette von Monarchisten wie Thiers, die ihn benutzen, um die Errungenschaften vom Februar 1848 zu unterlaufen und die Republik von innen heraus zugrunde zu richten. Dieser Eindruck verstärkte sich, als Louis-Napoleon den Orléanisten Odilon Barrot mit der Kabinettsbildung beauftragte. Bei den übrigen Ministern handelte es sich um Monarchisten, die sich sogleich ans Werk machten, alle Behördenränge von jenen zu säubern, die seit der Februarrevolution berufen worden waren. Die gemäßigte republikanische Mehrheit war nicht minder besessen von »Ordnung« als die Regierung, doch es sollte sich bald herausstellen, dass das Kabinett nicht nur die Revolution bekämpfen wollte, sondern den Republikanismus gleich mit. Das führte zu einer Polarisierung der Nationalversammlung, bei der die gemäßigten Republikaner – die noch im Juni Carvaignac unterstützt hatten – plötzlich Rückendeckung von ihren ehemaligen linken Kritikern erhielten.71 Diese Allianz war natürlich nicht von Dauer, weil sie allein auf einer republikanischen Abwehr gegen die monarchistische und autoritäre Erneuerung basierte.
Die Nationalversammlung ließ ihre Muskeln spielen und wollte nicht eher auseinandergehen, bis sie über zehn »organische Gesetze« erwirkt habe. Darüber hinaus warf sie der Regierung einen Knüppel zwischen die Beine, als Barrot am Jahresende auf die traditionelle Finanzpolitik zurückgriff, um die fortdauernde Wirtschaftskrise zu bewältigen: Er führte die allgemein unbeliebten Steuern auf Salz und Wein wieder ein, die früher im Jahr abgeschafft worden waren. Als indirekte Abgaben trafen sie die Armen jedoch überproportional stark. Man konnte glauben, Bonaparte habe seine populistische Maske fallen lassen und sich als jemand gezeigt, der eher im Interesse der alten Eliten als der bäuerlichen Massen handelte. Karl Marx nannte die Sache (in einem Wortspiel) beim Namen »Mit der Salzsteuer verlor Bonaparte sein revolutionäres Salz.«72 Im Parlament änderten die Republikaner den Gesetzentwurf jedoch ab und kürzten die Salzsteuer auf ein Drittel ihres ursprünglichen Wertes. Am 26. Januar wiesen sie zudem einen Regierungsantrag zurück, nach dem alle politischen Vereinigungen verboten werden sollten. In diesem Zusammenhang gingen die Abgeordneten der Linken so weit, ein Amtsenthebungsverfahren gegen Léon Faucher anzustrengen, den Innenminister, der für diesen Vorschlag verantwortlich zeichnete. Obwohl die konservative Regierung Mühe hatte, in der nach wie vor republikanisch dominierten Versammlung Mehrheiten zu bekommen, bestand Bonaparte darauf, dass die Minister ihm Rechenschaft schuldig waren und nicht dem Parlament – ein erschreckender Anspruch für jemanden, der an die parlamentarische Regierungsform glaubte.73 Auch wurde deutlich, dass der Präsident und seine Minister die Absicht hatten, die Nationalversammlung sobald wie möglich aufzulösen, um Neuwahlen ausschreiben zu können.
Nach dieser Kampfansage der Konservativen regten sich die Pariser Radikalen wieder. Zwar mahnte Ledru-Rollin zur Ruhe, zugleich aber schrieb er in einem Artikel in der Réforme vom 28. Januar, dass die Verletzung der Grundrechte schon »immer die Stunde der Revolution eingeläutet hat«.74 Dieser kaum verhüllte Aufruf zur Erhebung macht nur allzu deutlich, wie weit die Regierung und die republikanische Bewegung inzwischen auseinandergedriftet waren. Allerdings hätte eine Erhebung, wie Karl Marx richtig sah, nur Barrot und Bonaparte in die Hände gespielt, da sie ihnen die Möglichkeit verschafft hätte, »unter dem Vorwand des salut public ›Staatswohls‹ […] die Konstitution im Interesse der Konstitution selbst zu verletzen«.75 Am Tag nach dem Erscheinen von Ledru-Rollins Artikel brachte die Regierung nun ihren Antrag auf vorzeitige Auflösung der Nationalversammlung ein. Unterstützt wurde das durch den Aufmarsch von Armeesoldaten unter General Changarnier, der die Versammlung unter dem Vorwand, sie gegen einen Volksaufstand zu verteidigen, vorsorglich umstellte. Ehrlicherweise muss dazu gesagt werden, dass eine mögliche Erhebung das Hirngespinst überhitzter Konservativer war: Tatsächlich hatte die radikale Linke es geschafft, den bewaffneten Arm der alten rebellischen Gesellschaft – »die Menschenrechte« – zu mobilisieren, während die sechste Legion der Nationalgarde den Abgeordneten einen alternativen Versammlungsort im Conservatoire des Arts et Métiers9* zur Verfügung stellte (was allein schon eine revolutionäre Geste war, bedeutete dies doch, dass die Nationalversammlung der Regierung und dem Militär zum Trotz weiterhin zusammentreten würde). Doch allein schon die Aussicht eines neuen Aufstands reichte aus, um die zerbrechliche Einheit zwischen Gemäßigten und Radikalen zu zerschlagen, und so stimmte das Parlament einer schnellen Auflösung zu. Die Wahlen sollten am 13. Mai stattfinden.
Auch die Wahlen fanden in einer Atmosphäre politischer Polarisierung und sozialer Unruhe statt, die seit den Junitagen 1848 herrschte. Der Mittelweg, auf dem die gemäßigten Republikaner steuerten, endete in einem »Schiffbruch«.76 Konservative Honoratioren nutzten ihre Finanzen und Einflussmöglichkeiten, um Kandidaten ihrer Wahl auf die Listen zu bringen. Auch wenn nur wenige ihre monarchistische Einstellung offen zeigten, stand fest, dass in diesen Kreisen das republikanische Experiment seit dem Februar 1848 nichts galt, und das kam in Wahlschriften, die auf eine breitere, bäuerliche Leserschaft zielten, auch zum Ausdruck. »Sozialismus bedeutet Hunger«, warnte eine Broschüre, die für die ländliche Wählergemeinde gedacht war. Vor allem die provisorische Regierung wurde verteufelt – und zwar besonders für die 45-Centimes-Steuer. Von Republikanern, die man mit Sozialreformen in Verbindung brachte, über demokratische Humanisten wie Ledru-Rollin, reformorientierte Sozialisten wie Blanc oder revolutionäre »kommunistische« Unruhestifter wie Raspail und Blanqui: Alle wurden wahllos zusammen als »Rote« in einen Topf geworfen. Unterstützung erhielten die Konservativen noch von Regierungsbeamten, die die Veröffentlichung und Vertreibung von linksgerichteter Literatur verhinderten und Wählern »den Rat« gaben, für Kandidaten zu stimmen, die die »gesellschaftszersetzenden Lehren« ablehnten. Manche gemäßigten Republikaner, die ebenfalls die Notwendigkeit der »Ordnung« sahen, verurteilten zugleich ein Zuviel an Regierungsmacht und Repressalien. Ihre Stimmen der Mäßigung wurden jedoch übertönt. Die Weg der Mitte war nicht gangbar.
Die Radikalen gingen davon aus, bei den Wahlen gut abzuschneiden. Sie hatten erkannt, dass sie nichts weiter als eine kleine Splittergruppe in der neuen Nationalversammlung sein würden, solange sie nicht die Stimmen der Bauern gewannen. »Dank des allgemeinen Wahlrechts«, schrieb der sozialistische Journalist Pierre Joigneaux (ein früherer Herausgeber der Réforme), »müssen wir, ob wir es wollen oder nicht, unsere Bevölkerung auf dem Land berücksichtigen. Dort befinden sich jetzt die großen Bataillone.«77 Das schrieb er im Januar 1850, es war aber eine Strategie, die die Radikalen bereits seit 1849 verfolgten: Die Wahlen vom April 1848 und ihre Folgen hatten gezeigt, dass es nicht reichte, sich auf die Unterstützung von Arbeitern und Handwerkern in den Städten zu verlassen. La Réforme gab zu: »Keiner hat seit der Ersten Republik einen Gedanken auf die ländlichen Bezirke verschwendet, ab jetzt werden wir das müssen.«78 Die anhaltende Wirtschaftskrise kam ihnen dabei zugute; sie wirkte sich einschneidend auf die Provinz aus, da die landwirtschaftlichen Regionen vom Verkauf ihrer Produkte auf dem Markt abhingen und unter dem Zusammenbruch der Preise für Wein, Seide, Getreide und Hanf litten. Wirtschaftliche Not reichte, für sich gesehen, mit großer Wahrscheinlichkeit nicht aus, um die Bauern zu radikalisieren und sie dazu zu bewegen, die démoc-socs (die in diesem Stadium einfach nur als »Sozialisten« firmierten) zu wählen. Die Provinz war früher auch schon von Armut und Hungersnot heimgesucht worden, doch das hatte die Bauern nicht zu Revolutionären gemacht. Historiker konnten sogar nachweisen, dass die angebliche Politisierung der Bauern in der Zweiten Republik falsch interpretiert worden war: Die Bauern, so argumentierte Eugen Weber, kümmerten sich vor allem um ihre eigenen wirtschaftlichen Belange, führten Dorffehden und folgten ansonsten den ländlichen Honoratioren, von denen so mancher sicher ein »Roter« war. Weber weist darauf hin, dass die vermeintliche Radikalisierung der Bauern ziemlich oberflächlich war und herkömmliche Loyalitäten, Konflikte und Anliegen nur in ein modernes politisches Gewand hüllte.79 Aber in gewisser Hinsicht tut das, wie Weber dann auch zeigt, nichts zur Sache: Das Wahlrecht für Männer versetzte die Bauern immerhin in die Lage, sich auf die Seite rivalisierender Politiker vor Ort zu schlagen. Das aber wurde in politischen Begriffen formuliert und brachte erstmalig die ländliche Gemeinschaft in das Bewusstsein der nationalen Politik.80
In diesem Zusammenhang spielten auch radikale Propagandisten eine Rolle, die das wirtschaftliche Elend der Bauern und deren Enttäuschung Präsident Bonaparte gegenüber auszuschlachten gedachten, und dies auf eine Weise, die gut zum ländlichen Leben passte. Bauernkalender vermischten Ratschläge zu Ackerbau, Klima und Arzneien mit politischen Beiträgen, die manchmal als Dialog zwischen einem informierten (sprich démoc-socs) Bauern und einem weniger aufgeklärten Kollegen daherkamen, bei dem Ersterer Letzteren von der Weisheit der radikalen republikanischen Ideen überzeugte. Die Abonnenten dieser Schriften waren von der Tendenz her belesene Dorfbewohner, die über Verbindungen zur äußeren Welt verfügten – Lehrer, Cafébesitzer, der Dorfbürgermeister, Postangestellte, Ärzte und Tierärzte –, sie alle fungierten als »Kulturvermittler«, die Ideen an ein breiteres Publikum weitergaben. Cafébesitzer beklagten sich besonders gern, denn ihre Geschäfte waren von der Weinsteuer betroffen, weshalb sie ihre Kunden mit gutem Grund gegen die Regierung aufbrachten.81 In der Wahlkampagne von 1849 beschworen die démoc-socs deshalb nicht nur eine wie auch immer geartete Utopie, sondern boten auch praktische Lösungen gegen die unmittelbare agrarwirtschaftliche Krise an. Sie versprachen eine Verringerung der Steuern und günstige Kredite, was beides dazu angetan war, verzweifelte Kleinbauern anzusprechen. In manchen Gegenden nutzten »rote« Kandidaten ihre Stellung, um den Bauern beim Widerstand gegen die 45-Centimes-Steuer zu helfen. In Paris wurde aus den Reihen der Arbeiter, Ladenbesitzer und Intellektuellen innerhalb der verbliebenen politischen Klubs ein demokratisch-sozialistisches Komitee gewählt, das ein breites Spektrum linker Meinungen repräsentierte. Dieses versuchte im April zum ersten Mal, das herauszubilden, was im Jahr zuvor noch gefehlt hatte: eine landesweite Wahlorganisation, die mit den Komitees auf dem Lande verbunden war und ihre Politik mit dem linken Flügel der Nationalversammlung absprach. Das Komitee verabschiedete eine Grundlage für alle Démoc-socs-Kandidaten aus Paris und Umland, worin die Verfassung verteidigt und erklärt wurde und »das Recht auf Arbeit das wichtigste aller Menschenrechte [sei]: Es ist das Recht auf Leben.«82 Vielleicht würde es die notorisch zerstrittene französische Linke nun schaffen, ihre Einheit bis zu den Wahlen zu bewahren, denn ein großer Teil der extremen Führungsmannschaft war seit dem vergangenen Sommer in Haft, weshalb von dieser Seite weniger Druck ausging.
Als gewählt wurde, eroberten die Konservativen insgesamt 500 von 700 Sitzen, die meisten davon Monarchisten, 200 ultraroyalistische Legitimisten. Die Mitte brach wie erwartet ein, nur 70 Sitze gingen an die gemäßigten Republikaner. Die Radikalen und die démoc-socs erreichten beeindruckende 180 Sitze. Angesichts der Schikanen, denen die Kandidaten des linken Flügels vonseiten der Behörden ausgesetzt waren, ist dieser Erfolg umso bemerkenswerter, zumal er nicht auf die traditionell militanten Bezirke von Paris und Lyon beschränkt war. (In letzterer Stadt sicherten sich die démoc-socs fast 70 Prozent der Stimmen.) Auch in bestimmten ländlichen Gebieten schnitten die Linken gut ab: Im Zentralmassiv, in den Tälern von Rhône und Saône sowie im Elsass eroberten sie mehr als 40 Prozent der Stimmen; im übrigen Südfrankreich und hoch oben im Norden konnten sie ebenfalls gute Ergebnisse erzielen. Auf diese Weise »offenbarte sich ein ›rotes Frankreich‹«.83 Die Ausbreitung der Démoc-socs-Propaganda erwies sich vor allem dort als wirkungsvoll, wo es einen hohen Prozentsatz kleiner Flurstücke gab, die Bauern besonders stark unter der Krise litten und der Einfluss der Großgrundbesitzer schwach war. Dies traf ganz besonders auf die Wein- und Olivenanbaugebiete des Südens zu, wo die Kleinbauern nicht auf Einzelhöfen, sondern in Dörfern lebten und miteinander in Kontakt standen, was ihnen sowohl Austausch als auch Kooperation erlaubte. In einem solchen gesellschaftlichen Umfeld existierte oftmals eine bürgerliche Schicht von »Kulturvermittlern«, die erpicht darauf waren, die ansässigen Honoratioren herauszufordern. Die démoc-socs entfalteten besondere Wirkung in Dörfern, die in Kontakt und Abhängigkeit zu Städten standen. In Südostfrankreich boten die Kleinstädte und bourgs (Landstädte mit Märkten) Versammlungs- und Handelsstätten für die Einwohner der abgelegenen Dörfer und Weiler. Diese Landstädte waren wichtige informelle Kanäle für die Verbreitung republikanischen Gedankenguts auf dem Lande. Mancherorts säte die Linke eine Saat aus, die über hundert Jahre lang politische Früchte trug.84 Die démoc-socs hofften, schon bald auf ihren Erfolg von 1849 aufbauen und nach dem Ende der dreijährigen Legislaturperiode und dem Ende von Bonapartes Amtszeit als Präsident, die nächsten Wahlen gewinnen zu können. Die Linke glaubte sogar, 1852 würde »ihr Jahr«.
In dem Maße wie die Ambitionen des linken Flügels wuchsen, nahmen die Ängste der Konservativen zu. »Der Schrecken«, schrieb Tocqueville, »war allgegenwärtig.« Die Monarchisten sahen ein, dass die Republik nicht ganz abzuschaffen war, dafür war der republikanische Impetus zu stark. Für Tocqueville bekamen die »monarchistischen Parteien das duldsame und bescheidene Verhalten wieder, das sie nach dem Februar [1848] gezeigt, aber in den letzten sechs Monaten völlig vergessen hatten«.85 Dies hielt sie allerdings nicht davon ab, nach Wegen Ausschau zu halten, die Radikalen ein für alle Mal zu besiegen. Schon am 16. Mai schrieb Charles Herzog von Morny, der Halbbruder Louis-Napoleons, einem Freund, dass »die Situation einzig und allein durch das Empire gerettet werden kann. Einige der führenden Politiker sehen das allmählich auch so«.86 Das aber bedeutete, der Konflikt zwischen Konservativen und republikanischen Linken konnte nur härter werden.
Der erste Zusammenstoß ereignete sich, als Oudinots Truppen im Juli die Römische Republik angriffen. Das war insofern illegal, als die Zweite Republik zuvor erklärt hatte, dass: »fremde Nationalitäten respektiert [werden], so wie sie möchten, dass ihre eigene Nationalität respektiert wird; sie wird keine Eroberungskriege führen oder ihre Streitkräfte gegen die Freiheit anderer Völker einsetzen«.87 Tocqueville, der erst kurz zuvor das Amt des Außenministers übernommen hatte, war geschockt angesichts der möglichen innenpolitischen Folgen eines so offensichtlichen Rechtsbruchs:
»Aber das erste, was ich bei meinem Eintritt in das Kabinett erfuhr, war die Nachricht, daß unsere Armee vor drei Tagen den Befehl erhalten hatte, Rom anzugreifen. Diese flagrante Auflehnung gegen die Forderung einer souveränen Versammlung, dieser Krieg gegen ein revolutionierendes Volk, der nur aus dem Grunde, weil es revolutionierte, begonnen wurde, und der dem Wortlaut der Verfassung widersprach, die die Achtung vor fremden Völkern vorschrieb, machten den inneren Konflikt, den man seit längerem befürchtete, unausweichlich und rückten ihn in bedrohliche Nähe. […] Alle Berichte der Präfekten und der Polizei, die wir erhielten, waren geeignet, uns aufs lebhafteste zu beunruhigen.«88
Tocqueville, der hier mit später Einsicht schrieb, war nicht ganz ehrlich, denn er fand, der Krieg gegen Rom sei für Frankreichs Ansehen entscheidend. Allerdings übertrieb er nicht, wenn er glaubte, die Intervention werde die Fronten für den nächsten politischen Schlagabtausch im Inland abstecken. Im Sommer 1849 lag Paris im Fieber, sowohl politisch wie im wörtlichen Sinn, denn der Ausbruch der Cholera setzte der Stadt schwer zu. Im Aprilprogramm des Démoc-socs-Komitees, das die römische Expedition im Sinn hatte: »Nationen gehen ebenso wie Menschen wechselseitige Verpflichtungen ein – der Einsatz französischer Truppen gegen die Freiheit eines anderen Volkes ist ein Verbrechen, ein Verstoß gegen die Verfassung«.89 Kurz nach den Maiwahlen schickte diese Gruppierung zur Warnung eine Delegation ins Parlament: Sollte die Regierung weiterhin mit Waffengewalt gegen Rom vorgehen, werde sie gestürzt. Obwohl die Befehle für Oudinot geheim waren, kam am 10. Juni die Nachricht vom ersten Angriff nach Paris. Die »Montagnards«10* explodierten bei der folgenden Sitzung. Ledru-Rollin, jetzt an der Spitze des linken Flügels, erhob sich in der Nationalversammlung und erklärte, dass er und seine Genossen den Krieg mit allen Mitteln, sogar mit Waffengewalt, bekämpfen würden. Er stellte einen Antrag auf Amtsenthebung des Präsidenten Bonaparte und des Kabinetts. Es ging hoch her,90 doch angesichts der Mehrheitsverhältnisse konnte die parlamentarische Linke kaum mehr tun, als ihre Rhetorik gegen die Regierung zum Einsatz zu bringen. Der Antrag auf Amtsenthebung wurde, wie zu erwarten, mühelos abgeschmettert.
Der Angriff auf Rom entwickelte sich zu einem Fall, durch den die Pariser Radikalen ihre Anhänger mobilisieren konnten. Vor der Parlamentsdebatte, am Morgen des 11. Juni, hatten die démoc-socs mit den Herausgebern der republikanischen Presse ihre Taktik besprochen. Sie kamen überein, eine Demonstration zu organisieren, obwohl sie nur allzu gut wussten, dass man dieser mit Gewalt begegnen würde. Nur Émile Girardin von La Presse war dagegen, da der Ausbruch der Cholera die Volksbewegung geschwächt habe. Geplant war ein friedlicher Protestzug zur Nationalversammlung, wo sich die Montagnards – angesichts der Inkompetenz von Regierung und Parlament – zum neuen »Nationalkonvent« ausrufen wollten. Am selben Morgen traten sie zu einer Fraktionssitzung zusammen, um das zu unterstützen, was im Grunde ein revolutionärer (wenn auch hoffentlich unblutiger) Staatsstreich sein sollte. Motiviert wurden sie dabei von der Vorstellung, dass sie die Demokratie in Frankreich und im Ausland verteidigen würden. Zugleich war es ein Griff nach der Macht, der, nicht durch Wahlen ermöglicht, von der Linken damit gerechtfertigt wurde, dass im Sinne der Aprilgesetze »die Republik Vorrang vor dem Recht der Mehrheit hat«.91
Am Morgen des 13. Juni erwachten die Pariser, um drei Bekanntmachungen zu lesen, an Straßenmauern geklebt und in der republikanischen Presse veröffentlicht. Darin erklärten die Radikaldemokraten, dass Nationalversammlung und Regierung aufgrund von Verfassungsverletzung und Parteiergreifung »aufseiten der Könige gegen das Volk« der Macht entsagt hätten. In der zweiten Proklamation, die vom Démoc-socs-Komitee veröffentlicht worden war, wurden Nationalgarde und Armee angehalten, den allgemeinen Protest zu unterstützen. Die dritte rief alle Leute zu einer »ruhigen Demonstration« auf, um die Verfassung zu verteidigen.
Noch am Morgen versammelten sich, angeführt von Étienne Arago, 25 000 Menschen, darunter 5000 Nationalgardisten, auf den Boulevards. Möglicherweise war auch Marx dabei, der von einem deutschen Mitexilanten aus seiner Wohnung in der Rue de Lille geholt worden war. Herzen war eindeutig mit von der Partie und hinterließ einen schriftlichen Augenzeugenbericht. Die Menge marschierte die Boulevards hinunter, sang die »Marseillaise« und skandierte »Vive la constitution! Vive la république!«. »Wer diesen Gesang aus tausend Kehlen, in jener nervösen Erregung und Unsicherheit, wie sie nötig jedem Kampf vorangeht, nicht gehört hat«, schrieb Herzen, »der hat die erschütternde Wirkung dieses revolutionären Psalmes noch nie an sich selbst erfahren.«92 Marx dagegen blieb unbeeindruckt, war skeptisch gegenüber der Führung der Montagnards, die er als »Kleinbürger« betrachtete. Er glaubte, dass »die Erinnerung an den Juni 1848 […] lebendiger als je die Reihen des Pariser Proletariats … durchwogte«, die Protestrufe klangen in seinen Ohren »mechanisch, eiskalt, mit bösem Gewissen ausgestoßen«.93 Als die Kolonne die Rue de la Paix erreichte, stellten sich ihr Infanterie und Kavallerie unter Changarnier entgegen. Die teilten die Demonstranten erfolgreich in zwei Züge auf und trieben sie nach Norden – weg von den Boulevards. Demonstranten entblößten die Brust vor den Bajonetten und forderten die Soldaten auf, ihre Brüder zu töten. Herzen fand sich »einem Pferdekopf, der mir ins Gesicht schaute, und einem Dragoner gegenüber […] der mich laut anschnauzte und mir drohte, mir eins mit der Fuchtel [seinem Säbel] zu versetzen, wenn ich nicht zur Seite gehe«. Er stieß mit Arago zusammen, der sich bei dem Versuch, der Kavallerie zu entfliehen, die Hüfte ausgerenkt hatte.94
Changarniers Eingreifen war schnell und entschlossen: Die Montagnards mussten, anders als geplant, auf die Ankunft der Demonstranten aus der Nationalversammlung warten, doch diese waren angehalten und zerstreut worden. Somit standen Ledru-Rollin und seine Kollegen alleine da, bis eine Einheit linker Nationalgardisten eintraf, um sie zu schützen. Sie bahnten sich den Weg zum Conservatoire des Arts et Métiers, wo sie um 14 Uhr 15 ankamen und hinter Barrikaden mit ihren Beratungen begannen. Der Ausschuss des linken Flügels, der sich anfangs auf 119 Mitglieder belief, rief die Leute zu den Waffen. Doch Paris explodierte nicht wie im Juni des vergangenen Jahres, und zwar nicht zuletzt deshalb, weil Changarnier schnell reagiert und die wichtigsten Kreuzungen und strategischen Punkte gesichert hatte. Zwar waren Demonstranten, die er hatte auseinandertreiben lassen, nach Hause geeilt, hatten ihre Waffen geholt und Barrikaden gebaut, doch diese hastig errichteten Verteidigungsanlagen – bisweilen ein Stapel Korbstühle, die man in einem Café erbeutet hatte – waren für die Regierungstruppen kein Hindernis. Als diese das Conservatoire einkesselten, riefen die Radikalen eine provisorische Regierung aus, doch ihr sinnloses Unterfangen wurde unterbrochen, als Changarniers Männer in den Hofraum vordrangen. Abgeordnete rannten hinaus, um die Soldaten zu begrüßen, die sie fälschlicherweise für Verstärkung hielten. Sie fanden sich im wahrsten Sinn des Wortes an die Wand gestellt. Schon sah es so aus, als würden sie standrechtlich erschossen, doch aus unbekannten Gründen zogen sich die Truppen plötzlich zurück und erlaubten bis auf sechs Deputierten allen, durch Hintertüren und Fenster ins Exil zu entkommen. Ledru-Rollin schaffte es bis London, doch zuerst (so sagt man) hatte er seinen korpulenten Körper durch eines der Fenster des Conservatoire zu zwängen. Herzen entkam der Gefangennahme, indem er seine Papiere nahm und Frankreich mit Ziel Genua verließ.
Der Aufstand war wohl vor allem deshalb gescheitert, weil sein ursprünglicher Plan – im Grunde ein Versuch, das Parlament unter drohender Gewaltanwendung zu stürzen – durch Changarniers entschiedenes Vorgehen zunichtegemacht wurde. Einen Plan B gab es nicht, weshalb in dem Moment, als sich die Montagnards im Conservatoire als Revolutionsregierung ausriefen, die Ordnungsmächte schon dabei waren, die Eskalation zu verhindern. Die Montagnards wiederum waren auf die Führung eines Aufstands in dieser Form nicht vorbereitet. In dieser Hinsicht war das Fehlen eines kampferprobten Blanqui und anderer führender revolutionärer Köpfe der radikalen Linken eine taktische Schwäche. Sie beraubte den Aufstand einer kämpferischen Führung, die Erfahrung im Barrikadenkampf hatte und vielleicht später Revolutionäre aus der Arbeiterklasse hervorgebracht hätte.95 Wie Tocqueville überspitzt formulierte: »Im Juni 1848 fehlten dem Heer die Führer, im Juni 1849 den Führern das Heer.«96 Herzen stimmte zu: Als die provisorische Regierung eingesetzt wurde, sah er Arbeiter ziellos durch die Straßen irren, »ungewiß, mit fragendem Blick […]«, sie gingen nach Hause, weil sie »niemand gefunden hatten, der ihnen einen Rat geben konnte«. Er traf einen Mann, der mit den Tränen kämpfte: »Alles verloren!«97 Der Pariser Aufstand fand in den Provinzen Widerhall – in den Departements Allier und Rhône, ein Hinweis auf den Erfolg der Démoc-socs-Agitation, vor allem aber in Lyon, wo Seidenweber Barrikaden aufbauten, die von der Artillerie in die Luft gejagt wurden. Bei den Kämpfen kamen auf beiden Seiten fünfundzwanzig Menschen ums Leben, im Anschluss wurden zwölfhundert Aufständische verhaftet. So mancher Soldat endete für die Teilnahme am Aufstand vor einem Erschießungskommando.98
Was nun folgte, war eine strenge Gesetzgebung, die es der Regierung ermöglichte, jede politische Vereinigung oder öffentliche Versammlung zu verbieten; ein Pressegesetz definierte neue Verstöße, zu denen etwa Beleidigung des Präsidenten und Aufhetzung von Soldaten zum Ungehorsam gehörten sowie die Anweisung, dass Straßenhändler, die politische Literatur vertrieben (colporteurs – ein traditionelles Medium, durch die das gedruckte Wort den Weg aufs Land fand) in Zukunft eine Genehmigung vom örtlichen Präfekten vorweisen mussten. Vierunddreißig Abgeordnete der radikalen Demokraten wurden später auf einem Gerichtstag in Versailles verurteilt. Auf diese Weise wurden mit einem Federstrich einige der erfahrensten und bekanntesten Wortführer der Linken aus dem Weg geschafft. Die bedeutenden Aufstände von Paris und Lyon waren im Wesentlichen städtische Phänomene gewesen; dank des Wahlrechts und der zwar beschädigten, aber doch vorhandenen Verfassung konnten sich die überlebenden Streiter der Linken nun immer noch der ländlichen Wählerschaft widmen.99
Am 10. März 1850 wurden Nachwahlen um die Sitze abgehalten, die nach dem 13. Juni durch die Vertreibung und Gefangennahme von Abgeordneten vakant geworden waren. Die démoc-socs konnten nur elf behalten, was vielleicht ein Hinweis darauf war, dass die Linke ihren Zenit überschritten hatte. Dennoch waren die Konservativen noch immer beunruhigt, weil sich drei dieser Sitze in Paris befanden, was nahelegte, dass trotz aller Schläge die Radikalen in der Hauptstadt immer noch stark waren. Die Rechte indessen machte ihre Stärke geltend, als sie am 15. März ein Unterrichtsgesetz durchbrachte. Angefertigt vom Erziehungsausschuss, in dem Thiers saß, und protegiert von dem Royalisten Comte de Falloux, reduzierte es den Lehrplan von Elementarschulen auf Religionserziehung und das Grundwissen in Lesen, Schreiben und Rechnen. Während die Rolle der katholischen Kirche im staatlichen Schulsystem ausgeweitet wurde, erlaubte das Gesetz zugleich die Gründung von Privatschulen, was vor allem auf die Gründung von katholischen Einrichtungen zielte. Vor Ort sollten Geistliche die Lehrer der staatlichen Schulen beaufsichtigen und dem Präfekten entsprechend Bericht erstatten. Dieses Gesetz war im Übrigen Ausdruck konservativer Ängste: Republikanische Lehrer wurden darin als notorische Verbreiter von umstürzlerischem Gedankengut betrachtet. Falloux selbst schrieb, das Gesetz sei ein notwendiges Gegengift der »gesellschaftlichen Gefährdung«, weil es die Rolle von Kirche und religiöser Unterweisung aufs Neue bekräftige.100 Ziel sollte es sein, wieder konservative Werte an die Jugend zu bringen, und die Regierung begann ihre Offensive damit, dass sie zwölfhundert Lehrer entließ, die sie als unzuverlässig einstufte. Allerdings brachte eine Nachwahl in Paris Eugène Sue, einen ausgesprochenen Gegner des Falloux-Gesetzes, zurück.
Diese klare Protestwahl zeigte, dass die Linke noch immer gefährlich war. Deshalb verabschiedete die Nationalversammlung am 31. Mai ein neues Wahlgesetz: Danach verloren all jene Männer das Wahlrecht, die vorbestraft waren, alle, die weniger als drei Jahre in einem Wahlbezirk lebten, und alle, die ihren Wohnsitz nicht per Steuerliste nachweisen konnten. Auch das zeigte einmal mehr die Angst der Konservativen vor sozialen Unruhen, dieses Mal jedoch vor einer entwurzelten, kriminellen Unterschicht, die ihrer Meinung nach für die politische Instabilität seit den Junitagen verantwortlich war. Ungefähr 2,8 Millionen Männer verloren auf diese Weise ihr Wahlrecht, was 30 Prozent der Wählerschaft ausmachte. Mancherorts lag die Zahl noch höher, etwa in Paris (mit 62 Prozent) oder im stark industrialisierten Departement Nord (51 Prozent). Dort fiel sie deswegen höher aus, weil die Arbeiter auf der Suche nach erschwinglichem Wohnraum oft umzogen. Viele Linke hielten dieses Gesetz für eine bewusste Provokation, einen Versuch der Rechten, die démoc-socs zum Aufstand für das Wahlrecht zu treiben, um sie hinterher umso leichter zerschlagen und für ungesetzlich erklären zu können. Sowohl die linken wie die gemäßigten Republikaner drängten ihre Anhänger zur Zurückhaltung. Die démoc-socs organisierten eine Petitionskampagne und sammelten 50 000 Unterschriften, die zum größten Teil von Bewohnern des ländlichen Raums stammten – ein weiteres Indiz für den Einzug der radikalen Republikaner in die französische Provinz. Trotzdem überrascht es kaum, dass die Republikaner an der Basis ihren alten Gewohnheiten folgend zurück in den Untergrund gingen. So wurde im August 1850 von der Polizei ein Netz von Geheimgesellschaften mit Zentrum Lyon ausgehoben, das sich über den Südosten Frankreichs erstreckte, ohne dass man allerdings Beweise für die Planung eines Aufstands finden konnte. Der Prozess gegen drei der Anführer im Frühjahr 1851 indessen erregte aufgrund seiner harten Urteile – Deportation auf die Marquesas – großes Aufsehen.
Der Optimismus der Radikalen, schließlich näherte sich »ihr Jahr« 1852 und damit das Ende der Amtszeit Louis-Napoleons, machte den Konservativen noch immer zu schaffen. Gemäß der Verfassung konnte er kein zweites Mal gewählt werden; zugleich aber war er einzige Kandidat des rechten Flügels, der den démoc-socs den Sieg bei den Präsidentschaftswahlen streitig zu machen imstande war. Als ein Freund Victor Hugo einen Albtraum erzählte, in dem durchgehende Pferde eine brennende Kutsche über einen Steilhang zogen, entgegnete der große Schriftsteller: »Du hast von 1852 geträumt.«101 In den Augen der Konservativen war Bonaparte der Einzige, der zwischen Ordnung und Chaos stand, aus diesem Grund unterstützten viele von ihnen seinen Kampf für eine Verfassungsänderung, die ihm eine zweite Amtszeit erlaubte. Tocqueville, der als intelligenter Konservativer Louis-Napoleon ebenso fürchtete wie die »Roten«, bemerkte spitz, dass Männer, die »sich darüber entrüsten, dass ›das Volk‹ gegen die Verfassung verstößt« (ein Verweis auf den 13. Juni), jetzt genau dasselbe machten.102
Inzwischen warb Bonaparte um breite Unterstützung und distanzierte sich vor allem von der reaktionären Politik der Rechten. Am 7. Dezember 1849 ließ er ein Telegramm durchsickern, dass er dem französischen Kommandeur in Rom geschickt hatte. Darin prangerte er das Unterdrückungsregime der Kardinäle an und klagte, dass die französische Außenpolitik eine restaurative Wende vollzogen habe. Als es daraufhin Odilon Barrot nicht schaffte, ihn vor der ablehnenden Mehrheit in der Nationalversammlung zu verteidigen, entließ dieser am 31. Oktober sein Kabinett. Bei der Rechtfertigung seines Vorgehens vor der Nationalversammlung präsentierte er sich als Mann, der über der Parteipolitik stand, den Willen des Volkes verkörperte und die Führungsstärke besaß, die das Land brauchte:
»Am 10. Dezember [1848] triumphierte ein ganzes System, denn der Name Napoleon stellt ein Programm für sich dar. Im Inneren steht es für Ordnung, Autorität, Religion und Wohlstand des Volkes; und im Ausland steht es für nationales Selbstwertgefühl. Diese Politik, die mit meiner Wahl einsetzte, werde ich, mithilfe der Nationalversammlung und des Volkes, zu ihrem endgültigen Triumph führen.«103
Die Konservativen mussten bald feststellen, dass Bonaparte nicht ihr williges Werkzeug war, sondern seinen eigenen Kopf hatte. So manchem, etwa Falloux, dämmerte allmählich die Gefahr des »Cäsarismus«. Tocqueville konstatierte, dass Louis-Napoleon sich zwar ständig mit den monarchistischen Mehrheitsführern im Parlament traf, »aber die Last ihres Einflusses nur mit großer Ungeduld ertrug. Der Anschein, von ihnen am Gängelband geführt zu werden, war eine Demütigung für ihn und er brannte insgeheim darauf, sich ihrer Bevormundung zu entziehen.«104 Die meisten Konservativen hatten jedoch noch immer mehr Angst vor den »Roten« als vor Louis-Napoleons autoritärem Populismus. Folglich gab es nur schwachen Widerstand seitens der Konservativen, als er eine neue Regierung berief und darauf bestand, dass die Minister ihm und nicht der Nationalversammlung verantwortlich waren. Ferner konnten sich die Konservativen nicht auf eine Alternative zu Bonaparte einigen, die Orléanisten wollten die Erben Louis-Philippes unterstützen, während die Legitimisten auf dem Bourbonen Comte de Chambord bestanden. Bonaparte indessen reiste wie bei einem Wahlkampf durch das Land und unternahm zwischen 1849 und 1851 nicht weniger als vierzehn Touren. Großzügig teilte er Massen von Wein und Wurst an die Soldaten aus, die er in ihren Kasernen besuchte. Gelegentlich war ein »Vive l’Empereur!« zu hören. Dann wieder sprach er mit Bauern auf dem Feld, hielt Reden auf Veranstaltungen, wobei er dem Publikum ungeniert erzählte, was es hören wollte. Den Republikanern bot er an, die Verfassung von 1848 zu unterstützen (eine indirekte Verurteilung des Wahlgesetzes vom Mai 1850), den Konservativen stellte er die Wiedereinführung der Monarchie in Aussicht. Seine präsidiale Gunst nutzte er, um Anhänger zu Präfekten, militärischen Befehlshabern und Staatsbeamten zu ernennen. In der Nationalversammlung zerfiel die Rechte nun in Legitimisten, Orléanisten und jene, die Bonaparte zu unterstützen gedachten, weil er ihrer Meinung nach die Ordnung am besten aufrechterhalten konnte.
Ermutigt durch eine Petition mit 1,5 Millionen Unterschriften, fingen Letztere im Frühjahr 1851 an, auf eine Verfassungsänderung zu drängen. Ende Juli wurde die Änderung durch eine Allianz aus Republikanern und Orléanisten, für die die Bonapartes gefährliche Mitbewerber bei der Anwartschaft auf den Thron darstellten, im Parlament zu Fall gebracht. Die Legitimisten unterstützten Bonaparte, weil sie so oder so die Verfassung revidieren wollten, doch ihr Rückhalt reichte nicht aus, um die für eine Änderung notwendigen drei Viertel aller Stimmen zu erhalten. Louis-Napoleon wandte sich daher von den legitimen Mitteln ab und dachte über einen Staatsstreich nach. Den Boden dazu bereitete er, indem er am 4. November in der Nationalversammlung einen Antrag zur Wiederherstellung des allgemeinen Wahlrechts einbrachte. Seine Vorlage wurde abgelehnt, was die demokratische Rechtmäßigkeit der Volksversammlung untergrub, Bonaparte aber als Helden der Volkssouveränität erscheinen ließ.
Der Tag, den man für den Staatsstreich aussuchte, war der 2. Dezember, Jahrestag des größten militärischen Erfolgs von Napoleon I. – der Schlacht bei Austerlitz. In jener Nacht verhaftete die Polizei führende Oppositionelle, darunter Orléanisten wie Thiers, Abgeordnete der démoc-socs, republikanische Offiziere (unter ihnen Cavaignac) und achtzig populäre Militante, gegen die als mögliche Anführer eines Aufstandes ermittelt wurde. Der Staatsstreich gelang ihm zum Teil deshalb, weil er nicht darauf abzielte, die Macht an sich zu reißen – die besaß er bereits, sondern um sie zu festigen. Deshalb hatte er auch dafür gesorgt, dass die Schlüsselministerien Polizei, Krieg und Inneres in loyalen, wenn nicht sogar skrupellosen Händen lagen. In der Nacht zuvor war schon die Staatsdruckerei sang- und klanglos übernommen worden. Hier wurde dann Bonapartes Verlautbarung gedruckt und von Polizeipatrouillen angeschlagen. In direkter Ansprache an das »Volk«, über den Kopf seiner angeblich korrupten und zerstrittenen Vertreter hinweg, warb er für die Diktatur. Die Nationalversammlung, erklärte Bonaparte, »greift die Macht an, die mir unmittelbar von dem Volke übertragen ist; sie ermuthigt alle schlechten Leidenschaften, und gefährdet die Ruhe Frankreichs. Ich habe sie aufgelöst und fordere das Volk auf, zwischen ihr und mir zu richten.«105 Um parlamentarischem Widerstand zuvorzukommen, wurde die Kammer von Soldaten besetzt. Dies konnte rund 220 Abgeordnete – zu ihnen zählten Tocqueville, Barrot, Falloux und Rémusat – nicht daran hindern, in der mairie des 10. Arrondissements (das grob mit dem heutigen 6. übereinstimmt) eine improvisierte Sitzung abzuhalten, in der sie den Staatsstreich verurteilten. Sie wurden durch Soldaten vertrieben und vorübergehend festgenommen. Einige republikanische Deputierte versuchten in den Handwerkervierteln Widerstand zu organisieren, und am 3. Dezember wurden ein paar Barrikaden errichtet, doch Bonapartes raffinierte Ankündigung, das allgemeine Wahlrecht wieder einzuführen, ließ selbst die republikanische Bewegung zögern. Bis zum 4. Dezember war die Pariser Gegenwehr neutralisiert.
In den Provinzen dagegen stellte sich dem Staatsstreich der »größte ländliche Aufstand des 19. Jahrhunderts« entgegen.106 Fast 70 000 Menschen aus mindestens 775 Gemeinden – darunter Frauen, die in den Dörfern Wache standen, wenn die Männer losmarschierten – griffen gegen die Regierung zu den Waffen. 27 000 von ihnen gerieten in bewaffnete Auseinandersetzungen mit Soldaten oder der Gendarmerie. Schwerpunkte waren die ländlichen Regionen des Südostens und der Mitte. Zumeist begann der Aufstand in den kleinen Marktstädten, doch die umliegenden Dörfer wurden schnell mit einbezogen. Im Vergleich dazu ging es in größeren Städten friedlicher zu. In über hundert Dörfern und Marktflecken vertrieben die Aufständischen die Beamten vor Ort und ersetzten sie durch ihre eigenen Kandidaten. Diese Machtübernahme ging oft mit Befehlen der démoc-socs einher, was vermuten lässt, dass diese ein radikales ländliches Netzwerk geschaffen hatten. Doch letztlich war das alles zu weit weg von den Zentren der Macht – allen voran Paris –, um eine wirkliche Bedrohung darzustellen. Die Aufständischen konnten allenfalls in den kleinen bourgs die Macht an sich reißen, wo es nur kleine Gendarmerie-Brigaden gab. Nur in den Basses-Alpes11* gelang es den Rebellen, den Hauptort (chef-lieu) eines Departements einzunehmen, doch sie hielten ihn nicht lange. Sobald die Obrigkeit die Streitkräfte antreten und auf die Rebellen ansetzen ließ, war alles vorbei.107
Rückblickend schien nun Bonapartes Staatsstreich gerechtfertigt, ließ in den Augen seiner Anhänger die démoc-socs als Feinde von Ordnung und Stabilität erscheinen. Charlemagne de Maupas, der Pariser Polizeipräfekt, verkündete: »Diebstahl, Plünderung, Mord, Vergewaltigung, Brandstiftung, es fehlt an nichts in diesem üblen Programm von 1852.«108 Die politische Repression war gründlich: Fast 27 000 Menschen wurden inhaftiert; 239 davon nach Französisch-Guyana verbannt – auf die Teufelsinsel, die Hölle auf Erden. Wegen der dort herrschenden Bedingungen und der schrecklichen Krankheiten wurde sie auch die »trockene Guillotine« genannt. Weitere 9500 wurden nach Algerien ausgewiesen, 3000 ins Gefängnis gesteckt und 5000 unter polizeiliche Aufsicht gestellt. Ganz Populist, milderte Bonaparte, dem nicht an Vergeltung gelegen war, Tausende von Urteilen ab. Obwohl er den Staatsstreich im Namen des allgemeinen Wahlrechts verübt hatte, brachte die unerwartete Gewalt das neue Regime mit den Schwefeldämpfen der Repression in Verbindung, was zur Folge hatte, dass sich viele Republikaner nie mit ihm arrangieren mochten.109 Doch andererseits war die Gewaltbereitschaft der »roten Gefahr« konkret geworden, und als Bonaparte am 20. Dezember in einem Plebiszit die Leute über sein Handeln urteilen ließ, standen die Konservativen hinter ihn. Comte Charles de Montalembert schrieb in der orléanistischen Zeitschrift Constitutionnel: »Gegen Louis-Napoleon zu stimmen heißt, sich der sozialistischen Revolution zu ergeben … Diktatur der Roten heißt, die Diktatur eines Fürsten zu ersetzen, der in den vergangenen drei Jahren unvergleichlich Gutes in Sachen Recht und Ordnung sowie für den Katholizismus getan hat.«110 Das Referendum billigte den Staatsstreich mit überwältigenden 7,5 Millionen zu 640 000 Stimmen, wobei es 1,5 Millionen Enthaltungen gab und das Kriegsrecht in zweiunddreißig Departements oppositionelle Äußerungen vereitelte.
Dennoch, die Zweite Republik hatte eine Schlappe erlitten: Louis-Napoleon musste nun offiziell mit »Seine Kaiserliche Hoheit« angesprochen werden. Im November 1852 wurde er mit dem Segen eines weiteren Plebiszits zum »Kaiser der Franzosen« erhoben und am ersten Jahrestag seines Staatsstreichs zu Napoleon III. gekrönt. Victor Hugo nannte ihn sarkastisch »Napoleon den Kleinen«, um ihn vom »großen« Napoleon zu unterscheiden. Ob einer solchen Frechheit musste er aus Paris fliehen und auf den Kanalinseln ins Exil gehen. Ein Ausdruck des Protests, klug und doch bitter: Die Revolutionen der Jahrhundertmitte waren endgültig vorbei.