Kapitel 2
Die nächsten Tage versuchte ich, mich mit meiner Arbeit abzulenken. Ich stand früh auf, trug Zeitungen aus und kellnerte bis spät in die Nacht im Joe’s , nur um dann völlig übermüdet ins Bett zu kippen. Zwischendrin kümmerte ich mich um den Hund und meine Schwester. Nicht gerade das, was man ein erfülltes Leben nannte, aber wenigstens schaffte ich es so, nicht ständig an James zu denken. Nebenbei versuchte ich, auch meine Idee, zurück nach Deutschland zu kehren, ausreifen zu lassen. Aber Dina und ich waren uns nicht schlüssig, was der richtige Weg war. Wir beide waren, was das Thema anging, im Zwiespalt und fanden noch keine Lösung, die uns zufriedenstellte.
So schaffte ich es, die Zeit totzuschlagen und bald war es schon über zwei Monate her, dass ich ihn nicht mehr gesehen hatte. Mein Herz war immer noch gebrochen, aber damit musste ich klarkommen, denn aus James und mir konnte nichts werden.
Nicht nach diesem Vorfall.
Es war schon acht Uhr abends und ich machte mich gerade für die Arbeit fertig, um ins Joe’s zu gehen. Mann, ich hatte diese ganzen schmierigen Männer echt nicht vermisst, aber was tat man nicht alles, um sein Überleben zu sichern? Unser Überleben. Ich schminkte mich auffällig und zog mir kurze Jeansshorts und ein T-Shirt mit tiefem Rundhalsausschnitt an, denn so bekam ich von den alten Schmierlappen mehr Trinkgeld. Meine Brüste fielen fast aus dem Shirt, wenn ich mich bückte. Ich kam mir zwar schlampig vor, doch es war der einfachste Weg, unser Budget ein wenig aufzustocken.
Zum Glück musste ich jetzt nur noch fünf Minuten mit meinem Auto fahren, um zur Arbeit zu gelangen, und nicht mehr den weiten Weg nach Phoenix. Wenigstens ein positiver Aspekt.
Mein widerlicher Chef hatte mich auch nur zurückgenommen, weil er meinen ›knackigen Arsch‹ vermisst hatte. Sowie ich an sein Grinsen dachte, als ich ihm nach dem Job gefragt hatte, lief es mir wieder kalt den Rücken herunter. Eine Gänsehaut bildete sich auf meinen Armen, aber bestimmt nicht durch Erregung. Ich hatte gewusst, dass er ein Perverser war, und darüber hinweggesehen. Doch was hätte ich ohne Joe gemacht? So schnell hätte ich niemals irgendwo anders einen Job bekommen.
Als ich in der gammligen Bar ankam und durch die Tür ins Innere trat, bekam ich einen Schock. Denn mit der Person, die am Tresen lehnte, hatte ich nicht gerechnet:
Es war Stella.
Ich freute mich einerseits, andererseits war mir ein wenig mulmig zumute, denn wir hatten uns auch schon über zwei Monate lang nicht mehr gesehen.
Den einzigen Kontakt, den wir hatten, waren ihre besorgten Nachrichten an mich und meine knappen Antworten.
Meine Füße waren wie am Boden angewachsen und ich konnte mich nicht von der Stelle bewegen.
Die Tür knallte hinter mir in die Angeln.
In dem Moment drehte sie sich zu mir um, sah mir in die Augen und kam auf mich zu.
Ich konnte ihre Miene nicht entziffern. Sie wirkte ausdruckslos, was sonst nie der Fall war. Stella sagte nichts, kein einziges Sterbenswörtchen, sondern schloss mich einfach fest in eine Umarmung.
Ich war überrumpelt. Es fühlte sich aber wahnsinnig vertraut, innig, hoffnungsvoll und freundschaftlich an. Ich drückte sie ebenfalls an mich. Zog ihren wohlbekannten Duft in meine Lunge und gestand mir das erste Mal ein, wie sehr sie mir gefehlt hatte.
»Ich habe dich so sehr vermisst! Ein Glück habe ich endlich herausgefunden, wie ich dich treffen kann. Du wärst mir bestimmt noch hundert Jahre aus dem Weg gegangen«, sagte Stella freundlich und voller Hoffnung. Sie lächelte mich an und ihre schönen, blauen Augen funkelten verzückt. Stella war zu gut für diese Welt. Zu gut für mich !
Mein schlechtes Gewissen meldete sich mit lautem Geläut und ich wich ihrem Blick aus.
»Damit könntest du Recht haben. Aber das hat wirklich nichts mit dir zu tun, das musst du mir glauben. Auch wenn es die letzte Zeit nicht so gewirkt hat – ich freue mich, dich zu sehen!«, flüsterte ich verlegen, aber ich meinte, was ich sagte. Es tat mir schrecklich leid, sie so behandelt zu haben.
»Ich weiß nicht, ob ich dir das abnehmen soll, aber ich lasse es mal so stehen.«
Nun sah ich ihr in die Augen und konnte Trauer darin lesen. Denn obwohl sie noch lächelte, erreichte es ihren Blick nicht mehr und ihre leicht zusammengezogenen Brauen warfen kleine Fältchen auf ihre sonst ebenmäßige Stirn.
Ich lächelte sie unsicher und zaghaft an.
»Ich muss erst noch meine Sachen wegbringen. Setz dich doch gerne schon mal zu mir an die Bar.«
Dann würde ich mir auch endlich Zeit dafür nehmen, mit ihr zu sprechen, denn jetzt konnte ich nicht mehr flüchten.
Schnell bediente ich ein paar alte Säcke, die genauso heruntergekommen waren wie diese Bar.
Das Weiß der Wände hatte seine besten Zeiten hinter sich. Durch den vielen Zigarettenqualm waren sie schmuddelig gelb. Manche Fenster hatten Risse, die Polster der Sitzmöglichkeiten waren abgenutzt, teilweise löchrig. Es stank und als ich hier wieder angefangen hatte zu arbeiten, war mir von dem Geruch oft übel geworden. Die Gäste, die zum großen Teil aus älteren Männern bestanden, waren alle vorerst versorgt. Daher suchte mein Blick nun wieder den von Stella. Und ich war froh, als ich endlich mit ihr reden konnte.
»Also, was führt dich jetzt her? Du wirst nicht ohne Grund gekommen sein«, begann ich ruhig und gefasst.
»Du hast recht, jedenfalls irgendwie.«
Sie zuckte mit den Schultern, bevor sie weitersprach.
»Ich habe dich natürlich wirklich vermisst, aber ich muss dringend mit dir über ein Thema sprechen, über das ich keinesfalls am Telefon reden kann.« Eigentlich wollte ich nicht hören, was sie zu sagen hatte, da ich mir bereits denken konnte, dass es etwas mit James zu tun hatte. Mein Herz zog sich bereits jetzt schmerzhaft zusammen.
»Na dann, schieß los. Ich weiß zwar nicht, ob es mir gefallen wird, aber da muss ich wohl durch.«
Ich sah ihr nicht in die Augen, konnte es einfach nicht. Unter dem Tresen knetete ich die ganze Zeit meine Hände. Das tat ich immer, wenn ich nervös war.
Sie dachte kurz darüber nach und nickte.
»Ich weiß, Kaycee. Aber ich muss es dir sagen. Ich kann es dir einfach nicht verschweigen.«
Nun sah ich sie an und wartete ab, was jetzt kommen würde. Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Innerlich war ich bis zum Bersten angespannt und konnte es kaum erwarten, obgleich ich am liebsten davor weglaufen würde.
Sie rang sichtlich mit sich und sagte endlich: »Weißt du, James ist nicht mehr derselbe. Keine Ahnung, wie ich das jetzt sagen soll, aber ich habe ihn noch nie so erlebt und dabei kennen wir uns schon sieben Jahre. Er redet kaum noch und dann ist da diese Bitch Charlie, die andauernd an ihm hängt!« Stella schnaubte verärgert.
Innerlich zog sich alles in mir zusammen. Mein Herz schmerzte und ich bekam kaum Luft. Eigentlich war ich ein ruhiger Mensch und doch kam auch bei mir ab und an eine impulsive Ader durch.
»Was willst du mir jetzt damit sagen? Dass es meine Schuld ist, dass er sich verändert hat? Er hat sie doch vor meinen Augen auf seinem Schreibtisch gevögelt!«, rief ich aus, zuckte sogleich zusammen und blickte mich um, ob mich jemand gehört hatte. Mir wurde wieder übel, als ich an diese Bilder dachte, die sich so sehr in meine Netzhaut gebrannt hatten.
Niemandem konnte ich vertrauen und niemanden durfte ich so nah an mich heranlassen. Ich war wütend und traurig, doch ich versuchte, es nicht nach außen hin zu zeigen.
Bei James war es sofort Liebe gewesen. Ich hatte vom ersten Augenblick an gemerkt, dass uns etwas verband und dass wir beide eine gebrochene Seele hatten. Er war auf einer Wellenlänge mit mir und das war bisher noch nie ein Mann gewesen. Doch nach dem Geschehen mit Charlie zweifelte ich vieles an. Hatte James mich auch nur benutzt? Oder hatte er wirklich Gefühle für mich gehabt? Ich wusste es nicht, und ich würde es auch niemals mehr erfahren, denn ich hatte ihn aus meinem Leben radiert. Egal, was Stella mir damit sagen wollte, ich konnte und wollte ihn nicht mehr sehen. Von ihm zu hören, war schon schlimm genug für mich und ich war mir auch sicher zu schade, wie ein Hund hinter ihm herzulaufen.
»Kay, du musst dir ansehen, wie er geworden ist! James steht am Abgrund. Das merke ich jeden Tag aufs Neue. Wenn ihn jemand retten kann, dann du.«
Wut vernebelte mein Hirn und ich sah rot. Ich sollte ihn retten?!
»Stella, hörst du dir eigentlich selbst zu? James hat mich betrogen , das ist wohl der schlimmste Verrat, den man begehen kann. Er hat mich zwar auch aus meinem Loch gerettet, aber ich kann ihn verdammt noch mal nicht wiedersehen. Ich schaffe es nicht, verstehst du?«
Ich war wie vor den Kopf gestoßen und konnte meine Gefühle kaum im Zaum halten. Es fühlte sich an, als ob ein ganzer Vulkan in mir wütete und nur darauf wartete, bis er seine Lava in alle Richtungen versprühen konnte.
Sie wollte gerade wieder zum Sprechen ansetzen, da fiel ich ihr ins Wort:
»Egal, was du sagst, es kann nichts an meiner Meinung ändern. Ich werde nichts tun. Vielleicht wäre es besser, wenn du jetzt gehen würdest.«
Ich blickte auf den Boden, damit Stella die Tränen in meinen Augen nicht erkennen konnte. Es tat so weh, wieder mit der ganzen Scheiße konfrontiert zu werden.
Stella blickte mich an und wirkte sehr geknickt. Ihre Lippen waren zu einer schmalen Linie gepresst, ihre Schultern hingen nach vorne und ihre Augen glänzten vor Traurigkeit. Irgendwie tat es mir leid, doch ich musste in diesem Moment an mich denken. Es war zu schwer, meine Wunden zu roh, also musste ich Stella abblocken.
Nachdem sie eine Weile geschwiegen hatte, rutschte sie vom Barhocker, machte kehrt und ging. Sie drehte sich noch einmal um und ich bemerkte, wie eine einzelne Träne ihre Wange hinablief. Die Schwermut schien sie zu übermannen und ich kämpfte mit mir selbst, weil ich es kaum mit ansehen konnte.
Ich sah ihr nach, bis die Tür hinter ihr ins Schloss gefallen war. Jetzt konnte ich wieder freier atmen, dennoch schmerzte es mich, sie so enttäuschen zu müssen. Ich hasste es, andere und vor allem Menschen, die ich mochte, zu verletzen.
Das Leben war halt ein Arschloch. Allerdings musste ich in dieser Situation auch einmal an mich denken. Selbst wenn das bedeutete, Stella wehzutun.