Kapitel 7
Heute war der erste Tag mit meinem neuen Job bei Familie Torres. Es waren vier Tage vergangen, seitdem Avery bei mir vor der Tür gestanden und mir dieses Angebot gemacht hatte. Ich fragte mich, ob es naiv war, diese Familie wieder so dicht an mich heranzulassen, aber was konnte Avery schon dafür, dass ihr Sohn mir das Herz gebrochen hatte? Und eins war mir klar geworden, seitdem Charlie bei mir vor der Tür gestanden hatte: Sie hatte James mit irgendetwas erpresst – nur mit was? Ich würde es noch rausfinden und wenn ich mir sicher war, dass James in irgendeiner Weise zu dieser Tat gezwungen worden war, dann könnte ich darüber nachdenken, uns noch eine Chance zu geben. Vielleicht konnte dann sogar alles wieder so werden wie davor. Denn ganz gleich, ob er mir das Herz herausgerissen und darauf herumgetrampelt hatte oder nicht, wir
hatten damals eine wundervolle Zeit zusammen.
Natürlich waren viele Sachen, die er trieb, nicht in Ordnung. Aber einige Hintergründe hatte ich bereits von Avery erfahren.
Es war zwölf Uhr mittags und bevor ich hierhergefahren war, hatte ich Dina noch einen Besuch im Krankenhaus abgestattet. Ihr ging es bisher nicht besser und die Ärzte kümmerten sich rund um die Uhr um sie. Wir wussten nicht, wie es weitergehen sollte, aber irgendwie würde es schon werden. Es musste! Noch war nichts verloren und Dina musste gegen den Krebs ankämpfen. Eine kalte Faust legte sich um meine Brust bei dem Gedanken an meine Schwester.
Ich parkte den BMW vor der Garage der Torres und stieg aus dem Wagen aus. Gerade als ich an der Tür klingeln wollte, öffnete sich diese.
James stand vor mir.
Er sah wunderschön aus und war anscheinend eben aufgestanden. Seine Haare fielen noch verwuschelt in die Stirn und er hatte einen Kissenabdruck auf der Wange. Seine geweiteten ozeanblauen Augen blickten zu mir herab und hatten einen verwunderten Ausdruck an sich. Bevor er was sagen konnte, schnitt ich ihm das Wort ab und meinte:
»Guten Morgen, ich möchte zu Avery. Sie erwartet mich schon.«
Ich hielt meine Gesichtszüge neutral und emotionslos, zeigte James keine einzige Regung.
Seine Brauen zogen sich nachdenklich zusammen.
Er ging aus der Tür, um mir Platz zu machen, sagte aber nichts. Er schien verwundert über mein plötzliches Auftauchen hier, auch wenn er es zu verbergen versuchte.
Eigentlich hatte ich gedacht, Avery hätte ihn längst über meinen Job bei ihr in Kenntnis gesetzt.
Ich pustete eine braune Haarsträhne aus meinem Gesicht und ging an ihm vorbei.
»Ich hatte mich schon gefreut, dass du zu mir kommst, aber wieso solltest du das tun?«, erwiderte James vorwurfsvoll und so leise, dass ich es kaum vernehmen konnte.
Schwungvoll drehte ich mich wieder um und sah ihm fest ins Gesicht. War das sein Ernst? Er machte mir
jetzt einen Vorwurf?
Zorn stieg in mir auf und blendete meine Sicht. Er tat so, als ob ich
den scheiß Fehler gemacht hätte!
»James … Du
hast dich von mir getrennt, du
hast mich belogen und du
hast vor meinen Augen eine andere gevögelt. Ich wüsste nicht, was dir jetzt das Recht gibt, so was zu denken?!« Er dachte nach der ganzen Sache echt, ich würde zu ihm kommen wie ein treudoofer Hund? So naiv war ich nicht.
Ich pustete die angehaltene Luft aus und wurde sofort wieder von einer überwältigenden Traurigkeit überrollt. Leicht hob ich das Kinn und blickte ihm entgegen. Wut kämpfte gegen die Trauer in meinem Inneren. Die Gefühle tosten wie ein Sturm in meinem Körper. Mein Herz raste wie wild und ich wollte ihm am liebsten eine für die Unverschämtheit verpassen. Die andere Seite von mir weinte, weil ich ihn nicht einfach in den Arm nehmen konnte.
Es fühlte sich an, als würden die Gefühle mich in zwei Teile reißen.
Das Bild, wie die Liebe meines Lebens eine andere gevögelt hatte, kämpfte sich schmerzhaft zurück in mein Gedächtnis. Ihr Stöhnen, seine Stöße und dieser Ausdruck seines Blickes. Ich würde es nie
vergessen. Es war für alle Ewigkeit nicht nur in meine Netzhaut, sondern auch in mein Herz gebrannt. Es war naiv gewesen, überhaupt in Erwägung zu ziehen, dass es mit uns irgendwann wieder was werden würde. Egal, womit Charlie ihn erpresst hatte – er war mir fremdgegangen und würde es wahrscheinlich wieder tun. Wer einmal untreu war, würde es immer wieder sein, sagte man, oder? Beim nächsten Mal vielleicht aus einem anderen Grund.
James schluckte sichtlich und erwiderte dann:
»Es tut mir leid, Kay. Ich werde dir sagen, warum ich das getan habe, wenn die Zeit gekommen ist. Bitte denke nicht, dass ich das wollte, okay? Ich würde dir nie so etwas antun. Ich liebe dich.«
Mein Herz flatterte verräterisch bei diesen drei Worten. Blöde Gefühle. Ständig wollten sie etwas anderes, als mein Verstand mir sagte. Ich wusste, dass er mir wieder wehtun würde, und trotzdem sehnte sich mein dummes Herz noch immer nach keinem anderen als ihm.
Ich verdrehte die Augen über mich und meine emotionale Naivität und antwortete ihm:
»Aber James, hör dir mal selbst zu. Du würdest mir das nicht antun?! Du hast
es mir bereits angetan! Und du weißt auch, dass so etwas nicht zu verzeihen ist!« Mit aller Macht versuchte ich, die Tränen zurückzuhalten, die sich bei diesen Worten brennend in meinen Augen sammeln wollten. Ich schaffte es nicht, und eine stahl sich den Weg meine Wange hinab.
Schmerz nagte an meinem Herzen. Wieder fühlte ich mich zerrissen und meinen Gefühlen ausgesetzt. Machtlos. Ich hatte nicht die geringste Kontrolle über das Ziehen in meinem Innersten.
James fing die Träne mit seinem Finger auf und wischte sie weg, als wäre nie etwas gewesen, als hätte er mir nicht gerade einen Vorwurf gemacht und mir indirekt die Schuld gegeben, dass ich nicht wegen ihm herkam.
Ich wagte es nicht, in seine Augen zu sehen, und wollte mich gerade abwenden, als er mich aufhielt und in seine starken Arme zog.
Er presste mich dicht an sich und legte sein Kinn auf meinen Kopf.
Seine Nähe fühlte sich richtig an und doch so falsch. Jetzt gesellte sich noch ein Tornado aus Schmetterlingen in meinem Bauch dazu und Funken sprühten in mir. Doch die Wut und Trauer waren nicht verschwunden, das Chaos nahm mir die Luft zum Atmen.
Wir standen einige Sekunden so da, ohne dass sich jemand von uns nur einen Millimeter bewegte. Ich spürte seine harte, muskulöse Brust, die siedend heiße Hitze, die von ihm ausging, roch seinen maskulinen Duft nach Sommerregen und Hölzern. Zog den Geruch tief in meine Lunge und schloss kurz meine Augen, ehe er sich von mir abwendete und mich einfach stehen ließ. Wieder einmal, ohne ein Wort zu sagen. James Torres ging seiner Wege, ohne sich noch mal zu mir umzudrehen. Typisch. Es erinnerte mich an früher. Immer wieder war es dasselbe Spiel zwischen uns und nichts hatte sich geändert.
Was würde ich nur dafür geben, ihn nie kennengelernt zu haben? Und doch hatte das Schicksal uns zusammengeführt.
Ich sah den Flur hinab, aber er war bereits im Inneren des Hauses verschwunden.
Ein Glück. Oder Pech? Ach, fuck! Keine Ahnung!
Ich atmete tief durch, brauchte einen Moment, um mich zu
sammeln, und wischte die letzten nassen Spuren aus meinem Gesicht. Er machte mich verrückt! Alles in mir sehnte sich nach ihm. Meine Haut prickelte noch von diesem kurzen Kontakt, doch mein Verstand schrie nun lauter denn je: Lauf!