Kapitel 12
Ich war die ganze Zeit schon unruhig. Irgendetwas hing in der Luft und bescherte mir kein gutes Gefühl. Es war ein Kribbeln im Nacken und ein Grummeln in der Magengrube. Und nein, es war ganz sicher nicht der Kampf mit Jason, den ich nachher um Mitternacht austragen würde. Denn ich war mir ziemlich siegessicher, so wie die letzten Male auch.
Nein, es war etwas anderes. Ich konnte nicht beschreiben, was, aber es war verdammt real. Alles, was ich gerade im Kopf hatte, war Kaycee. Also tat ich das Einzige, was mir in dieser Situation in den Sinn kam und griff nach meinem Handy, um meine Mum anzurufen. Sie hob ab und ich redete sofort los, ohne auf eine Einleitung des Gespräches von ihr zu warten.
»Mum, ist Kay noch bei dir? Ich habe ein komisches Gefühl, dass
etwas passiert ist. Sag mir, dass sie bei dir ist!«
Obwohl ich keinen erkennbaren Grund dafür hatte, war ich aufgewühlt. Natürlich wusste ich nicht mit Sicherheit, dass Kay wirklich etwas passiert war. Aber diese Vorahnung, die mich beschlichen hatte, ließ mich nicht los.
»Nein, sie ist schon vor 30 Minuten losgefahren. Ist etwas passiert?«, fragte Avery besorgt und alarmiert.
»Ich weiß es nicht! Aber ich habe irgendwie kein gutes Gefühl. Wahrscheinlich spinne ich nur. Mach dir keine Sorgen, Mum. Ich melde mich nachher bei dir.« Damit legte ich auf und suchte in meinem Telefon nach Kaycees Nummer. Das Freizeichen erklang und ich wartete ab, ob sie abheben würde. Allerdings war ich mir nach allem, was passiert war – was ich ihr angetan hatte – nicht mal sicher, ob sie rangehen würde, wenn sie auch nur geborgen zuhause auf dem Sofa saß.
Noch nie hatte ich aus dem Nichts ein derart schlechtes Gefühl wie jetzt gehabt. Daher konnte ich trotzdem nicht einfach lockerlassen.
Also wählte ich noch mal ihre Nummer, als sich die Mailbox eingeschaltet hatte.
Endlich hob sie ab, aber als ich ihre vor Panik zitternde Stimme hörte, sackte mein Blutdruck augenblicklich in den Keller und mir wurde eiskalt.
»James! O Gott! Es ist ein vermummter Mann im Auto hinter mir! Er versucht, mich von der Straße abzubringen! Ich kann den Wagen kaum noch kontrollieren ...«, rief sie außer Atem in die Freisprechanlage.
»Wo befindest du dich jetzt?!«
»Auf dem Interstate Highway Richtung Phoenix! Kurz vor der Abfahrt 149!«
»Fahr von dem Highway ab und bleib am Telefon! Ich komme sofort zu dir! Halte nicht an, konzentriere dich aufs Fahren! Das Wichtigste ist, dass du dich nicht aus der Ruhe bringen lässt!«, sagte ich zu ihr, als ich schon aufgesprungen war und meine Autoschlüssel in der Hand hatte. Ich lief zu dem Parkplatz, auf dem mein Mercedes stand, und entriegelte das Auto im Laufen. »Wo bist du jetzt?«
Sie nannte mir eine Straße, die sich keine 500 Meter von dem Club befand. Ich startete den Motor und trat das Gaspedal bis zum Anschlag durch, um so schnell wie möglich zu ihr zu kommen. Die Reifen drehten durch, quietschten und schlitternd fuhr ich auf die Straße. Ich missachtete alle Verkehrsregeln und hörte, wie hinter mir mehre Autos hupten und bremsten, um nicht ineinander zu krachen.
Als ich kurze Zeit später dort angelangt war, wo Kay hätte sein müssen, blickte ich mich suchend um und wurde etwas langsamer. In diesem Moment kamen zwei Autos die Straße entlanggerast. Ich hielt die Luft an, weil ich wusste, dass sie es sein mussten.
Kaycee und der Verfolger.
»Fahr hinter mir an die rechte Seite, Kay. Und bleib im Auto!«, rief ich ins Telefon.
Meinen Wagen hatte ich schon in den Parkmodus geschaltet, als ich ins Handschuhfach griff und meine Smith & Wesson
herausholte. Ich öffnete die Tür in dem Moment, als Kay vor mein Auto fuhr und mit quietschenden Reifen hielt.
Der komplett vermummte Typ wurde langsamer und sah nun mich
an. Ich hielt die Knarre auf ihn gerichtet und wartete seine Reaktion ab.
Erkenntnis blitzte in seinem Gesicht auf, als wüsste er jetzt genau, mit wem er es zu tun hatte.
Ich sah die Hilflosigkeit in seinem Blick und wie er überlegte, was er jetzt tun konnte. Dann trat ein anderer, amüsierter Ausdruck in sein fast völlig verdecktes Gesicht und die Lachfalten zogen sich bis zu seinen Augen hoch.
Er hatte seine Entscheidung getroffen und genau in diesem Moment würde er sie in die Tat umsetzen. Er lenkte den Jeep in unsere Richtung und gab plötzlich wieder Gas. In wenigen Sekunden würde er mit halsbrecherischer Geschwindigkeit in den Wagen krachen, in dem die Liebe meines Lebens saß. Selbst, wenn es seinen eigenen Tod bedeutete.
Ich überlegte nicht lang, zielte auf den Typen im Auto und entriegelte die Waffe.
Dann drückte ich ab.
Die Kugel flog wie in Zeitlupe durch die Scheibe des schwarzen Wagens und traf den Fahrer in den Kopf. Blut spritzte gegen das Glas der Frontscheibe. Er sackte zusammen, mit dem Kopf gegen das Lenkrad. Der Wagen, jetzt ohne Kontrolle des Fahrers, schlitterte, rollte jedoch noch weiter, sodass er Kaycees Auto streifte, statt mit Höchsttempo dagegen zu fahren. Das Metall kreischte laut, als es übereinander glitt, und ich hörte das Krachen und Klirren von Kays Seitenspiegel, der abgefahren wurde. Der Jeep rollte einige Meter später aus und blieb stehen. Ich wusste, dass der Typ tot war, aber ich nahm sicherheitshalber meine Waffe mit. Ganz sicher konnte man
sich nie sein.
Am Jeep angekommen öffnete ich die Tür und griff an die Maske des Mannes, riss sie von seinem blutverschmierten Gesicht. Ich hatte ihn noch nie gesehen, doch an seinem Hals erkannte ich ein markantes Mal. Ein Skorpions-Tattoo. Das Gleiche, was Jason auch trug, seitdem wir Rivalen waren. Dieser Mann war einer von seinen Leuten. Er hatte ihn geschickt, um Kay auszuschalten. Dieser Bastard!
Heiße Wut brodelte in mir herauf. Zu gerne würde ich ein weiteres Mal auf diesen Drecksack im Wagen ballern, obwohl ich wusste, dass er nur ein einfacher Lakai war und lediglich auf die Befehle seines Bosses hörte. Sich sogar loyal für ihn in den Tod gestürzt hatte. Was musste Jason ihm erzählt haben, damit er zu so etwas bereit war? Was musste im Leben dieses Mannes schiefgegangen sein?!
Ich zog mein Handy aus der Tasche und wählte Wests Nummer. Er hob ab, ohne etwas zu sagen. Lediglich an dem Enden des Freizeichens, dem kurzen Rascheln und dem leisen Rauschen der Leitung hörte ich, dass er rangegangen war. West war fast wie ein Stummer, der nur redete, wenn es nötig war.
»Es gibt hier ein Problem, komm her und entsorg
es.« Ich gab ihm noch die Adresse.
Von ihm kam nur:
»Fünf Minuten, Boss.« Damit legte er auf.
Ein Glück befanden wir uns in einer Nebenstraße. Dennoch ertönten nun schon Polizeisirenen. Genervt verdrehte ich die Augen und wartete, bis die Bullen hier ankamen. Ständig drehte ich mich währenddessen zu Kays Wagen und sah nach ihr, ob es ihr gut ging.
Ich machte mir Sorgen, ob sie das alles verdauen konnte, schließlich hatte sie gerade genug Probleme. Zumindest auf die Entfernung sah es so aus, als wäre sie unverletzt und würde nur entsetzt und fassungslos geradeaus starren.
Die Cops ließen nicht lange auf sich warten. Schon bald schoss der schwarz-weiße Streifenwagen mit Blaulicht um die Kurve. Der Wagen kam neben mir zum Stehen und die beiden Beamten stiegen aus. Als sie mich sahen, hielten sie geschockt inne.
»Mr. Torres, guten Abend. Ein paar Anwohner haben uns angerufen. Gibt es ein Problem?«
Ich lächelte und deutete auf den Jeep.
»Das Problem habe ich beseitigt, danke der Nachfrage.«
Die beiden Cops schauten zu dem Wagen und nickten. »Denken Sie daran, aufzuräumen. Schönen Abend, Mr Torres.«
Damit verließen sie mich einfach wieder und fuhren zum nächsten Einsatz. Ich schüttelte den Kopf und dachte daran, welch positive Vorteile meine Stellung mit sich brachte. Ich kannte die ganzen Polizisten in Phoenix, dank meinem alten Herrn. Sie hatten schon seit jeher Respekt vor uns gehabt und würden nicht mal auf die Idee kommen, sich uns in den Weg zu stellen. Jedenfalls nicht die kleinen »Straßencops«. Genau der Grund, wieso mein Vater solch eine Freiheit bei seinen Geschäften hatte. Doch die Bullen waren ebenfalls gerissen und forderten jeden Monat tausende Dollar für ihr Wegsehen. Nun gut – es würde alles ohnehin bald ein Ende haben und bis dahin zahlte ich diesen Preis gerne. Sie kannten meinen Plan nicht, aber wenn sie es täten, hätten sie sicher nichts dagegen.
Als West eintraf und seinen Audi neben mir parkte, begrüßte er
mich kurz, ehe er sich ans Aufräumen machte.
Manchmal war dieses
Leben gar nicht so übel.