Kapitel 14
Der Kampf wurde freigegeben und Jason stürmte unüberlegt auf mich zu. Er versuchte sofort, auf mich einzuschlagen.
Ich blockte alle seine Hiebe ab, wusste genau, was er als Nächstes vorhatte, kannte seine Bewegungen und seine Taktiken, denn wir hatten einst denselben Trainer: meinen Vater. Aber mich hatte er deutlich öfter und härter trainiert als J. Ich bemerkte, wie er schon nach kurzer Zeit schwächer und langsamer wurde.
Das Tempo, welches er gleich zu Anfang an den Tag gelegt hatte, verausgabte ihn zu sehr. Er wollte zu viel. Die verdammten Drogen setzten ihm mehr zu, als ich gedacht hatte. Das, von dem ich glaubte, dass es mir zum Verhängnis würde, wurde nun zu seinem eigenen. Er hatte hundertprozentig eine Überdosis. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis er an den Folgen zugrunde gehen würde.
Aber was sollte ich jetzt tun? Ich konnte ihn nicht einfach umbringen. Und genau das würde ich, wenn ich ihn jetzt knock-out setzte. Er brauchte einen verdammten Arzt, keinen Fight. Fuck. Wieso scherte ich mich überhaupt darum? Wenn er jetzt hier verrecken würde, wäre ich diese Sorge los und einmal mehr hätte ich bewiesen, dass man sich verdammt nochmal nicht mit James Torres anlegt. Aber ich wollte es nicht. Ich wollte nicht so sein. Kein Mörder mehr sein. Und egal, ob es jetzt anders war, er war einst mein bester Freund gewesen. Ich wäre keinen Schlag besser als er, würde ich ihn jetzt töten.
Ich versuchte, ihn noch ein wenig hinzuhalten, tanzte mit Jason, wie ich es sonst nie machen würde. Normal war meine Taktik der Angriff. Offensive. Knock-out.
Wir drehten uns immer wieder um unsere eigene Achse und schätzten den anderen ab. Noch keiner hatte einen gezielten Schlag gesetzt und der Kampf ging schon einige Minuten.
Die Menschen um uns herum wurden unruhig, denn sie kannten diese Kampfweise von uns beiden nicht. Sie feuerten uns noch mehr an. Die Menge grölte, tobte ohrenbetäubend laut.
Weil sie endlich Blut sehen wollten.
Für einen Moment erlaubte ich es mir, meinen Blick von meinem Gegner abzuwenden, um sicherzugehen, dass bei Kay alles in Ordnung war.
In diesem Moment sah J eine Chance, duckte sich blitzschnell unter meiner Deckung hinweg und schlug mit all seiner Kraft auf mein Kinn.
Mein Knochen knackte und die Menge verstummte plötzlich. Es
war so ruhig, dass man den Fall einer Stecknadel gehört hätte. Nur die Atemzüge der Menschen waren leise zu vernehmen.
Das konnte ich mir von J nicht bieten lassen, immerhin hielt ich mich für sein verficktes Leben zurück! Aber dieser Bastard hatte keine Ahnung, dass ich gerade Gnade vor Recht walten ließ. Also setzte ich ebenfalls zum Schlag an, täuschte ihn mit einer Finte, die er durch seinen von Drogen benebelten Verstand nicht durchschauen konnte, und traf ihn so hart, dass er einige Meter nach hinten stolperte. In der gleichen Sekunde hatte ich meine Entscheidung getroffen, denn ich musste es beenden. Ich konnte nicht riskieren, dass Kay etwas passierte. Es ging nicht nur um mich. Es ging auch um sie. Und für meine Königin
würde ich mir meine Hände einmal mehr blutig machen. Also sprang ich hinterher und trat Jason die Füße weg, bevor er sich von meinem Schlag erholen konnte. Jetzt lag er auf dem Boden und kam kaum noch hoch. Die Drogen hielten ihn aber soweit wach, dass er noch einmal die Kraft aufbringen konnte, aufzustehen. Ich ließ ihn nicht so weit kommen und schlug ihm mit meinem Ellenbogen ins Gesicht.
Blut spritzte meterweit und die Menschen um uns sprangen angeekelt zur Seite. Ein Raunen ging durch die Menge.
J holte aus. Keine Ahnung, wie er das in seinem Zustand noch schaffte. Vielleicht waren es die Drogen oder der eiserne Wille, mich zu verletzen. Seine Faust traf mein Auge, aber das war mir egal. Ich spürte in diesem Moment keinen Schmerz, nur den Kampfgeist, zu gewinnen. Auch wenn ich wusste, dass mein Kiefer ordentlich was abbekommen hatte und mein Auge blutete.
In seinem wahnsinnigen Blick war das Feuer noch nicht erloschen,
also setzte ich ein weiteres Mal an und traf ihn am Kopf, sodass sein Schädel hart nach unten auf den Beton knallte. Abermals verteilte sich die rote Flüssigkeit. Sie trat aus seinem Mund und seiner Nase und versickerte durch Ritzen im Boden.
Seine Augen schlossen sich für einige Sekunden, aber er öffnete sie wieder und sah mir direkt in meine. Sein Blick war leer, leblos und ich sah, wie jeglicher Glanz aus ihm wich. In der gleichen Zeit wurde ich zum Gewinner erklärt, denn J war nicht mehr imstande, aufzustehen.
Nie mehr.
Jason Lee würde diesen Bahnhof nicht mehr verlassen. Einerseits war diese Erkenntnis beruhigend, andererseits niederschmetternd. Denn damals hatte er noch eine andere Seite in sich gehabt. Eine Seite, die ich gemocht hatte. Außerdem war ich nun entgegen meinem Vorhaben zu seinem Mörder geworden.
»James …«, röchelte er.
Offenbar war da doch noch ein Hauch Leben in ihm.
Ich lehnte ich mich zu ihm, um ihn besser zu verstehen. Seine Stimme war schwach und rau.
»Ich habe übrigens deine Bastard-Schwester gefickt, auch wenn sie es nicht wollte, und weißt du was? Es war verdammt geil.«
»Was für eine Schwester? Was redest du da für einen kranken Scheiß?« Ich zog die Augenbrauen zusammen und starrte in sein blutiges Gesicht, auf dem sich ein schadenfrohes, bösartiges Lächeln bildete. Ich hatte keine Ahnung, was er mir sagen wollte, doch ich spürte, wie sich ein Orkan in meiner Brust zusammenbraute. Wie der Zorn wie ein Sturm unter der Oberfläche anschwoll und nur darauf
wartete, über alle hinwegzufegen.
»Ach, du bist so dumm … Die liebe Stella, mit der du dich ja so gut verstehst …«, spuckte er mir entgegen, »sie ist das Bastardkind von deinem Vater, aber das wusstest du blinder Idiot anscheinend nicht. Frag sie mal, von wem ihr
Kind ist. Und es war so gut, James, vielleicht solltest du sie auch mal probieren.« Die Wut in mir explodierte. Wie ein Waldbrand rollte sie durch mich hindurch und zerstörte auch meine letzten Hemmungen. Meine Faust ballte sich. Die Muskeln in meinem Arm, in meiner Brust, in meinem ganzen Körper spannten sich zum Bersten an. Kochend heiß schwappte der Zorn in meine Finger. Mit aller angestauter Gewalt versetzte ich ihm den finalen Schlag in seine verdammte Fresse. Gab ihm seinen Fahrschein in die Hölle. Ein für alle Mal.
Und ich hatte noch ein schlechtes Gewissen gehabt? Ich war so ein Idiot.
Es war vorbei.
Mit seinen letzten Worten hatte er mir gezeigt, dass das Band, was uns einst verbunden hatte, nicht mehr existierte. Dass nichts mehr von dem Jungen übrig geblieben war, mit dem ich in meiner Kindheit gerauft hatte und über Wiesen gestolpert war. Zurück geblieben war nur das Monster, welches ich nun für immer aus dieser Welt befördert hatte. Dennoch schmerzte es irgendwo tief in meiner Brust. Aber es war nicht der Tod dieser Bestie, der mich traf – sondern die Gewissheit darüber, dass mein Freund schon lange nicht mehr existiert hatte.