Der Familie der Reisevertreter schlossen sich manchmal eine Art Verwandte zweiten Grades an: Leute, die es auf eine kostenlose Mitfahrgelegenheit abgesehen hatten.
Diese Leute ließen sich wiederum zwei verschiedenen Gruppen zuordnen: der der Idealisten, die sich vom Glauben an Zusammenarbeit und Solidarität leiten ließen, und der der Knauser, die bereit waren, während der gesamten Fahrt unaufhörlich zu reden, solange sie sich dadurch die Kosten sparen konnten, die ihnen durch eine Bus- oder Zugfahrkarte entstanden wären.
Welcher der beiden Gruppen E. angehörte, konnte ich bis zuletzt nicht entscheiden, also wies ich ihm einen Platz irgendwo dazwischen zu.
E. arbeitete als Filmvorführer im Universitätskino.
Er führte die Filme aber nicht nur vor, sondern beschaffte sie auch und war außerdem zuständig dafür, den Kinosaal auf- und wieder zuzuschließen. Seine fünfte Aufgabe bestand darin, Eintrittskarten zu verkaufen. Die meisten betraten das Kino jedoch ohne Karte. Was E. egal war, ging es ihm doch nicht ums Geld – er war nicht der Betreiber des Kinos –, sondern darum, dass es Leute gab, mit denen er sich nach der Vorführung über den Film austauschen konnte.
So lernten sich er und D. auch über den Film 2001: Odyssee im Weltraum kennen. D. war eigentlich kein ausgeprägter Kinoliebhaber, manchmal musste er aber einfach »unbedingt« einen Film sehen. So drückte er sich jedenfalls aus. Bei den Filmen, die er »unbedingt« sehen musste, handelte es sich für gewöhnlich um Kriminal- oder Boxerfilme. Angesichts des um den Mond kreisenden Raumschiffs, das auf dem Plakat zu sehen war, mit dem Kubricks Film angekündigt wurde, hatte D. jedoch eine Offenbarung: Er, und nicht das Raumschiff, schwebte dort durch den Weltraum. Und die Erde war von da oben nicht mehr als ein Punkt, eine der vielen Heftzwecken, die verloren in dem vom Großen Zimmermann errichteten Holzgerüst, der Nacht der Zeiten, steckten. Gleichzeitig waren alle diese Heftzwecken jedoch dazu verdammt, sich voneinander zu entfernen. Ihre Verbindung aufzulösen. Immer weiter zu ziehen, weiß Gott wohin, bis sie einander aus den Augen verloren und verschwanden. Sie sahen sich den Film dreimal hintereinander an. Das war nämlich noch so ein Vorteil von E.s Kino: Wollten die Zuschauer einen Film ein zweites Mal sehen, führte E. ihn einfach noch einmal vor. Dafür war E. schließlich der Vorführer, und zumindest in dieser kleinen Welt voller unbequemer Sessel hatte er das Sagen.
Nach der dritten Runde schlossen sie das Kino ab und gingen in eine Bar. Dort sprachen sie über Politik, obwohl man eigentlich besser nicht darüber sprach. Und wo sie schon einmal dabei waren, sprachen sie auch über Religion.
Nachdem sie auf diese Weise miteinander vertraut geworden waren, fing D. an, von Kramp-Produkten zu erzählen, woraufhin E. sagte, seine eigentliche Leidenschaft gelte nicht dem Kino, sondern der Schwarz-Weiß-Fotografie.
Bei der dritten Flasche Wein sagte E. schließlich, es gebe da ein Dorf, wo er »unbedingt« einmal ein paar Fotos machen wolle, ein Gespensterdorf, das auf der Strecke liege, die D. jede Woche mit seinem R4 entlangfahre. (Vom Mond aus betrachtet, sah der R4 wie ein stillstehender Punkt auf einer Geraden aus.)