XIV

Die Vertretertätigkeit diente dem Zweck, das Überleben zu sichern, genau wie die Ausübung aller anderen Berufe. Wie in den meisten Berufen sicherte die Arbeit als Vertreter das Überleben aber nicht bis zum Monatsende, sondern nur bis ungefähr zur Monatsmitte. Von da an sah sich der Herr Vertreter gezwungen, auf Freunde, Monatsgutschriften, Leihhäuser oder, schlimmstenfalls, Kredithaie zurückzugreifen. Allen ging das so, D. auch.

Ergänzt wurden diese Hilfsmittel durch diverse Tricks und Kniffe, die ausnahmslos dem Hauptzweck dienten: das Überleben zu sichern.

Je nach Branche wurden unterschiedliche Tricks und Kniffe angewandt, und das täglich. Bei den Vertretern funktionierte die Sache ungefähr so:

Bons und Quittungen

Damit ließ sich in Cafés, Restaurants und sogar Hotels arbeiten. In Letzteren war ihr Einsatz besonders lohnend. Es war ganz einfach: Die Bons und Quittungen wurden für einen Kaffee zum Preis von zweien ausgestellt, für ein Mittagessen zum Preis von zweien und für eine Übernachtung zum Preis von zweien. Damit kam deine Firma, ohne es zu merken, nicht nur für deine, sondern auch für die Unkosten deiner Begleitung auf.

Da dies nur durch geheime Absprache der Beteiligten möglich war, fand der Trick für gewöhnlich in Cafés, Restaurants oder Hotels Anwendung, die regelmäßig von Vertretern aufgesucht wurden.

Manche verfeinerten die Methode. Ich weiß noch, dass es ein Hotel gab, das zusätzlich ein Bekleidungsgeschäft betrieb. Pullover, Mäntel, Stiefel, Hemden und Krawatten gelangten dort zum Preis von drei Übernachtungen in die Hände ihrer glücklichen neuen Besitzer, die in Wirklichkeit nur eine Nacht in dem Hotel verbracht hatten.

Auch wir verließen diesen Ort neu eingekleidet und im Hochgefühl unseres Erfolgs. Trotzdem handelte es sich hier nicht um Diebesgut, im Gegenteil, auf diese Weise sicherten wir uns bloß einen winzigen Anteil der Beute, die allen Menschen in ihrem Kampf gegen das unterdrückerische System zusteht. So hatten es die Intellektuellen formuliert, die den Arbeitern dieser Welt durchs Caféfenster bei der Arbeit zusahen. Wir, die wir andere Cafés frequentierten, waren zu solchen Formulierungen nicht imstande, dennoch wussten wir im Grunde unserer gleichermaßen winzigen Herzen, dass dem tatsächlich so war: Hier handelte es sich nicht um Diebesgut. Und falls doch, war es uns auch egal.

Mautgebühren

Was die Spesenerstattung anging, so wies sie ein grundlegendes Problem auf: Man musste die Ausgaben nachweisen.

D. war verpflichtet, jede Woche eine Auflistung sämtlicher Restaurant- und Hotelkosten sowie – was der heikelste Punkt war – Mautgebühren samt Belegen an die Zentrale zu schicken.

Heikel deshalb, weil es zwar ein ganzes Netz von Hotels und Restaurants gab, die bereitwillig gefälschte Quittungen ausstellten, dasselbe von der Betreibergesellschaft einer Mautautobahn zu erwarten war dagegen weltfremd.

Um Fahrten nachzuweisen, die wir nicht durchgeführt hatten, hatten wir jedoch einen einfachen Trick: Sobald wir eine Mautstelle passierten, hielten wir am Straßenrand und machten uns auf die Suche nach Bons, die andere Reisende, die ihre Ausgaben nicht zu belegen brauchten, aus dem Fenster geworfen hatten.

Dabei gingen wir äußerst umsichtig vor. Die zu belegenden Fahrten durften nicht mehr als einen oder zwei Tage zurückliegen, andernfalls waren passende Bons nahezu unmöglich aufzutreiben, hatte doch entweder der Wind sie fortgeweht, oder aber sie waren von der Sommersonne ausgebleicht beziehungsweise vom Winterregen durchweicht worden.

Wenig empfehlenswert war es außerdem, der Straße selbst allzu nahe zu kommen. Suchen durfte man nur am Rand, wollte man nicht Gefahr laufen, von einem Auto überfahren zu werden. In diesem Fall hätte ich meiner Mutter unmöglich erklären können, wie ich dazu kam, an einem ganz normalen Schultag am Rand einer Autobahn alten Zetteln nachzujagen. Meine Mutter war zwar so gut wie nie wirklich anwesend, ausnutzen durften wir das aber trotzdem nicht.

Das mit dem Tauschgeschäft hätte sie zweifellos ebenso wenig verstanden wie die Sache mit der Parallelerziehung, war meine Mutter doch, wie D. sagte, eine durch und durch vernünftige Person oder wenigstens diejenige von allen uns bekannten Personen, die am ehesten als vernünftig zu bezeichnen war. Außerdem war meine Mutter wunderschön, und Wahrheit, Güte und Schönheit sind bekanntlich ein und dasselbe. »Das haben schon die Scholastiker gesagt, und letzte Woche stand es auch im Reader’s Digest«, ergänzte D., dem ich da aber schon nicht mehr zuhörte.