Wir verbrachten die ganze Nacht in einem Bus, der uns, meine Mutter und mich, weit wegbrachte.
Weg von D.
Weg von den Kramp-Produkten.
Weg von den Gespenstern.
Dass so viel auf einmal wegfiel, traf mich tief. So tief, dass ich zweimal versuchte, mir das Leben zu nehmen, indem ich aufhörte zu atmen. Was mir nicht gelang. Dafür begriff ich, mit meinen inzwischen neun Jahren, dass der Selbsterhaltungstrieb größer als ich war.
»Größer als ich« – mit diesen Worten erklärte ich es zwei Klassenkameraden aus meiner neuen Schule. Um sie anschließend aufzufordern, ihr Leben zu beenden. Dafür bräuchten sie sich bloß zu konzentrieren und die Luft anzuhalten.
Ich wollte nicht, dass sie sterben, ich wollte mich bloß vergewissern, dass nicht nur ich nicht genügend Entschlossenheit aufbrachte – mehr als Entschlossenheit war nun einmal nicht nötig, um nicht mehr zu atmen –, sondern alle Angehörigen des Menschengeschlechts. Und das mit dem Vergewissern gelang, denn die beiden überlebten, genau wie ich.
Meine Mutter wurde in die Schule bestellt und erklärte meiner neuen Lehrerin – ich war dabei –, dass sie mein Verhalten bitte entschuldigen möge, ich würde gerade eine schwierige Zeit durchmachen, weil es in der Familie zu einer Trennung gekommen sei.
Ich hätte meiner Mutter und der Lehrerin erklären können, dass zu der Trennung innerhalb unserer Familie noch andere Trennungen kamen: eine geistige (wenn ich mich von meinem neuen Wohnort aus an den Großen Zimmermann wandte, hörte er mich nicht); eine wirtschaftliche (es gab keine Tauschgeschäfte und keine Umschläge mehr für mich); eine berufliche (ich war Reisevertretergehilfin, doch in der Stadt, wo ich jetzt wohnte, gab es nicht ein Mitglied unserer Zunft).
Ob sie das begriffen hätten?
Wahrscheinlich nicht, weshalb ich lieber nichts sagte.
Ich beschloss, das Leben seinen Lauf nehmen zu lassen, und es nahm so selbstverständlich seinen Lauf, dass ich im nächsten Jahr einen neuen Vater und bald eine Schwester hatte.
Außerdem kauften wir einen Hund, den wir Schlaks nannten.