4. Über Grenzen hinweg: Die Verbreitung und Rezeption des Kalenders im Ausland

Der Kalender hat es nicht nur nach Brasilien geschafft, sondern in viele weitere Länder der Erde: zum Beispiel nach Australien, Südafrika, Tansania, Uruguay, Myanmar/Burma, Kanada, in die USA, nach Belgien und Portugal, in die Niederlande, nach Schweden und die Tschechische Republik, nach Ungarn und nach Österreich. Aus all diesen Ländern kamen im Laufe der Jahrzehnte Zuschriften von Lesern.

Eine Leserin meldete sich vor gut 20 Jahren aus Sibirien und bat um Zusendung des Kalenders. Damit die Sendung auch ankam, schnitt die Redaktion ihren Absender – ganz in kyrillischen Buchstaben – aus und klebte ihn auf das Päckchen. Jan Reichelt aus Ostroda in Polen schreibt auf einer aktuellen Dankeskarte, dass die gesamte Familie die Blätter des Kalenders lese, „sowie mindestens 30 Personen unserer Kirchengemeinde Lipowo und Kraplewo.“ In den meisten Fällen haben Leserinnen und Leser über einen persönlichen Kontakt einen Bezug zum Kalender und lassen sich diesen dann noch viele Jahre in das Land schicken, in dem sie leben, ähnlich wie in der noch folgenden von Hermann Schulz geschilderten Geschichte der Tansanierin oder in dem Erlebnisbericht von Lidia Fuchs. Diese lässt sich die deutsche Druckausgabe schicken, obwohl es in Brasilien seit 1992 eine eigene deutsche Ausgabe gibt. Der Kalender wird dort von der „Editora Sinodal“ mit einer Auflage von 1100 Stück gedruckt, da die Importzölle zu hoch sind, um den Kalender dorthin zu verschiffen. Aus Deutschland kommt die Originaldatei per E-Mail, in einer brasilianischen Druckerei entsteht dann eine Buchausgabe des „Neukircheners“. Die Leserschaft besteht aus deutschsprachigen Brasilianern, die, ähnlich wie Frau Fuchs, größtenteils Nachkommen der Einwanderer des 19. und 20. Jahrhunderts sind. In einigen Regionen gibt es dort sogar noch deutsche Geschäfte und Zeitungen, jedoch werden diese immer weniger. Ein Leser aus Brasilien schreibt in einem Brief 1996: „Es gibt nichts dergleichen, das tägliche Wort unseres Herrn Jesus Christus zu vernehmen als über den Neukirchener Kalender und ich werde weiterhin hier in der Kolonie für Verbreitung sorgen und Abonnenten.“

Auch in die USA und nach Kanada sind viele Kalender verschickt worden. Inge Keidel hat so manches Telefonat und einige Briefe „aus Übersee“ empfangen. „Es gab einige Leute, die sich auch dort mit Neukirchen und dem Erziehungsverein verbunden fühlten, denn im Kalender wird ja auch die diakonische Arbeit vorgestellt.“ Weiter erzählt sie: „Und dann passierten manchmal auch lustige Sachen: Es muss so 1976/ 77 gewesen sein, als wir einen Brief von einer Dame aus Kanada bekamen, die uns schrieb, sie wäre gerne bereit, uns per Luftfracht eine ganze Menge Preiselbeeren zukommen zu lassen. Sie wisse schließlich, dass es in Deutschland viele hungernde Kinder gebe!“

Bis in die achtziger Jahre gab es einmal eine Patenschaft, die ein deutschstämmiger Südafrikaner für ein Mädchen im Kinderdorf des Erziehungsvereins übernommen hatte. „Ein Junggeselle, dessen Eltern aus Deutschland kamen“, erinnert sich Keidel, „und der gerne einem Kind in Deutschland etwas Gutes tun wollte, das keine Eltern hat. Er hat dann geschrieben und Päckchen geschickt – und als er zu Besuch kam, habe ich ihn kennengelernt.“ In Neukirchen gemeldet habe er sich damals, weil er den Erziehungsverein über den Kalender kennengelernt hatte.