Stephanie vom Ende
Stephanie vom Ende, Jahrgang 1973, Altena im Sauerland
1983 schrieb mir meine Oma in mein Poesiealbum den Bibelvers „Befiehl dem Herrn deine Wege und hoffe auf ihn, er wird es wohl machen.“ (Psalm 37, 5)
Als Kind war mir noch nicht so bewusst, dass in diesem Vers eine göttliche Wahrheit steckt, die auch für mein Leben gilt. Doch rückblickend kann ich sehen, dass Gott mich immer wieder geführt hat. Dabei hat der Neukirchener Kalender keine unwesentliche Rolle gespielt.
Aufgewachsen bin ich in der damaligen DDR in einem kleinen Ort in Mecklenburg-Vorpommern. Meine Eltern kamen beide aus pietistisch geprägten Familien und auch sie wollten ihre Kinder christlich erziehen, wodurch wir oft zu Außenseitern wurden.
Seit ich mich erinnern kann, gehörte der Neukirchener Kalender zur täglichen Andachtszeit in unserer Familie. Meine Oma, die schon zu DDR-Zeiten in den „Westen“ reisen durfte, schmuggelte uns jedes Jahr ein Kalenderexemplar über die Grenze. Als sie einmal von einem Zollbeamten kontrolliert wurde, fand er den in Geschenkpapier eingepackten Kalender und fragte meine Oma, was denn in dem Päckchen sei. Darauf antwortete sie: „Das ist mein Lebensbrot.“ Der Zollbeamte glaubte ihr nicht so recht, dass da Brot eingepackt sein sollte. Nachdem er den ausgepackten Kalender in seinen Händen hielt und meine Oma ungläubig anschaute, wiederholte sie noch einmal: „Ja, das ist mein Lebensbrot – Gottes Wort!“ Daraufhin ließ der Zollbeamte meine Oma in Ruhe weiterfahren. Den Kalender durfte sie behalten.
Kurz nach der Wende, 1992, stand mein Abitur vor der Tür. Ich wusste nicht, welche berufliche Richtung ich einschlagen sollte, ob ein Studium in Frage kam oder eine Ausbildung besser für mich war. Da machte mich meine Mutter eines Tages auf ein kleines Anzeigenblättchen zwischen den Kalenderseiten des Neukirchener Kalenders aufmerksam, auf dem für die Erzieher- und Diakonenausbildung im Neukirchener Erziehungsverein geworben wurde. Zuerst war ich nicht so begeistert von der Idee, ich war noch unschlüssig, ob der Beruf der Erzieherin das Richtige für mich war. Aber da Gott schon einige andere Türen geschlossen hatte, zog ich diese Möglichkeit immer mehr in Betracht. Schließlich bewarb ich mich im 650 Kilometer entfernten Neukirchen-Vluyn um einen Ausbildungsplatz. Nachdem ich zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wurde, hielt ich schon bald eine Zusage in meinen Händen. Meiner Mutter wurde erst jetzt bewusst, wie groß die Entfernung in Zukunft zwischen uns sein würde, ihr fiel der Abschied ziemlich schwer.
Stephanie vom Ende
Im Sommer 1992 zog ich dann in das Wohnheim der Vorpraktikantinnen und -praktikanten ein. Ich lernte viele nette und verschiedenartige Menschen kennen, die mit mir gemeinsam die Ausbildung begannen, und fühlte mich sehr wohl in dieser „bunten Truppe“. Während meiner Ausbildung zur Erzieherin entschied ich mich dazu, im Anschluss noch die Diakonenausbildung zu machen, weil mich die Verknüpfung von sozialer Arbeit und diakonischem Auftrag begeisterte. Auch meinen zukünftigen Mann lernte ich hier kennen und lieben, mittlerweile sind wir fast 17 Jahre glücklich verheiratet und haben drei Kinder.
So wurde durch das „Lebensbrot“ meiner Oma mittlerweile die dritte Generation reich gesegnet.
Auch die Lebensgeschichte von Ruth Kluge, einer langjährigen Mitarbeiterin des Erziehungsvereins, ist eng mit dem Neukirchener Erziehungsverein und dem Kalender verbunden. Längst nicht nur, weil sie den Andachten schon als Kind lauschte. „Wenn mein Vater vorlas, dann schaute ich aus dem Fenster und hörte zu. Ich hoffte immer, dass auf der Rückseite eine schöne Geschichte kommt, die ich verstehe, denn die Vorderseite war für uns Kinder schwerer verständlich.“ Als gelernte Industriekauffrau entschied sie nach einigen Jahren Berufserfahrung, dass sie ihre Tage nicht mehr damit zubringen wollte, sich hauptberuflich nur mit Geld zu beschäftigen. Sie entschied sich für eine Ausbildung zur Heimerzieherin in Neukirchen und begann danach mit einer neuen, familiär geprägten Lebensgemeinschaft für Kinder aus schwierigen Familien. Mit den Kindern las sie regelmäßig den Kalender, zunächst den Jugendkalender, später den „großen“ – „so wie das bei mir zu Hause auch gewesen war. So ist das ja, wenn man etwas mitbekommt: Entweder man lässt es fallen, oder man findet es gut und nimmt es mit.“ Als sie einmal von einer Begebenheit erzählte, die sie mit den Kindern erlebt hatte, bat Herr Kohler, der damalige Redakteur, darum, sie aufzuschreiben. So kam es zur ersten Rückseite von Ruth Kluge.
Mit Ende 50 wechselte Kluge dann in die Redaktion des Kalenderverlags und wurde Assistentin des Redakteurs. Die intensive Beschäftigung mit den Bibeltexten interessierte und bereicherte sie. „Das war wirklich ein Gewinn für mein Leben!“ sagt die heute über 80-Jährige. „Man erkennt vieles genauer, als wenn man die Bibel nur für sich liest.“
Es kam vor, dass von den Autoren eingesandte Rückseiten ausgewechselt werden mussten, beispielsweise, weil sie in einem vorhergehenden Jahrgang schon einmal vorgekommen waren oder nicht recht passen wollten. Nach Gesprächen mit Herrn Siering über einen Ersatz ergaben sich dann ab und zu weitere Rückseiten von Ruth Kluge.