7. Für jeden Tag ein Blatt: Wie der Kalender entsteht

Was ist nötig, damit der Kalender gelingt und erfolgreich bleibt? Ganz wesentlich ist hierbei die Auswahl guter Autoren. Als Ralf Marschner die Redaktion 2004 übernahm, hatte er bereits einen guten Stamm, mit dem er weiterarbeiten konnte, berichtet er. Sein Vorgänger Heinz-Walter Siering hatte darauf geachtet, ein möglichst breites theologisches Spektrum einzubinden. Wichtig sei ihm gewesen, keinen „einlinigen“ Kalender zu machen.

Auch Ralf Marschner legt Wert auf eine lebendige Vielfalt von Stilen, Anschauungen und Frömmigkeitshintergründen. Dass dabei die Mitschreibenden nicht nur viele Glaubensrichtungen repräsentieren, sondern auch aus vielen Himmelsrichtungen kommen, ist ihm ebenso wichtig, wie leitende Geistliche der Kirchen und anderer christlicher Gruppierungen zu gewinnen. Er ist immer auf der Suche nach neuen Autorinnen und Autoren. Manche werden ihm empfohlen, andere entdeckt er über persönliche Begegnungen. Neben Pfarrerinnen und Pfarrern sind auch Laien willkommen, die gerne schreiben und gut erzählen können. „Aber nicht die Funktion oder Qualifikation ist entscheidend, sondern die Liebe zum Wort Gottes und zu den Menschen, für die der Kalender gemacht wird, und die Fähigkeit, lebendig formulieren zu können“, betont Marschner. Prediger aus der Gemeinschaftsbewegung, Referentinnen der Frauenfrühstücksbewegung, Pfarrer aus der Pfarrergebetsbruderschaft, Diakone und Diakoninnen, Diakonissen und Leiter von christlichen Werken und Verbänden gehören ebenso dazu wie viele engagierte Ruheständler. Manche wurden von anderen empfohlen, andere waren so über den Kalender begeistert, dass sie selbst mitschreiben wollten. Etliche kennt Ralf Marschner auch aus Begegnungen durch seine frühere Arbeit im Aussaat-Verlag.

Dass die Namen der Autoren nicht unter dem Text ausgeschrieben, sondern nur mit einem Kürzel genannt werden, über das sie am Ende des Kalender zu identifizieren sind, hat einen Grund: „Der Kalender will mit einer Stimme sprechen.“ Er solle nicht als Sammelwerk der rund 180 Autoren wahrgenommen werden, sondern als der Neukirchener Kalender.

Die Entstehung des Kalenders beginnt aber nicht erst mit dem Verteilen der Bibelverse und dem Schreiben der einzelnen Blätter, sondern viel früher. Grundlage des Kalenders ist der Bibelleseplan der Ökumenischen Arbeitsgemeinschaft für Bibellesen (ÖAB), der auch der Auswahl der Jahreslosung und der Monatssprüche dient. Fünf Jahre vor Erscheinen des Kalenders wird jeweils im Sommer der Bibelleseplan in einer kleinen Runde ausdiskutiert, an der ein Lektor der Deutschen Bibelgesellschaft, ein Vertreter des Bibellesebundes sowie der Redakteur des Neukirchener Kalenders teilnehmen. Beispielsweise für den Kalender für das Jahr 2016 war das im Sommer 2011. Im Februar 2012 trafen sich die Mitgliedsvertreter der ÖAB zur Jahreshauptversammlung und legten den Bibelleseplan fest. 2013 wird dann die Jahreslosung für 2016 festgelegt. Für den Neukirchener Kalender 2016 beginnt Ralf Marschner dann im Herbst 2013 mit dem Lesen des Bibelleseplans, im Frühjahr 2014 vergibt er die Tage, Verse und Abschnitte an die Autoren, die bis zum Sommer ihre Texte liefern sollen. Dann ist bis Februar 2015 Zeit, die Andachten in mehreren Durchgängen nach Orthografie und Theologie gründlich zu lesen und zu bearbeiten. Das Prozedere ist sehr aufwändig, hat sich aber bewährt – zum einen, weil so Fehler fast ausgeschlossen werden können, zum anderen, um auch der Fülle der Autoren gerecht zu werden. Letzte Korrekturen können bis April eingearbeitet werden – im Mai geht der Kalender in den Druck. Im Juli sind die unterschiedlichen Kalenderausgaben dann in der Regel lieferbar.

Auf die Frage, worauf er beim Redigieren der Texte achtet, sagt Marschner: „Ich versuch’s mal negativ abzugrenzen. Wenn nur der Bibeltext nacherzählt wird, reicht das nicht. Wenn nur der Bibelvers ausgelegt wird, reicht das auch nicht. Sondern die Auslegung soll helfen, den Bibeltext zu verstehen, nachzuvollziehen, vielleicht sogar Fragen aufgreifen, auf jeden Fall muss es etwas mit dem Leser oder der Leserin zu tun haben.“ Dies bezieht er auch auf die Vorderseite, die nicht wie in einem Kommentar eine reine Bibelauslegung sein solle, „sondern es muss in unserer Welt verortet sein.“ Außerdem finde er es schön, wenn auch schwierige Texte eine gewisse Leichtigkeit hätten, sodass man sie auch beim reinen Hören gut verstehe. Die Andachten müssten selbstverständlich auch theologisch bedacht werden. Oft ist auch der Blick in theologische Kommentare hilfreich oder der Austausch mit Theologen-Kollegen.

So unterschiedlich die Autoren auch sind, es gibt dennoch einige Grundsätze für die Andachten, beispielsweise was das Bibelverständnis angeht. „Man könnte viele biblische Texte zerpflücken und danach fragen, wie sie eigentlich entstanden sind und wer wohl der tatsächliche Autor war“, sagt Herausgeber Hans-Wilhelm Fricke-Hein. Dabei würde man aber die Aussage des Textes vernachlässigen. Wichtig sei, die Bibel als Gottes Wort zu verstehen, da in ihr für die Menschen Bedeutendes stehe. Leser dürften sich auch in Frage gestellt fühlen, meint Fricke-Hein, das Ziel sei aber nie, sie zu verärgern. Sowohl Streitthemen als auch tagesaktuelle politische Themen oder wissenschaftliche Debatten hätten hier keinen Platz, diese bräuchten einen anderen Rahmen. Schwierige Themen sind zum Beispiel das Verständnis der Taufe oder das Verhältnis von Christen und Juden. Manfred Jülicher erinnert sich, dass zu Beginn seiner Zeit als Autor damit begonnen wurde, die Andachten auf eine den Juden gegenüber gerechte Sprache hin zu lesen, „denn in der christlichen Tradition steckte ja beispielsweise drin, über die Pharisäer herzufallen – ohne sich bewusst zu machen, dass es bei diesen Bibelstellen um innerjüdische Auseinandersetzungen ging!“

Auch über die Bedeutung des Alten Testaments gebe es sehr verschiedene Meinungen, so Fricke-Hein, die nicht diskutiert werden, weil die Kontroverse in dem Rahmen nicht zu Ende geführt werden könne. Auch moralische Fragen wie Homosexualität oder „wilde Ehe“ werden nicht als solche behandelt, „vielmehr thematisieren wir Verlässlichkeit und Treue und fragen uns, was Gottes Bundestreue eigentlich für die Menschen und ihr Verhältnis zueinander bedeutet.“

Neben der Bibelauslegung und den vielseitigen Texten auf der Rückseite enthält das Kalenderblatt Angaben zum Auf- und Untergang von Sonne und Mond, Gedenktage bekannter Persönlichkeiten oder Jahrestage historischer Ereignisse, Angaben zur Bibellese, einen Liedvorschlag aus dem Evangelischen Gesangbuch, manchmal eine Kurzbiografie und oftmals einen Lesetipp. Birgit Schubert, die gelernte Buchhändlerin ist, später eine Kurzbibelschule besuchte und seit 2006 Redaktionsassistentin beim Neukirchener Kalender ist, sucht die Bücher aus, die hier vorgestellt werden. In den neuen Programmen der Verlage schaut sie, welche Bücher zum Kalender passen könnten, liest diese zum Teil an, zum Teil sogar ganz. Bei der Auswahl ist der Redaktion ein breites Spektrum wichtig, weshalb Angebote ganz unterschiedlicher Verlage berücksichtigt werden: „Wir wollen zeigen, dass es überall Schätze gibt, die es zu entdecken lohnt!“