Vom LKW-Mechaniker zum Diakon

Jörg Maikranz, Jahrgang 1975, Rheinfelden

Zuhause haben meine Eltern, meine zwei Brüder und ich immer vor dem Frühstück zusammen den Neukirchener Kalender gelesen, mein Vater las vor. Wir hatten ihn als Buchform, nicht als Abreißkalender. Das war unser gemeinsamer Start in den Tag! Besonders die persönlichen Erzählungen gefielen mir oft. Viele der Rückwandbilder mit der Jahreslosung haben sich mir sehr eingeprägt, weil meine Mutter sie als Postkarten an die Küchenwand hing.

Nach meiner Ausbildung zum LKW-Mechaniker machte ich Zivildienst in Wuppertal bei einem mobilen Sozialen Hilfsdienst, wo ich vor allem ein Mädchen mit Gehirntumor betreute. Während des Zivildienstes habe ich überlegt, wie es danach weitergehen könnte. Ich wusste: Zurück in die Werkstatt will ich nicht! Zum einen hatte in meinen letzten Arbeitsmonaten dort der Meister gewechselt, und der neue Meister war Zeuge Jehovas. Ich hatte ein großes, rotes CVJM-Dreieck auf der Kofferraumklappe meines Polo kleben, und wir beide kamen irgendwie nicht gut miteinander klar. Zum anderen wollte ich was anderes machen als mein Leben lang Autos zu reparieren.

So ab Mitte der Zivi-Zeit fing ich an, Gott zu fragen, wie es danach weiter gehen soll. Als das Anliegen gerade sehr aktuell in meinem Kopf war, fuhr ich an einem Tag Anfang 1996 zu meiner Oma nach Schwelm zum Mittagessen. Eine sehr liebe, gläubige Frau, ehrenamtlich aktiv in Frauenkreisen und anderem. Bei ihr hing immer der Neukirchener Abreißkalender, den sie regelmäßig las. Bei diesem Mittagessen zeigte sie mir den Zettel mit der Anzeige vom Neukirchener Erziehungsverein, auf dem stand: „Wir suchen Sie als Diakon!“ Und sagte zu mir: „Das wäre doch was für dich!“ Sie erzählte von ihrem Bruder, der in Bethel Diakon gewesen war und wie gut ihr seine Arbeit gefallen hatte und dass das doch zu mir auch passen würde.

Noch am selben Morgen hatte ich für meine berufliche Zukunft gebetet, mittags kam schon die Antwort! Ich dachte: „Das kann ich nicht ignorieren!“, fuhr nach Hause und informierte mich mithilfe des dicken Buches vom Berufsinformationszentrum über das Berufsbild eines Diakons. Auch über den Neukirchener Erziehungsverein habe ich mich erkundigt. Was mich ansprach, war, dass Diakone Verkündigungsarbeit leisten und dabei ganz nah am Menschen sind, noch näher als Pastoren. Und dass man viele verschiedene Einsatzgebiete hat: Zum Beispiel in der Altenhilfe, im Krankenhaus oder in der Jugendhilfe. Diakone sind ja Gemeindehelfer, die, wie es auch bei Paulus beschrieben wird, den Pastor unterstützen, indem sie sich um bedürftige Menschen kümmern. Das gefiel mir!

Ein paar Tage später habe ich mich dann tatsächlich beworben und wurde auch eingeladen. Zum Vorstellungsgespräch musste ich in die Fachschule, das Gespräch hatte ich mit Frau Weth und Herrn Bundesmann-Böddinghaus. Sie sagten, sie fänden es toll, dass ich mich beworben hätte, ich könne aber noch kein Diakon werden. Ich bräuchte dafür eine soziale Ausbildung, als LKW-Mechaniker ginge das nicht. Erst einmal war ich enttäuscht, weil ich erfuhr, dass die Ausbildung dann insgesamt fünf Jahre dauern würde! Als Geselle hatte ich schon ganz gut verdient, und jetzt noch mal die Schulbank drücken? Das wollte ich nicht. Ziemlich verwirrt fuhr ich nach Hause, hatte ich doch gedacht, es sei alles schon so klar. Doch Erzieher hatte ich nicht werden wollen. Das musste ich erstmal sacken lassen.

Ich hatte in Wuppertal einen guten, großen Freundeskreis, bei dem ich auch gern geblieben wäre, aber trotzdem fühlte es sich mehr und mehr stimmig an, wenn ich mir vorstellte, nach Neukirchen-Vluyn umzuziehen und dort die Ausbildung zu beginnen. Ich hatte innerlich dabei eine Ruhe. Dann habe ich mich also doch dafür entschieden.

Von 1996 bis 1999 machte ich die Erzieherausbildung im Erziehungsverein in Neukirchen-Vluyn und arbeitete bis 2004 als Erzieher und Gruppenleiter. Währenddessen habe ich gemerkt, dass es mir zu viel geworden wäre, in einer Heimgruppe Erzieher zu sein und berufsbegleitend noch die Diakonenausbildung zu machen. Weil ich aber Lust hatte, noch mehr zu lernen, machte ich parallel zum Job noch die Ausbildung zum Sozialmanager.

Beim Neujahrsempfang 2004 kamen dann zwei Leute auf mich zu, Frau Weth und Frau Schnapp, die sagten: Herr Maikranz, jetzt ist es doch an der Zeit, dass Sie sich zur Diakonenausbildung anmelden! Das war für mich wie eine erneute Aufforderung, dass ich sie doch noch absolvieren soll, so wie es damals im Kalender gestanden hatte. Ein langjähriger Freund meldete sich im gleichen Jahr unabhängig von mir zur Ausbildung an. Das war für mich eine weitere Bestätigung und ein Geschenk Gottes, weil wir uns gegenseitig in den zwei Jahren begleiteten, wenn es uns schwerfiel, bei der Stange zu bleiben. Wir lernten viel über das Alte und Neue Testament, hatten Unterricht in Kirchengeschichte, Predigtlehre, Religionspädagogik und Seelsorge. Es war eine sehr interessante theologische Ausbildung.

Danach arbeitete ich noch mehrere Jahre als Diakon im Erziehungsverein. Ehrenamtlich leitete ich fünf Jahre die „Jesus Freaks“ in Duisburg, eine Gemeinde für Studenten, Obdachlose, Menschen am Rand, einfach für alle, die sich bei uns wohl gefühlt haben. Dafür hat mir die Ausbildung viel gebracht: Ich konnte mein theologisches Fachwissen einbringen, und mein Status als Diakon der Evangelischen Landeskirche tat der Akzeptanz der Duisburger Freaks gut.

Insgesamt war ich 14 Jahre im Erziehungsverein, was eine super Zeit für mich war, weil ich viel gelernt habe und viel Verantwortung übernehmen konnte. Heute lebe ich in Südbaden in einer ökumenischen Lebensgemeinschaft und arbeite in der Schweiz in einer „pädagogischen Kleinstinstitution“, wo ich vier verhaltensoriginelle Kinder und Jugendliche betreue.

Joerg_Maikranz.tif

Jörg Maikranz

Nachdem er ja bei uns zuhause zum Tagesablauf dazu gehört hatte, habe ich den Kalender danach jahrelang nicht gelesen. Bei meinen Eltern hatte er jeden Tag als Buch auf dem Esstisch gelegen, bei meiner Oma als Abreißkalender an der Wand gehangen – beides nicht meine Formate. Seitdem es ihn aber als handlichen kleinen Taschenkalender gibt, lese ich ihn wieder regelmäßig! So ist er einfach da, ist leicht mitzunehmen und begleitet mich zuhause und auf Reisen. Und sobald ich mir ein Smartphone kaufe, werde ich ihn mir als App laden. Ich mag die Aufteilung des Kalenders: die kurze Auslegung zum täglichen Bibelvers und dazu die persönliche Geschichte. So schafft er mir einen alltäglichen Bezug zu Jesus.