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Made in Bavaria
1. Vom Bodensee zum Königsee
„Tut mir leid, Lydia! Ich habe leider überhaupt keine Zeit!“
„Das ist mal wieder typisch! Immer bist du auf dem Sprung und schließt dich aus, wenn wir zusammen was machen wollen!“
„Das stimmt doch gar nicht. Nur weil ich einmal ein Wochenende wegfahre!“
Es stimmte natürlich doch.
Matthias vermied es geflissentlich seine Freizeit mit seinen Arbeitskollegen zu verbringen. Seitdem er im Schuldienst beschäftigt war, hatte ihn sein Dienstherr jedes Jahr an einer anderen Schule eingesetzt. Im ersten Jahr waren es sogar zwei verschiedene Schulen gewesen. Junglehrer wurden als Springer im ganzen Land umhergeschickt und es dauerte oft Jahre, bis sie einen festen Platz an einer Schule bekamen. Da heißt es flexibel sein und sich ständig auf neue Gegebenheiten, Vorgesetzte und
Kollegen einzustellen, dauernd die Wohnung zu wechseln und sich in neuen Städten zurecht zu finden.
Gott, was war er stolz auf sein Examen gewesen! Von einer glänzenden Laufbahn im Schuldienst hatte er geträumt, von pädagogischen Glanzleistungen und wissbegierigen, aufgeweckten Schülern. Jetzt war er um die Erfahrungen von fünf anstrengenden und extrem ernüchternden Jahren reicher und hatte gelernt, sein Privatleben scharf von seinem Berufsalltag abzugrenzen. Es war wenig sinnvoll Freundschaften einzugehen oder sich auf engere Bekanntschaften einzulassen, wenn man nicht wusste, ob man nach den nächsten Zeugnissen noch in der gleichen Schule unterrichten und in der gleich Stadt wohnen würde.
Die Konstanten in Matthias Rehberg‘s Leben waren seine flexible Wohnungseinrichtung, die Freunde die er seit Jahren kannte und seine schwarze BWM GS, Triple Black, mit der er im Sommer seine Freizeit verbrachte. Bei schlechtem Wetter schrieb er die Erlebnisse seiner Reisen und Touren in ausgesprochen attraktiven Berichten nieder. Garniert mit brillianten Fotos, veröffentlichte er diese Berichte in einem Motorrad Reiseforum
und sie erfreuten sich großer Beliebtheit.
Als er damit begonnen hatte unter dem Pseudonym: “Black Knight“ erste, kurze Texte über seiner Touren online zu stellen, war er von der Resonanz total überwältigt, aber schließlich hatte er nicht umsonst Literatur studiert. Motorrad fahren und darüber schreiben, waren seine Leidenschaften.
Allerdings muss der Mensch essen und die Miete bezahlen. Deshalb war er Lehrer für Deutsch und Geschichte geworden. Mit mehr Spaß an der Sache als er vorher erwartet hätte. Einzig die miserablen Arbeitsbedingungen machten jeden Ansatz von Kontinuität und Erfolgserlebnissen in der Lehre zunichte. Seit fünf Jahren beschäftigten ihn jedes Jahr aufs Neue pubertierende Achtklässler, die an allem mehr interessiert waren, als an Deutsch und Geschichte. Keine noch so spannend aufgemachte Unterrichtseinheit konnte am öden Lehrplan des Freistaates etwas ändern, der an der Lebenswirklichkeit der meisten Kinder vorbei ging.
Also ließ Matthias sich auf keine Experimente mehr ein und spulte genau wie so viele seiner Kollegen, von Montag bis Freitag das
vorgeschriebene Programm ab.
Das Wochenende gehörte ihm! Davon ließ er sich auch von seiner süßen Kollegin Lydia nicht abhalten. Er wusste, dass sie in ihn verliebt war, aber er brachte es nicht übers Herz ihr zu sagen, dass er in dem anderen Teich fischte.
Sein Privatleben blieb privat. Ein einziges Mal hatte er den Fehler begangen, sich in der Schule zu outen. Der Rest des Schuljahres war die Hölle und dieses eine Mal war er über die Versetzung extrem froh gewesen.
Matthias Rehberg träumte von einem männlichen Partner. Von Einem der nicht so schmal in den Schultern war wie er selbst. Von jemandem mit dem er seine Leidenschaft fürs Motorradfahren teilen konnte und das Bett. Das schien bis jetzt ein unerfüllbarer Wunsch zu sein. Er war ein Künstler mit Worten, mit geschliffenen Formulierungen, mit plastischen Darstellungen und verführerischen Berichten.
Die online Dating Szene dagegen, die es angeblich so einfach macht einen Sex-Partner zu finden, kam mit weniger als hundert, brutal ordinären Vokabeln aus und Matthias hatte schnell begriffen, dass es dort hauptsächlich um Bilder ging. Die Art Bilder, die ihn arbeitslos machen würden, würde ihn jemand
darauf erkennen.
Kombiniert mit der ‘geiler Hengst‘, ‘versautes Fickfleisch‘, ‘immer geile Arschfotze‘ Sprache, waren die Dating Portale für schwule Männer abschreckend für Matthias. Nicht das er es nicht mal versucht hätte, aber das war nicht seine Welt.
Es war für ihn auch im Real-Life nicht so schwierig jemanden fürs Bett zu finden. Das fand sich in jeder halbwegs großen Stadt ohne besondere Probleme. Matthias war schlank und zart, seine Haut war weich und die braunen Augen sprachen viele an. Sex ließ sich immer finden. Aber das alleine war ihm auf Dauer nicht genug.
Jemanden zu finden, mit dem er mehr als die immer ähnlichen Sätze; „So allein heute Abend?“- „Zu mir oder zu dir?“- „Natürlich safe!“- „War echt geil, servus man sieht sich.“ -reden konnte, war schon schwieriger.
Und jemanden mit dem er gut reden konnte, ins Bett zu kriegen, schien schier unmöglich zu sein.
Also flüchtete er wann immer möglich in seine andere, ganz persönliche Realität, in der er Motorradfahrer und Schreiber war. Die Kombi und der Helm bildeten den perfekten Schutz vor den Blicken der Außenwelt und sein schwarzes
Stahlross brachte ihm bewundernde Blicke ein.
Am Freitag verwandelte sich der Lehrer Matthias Rehberg in den Biker, Black Knight. Nicht nur die Maschine war komplett schwarz auch sein Helm, die Kombi und die Stiefel. Ein kleiner silberner Schriftzug auf seinem Tank verriet das Forum in dem er schrieb und sein Nick. Wer das lesen wollte, musste allerdings schon direkt neben der wunderschönen Maschine stehen. Aber es hatte schon Zufallsbegegnungen mit Fans seiner Berichte gegeben. Er hatte Hände geschüttelt, für Fotos posiert, selbstverständlich mit Helm und Lobeshymnen auf seine Texte genossen.
Im Alltag spürte Matthias seltener den Erfolg seiner Arbeit. In seiner Freizeit waren die Reaktionen sehr viel unmittelbarer und natürlich freute er sich über jeden einzelnen Kommentar zu seinen Reportagen. Diesen Freitag hatte er es besonders eilig von zuhause wegzukommen. Von Regensburg bis nach Lindau am Bodensee waren es dreihundert Kilometer und der Verkehr auf der Autobahn war erfahrungsgemäß in Richtung Süden immer dicht, ganz besonders am Wochenende. Matthias bevorzugte kurvige, gebirgige Landstraßen, aber um sein Ziel schnell zu erreichen, kam er um ein paar
Stunden Autobahn fahren nicht herum. Die deutsche Alpenstraße lockte ihn für einen Reisebericht. Der Klassiker und die älteste Ferienstraße Deutschlands fehlte noch in seiner Sammlung. Das Wetter versprach sehr schön zu werden. Er freute sich auf den Bodensee, auf Lindau und auf zwei großartige Tage immer entlang der Alpen, 450 km bis zum Königssee bei Berchtesgaden, vorbei an grandiosen Ausblicken, weltberühmten Bauwerken, klaren Bergseen und steilen Gipfeln. Am Samstag wollte er am Tegernsee übernachten und dann am Sonntag bis zum Königssee weiterfahren. Von dort würde er allerdings wieder 280 km auf der Autobahn bis nach Hause fahren müssen.
Sein Arbeitstag begann am Montag immer erst um neun Uhr. Das war erträglich und den unvermeidlichen Muskelkater nahm er gern in Kauf.
2. Honda, blau-wei
ß
Der Freitag war warm und die Schicht nahm und nahm kein Ende! Die verdammte Baustelle auf der Durchgangstrasse durch Erding zog sich nun schon den ganzen Sommer. Sebastian konnte den Feierabend heute fast nicht erwarten. Er hatte seit Wochen kein ganzes Wochenende frei gehabt, aber in einer Stunde war er bis einschließlich Montag frei! Seine Honda wartete schon seit langem auf einen ordentlichen Trip. Deutsche Alpenstraße, einmal komplett von vorn bis hinten. Bodensee bis Königssee, Low-budget mit dem Zelt. In Lindau gab es einen schönen Campingplatz direkt am See. Von dort aus wollte er am Samstagmorgen starten.
Sebastian träumte von wunderschönen Kurven in den Bergen und kam aus seinen Tagträumen erst zurück, als er ein Mädchen auf einem Fahrrad laut zu ihrer Freundin schreien hörte:
„Oh, mein Gott! Hast du das geile Tatoo gesehen!? Wie Hammer ist das denn?!“
Er streckte sich zu voller Größe und schrie den Beiden hinterher:
„Was ist?! Wollt ihr mal
anfassen?“
Die Mädchen kicherten und fuhren schnell weiter.
„Blöde Weiber.“
Sebastian knurrte und sein Kollege fragte:
„Was‘n los, Wast? Die waren doch süß, mit ihre kurzen Röckchen!“
„Steh nich auf Röckchen! Woast es eh!“
„Ja, ja passt scho. Mir hättens halt gefallen!“
„Na dann schick di! Schnell hinterher!“
„Spinner! Außerdem fandens dei Tattoo geil, ned meinen Bierbauch!“
„Blöd gelaufen, gell?!“
Toni schob den Helm in den Nacken und wischte sich die verschmierte Stirn ab:
„Und hast schon was vor am Wochenende?“
„Ja, logisch! Moped Tour, bis Montag. Bin erst wieder am Dienstag auf der greislichen Stoanarutschn unterwegs.“
Die Umschreibung für den Kipper war durchaus liebevoll gemeint. Sebastian hatte für die Berechtigung LKW und Baumaschinen fahren zu dürfen hart gekämpft. Der Stall aus dem er kam war nicht gut. Will heißen, er war in einem Münchener Problemviertel geboren, mit drei Geschwistern, einer überforderten Mutter und einem gewalttätigen Vater aufgewachsen
und schon mit vierzehn zum ersten Mal im Jugendarrest gelandet. Die falschen Freunde, viele falsche Entscheidungen und jugendliche Selbstüberschätzung hatten ihm schnell gezeigt, wo es im Leben nicht lang geht. Ganz unten, im Jugendknast, hatte Herr Wolter ihn aufgefangen. Die soziale Wohngruppe war seine Rettung. Endlich geordnete Verhältnisse, klare Regeln und Verlässlichkeit.
Damals hatte er die Notwendigkeit dafür nicht gleich eingesehen. Es gab so viele Verbote: Keine Drogen, kein Alkohol und strikte Regeln für alles! Die Schule, die Hausarbeit, die Freizeit und das Zusammenleben in der Gruppe. Aber er erinnerte sich auch daran, dass jeder noch so kleine Erfolg beachtet und gelobt wurde. Es war das erste Mal in seinem Leben, dass sich andere Menschen wirklich für ihn interessierten. Zwei seiner damaligen Zimmergenossen waren ihm bis heute näher als seine leiblichen Geschwister. Sie waren es, die ihn von Anfang an so akzeptierten wie er war, schwul. Er brauchte lange ihren Rückhalt und auch den von Herrn Wolter und Frau Hamberger seiner Vertretung und von Seppi, dem Studenten der als Praktikant bei ihnen war und der selbst schwul war, aber erst
damit rausrückte, als Sebastian sich ihm an einem dunklen Abend outete.
Mittlerweile war seine Orientierung kein Problem mehr. Sebastian Untermeier war groß und stark geworden, physisch und mental. Hatte sich in der Hoch-Tief-Baufirma gut eingelebt und seine Chancen genutzt, aus dem, mit Ach- und Krach geschafften Hauptschulabschluss das Maximum heraus zu holen. Der Chef war selbst kein unbeschriebenes Blatt und hatte ein Herz für gefallene Jungs. Aber man musste die Chance, die er einem gab, den Arsch aus dem Dreck zu kriegen, unbedingt ernst nehmen. Mehr als eine gab es auch hier nicht.
Eine ältere, verwitwete Verwandte vom Chef hatte ein großes Haus, das quasi als ‘Lehrlingsheim‘ für die Firma diente. Sie vermietete möblierte Zimmer und kochte und wusch für die drei Auszubildenden, die in ihrem Haus Platz hatten. Es gab mehr als genug Jungen, wo es daheim nicht so lief wie es eigentlich sollte. Auch Sebastian war in seiner Ausbildung dort untergekommen. In der Wohngruppe durfte er nach dem achtzehnten Geburtstag nicht mehr bleiben
.
Die Zimmerwirtin hieß Marlene Markreither aber alle sagten Tante Lene zu ihr. Bis heute besuchte Sebastian Tante Lene hin und wieder. Natürlich mussten sie von ihrem Lehrlingsgehalt einen Teil für Kost und Logis bezahlen, aber das Essen war gut und reichlich und Tante Lene nähte auch schon mal einen Knopf an, oder fungierte als Beraterin für diverse Probleme, sei es Liebeskummer, oder eine vergeigte Mathearbeit in der Berufsschule.
Erst vor ein paar Wochen, hatte Sebastian ihr das neue Motorrad gezeigt. Es war eigentlich ein altes Motorrad, eine blau-weiße Honda Transalp, aber er war trotzdem sehr stolz darauf.
Was er hatte, hatten seine Hände selbst erarbeitet: Vom Führerschein, über die Einrichtung seiner winzigen Wohnung, bis zu jedem einzelnen Kleidungsstück das er besaß.
Die Schwierigkeiten mit der Justiz in seinen Jugendjahren, hatten ihn noch lange begleitet und er hatte für jede einzelne Jugendsünde viel Lehrgeld bezahlt. Das war vorbei. Sebastian war ein freier Mann!
So frei, dass er über das Wochenende in die Berge
fahren konnte.
Beim Duschen dachte er darüber nach, wie oft er sehnsuchtsvoll die Berichte in den Motorradzeitungen gelesen hatte, oft genug im Stehen in der Tankstelle, weil die Hefte zu teuer für ihn waren und ohne den Hauch einer Chance jemals selbst solche Touren machen zu können.
Sein Weg war steinig gewesen, im Wortsinn, wenn man im Straßenbau arbeitete. Aber jetzt, hier und heute, war der Weg frei! Die Autobahn würde ihm allein gehören! Jedenfalls gefühlt!
Das Gepäck stand schon bereit. Der Tank der Maschine war voll bis unter den Rand und die Stiefel und der Helm waren geputzt.
Sebastian beeilte sich mit der Dusche und verputzte zwei belegte Brote, während er die Sachen nach unten trug. Es war nicht viel. Nur eine Gepäckrolle, die er hinter sich auf der Sitzbank festzurrte und der Tankrucksack mit den Regensachen, einer Flasche Wasser und der Karte. Vermutlich würde er sie nicht brauchen, so oft wie er die Strecke schon mit dem Finger auf der Landkarte abgefahren hatte aber sicher ist sicher.
Der Freitagabendverkehr war weniger dicht als erwartet und es ging gut voran. Der Asphalt
strahlte die Hitze des Tages ab und der Fahrtwind war warm und duftete nach Benzin und nach Freiheit! Er fuhr nach Westen, der untergehenden Sonne entgegen.
3. Lindau,
Hafen
Matthias erkannte die blau-weiße Honda Transalp sofort wieder. Der Fahrer war schon eine ganz Weile hinter ihm hergefahren. Jedoch nie so nah, dass es störend war. Nun kam er von der Toilette und sah die Honda neben seiner schwarzen BMW stehen. Auf ihrem Tank prangte ein riesiger und völlig unangebrachter Aufkleber mit der Aufschrift: MADE IN BAVARIA. Ein junger Kerl mit kurzen blonden Haaren und einer ziemlich zerkratzen Enduro Jacke, die offensichtlich schon öfter Kontakt mit dem Asphalt hatte, stand ein paar Meter entfernt im Gebüsch und tat das, wofür er selbst im Rasthaus gerade Geld ausgegeben hatte.
Matthias suchte nach seiner Wasserflasche und putzt mit einem angefeuchteten Tempo die Fliegen von seinem Visier. Der Junge packte alles wieder ein und gesellte sich zu ihm:
„Hi, schöne Maschine.“
„Danke.“
Sebastian hatte zuerst gemeint, dass eine Frau auf der schwarzen Triple Black unterwegs war und es hatte ihn geärgert, dass er sie
nicht überholen konnte. Erst bei näherem Hinsehen erkannte er, dass ein Mann der Reiter dieses schwarzen Rosses war. Und was für ein Sahneschnittchen. So ein hübsches, softes Gesicht und so wunderschöne Reh Augen. Genau sein Beuteschema, aber sowas von! Noch dazu schlank und zierlich und obwohl er versuchte es unter der schwarzen Kombi zu verstecken, konnte Sebastian sehen, das der Typ einfach nur lecker war. Er war ihm auf den Parkplatz hinterher gefahren und jetzt würde er sich den Schönen aus der Nähe ansehen:
„Auf dem Weg in den Urlaub?“
Er schlenderte um die schwarze Maschine herum und bemerkte die kleine Anschrift des Forums und sein Nick: Black Knight. Wie süß! Ein Ritter auf einem schwarzen Pferd will er also sein!
Die Stimme des ‘schwarzen Ritters‘ war jedenfalls ausgesprochen angenehm:
„Nur ins Wochenende. Deutsche Alpenstraße.“
Matthias sah ihm einen winzigen Moment zu lange in die Augen, dann scannte ein schneller Blick den muskulösen Oberkörper der unter dem offenen Reißverschluss der Jacke raus blitzte. Sebastian grinste
:
„Ach!“
„Wieso? Du auch?“
„Ja. Heute bis Lindau und ab morgen dann los.“
Matthias setzte den Helm wieder auf und zog sich die Handschuhe an:
„Na dann, viel Spaß! Man sieht sich vielleicht noch mal, auf der Strecke.“
Der Motor der BMW sprang an und Sebastian wusste, dass Bambi, der so gern ein Ritter wäre, seine Antwort sowieso nicht hören würde. Er hob die Hand zum Gruß und dachte: Ja das wäre ganz nett dich noch mal wieder zu sehen, Süßer. Dein Forum werde ich auf jeden Fall abchecken.
Der Sommerabend war wunderschön warm und die Insel Lindau vibrierte voll südlicher Lebenslust. Alle Lokale waren gut besucht. Der Lindauer Hafen schmückte sich mit geschmackvoller Beleuchtung und der See glänzte im allerletzten Licht der untergehenden Sonne. Nur der Löwe auf seiner Säule musste wie immer, auf den See hinausschauen und seine Zähne in Richtung Österreich fletschen. Den fröhlichen Touristen auf der Promenade dreht er seine Kehrseite zu!
Matthias schlenderte um das Hafenbecken herum und schoss ein paar Bilder. Die ganze Szenerie kam ihm ziemlich kitschig vor, aber sei es drum. Zu einem Bericht über die Alpenstraße, gehö
rte Lindau am Bodensee unbedingt dazu.
Sein Hotel lag zwei Kilometer von der Insel entfernt und die Fahrt auf der glühend heißen Autobahn und der Fußmarsch bis hierher hatten ihn hungrig gemacht. Und obwohl er an der Hotelbar schon etwas getrunken hatte, hatte er auch immer noch Durst.
Es war gar nicht einfach einen Platz in einem der Lokale zu finden.
In einem Biergarten, direkt am Wasser, saßen drei junge Leute, die ihre Motorradjacken über die Stuhllehnen gehängt hatten. Ein Pärchen, das offensichtlich sehr verliebt war und ein junger blonder Mann den Matthias nur von hinten sehen konnte. Sein Rücken war ziemlich breit und das weiße Tank Top, das er trug betonte ein beeindruckendes Maori Tatoo das seine Schultern zierte. Matthias versuchte nicht zu sehr zu starren, als er fragte:
„Ist bei Euch noch ein Platz frei?“
Der Blonde drehte sich um, erkannte Matthias und grinste:
„Sicher! Für Moped Fahrer immer!“
Das Mädchen fragte:
„Kennt ihr euch?“
Matthias ließ sich auf den freien Stuhl fallen und
antwortete:
„Wir haben uns heute auf der Autobahn schon mal getroffen.“
Er streckte der jungen Frau seine Hand hin:
„Matthias.“
Sie lächelte ihn an:
„Anja. Und das ist mein Freund Reto.“
Reto nickte und Matthias lächelte auch ihn an. Dann wendete er sich dem blonden Biker zu:
„So schnell sieht man sich also wieder!“
Sebastian scannte ihn von oben bis unten und versuchte nicht zu sabbern, so sehr gefiel ihm der schlanke Matthias der in Jeans, kurzem Hemd und barfuß in den Schuhen neben ihm saß. Es dauerte einen Moment, aber dann sagte er:
„Sebastian, also Basti, oder Wast oder wie auch immer…“ Es ärgerte ihn, dass er jedes Mal nach Worten suchen musste, wenn ihm ein Typ besonders gefiel. Zuhause in der Szene war das leichter, aber im realen Leben kann das schnell mal schief gehen wenn du den falschen Baum anpinkelst. Obwohl, so wie Matthias betont versuchte weg zu schauen, es aber nicht schaffte, war es vielleicht gar nicht der falsche Baum.
Reto und Anja kamen aus der Schweiz und hatten Sebastian auf dem Campingplatz getroffen. Es war die erste gemeinsame Tour des
Paares mit dem Motorrad und so wie die zwei sich ansahen, war offensichtlich, dass sie nicht mehr lange an diesem Biergartentisch sitzen würden.
Die Bedienung brachte Getränke für Sebastian und Matthias und Reto bezahlte die Rechnung für sich und seine Freundin. Matthias ertappte sich bei dem Gedanken, dass es ihm nicht unangenehm war, mit dem blonden Sebastian allein zu bleiben, als das Pärchen sich verabschiedete und eng umschlungen davon schlenderte. Die beiden Männer sahen sich zum ersten Mal richtig in die Augen und beide wussten sofort, dass der andere interessiert war.
Matthias fragte:
„Und wie kommt es, dass auf deinem Reiskocher dick und fett, ‘Made in Bavaria‘ steht?“
Sebastian grinste:
„Das bezieht sich auf den Fahrer! Der Tank hat einen großen Kratzer und ich will ihn erst im Winter abbauen und richtig lackieren lassen. Ich hab die Maschine günstig gekriegt.“
Matthias nickte:
„Und die Jacke wohl auch?“
Sebastian lachte:
„Ja, die war dabei als die Delle in den Tank kam aber ich war nicht drin in der Jacke, sondern der,
dem ich die Maschine abgekauft habe.“
„War viel kaputt?“
Sebastian zählte ein paar Teile auf die er an der Honda ersetzen musste und fragte dann ganz ungeniert nach den Reiseberichten die Matthias in seinem Forum schrieb. Es gab W-Lan auf dem Campingplatz und er hatte vorhin neugierig einen kurzen Blick riskiert.
„Woher weißt du dass ich Reiseberichte schreibe?“
Sebastian antwortete. Seine Stimme war tief und hatte einen spöttischen Unterton:
„Ich bin nicht blind. Es steht ja auf deinem Tank, Schwarzer Ritter.“
Matthias wurde rot. Es verunsicherte ihn, wenn die Realität und die virtuelle Seite seines Ichs von anderen in Zusammenhang gebracht wurden. Situationen wie diese versuchte er möglichst zu vermeiden. Er griff nach seinem Glas und nahm einen großen Schluck:
„Ist halt ein Nick. Das Kind muss einen Namen haben.“
„Sicher. Wie ist dein richtiger Name?“
„Rehberg, Matthias Rehberg.“
Sebstian lächelte ihn an:
„Bambi, gell?!“
„Scheiße, ja! Immer wieder
bin ich Bambi genannt worden. Das nervt! Kannst du mir glauben. Im Netz ist das wurscht wie du aussiehst. Da kannst du sein wer du sein willst.“
„Aber du siehst doch toll aus.“
Er hatte es einfach so gesagt. Ohne darüber nachzudenken. Jetzt wurde es Sebastian heiß und sein Gesicht glühte. Er stand auf und murmelte:
„Ich geh mal eben…“
Matthias sah ihm hinterher. Der Mann war groß, muskulös und braungebrannt und er bewegte sich geschmeidig, wie einer der sich seiner Kraft bewusst ist. Ein Traumtyp mit einem sehr attraktiven Körper und einem, wenn auch uralten Motorrad. Und sie hatten sich beide dieselbe Straße für das Wochenende ausgesucht. Vielleicht hatte Sebastian ja Lust ein Stück des Weges zusammen zu fahren. Sie hatten beide einen ähnlichen Fahrstil. Das hatte Matthias heute auf der Autobahn schon gesehen. Sebastian schien kein Raser zu sein und er selbst legte den Fokus auch eher auf Genuss als auf Geschwindigkeit.
„Alles klar bei dir?“
Sebastian setzte sich wieder und dachte darüber nach, wie er Matthias davon überzeugen konnte, morgen gemeinsam los zu fahren. Er würde auch gern mit ihm ins Bett gehen, aber dann war
es sehr wahrscheinlich, dass danach mit Motorradfahren nichts mehr gehen würde. So lief das Spiel nun mal, jedenfalls meistens. Fuck and go. Er wollte das aber heute nicht so. Sebastian wollte Matthias gerne näher kennenlernen. Wenn sie sich nichts zu sagen haben würden, konnte er ihn morgen Abend immer noch ficken und es ein gelungenes Wochenende nennen. Dass Matthias scharf auf ihn war verrieten seine Blicke, die immer wieder Sebastians Schritt streiften. Ansonsten sprachen sie über Motorräder und Zubehör, Bergstraßen von denen man träumt, in Sebastians Fall und die man schon bei jedem Wetter befahren hatte, in Mattias‘. Er schrieb nicht nur schöne Berichte, er konnte auch wunderbar von seinen Reisen erzählen und Sebastian hing an seinen Lippen.
Es war eine traumhafte, warme Sommernacht. Straßenmusiker und Gaukler unterhielten die Touristen, die schlendernd und Eis essend den Abend genossen. Der Himmel war samtig schwarz und die Luft schmeckte nach Urlaub. Sebastian lehnte sich zurück und knurrte genüsslich:
„Scheiße, ist das schön hier!“
Matthias wollte ihn, aber er wollte keine
schnelle Nummer. Er wollte einen Kumpel für die Tour entlang der Alpenstraße also fragte er vorsichtig:
„Wann willst du morgen Früh starten?“
„Weiß nicht, gegen neun oder so. Warum?“
„Wollen wir uns treffen und ein Stück zusammen fahren?“
„Klar! Gerne! Wo?“
„In welchem Hotel bist du?“
Sebastian grinste:
„Hotel? Eher Campingplatz, aber direkt am Wasser. Ich kann in der Früh noch schwimmen, wenn ich will. Wo bist du untergekommen?“
„Parkhotel. Zwei Kilometer von hier.“
Sebastian sah sich am Ziel seiner Wünsche und fragte:
„Meinst du ich kann in deinem Hotel frühstücken?“
Matthias lächelte ihn an:
„Ich denke schon. Sag mal, wie weit ist das bis zum Campingplatz?“
Er schaute auf die Jacke und den Helm der am Boden lag.
„Schon ein Stück. Soll ich dich mitnehmen, oder hast du Angst vor meinem Reiskocher?“
„Ohne Helm?“
„Willst du lieber laufen?“
Der Gedanke, sich auf der Honda an den breiten
Rücken von Sebastian zu lehnen gefiel Matthias ausgesprochen gut, aber natürlich war das eigentlich eine blöde Idee, ohne Helm, ohne Jacke, ohne Handschuhe bei einem Fremden aufzusteigen und eine Sturz zu riskieren oder ein Ticket. Andererseits war es nur ein kurzes Stück:
„Wo hast du geparkt?“
„Ein paar Straßen weiter, in einem dunklen Hof. Wollen hoffen, dass sie noch da steht.“
Matthias stand auf:
Ok, dann komm. Dann siehst du auch gleich wo es morgen Früh den Kaffee gibt.“
In den Nebenstraßen war es ruhig und dunkel. Die Maschine lief rund und blubberte zufrieden. Sebastian hatte Matthias seinen Sturzhelm aufgenötigt:
„Jetzt stell dich nicht an! Wenn die Bullen uns erwischen, zahl ich die Strafe. War ja auch meine Idee.“
Matthias setzte den fremden Helm nur widerwillig auf, aber der männliche Duft der dem Innenpolster entströmte war extrem aufregend. Eine Mischung aus Sebastians Aftershave, Schweiß und Autobahn. Die Abgase der LKW hinterließen auch in seinem eigenen Helm immer ihr vertrautes
Parfum, aber es war sehr intim und erregend für ihn, Sebastian zu riechen. Matthias hatte leicht Platz auf dem Sozius und als er seine Hände auf Sebastian‘s Hüften legte kam Sebastians Linke und tätschelte besitzergreifend Matthias‘ Oberschenkel. Scheiße, das war heiß! So starke Hände, so ein geiles Gefühl, hinter diesem breiten Kreuz zu sitzen und den warmen Fahrtwind einzuatmen. Matthias war geil und hätte am liebsten seine Hände auf Sebastians Schritt gelegt, aber er wollte ihn nicht erschrecken und einen Sturz riskieren. Sebastian seinerseits wartete auf die Hand in seinem Schoß. Er grinste in sich hinein als sie nicht kam und griff an der nächsten Ampel nach Matthias und schob dessen Hand selbst dahin, wo es schön für ihn war. Matthias stöhnte und wusste genau, dass Sebastian seine eigene Erektion ganz sicher an seinem Hintern spürte. So viel Platz war auf der Sitzbank der Honda auch wieder nicht, dass man es hätte verbergen können.
Es waren nur zwei Kilometer und ihre Lust aufeinander war kein Geheimnis mehr.
Sebastian verpasste die Einfahrt des Hotels und hielt ein paar Meter weiter an einer Bushaltestelle. Es war ein Wohngebiet in dem in
der Nacht friedliche Stille herrschte. Matthias stieg ab und rang mit sich, ob er Sebastian nun in seinem Bett haben wollte oder nicht. Sebastian blieb auf der Maschine sitzen, aber als Matthias ihm seinen Helm zurückgab, hielt er ihn fest:
„Komm mal her, ich seh doch, dass du so nicht schlafen kannst!“
„Wie bitte?“
Die Hand in seinem Nacken war eisenhart aber die Lippen die ihn küssten waren weich und warm. Eine feste Zunge bahnte sich den Weg in Matthias Mund und als sie sich nach Minuten trennten, konnte er kaum noch auf seinen Beinen stehen. Sebastian sagte leise:
„Schlaf gut. Ich freue mich auf morgen.“
Die Maschine sprang sofort an und er brauste davon. Matthias sah ihm nach, bis das Rücklicht im Dunkel der Sommernacht verschwand
.
4. Kurven! Viele!
Matthias hatte überraschend gut geschlafen, nachdem er sich mit seiner drängenden Lust selbst geholfen hatte. Eigentlich wäre er gern ein bisschen sauer auf Sebastian gewesen, weil der ihn am Abend einfach so stehen gelassen hatte, mit nichts als einem Kuss. Aber es war ein wirklich sensationeller Gute-Nacht-Kuss gewesen. Ganz und gar nicht alltäglich. Sowas macht einfach glücklich, auch wenn er für das Happyend später selbst sorgen musste.
Der Sommermorgen war frisch und klar. Es würde sicher wieder ein heißer Tag werden, aber jetzt war es noch angenehm und später in den Bergen würde es hundertmal schöner sein als gestern auf der glühenden Autobahn. Matthias freute sich auf die Strecke und fuhr das Stück, das für heute geplant war mit dem Finger auf der Landkarte ab, als er seine Koffer und seinen Tankrucksack wieder an der Maschine befestigt hatte. Es war kurz nach acht Uhr. Er hatte gepackt und verstaute nun alles, bevor er sich auf der Terrasse zum Frühstück niederlassen wollte.
Das Motorengeräusch von Sebastians
Transalp war schon von weitem zu hören. Er ließ die Maschine geschmeidig in den Parkplatz rollen und stellte sie neben die BMW, ganz so als gehörten die zwei ungleichen Schwestern schon immer zusammen. Er parkte seinen Helm auf dem Spiegel und die Jacke auf der Sitzbank. Ein schüchternes Lächeln konnte sich nicht entscheiden ob es ein glückliches Gesicht werden wollte:
„Guten Morgen! Gut geschlafen?“
Matthias freute sich, ihn zu sehen:
„Ja, schon. Du auch?“
„Wie ein vollgeschissenes Baby.“
Beide lachten und Matthias ging voraus, durch die Lobby des Hotels in den Garten. Die Terrasse war geschmackvoll möbliert und in einem Wintergarten befand sich ein langes Buffet. Einige andere Gäste bedienten sich bereits an den appetitlich dekorierten Platten.
Sie setzen sich an einen Tisch mit Blick auf den See. Sebastian sah sich um. Er hatte in seinem ganzen Leben noch nie in einem Hotel übernachtet. Jugendherbergen, Campingplätze, aber das hier war richtig schick und sicher auch richtig teuer:
„Kann ich das Frühstück später
bezahlen oder wie geht das?“
„Sie nehmen eine Pauschale für das Frühstücksbuffet. Ich hab schon gefragt ob du als mein Gast frühstücken kannst. Fühl dich also eingeladen.“
„Hey, das musst du nicht machen.“
„Doch. Du hättest mir gestern auch nicht deinen Helm leihen müssen.“
Matthias lächelte ihn an:
„War übrigens gar nicht so übel, hinten auf deiner Honda.“
Sebastian sah ihm in die Augen und sagte leise:
„Von mir aus hätte es auch länger sein dürfen.“
Ein junges Mädchen brachte eine Kaffeekanne an ihren Tisch und fragte, ob sie Rühreier oder ein Omelett wollen würden. Das ersparte Matthias für den Moment, die Antwort. Als sie weg war sagte er:
„Du darfst heute den ganzen Tag mit mir fahren, wenn du willst! Wenn auch jeder auf der eigenen Maschine.“
Sebastian schenkte ihnen Kaffee ein:
„Wie hast du dir das mit der Alpenstraße vorgestellt?“
Matthias hatte Hunger:
„Las uns erst was vom Buffet holen, dann klären wir die Tour. Ok?“
Das Frühstück war sehr gut, vielseitig
und reichhaltig. Sebastian aß die doppelte Menge in der halben Zeit, ruhig und konzentriert auf die Mahlzeit. Matthias beobachtete ihn und fragte sich, was er wohl beruflich machte, wenn er so essen konnte. Er stellte Sebastian die Frage nach seinem aber Beruf nicht, weil er selbst auch nicht nach seiner Arbeit gefragt werden wollte. Kein Thema für ein wundervolles Wochenende in den Bergen.
Sebastian bemerkte dass Matthias ihn beobachtete:
„Stimmt was nicht?“
Matthias fühlte sich ertappt:
„Alles gut. Wie hast du dir den Tag vorgestellt?“
Es stellte sich schnell heraus, dass beide Männer fast das gleiche Programm für das Wochenende geplant hatten. Einzig bei den Übernachtungen bevorzugte Matthias ein Hotel und Sebastian hatte seine Campingsachen dabei. Bei der Strecke musste keiner einen Kompromiss eingehen, wenn sie den Tag gemeinsam verbringen wollten. Und das wollten beide unbedingt! Wenn
sie es auch nicht offen zeigten, die Anziehungskraft von gestern Nacht, war eher noch stärker
geworden.
Die Kamera klickte, als Sebastian den Helm aufgesetzt hatte:
„Hast du was dagegen auch in meinem Bericht aufzutauchen? Natürlich nicht dein Gesicht!“
Sebastian schob das Visier hoch:
„Nein, nichts dagegen. Wer fährt voraus?“
„Ich, aber nur ein Stückchen. Ich will noch zwei kleine Stopps einlegen um kurz Bilder zu machen. An dem Kreisverkehr, an dem die Alpenstraße anfängt und bei Lindenberg. Da soll ein Parkplatz mit einer grandiosen Aussicht auf die Nagelfluhkette bis zum Säntis Massiv sein.“
„Cool, dann fahr!“
Sebastian folgte mit geringem Abstand. Sie hielten kurz an um das erste Hinweisschild mit dem Edelweiß zu fotografieren und etwas länger, nach den ersten Kilometern und den ersten schönen Kurven am Aussichtspunkt bei Lindenberg.
Die Bergkette lag im zarten Dunst des Sommermorgens und die Luft war schon angenehm warm. Matthias machte ein paar Bilder:
„Nächster Halt oben auf dem Joch.“
Sebastian grinste:
„Wow, ich freu mich so tierisch auf die Straße da hoch! Weißt du wie lange ich davon
geträumt habe den Oberjoch Pass rauf zu fahren? Ewig!“
Matthias lächelte ihn an. Er dachte, wie leicht ist der Junge doch glücklich zu machen! Ein bisschen geschwungener Asphalt im Sonnenschein und schon strahlt er über das ganze Gesicht! Wenn er wüsste, wie viele schöne geschwungene Straßen es allein in Europa gab, würde ihn das Joch nicht mehr so sehr in Euphorie versetzen.
Matthias selbst erwartete nicht allzu viel von der Alpenstraße. Zu viele Autos, Busse und Wohnmobile waren hier unterwegs, als dass er es so richtig genießen konnte, aber die Ausblicke waren wunderschön. Heimat im allerbesten Sinne.
Seine eigenen Lieblingsstraßen lagen jedoch vergleichsweise einsam in französischer und italienischer Landschaft. Die Alpenstraße stand schon lange auf seiner Liste, also war er heute hier. Er würde einen schönen Bericht schreiben und er würde es sehr genießen Sebastian glücklich zu sehen.
Der Junge beherrschte seine Maschine wirklich gut. Sicherlich hatte es Gründe warum er bisher noch nie die Gelegenheit für Reisen gehabt hatte. Manche brauchten länger mit dem Studium
und hatten vielleicht auch nicht so solvente Eltern, die einem das teure Hobby ermöglichen konnten. Matthias war in dieser Beziehung privilegiert gewesen und er wusste das auch.
Es waren noch etliche Kilometer bis sich die Straße auf den Oberjoch Pass hinauf schlängelte. Sebastian und Matthias harmonierten fahrerisch erstaunlich gut miteinander. Matthias bewunderte seine Haltung auf der Maschine. Sebastian schien mit seiner Honda eine Einheit zu bilden. Das ganze Bild erinnerte ihn an einen Zentauren aus der griechischen Mythologie, halb Mann halb Pferd. Allerdings hatte die blaue Honda viele Pferde in sich. Es war ein Genuss ihm zuzusehen.
Sebastian gewöhnte sich sehr schnell daran, den schwarzen Schatten in seinem Rückspiegel zu sehen. Matthias sah toll aus auf seiner Maschine und Sebastian genoss es diesen Traum mit ihm zu teilen. Er fühlte sich wie in einem Film, wie der Darsteller in einer Kulisse die nur für ihn allein da zu sein schien. Die Straße, die Landschaft, die Sonne, die warme Luft die ihn einhüllte, alles ein exquisiter Genuss der doppelt so schön war, weil er ihn teilen konnte. Sebastian hatte so lange davon geträumt die Welt
mit dem Motorrad zu erfahren, dass er jetzt das pure Glück in sich spürte. Jede Kurve, jede Kuppe hinter der sich eine neue Landschaft öffnete, das Brummen der Maschine die Kraft des Motors, all das machte ihn glücklich! Und der Mann in seinem Rückspiegel sah aus wie eine lustvolle Verheißung. Der Scheinwerfer der BMW schien mit ihm zu flirten, wenn sie durch den Wald fuhren und der typische Sound ihres Motors, wenn Matthias in einer Kehre runter schaltete, klang in Sebastians Ohren wie das wohlige Knurren eines wilden Tieres.
Sebastian fuhr die Kehren des Oberjoch Passes rauf als wäre er zum hundertsten- und nicht zum ersten Mal hier! Matthias hatte Mühe ihm zu folgen. Oben am Parkplatz hielten sie an und Sebastian strahlte über das ganze Gesicht:
„Wahnsinn! So eine geile Straße! Das war super!“
Matthias klopfte ihm auf die Schulter:
„Du bist doch schon mal hier gewesen, oder? So wie du hier rauf gebrettert bist, kann das nicht das erste Mal gewesen sein!“
Sebastian lachte ihn an:
„Ha, hattest du Angst das ich dich abhänge?“
„Ehrlich gesagt, musste ich mir
Mühe geben an dir dran zu bleiben.“
Sebastian zerrte eine Wasserflasche aus seinem Tankrucksack und reichte sie Matthias:
„Ich habe mich vorbereitet.“
„Ach, wie das?“
„Youtube. Da ist dieser Typ der Videos von Alpenpässen ins Netz stellt. Mit der Action-Cam gefilmt. Pur, ohne Musik und ohne Schnickschnack. Fährt auch so eine BMW wie du. Man kann auf den Videos den Motor hören und jeden Schaltvorgang. Ich kannte schon jede der 106 Kurven. Aber in Echt ist es tausendmal besser!“
Sebastian war ansteckend mit seiner Euphorie und Matthias sah dieses Wochenende plötzlich aus einem anderen Blickwinkel:
„Das macht echt Spaß mit dir zu fahren.“
Dafür bekam er ein breites Lächeln:
„Mir macht‘s auch Spaß!“
Weiter ging es über Füssen, mit einem kleinen Schlenker, um ein gutes Foto von Schloss Neuschwanstein zu machen und dann in Richtung Zugspitze und Karwendel, durch den Pfaffenwinkel mit der Wieskirche und dem Kloster Ettal. Kulturinteressierte Reisende hätten wahrscheinlich Tage damit zubringen
können die Sehenswürdigkeiten näher in Augenschein zu nehmen.
Vom Motorrad aus sind Schlösser und Kirchen, Berge und Klöster wunderschöne Dekorationen die malerisch um das geschwungene Band der erstklassig asphaltierten Straße angeordnet sind. Für Sebastian und Matthias waren die steilen Bergetappen mit ihren spektakulären Abfahrten und Ausblicken, die wahren Attraktion der Strecke.
Mittags waren sie in Garmisch-Partenkirchen und hungrig wie die Wölfe. Die Müsliriegel von Matthias waren kein Ersatz für eine ordentliche Mahlzeit in einem Biergarten. Auf kaltes Bier würden sie jedoch bis zum Abend warten. Mittags mussten Spezi und Apfelschorle den Durst löschen. Die Kellnerin im rosafarbenen Dirndl mit einem ausgesprochen hübschen Ausschnitt, brachte ihnen den bestellten Schweinsbraten, mit Knödeln und Salat. Sebastian stellte sofort jede Konversation ein und aß schweigend und konzentriert. Das war Matthias am Morgen beim Frühstück schon aufgefallen. Aber er war selbst zu hungrig um sich darüber Gedanken zu machen.
Erst beim Kaffee nach dem Essen kamen sie wieder ins Gesprä
ch:
„Wo wirst du heute Nacht schlafen?“
Matthias zögerte nicht mit der Antwort:
„Am Tegernsee und ich hatte gehofft, du teilst dir mit mir das Zimmer.“
Es klang harmloser als es gemeint war. Sebastian überlegte nicht lange:
„Wenn es dich nicht stört dass ich schnarche.“
Ein freches Grinsen begleitete den Satz und kribbelnde Vorfreude breitete sich in Matthias aus.
„Ich kann mir nicht vorstellen dass du schnarchst.“
„Ach, nicht? Was kannst du dir denn vorstellen?“
Matthias griff nach seiner Hand und steckte sich kurzerhand Sebastians Zeigefinger in den Mund. Nur für einen winzigen Moment, dann ließ er seine Hand wieder los, aber es reichte um Sebastian der gerade noch frech gegrinst hatte eine sehr ansprechende Röte ins Gesicht zu zaubern.
„Alles klar?“
„Spinner!“ sagte er, aber seine Augen lachten.
Der Nachmittag war heiß und es waren viele Wochenendausflügler unterwegs. Das Zugspitzmassiv lag weichgezeichnet im sommerlichen Dunst und die
Straße flimmerte in der Hitze. Das leuchtende, türkisfarbene Wasser des Walchensees glitzerte verführerisch und versprach Abkühlung, aber sie wollten die Maschinen mit dem Gepäck nicht unbeaufsichtigt stehen lassen. Außerdem lockten die Kehren der Kesselbergstraße hinunter zum Kochelsee, wenn auch der Fahrspaß ein wenig von Geschwindigkeitsbegrenzungen, Überholverboten und Rüttelschwellen im Asphalt getrübt wurde. Zu viele Unfälle zwangen die Behörden zu diesen drastischen Maßnahmen.
Sebastian war fasziniert von der Landschaft und von der Kunst der Straßenbauer, die die perfekten Kehren in den Berghang gebaut hatten. Matthias war genervt von zu vielen Geboten und Verboten und sehnte sich nach ein wenig Einsamkeit.
Davon konnte heute keine Rede mehr sein. Sie mussten sich die Straße mit vielen Gleichgesinnten teilen. Am Kochelsee vorbei, über Benediktbeuern, den Achenpaß, Bad Tölz und den Sylvenstein Speicher bis an den Tegernsee. Matthias war froh als sie das Hotel erreichten.
Der Nachmittag war heiß und anstrengend gewesen und er schwitze so sehr in der schwarzen Kombi, dass er das Gefühl hatte,
die Schweißtropfen liefen ihm aus den Ärmeln. Sebastian erging es nicht anders, aber ihm war das egal. Er schwitzte lieber hier, in der Sonne auf dem Motorrad, als auf dem kochenden Asphalt seiner Baustelle.
Es war kein Problem das reservierte Einzelzimmer in ein Doppelzimmer umzubuchen und es gab ein Restaurant mit Tischen im Garten. Die Maschinen durften in einer großen Garage übernachten und das Gepäck lag im Kies neben dem Tisch. Beiden stand nicht mehr der Sinn nach Spaziergängen um etwas zum Abendessen zu finden. Das erste Bier tranken sie noch vor der Dusche. Die Jacken hingen über den Stuhllehnen und Beide entspannten unter einer schattigen Kastanie.
„Noch eine Halbe?“
„Für mich nicht. Sonst schlafe ich noch vor dem Essen ein.“
Matthias saß der Schalk im Nacken. Er sagte leise:
„Ist noch früh. Wir können danach noch ein Nickerchen machen.“
Sebastian schaltete nicht sofort:
„Nach dem Bier?“
„Nach der Dusche und der Nummer die mir seit
hundert Kilometern im Kopf rumgeht.“
Sebastian grinste. Schließlich hatte er nur deshalb seine Pläne am Campingplatz zu übernachten über Bord geworfen, um mit Matthias ins Bett gehen zu können. Sie wollten das Beide, soviel war klar. Jedoch machte keiner von ihnen den ersten Schritt.
Sebastian hatte den Tag sehr genossen und mehr als einmal war ihm der Gedanke gekommen, dass es schön sein könnte einen Freund zu haben, der sein Hobby teilte. Vielleicht würde Sex das verderben. Oder aber, es wäre das Sahnehäubchen auf dem Kuchen. In seine Gedanken platzte Matthias‘ Frage:
„Hast du was dabei?“
Beide dachten in den gleichen Schienen. Sebastian wusste sofort was gemeint war:
„Immer.“
„Ach?“
„Klar. Weiß man doch nie, ob man jemanden trifft.“
Matthias stand auf und griff nach seinen Koffern. Er hatte keine Kondome dabei und er war beruhigt dass Sebastian daran gedacht hatte.
Die Tür des Zimmers schloss sich hinter ihnen und Sebastian zog Matthias an sich und küsste ihn heftig und besitzergreifend. Matthias
erwiderte den Kuss hungrig und gierig nach mehr, aber als Sebastian begann an seinen Klamotten zu zerren, schob er ihn weg und keuchte:
„Erst duschen. Komm!“
Sie suchten nicht nach ihren Waschsachen, sondern ließen die Kleidungsstücke liegen wo sie hinfielen. Stinkende Stiefel und Socken, nass geschwitzte Unterwäsche und T-Shirts, alles fiel in Sekunden zu Boden und das Wasser der Dusche rauschte schon, als Sebastian noch das Türschloss verriegelte. Matthias stand schon unter dem lauwarmen Wasser und stöhnte wohlig.
Sebastian pinkelte im Stehen und Matthias konnte sich den Kommentar nicht verkneifen:
„Barbar! Hat deine Mama dir nicht beigebracht, dass man sich hinsetzt?“
Sebastian drängelte sich von hinten an ihn heran und drückte Matthias an die Wand:
„Nein, hat sie nicht. Wäre mir aber sowieso wurscht gewesen! Was hast du zu mir gesagt? Barbar! Na warte!“
Er schlug seine Zähne in Matthias‘ Schulter und was die zwei großen Fäuste festhielten, hielten sie fest. Sebastian war nicht
sehr zärtlich und nicht sehr vorsichtig, im Gegenteil! Sein Atem war heiß und sein Körper war stark und hart. Seine Hände nahmen sich was sie haben wollten und Matthias keuchte überrascht, von diesem leidenschaftlichen Ausbruch. Es erregte ihn viel mehr als er erwartet hätte. Beide schafften es gerade so ein bisschen von der hoteleigenen Seife aufzuschäumen und den Schweiß des Tages abzuwaschen. Abtrocknen wurde auf ein Minimum reduziert.
Sie schafften es kaum für eine Minute die Hände und Lippen voneinander zu lassen. Das Bett war groß und bequem. Matthias schob die Decken mit den Füssen zur Seite und Sebastian hörte nicht auf seinen Körper mit Küssen und Bissen zu bedecken. Er keuchte heiser:
„Wenn du wüsstest wie geil du auf der BMW aussiehst! Von vorne und erst recht von hinten! Ich hab mir die ganze Zeit vorgestellt dich zu ficken!“
Mattias zog ihn an seine Brust:
„Du, ich…“
„Was?“
„Mir geht es genauso, aber…“
„Was? Red halt!“
„Gummi?“
„Ja, klar…“
Er stand auf und suchte in seiner Gepäckrolle. Eine kleine Tube Gleitgel und ein Dreierpäckchen Gummis flogen auf das Bett.
„Sehr niedlich!“
Mattias lachte um seine Unsicherheit zu überspielen:
„Wo gibt es denn solche süßen Glitsche Tuben zu kaufen?“
Sebastians Lust war auf Halbmast gesunken. Solche Unterbrechungen waren ein Stimmungskiller für ihn. Er antwortete aber trotzdem:
„Da wo es auch die Zahncreme und die Dusche in kleinen Tuben gibt.
Matthias wollte die Unterbrechung wieder gut machen und schob und zog so lange an ihm bis Sebastian auf dem Rücken lag. Er gierte danach ihn zu schmecken und er liebte das Gefühl ihn in seinem Mund wieder richtig hart werden zu spüren. Sebastian genoss es, aber allzu schnell würde das vorbei sein, wenn Matthias so weiter machen würde:
„Hör auf, sonst spritzt er dir ins Gesicht!“
Matthias wusste, dass er selbst mit einer schnellen Nummer nicht zufrieden sein würde. Aber es gab jetzt auch kein Zurück
mehr, also griff er nach den Kondomen und ehe Sebastian sich irgendwie anders besinnen konnte rollte Matthias mit geschickten Lippen das Gummi über Sebastians‘ pralle Männlichkeit und eine feste Hand hielt es da wo es halten sollte. Er ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass Sebastian dieses Mal der passive Teil sein würde, oder der Verwöhnte, wie man es nimmt. Sebastian stöhnte:
„Ohh, das ist geil! Komm her! Lass mich dich anfassen!“
Es war nicht das was Matthias am meisten liebte, aber besser mit ein bisschen Gummigeschmack, als ein Risiko einzugehen. Sebastian konnte es dennoch genießen. Matthias rutschte, damit Sebastian ihn mit der Hand verwöhnen konnte und knurrte:
„Wir haben noch die ganze Nacht Zeit.“
„Jaa, die ganze Nacht…“
Matthias war viel lauter, als Sebastian ihm zugetraut hätte und Sebastian war ‘danach‘ viel verschmuster als Matthias erwartet hatte. Die Beine ineinander verschlungen sahen sie sich an und Sebastian streichelte Matthias zärtlich:
„Das war gut.
“
„Mhm.“
Matthias wollte ein bisschen wegdriften und Sebastian ließ ihn, obwohl er eigentlich sehr gern etwas mehr über ihn erfahren wollte. Aber das hatte Zeit. Sie hatten noch die ganze Nacht…
Matthias kuschelte sich in die starken Arme und an Sebastians breite Brust und schlief sofort ein.
Sebastian konnte sich nicht erinnern wann er zuletzt eine ganze Nacht mit jemandem verbracht hatte. Meistens waren es kurze Gastspiele die oft genug peinlich endeten, wenn der Rausch der Erregung verflogen war. Diesmal war nichts peinlich. Es war perfekt.
Matthias war so schön, fühlte sich gut an und roch so gut. Und sie hatten sich viel zu sagen. Zum ersten Mal konnte Sebastian sich vorstellen, dass aus diesem Wochenende vielleicht mehr werden könnte.
Matthias atmete tief und gleichmäßig und Sebastian überließ sich ebenfalls der tiefen Entspannung und döste auch weg.
Er wurde erst wieder wach, als er Matthias‘ Finger spürte, die die Linien seiner Tätowierung entlang fuhren. Es fühlte sich schön an, vertraut, liebevoll geradezu.
Sebastian streckte sich ein bisschen und fragte, ohne sich umzudrehen: „Schön geschlafen?“
„Ja, sehr
schön. Du auch?“
„Ja, aber jetzt hab ich Hunger!“
„Ich auch. Wie spät ist es?“
„Gleich acht, gerade richtig.“
Sie aßen Fisch und zum Nachtisch opulente Eisbecher mit Obst und Sahne und Waffeln und Schokosauce. Danach war Sebastian satt und so zufrieden, dass es ihn ganz unruhig machte und Matthias fühlte sich so wohl in seiner Gegenwart, dass es kribbelte und prickelte. Das hatte er noch nie erlebt und es fühlte sich sensationell an.
„Ich bin so vollgefressen! Komm las uns doch noch runter an den See gehen. Sonst platze ich noch!“
Matthias wäre lieber einfach sitzen geblieben und hätte noch einen Espresso getrunken, aber Sebastian hatte Recht. Es war sicher gut sich ein bisschen zu bewegen. Sie schlenderten durch den lauen Sommerabend und es fühlte sich so an, als wären sie immer schon Freunde und hätten sich nicht erst gestern kennengelernt!
War das wirklich erst gestern?!
„Aber wir haben heute viel zusammen erlebt!“
„Ach ja? Was denn zum Beispiel?“
Die leicht Ironie in Matthias‘ Stimme war nicht
zu überhören, aber Sebastian störte sich nicht daran:
„Na ja, du hattest die Ehre mich auf meiner ersten richtigen Tour mit der Honda zu begleiten! Das Oberjoch war geil, und der Kesselberg! Vom Walchensee will ich gar nicht reden! So was von leuchtend grün! Und die ganze Landschaft rundherum und der Achenpass und der Sylvenstein! Diese Staumauer ist schon der Wahnsinn! Und außerdem…er senkte seine Stimme und lehnte sich zu Matthias herüber um ihm ins Ohr zu sagen: Der Blowjob von dir war die Krönung.“
Zur Bestätigung schmatzte er einen Kuss auf Matthias‘ Ohr und strahlte in an. Matthias antwortete ihm ebenfalls so leise, dass die anderen Spaziergänger auf der Uferpromenade nicht hören konnten was er sagte:
„Ich habe gedacht, zur Krönung des Tages verbrauchen wir auch noch die restlichen zwei Gummis.“
„Wie meinst du das?“
„Eins für dich und eins für mich!“
„Ich weiß nicht. Normalerweise lieg ich nicht so gerne unten.“
Matthias schob seine Hand in Sebastians,
ignorierte den indignierten Blick zweier älterer Damen die ihnen entgegen kamen und fragte:
„Bist du noch Jungfrau?“
„Das nicht direkt, aber es war nie so toll für mich. Andersrum ist mir lieber.“
„Ok, wenn es nicht gut ist werde ich sofort aufhören.“
Sebastian antwortete leise, mit unüberhörbarer Erregung in der Stimme:
„Du scheinst ja zu wissen was du willst!“
Er blieb stehen und zog Matthias nah an sich ran. Sie blickten über den See und den schwarzen Scherenschnitt der Bergkulisse im blauen Dämmerlicht. Es war schön, einfach nur schön den anderen zu spüren, die Vorfreude auf ein ausgedehntes Liebesspiel im Kopf zu haben und sich eine ganze Nacht nah an der Haut des anderen vorzustellen. Da war weder Scham noch Unsicherheit noch Unklarheit zwischen ihnen.
Nähe war nie etwas gewesen, das sich Matthias von einem anderen Mann gewünscht hatte, aber Sebastian war ihm in wenigen Stunden so nah gekommen, dass es erstaunlich war wie gut sich das anfühlte.
Die bunten Lichter einer kleinen Bar leuchteten verführerisch
:
„Wollen wir noch was trinken?“
„Ja, unbedingt! Mut antrinken.“
Sebastian grinste ein wenig schief, als er das sagte, aber er meinte es genau so.
Ein Cuba Libre für Sebastian und ein Mojito für Matthias, ein bisschen relaxte, gedämpfte Lounge Musik und die warmen Holzbalken des kleinen Stegs neben der Bar, auf dem sie mit baumelnden Beinen saßen, bildeten den Rahmen für einige extrem romantische Momente. Es dauerte allerdings nur wenige Minuten bis Sebastian leise lachte:
„Scheiße! Gut das mich hier keiner kennt! Ist ja echt kitschig!“
Matthias schob ihm seinen Arm um die Taille und fragte:
„Schlimm?“
„Quatsch! Ungewohnt, aber schön.“
5. Mitternacht
Die ganze Situation hatte mit Sebastians alltäglichem Leben überhaupt nichts gemein. Er fühlte sich wie auf einem anderen Planeten, obwohl München nur eine Stunde Fahrt entfernt war.
Matthias zeigte ihm eine Welt, zu der er immer gehören wollte, sich aber gleichzeitig sehr lange sicher war niemals dorthin zu gelangen. Übernachten im Hotel! Longdrinks in einer Bar am Tegernsee! Das würde ihm niemand glauben. Er konnte es ja selbst kaum glauben. Aber er war fest entschlossen, diese Nacht unvergesslich werden zu lassen:
„Wollen wir gehen oder willst du noch einen?“
„Lass uns gehen.“
Er zog Matthias an sich und eng umschlungen schlenderten sie zurück.
Der Fernseher in ihrem Zimmer hatte einen Musikkanal. Das war gut, denn sie hörten vage Stimmen aus dem Nebenzimmer und wollten nicht unbedingt Ohrenzeugen für ihr nächtliches Spiel.
Sebastian war sich nicht sicher, ob er
Matthias seinen Willen lassen sollte und passiv genießen, was ihm serviert wurde. Andererseits war es am Nachmittag sehr schön für ihn gewesen:
„Wo bist du immer so unterwegs wenn du es brauchst? Oder gibt es was Festes?“
„Im Moment in Regensburg, weil ich da arbeite. Nichts Festes. Bei dir?“
„Geht nicht viel. Ich wohne in Erding, aber fahre am Wochenende schon mal nach München. Nicht mehr so oft wie früher. In den Clubs findet man nicht was man sucht. Im Netz meistens auch nicht.“
„Stimmt.“
Matthias kniete zwischen Sebastians Oberschenkeln und massierte seine Kehrseite. Die breiten Schultern und die schmalen Hüften, die runden muskulösen Hinterbacken und die starken Schenkel.
Der Mann musste hart trainieren!
„Wie oft in der Woche gehst du ins Studio?“
„Wohin?“
Seine Hände kneteten Sebastians Hintern:
„Fitness. So wie du aussiehst!“
„Das ist vom Arbeiten.“
Seine Finger streiften über Sebastians Eingang und der atmete heftig ein. Es war schwerer für ihn sich zu entspannen, als erwartet.
Es gab ein paar unschöne, schmerzhafte Erinnerungen, die sich nicht so leicht wegstreicheln ließen, aber Matthias drängte ihn nicht. Er spürte die Anspannung in Sebastian und ließ ihm Zeit. Dieser nackte Mann war so schön, dass es ein Genuss war ihn zu berühren.
„Du, ich muss dich nicht unbedingt richtig ficken. Ich steh auch drauf mich zwischen deinen Backen zu reiben. Du hast echt einen geilen Arsch.“
Sebastian knurrte:
„Hört sich gut an.“
Er hörte die Folie des Kondoms aufreißen und ein bisschen Gel aus der kleinen Tube machte die Sache geschmeidig. Matthias schob seinen harten Schwanz zwischen die festen Backen. Es war nicht ganz fair, weil er genau wusste, dass Sebastian in spätestens fünf Minuten danach jammern würde ihn doch in sich zu spüren, aber dann war es seine eigene Entscheidung.
Das war viel heißer als erwartet. Keine Rede von entspannt hinlegen und Matthias mal machen lassen! Es war äußerst erregend für Sebastian das harte, glatte Fleisch immer wieder über die empfindliche Haut zwischen seinen Pobacken reiben zu spüren. Matthias war nicht
in Eile. Er bewegte sich kontrolliert und lustvoll. Immer wieder drückte er heiße Küsse zwischen Sebastians Schultern und immer wieder streifte seine Spitze über die sensible Rosette, drückte auf seinen Damm und erzeugte unerwartet heftige Schauer. Sebastian konnte kaum noch auf seiner eigenen Erektion liegen und stöhnte ins Kissen. Als er Matthias seinen Hintern ein wenig entgegen schob, um Platz für seinen eigenen harten Schwanz zu machen, konnte der nicht widerstehen und ließ noch mehr Gel zwischen Sebastians Backen tropfen. Das war kalt und Sebastian zuckte Mattias entgegen. Seine Schwanzspitze drückte auf die richtige Stelle. Nur ganz kurz aber lang genug:
„Ahh, da ist es gut!“
Noch ein Stupser, mit Absicht und mit mehr Nachdruck.
„Jaa!“
„Mehr?“
„Ja! Komm!“
Mehr Gel, ein Finger, dann zwei. Sebastian stöhnte:
„Du machst mich so geil! Schieb ihn rein, los!“
Matthias wusste, dass er leicht Platz haben würde aber er ließ Sebastian Zeit sich zu entspannen, auch wenn er selbst inzwischen so
heiß war, dass es ihm schwer fiel ruhig zu bleiben. Langsam und sachte nahm er Besitz von Sebastian und dessen Lustgeräusche zeigten ihm, dass er auf dem richtigen Weg war. Heiß und samtig, eng und pulsierend. Aus langsam und zärtlich wurde gleichmäßig und tief. Sebastian drückte sich ihm entgegen im gemeinsamen Rhythmus. Perfekt! Einfach nur perfekt!
Sebastian stöhnte heiser:
„Willst du kommen? Dann komm!“
Matthias hielt still:
„Und du?“
„Ist geil aber ich komm so nicht!“
„Wie dann?“
„Andersrum.“
Matthias zog sich zurück, zog Sebastian in seine Arme und küsste ihn, heiß und nass:
„Dann mach‘s mir!“
Sebastians Gesicht war rot und er schwitzte. Die Lust gab ihm einen animalischen Gesichtsausdruck, der anderswo als im Bett bedrohlich gewirkt hätte. Sein herber Duft vernebelte Matthias das Gehirn. Er wollte ihn so sehr, legte sich auf den Rücken und machte willig Platz zwischen seinen Beinen.
Das restliche Gel aus der winzigen Tube würde gerade so reichen und Sebastian
war so erregt und angespannt, dass er sich das Gummi nur mit Mühe überziehen konnte. Matthias konnte deutlich sehen, wie jung er eigentlich noch war:
„Du bist groß, Mann! Mach langsam, ja?!“
Matthias ahnte, dass es kein Halten geben würde wenn Sebastian auch nur halb so geil war wie er selbst. Ein wenig nervöse Unruhe mischte sich in seine Lust und alles zusammen brannte lichterloh in ihm.
Er bekam ein breites Lächeln zurück:
„Versuchen kann ich’s.“
Auge in Auge, Brust an Brust, Mann gegen Mann. Er versuchte vorsichtig zu sein. Aber schon nach wenigen Stößen, war die unbeherrschte, wilde Leidenschaft wieder da, die Matthias am Nachmittag in der Dusche schon so verrückt gemacht hatte. Erregend und überwältigend zugleich. Sebastians Körper passte einfach gut zu seinem! Er füllte Matthias perfekt aus, ohne ihm weh zu tun und er traf jeden sensiblen Punkt in seinem Innern so intensiv, dass es Matthias leicht fiel zu nehmen, zu genießen und sich besitzen zu lassen!
Es war so gut, so unglaublich gut, dass er aufhören konnte zu denken und sich fallen ließ. Freddy Mercury sang: „Too much love will kill you“. Und Sebastian rammte Matthias mit allem
was er hatte in die Matratze und in einen wummernden, gemeinsamen Orgasmus!
Nichts was beide schon mal erlebt hätten.
Sebastian schlug schnell wieder in der Realität auf. Sein Kopf sprang an. Die Gedanken rasten:
Das war’s. Wahrscheinlich kann ich jetzt gehen und sehen wo ich den Rest der Nacht verbringe! Keine Selbstbeherrschung! So eine Scheiße! Warum sagt er denn auch nichts? Aber er ist trotzdem gekommen! Mit mir! Unglaublich!
Sebastians Gehirn arbeitete im Notfallmodus. Er versuchte seinen Herzschlag und seine Atmung wieder unter Kontrolle zu bringen und das Karussell in seinem Kopf zu stoppen. Seine Arme hielten seinen Körper. Er wollte Mattias nicht auch noch sein ganzes Gewicht zumuten, nachdem er ihn derartig gnadenlos genagelt hatte. Wie konnte er sich so vergessen?
Es dauerte ein paar Sekunden, bis er Matthias sachte fragen hörte:
„Hey, ist alles gut?“
Er zog ihn auf seinen Bauch, schlang seine schlanken Beine um Sebastians Hüften und stöhnte wohlig:
„Das war
göttlich.“
„Was?“
„Für dich nicht?“
„Doch, ich dachte…ich hätte…“
„Was?“
„Nichts.“
„Das war der Wahnsinn!“
„Echt?!“
„Ja, echt.“
Für ein paar Momente konnte Matthias es genießen, unter dem perfekten Körper seines Freundes zu liegen. Es war schön Sebastians Herzschlag zu spüren und seinen Atem. Es war intensiv gewesen. Ein langer tiefer, sehr befriedigender Orgasmus, keine schnelle Entspannung. Er mochte Sebastian und er liebte seine wilde, unbeherrschte Art zu lieben. Das war viel mehr als er seit sehr langer Zeit gehabt hatte. Und in der Kombination mit jemandem, mit dem ihn mehr verband als nur Sex, überhaupt noch nie. Er hätte gern mehr davon und fragte leise:
„Wenn wir morgen am Königssee sind, war es das dann? Oder sehen wir uns wieder?“
Er bekam keine Antwort und entschuldigte sich hektisch:
„Sorry, ich wollte nicht. Vergiss es einfach.
“
Sebastian küsste ihn kurz und stand auf:
„Du weißt doch gar nichts von mir.“
Er verschwand im Badezimmer und schloss die Tür hinter sich.
Die Toilettenspülung rauschte und das Wasser der Dusche. Matthias schaltete den Fernseher aus und räumte die Überreste ihres wilden Ritts in den Mülleimer. Er schenkte sich ein Glas Wasser ein und trank durstig. Durch das offene Fenster strömte feuchte, kühle Nachtluft ins Zimmer.
Sebastian hatte Recht. Sie wussten nicht viel voneinander. Und trotzdem waren sie sich so nah gekommen, dass es Matthias angst und bang wurde. Er wollte ihn wieder sehen! Unbedingt!
Sebastian starrte sein Spiegelbild an: Das wolltest du doch immer! Einen der mehr von dir will. Der dich als Person sieht und nicht nur als schönen Körper mit einem großen Schwanz. Einen der Zeit mit dir verbringen will und nicht nur eine Stunde vögeln und dann „Servus, war geil!“ Und jetzt hast du Schiss ihm zu erzählen, wer du bist? Was du bist?
Matthias legte sich wieder hin und lauschte amüsiert den lauten Sex-Geräuschen die offensichtlich aus dem Nebenzimmer kamen.
Anscheinend war ihre Perfomance für das Paar nebenan ziemlich inspirierend gewesen. Die Frau hatte ihre Stimme genauso wenig unter Kontrolle, wie er selbst.
„Was ist denn so komisch?“
Sebastian legte sich zu ihm.
„Hör mal. Jetzt kommt sie gleich.“
„Uhh, das wird peinlich, morgen beim Frühstück.“
„Ist mir ziemlich egal!“
Er duftete sauber und nach Zahncreme. Matthias fragte:
„Noch Durst?“
„Ja, haben wir noch Wasser?“
„Sogar aus dem Kühlschrank.“
Er stand auf und holte die Flasche und ein Glas für Matthias:
„Bin gleich wieder da, schlaf aber noch nicht ein, ok?“
Er hätte sowieso nicht schlafen können. Er musste nachdenken. Matthias wunderte sich darüber wie ordentlich Sebastian seine gebrauchten Handtücher aufgehängt hatte, als er sich selbst auch wieder frisch machte. Er legte sich zu Sebastian ins Bett und sofort kamen eine
Hand und ein Oberschenkel und suchten Kontakt. Das war berührend und intim.
„Das war ernst gemeint, dass du mich wiedersehen willst, oder war es nur…?“
„Was?“
„Du weißt schon, diese komische Stimmung wenn man gerade gekommen ist.“
„Postkoitale Sentimentalität, meinst du?“
Sebastian schluckte:
„Ich hab‘s nicht so mit Fremdwörtern.“
Matthias drehte sich zur Seite und sah Sebastian an:
„Ja, ich will dich wiedersehen. Ich will deine Nummer und deine Adresse. Ich will wissen wann du Geburtstag hast und ob wir uns nächstes Wochenende sehen können?“
„Um was zu tun?“
„Wenn die Sonne scheint, Motorradfahren. Wenn es regnet, was anderes.“
Bambi war hartnäckig und unwiderstehlich.
„Sag mal, Black Knight, was genau wirst du in den Reisebericht über die Alpenstraße schreiben?“
„Alles.“
Sebastian packte ihn im Nacken und fragte mit tiefer Stimme
:
„Wirklich alles?“
Matthias grinste ihn an:
„Jedes noch so geile Detail! Aber nur für uns! Öffentlich wird der Bericht von dem handeln, um was es in dem Forum geht: Straßen, Wetter, Landschaft, essen, trinken und so weiter.“
Sebastian entspannte sich wieder und zog Matthias an seine breite Brust:
„Ich hab dir was zu erzählen. Dann kannst du immer noch entscheiden, ob es einfach nur ein interessantes Wochenende war, oder ob du wirklich mehr willst.“
Sebastian erzählte und Matthias hörte zu. Er ließ nichts aus. Nicht seine verkorkste Familie, nicht den Jugendknast, nicht seine unschönen sexuellen Erfahrungen, nicht die Wohngruppe und den gerade so geschafften Hauptschulabschluss, auch nicht seine Arbeit im Straßenbau. Als er fertig war schlug die Kirchenuhr aus der Ferne zwei.
Matthias hatte die ganze Zeit aufmerksam zugehört:
„Du kannst stolz auf dich sein! Nicht viele schaffen das, was du geschafft hast. Du bist stark Sebastian. Viel stärker, als du selber weißt.“
Dieser Satz traf ihn tief. Es war dunkel genug, dass man sein Gesicht nicht sehen konnte.
Sebastian war froh darüber. Er antwortete nicht. Matthias zog die Decke ein wenig höher:
„Schlaf gut.“
Sebastian zog ihn näher an sich ran und konnte noch lange nicht einschlafen. Seine eigenen Gefühle, erschreckten ihn. Er hatte die ganze Zeit auf den Haken bei der Sache gewartet und konnte nicht glauben, dass es keinen geben sollte. Du bist stark. Hatte er gesagt.
6. Sonntag
Es war nur ein bisschen peinlich, am nächsten Morgen.
Nicht die Stunde nach Sonnenaufgang, die sie damit verbrachten zu kuscheln, zu fummeln und zu knutschen. Auch nicht die gemeinsame Dusche danach, aber wie befürchtet ging das junge Paar aus dem Nebenzimmer ausgerechnet im gleichen Moment zum Frühstück als Matthias und Sebastian ihr Gepäck durch den Flur trugen um die Motorräder zu beladen. Sebastian grüßte höflich, konnte sich aber ein Grinsen nicht verkneifen. Die junge Frau schaute irritiert von Sebastian zu Matthias auf die Stiefel und die Helme und beschränkte sich auf ein Nicken. Der junge Mann errötete. Matthias brummte ein verhaltenes: „Guten Morgen“ und war froh als er mit seinem ganzen Zeug aus der Tür war.
Sie hatten kein Wort mehr über ihre nächtliche Konversation verloren und Matthias fragte sich, ob Sebastian ihm nun seine Nummer und Adresse geben würde, oder ob es wirklich nur ein geiles Wochenende in Bayerns Bergen
war?
Er holte beim Frühstück eine Visitenkarte seiner Schule aus dem Geldbeutel, schrieb auf die Rückseite seine privaten Kontaktdaten und schob sie über den Tisch:
„Vorne ist dienstlich. Hinten ist privat.“
Sebastian nahm die Karte und drehte sie neugierig um. Es war ein buntes Logo darauf und der Text:
Staatliche Realschule Regensburg
Matthias Rehberg
Lehrer für Deutsch und Geschichte
darunter die Adresse, Telefonnummer und die Mailadresse der Schule.
Sebastian sagte nichts. Er wurde abwechselnd blass und rot und atmete tief. Da war er, der Haken dieser Begegnung mit Matthias und er war so hart und knallte in diesem Moment so unerwartet auf Sebastian runter, dass er wie erschlagen am Tisch saß:
„Scheiße.“
Er hatte fast geflüstert aber Matthias hatte es natürlich trotzdem gehört. Ein Lehrer! Warum musste er ausgerechnet Lehrer sein? Das war nicht fair! Einfach nicht fair! Lehrer hatten seine Kindheit vergällt. Ein Lehrer hatte
ihm seine Unschuld genommen und hinterher gesagt: Wusste ich‘s doch, dumm fickt gut! Es war nicht sein eigener Lehrer und er war nicht mehr minderjährig, aber trotzdem. Vielleicht sah Matthias das ja ähnlich: Dumm fickt gut.
Und dann hatte er ihm in der Nacht peinlicherweise noch die ganze verdammte Story seines verkorksten Lebens aufgetischt! Jetzt schämte er sich unsagbar dafür. Ein Deutschlehrer! Ausgerechnet! Rechtschreibung war immer eine Katastrophe für Sebastian und er vermied so gut es ging, schreiben zu müssen, aus Angst sich zu blamieren. Wie konnte er sich vor einem Deutschlehrer nicht blamieren? Vermutlich würde Matthias schon in einer banalen SMS fünf Fehler finden! Und diese Fehler würden ihn ohne Frage auf Sebastian runter sehen lassen.
Da gab es keinen Weg. Ihre beiden Leben waren nicht kompatibel. Fertig. Sebastian schluckte die aufkommende Übelkeit runter und sagte gepresst:
„Tut mir leid, ich kann dir meine Nummer nicht geben.“
Matthias spürte, dass etwas Ungeheuerliches in ihm vorging aber Sebastian gab ihm keine weitere
Erklärung.
„Wie du meinst.“
Er würgte die bittere Enttäuschung runter so gut es ging und fragte sich, ob er sich die ganze Zeit in Sebastian getäuscht hatte. Ob es doch einfach nur: Fuck and go, as usual war? Schade. Sehr schade sogar! Aber sicher konnte ein Mann der so groß, gutaussehend und so sexy war wie Sebastian, ganz andere Typen abschleppen als ihn, schmächtig und blass wie er war.
Lass ihn bloß nicht sehen das du am liebsten heulen würdest, musste er sich ermahnen und ging aufs Klo um sich ein paar Minuten, von dem herben Tiefschlag zu erholen.
Matthias hatte auch seinen Stolz. Er würde ganz sicher kein zweites Mal fragen.
Sebastian hatte gesehen, dass er schlucken musste und dachte an den perfekten Tag gestern und an die letzte Nacht. Aber er konnte das nicht. Nicht mit einem Lehrer!
Für einen kurzen Moment spielte er mit dem Gedanken, einfach allein los zu fahren aber das war kindisch.
Matthias kam zurück und hatte sich wieder im Griff:
„Fertig mit
dem Frühstück?“
„Ich schon. Du auch?“
„Gut. Dann los. Bis zum Königssee ist es noch weit und ich muss heute noch bis nach Hause fahren.“
Matthias wollte sich jetzt keine Gedanken machen. Einige wunderschöne Streckenabschnitte lagen noch vor ihnen und zu zweit macht Motorradfahren mehr Spaß als allein. Sebastian hatte sicher seine Gründe. Matthias blieb nichts anderes übrig als das zu akzeptieren, aber er war verletzt und gekränkt. Sein Ego brauchte dringend ein paar Streicheleinheiten. Sebastian würde sich heute anstrengen müssen, wenn er mit Black Knight mithalten wollte. Aufsteigen und zurück zum Wesentlichen. Er klappte mit einer brüsken Geste sein Visier runter und fuhr los, ohne zu offensichtlich darauf zu achten, ob Sebastian ihm folgte.
Schon nach wenigen Kilometern spürte Sebastian ganz deutlich, dass er zu wenig geschlafen hatte und dass die Strecke von gestern viel anstrengender gewesen war als er erwartet hatte. Matthias war ganz offensichtlich besser trainiert als er und fuhr heute mit einer deutlich
spürbaren Aggressivität, die Sebastian erstaunte. Er hatte von dem Mann der so sanft und zierlich wirkte, nicht erwartet so hart und rücksichtslos zu fahren. In einer steilen Kehre von Bayrischzell hinauf aufs Sudelfeld hörte er einmal sogar die Fußraste von Matthias‘ BMW über den Asphalt kratzen.
Sie machten keine Pausen, außer zwei oder drei kurzen Fotostopps, für die Matthias nicht abstieg, sondern nur den Helm hochklappte, knipste und dann direkt weiter fuhr.
Als sie in Ruhpolding zum Tanken anhielten, war Sebastian fast an seinem Limit angekommen. Er brauchte eine Pause und er hatte inzwischen begriffen, dass ihre Fahrerei heute, nichts mit dem entspannten und relaxten Miteinander von gestern zu tun hatte. Heute fuhren sie eher gegeneinander und das war um vieles anstrengender. Er kaufte sich eine eiskalte Dose Red Bull und ein Sandwich und versuchte die miese Stimmung zu ignorieren. Das Wetter war perfekt und die Landschaft war wunderschön.
Den ganzen Vormittag hatte er Matthias von hinten gesehen. Er würde sein Nummernschild und seine perfekte Silhouette in seinem
ganzen Leben nicht mehr vergessen. Der harte Gesichtsausdruck den er jetzt trug gefiel ihm allerdings gar nicht. Er wusste genau, warum Matthias so angespannt und so wütend war. Sebastian konnte es zwar gut nachfühlen aber nichts daran ändern. Er hätte Mattias nicht einmal erklären wollen, warum er keinen weiteren Kontakt zu ihm wollte. Es war ihm alles so unglaublich peinlich.
Wenn Matthias allerdings weiter so emotional aufgeladen Motorrad fahren würde, war es nur noch eine Frage der Zeit, wann das Limit der Reifenhaftung endgültig überschritten war. Das war keine Option für Sebastian.
Matthias zog sich die Handschuhe wieder an obwohl Sebastian noch an einer Mauer lehnte und sein Sandwich aß:
„Wenn du glaubst, dass ich weiter so hinter dir her jage und dich irgendwann von der Straße kratze, weil dir deine Kuh unter dem Arsch wegrutscht, dann täuscht du dich.“
Mattias setzte sich auf seine BMW und er fragte ironisch grinsend:
„Schon genug?“
„Ehrlich gesagt ja! Vor allem von deiner Harakiri
Fahrweise. Ich hab keine Lust auf ein Bergrennen.“
„Ok, dann fahr du voraus.“
Es wurde nicht besser. Sebastian fühlte sich unter Druck gesetzt, weil Matthias an seinem Hinterrad klebte und alles was er im Rückspiegel sah, schrie: Fahr schneller! Er wollte aber nicht schneller fahren. Oftmals konnte er auch nicht schneller fahren, einfach weil die Straße oder der Verkehr es nicht hergaben. Nach wenigen, weiteren unerfreulichen Kilometern winkte er Matthias vorbei und sah sein Rücklicht schnell im Wald verschwinden.
Sebastian war es leid. Er konnte sich nicht mehr konzentrieren. Er hatte Hunger und Durst und er fühlte sich verantwortlich für die ganze Situation. Das tat ihm leid und er ärgerte sich über sich selber. Es hätte eine großartige Tour mit Matthias sein können, wenn er den Sex, so perfekt er auch war, aus der Sache rausgehalten hätte.
Für diese Erkenntnis war es zu spät. Für eine ordentliche Brotzeit nicht! Der nächste Biergarten würde seiner sein. Sollte Matthias seine Spielchen alleine spielen. Er würde eine richtige Pause machen und sich überlegen, wo er
die Nacht verbringen wollte. Abschiede waren ihm sowieso unangenehm. Er dachte: Mach’s gut Bambi. Komm gut nach Hause. War echt schön mit dir.
7. Fahrberich
t
Matthias hatte eine halbe Stunde lang geglaubt, der Scheinwerfer den er immer wieder im Rückspiegel sah, gehörte zu Sebastians Honda, bis ihn der Fahrer erreichte und Matthias erkannte, dass es nicht Sebastian war! Aber wo war er geblieben? Scheiße! Er hatte ihn abgehängt, oder Sebastian war ihm nicht mehr gefolgt. Oder und die Möglichkeit war übel: Sebastian hatte sich übernommen und war gestürzt. Darüber wollte Matthias lieber nicht nachdenken. Aber er brauchte Gewissheit. Auch wenn er wütend und enttäuscht war, dass Sebastian sich auf die Straße gelegt hatte, weil er ihm hinterherjagen musste, wollte Matthias auf keinen Fall! Es war keine Frage, dass er umdrehte und die Strecke zurückfuhr. Bis zu der Kurve vor dem Waldstück hinter Ruhpolding an der Sebastian ihn vorbei gelassen hatte. Kein Anzeichen von ihm oder seiner Maschine weit und breit.
Matthias fühlte sich nicht gut. Er hatte sich geärgert sicher, aber er hätte gern auch das letzte Stück der Alpenstraße mit Sebastian
geteilt und sich dann richtig von ihm verabschiedet. So war dieses Wochenende unvollendet. Es war seine eigene Schuld. Er hätte nicht so aggressiv fahren müssen.
Er stieg wieder auf und fuhr langsam und sehr nachdenklich weiter, bis am Königssee die Alpenstraße zu Ende war.
Der Weg bis nach Hause auf der Autobahn war öde und langweilig, aber Matthias verschob die verlockende Runde über die Roßfeld Höhenringstraße, die sich in Berchtesgaden eigentlich noch anbot, auf ein anderes Mal und machte sich auf den Heimweg. Der Gedanke an den Montag in der Schule hob seine Stimmung auch nicht gerade.
Es war ein strahlender Sommernachmittag aber in seinem Inneren war November.
Die folgende Woche über, jagte ein Desaster das Nächste. In der Schule gab es unerwartete Schwierigkeiten mit dem neuen Stundenplan und mehrere unerfreuliche Gespräche mit Kollegen und Eltern. Sein Vermieter schickte einen Brief, mit der Ankündigung einer Mieterhöhung und am Freitag stellte er fest, dass sein Motorrad einen platten Hinterreifen hatte. Matthias wollte
ihn in Kürze sowieso ersetzten aber die Werkstatt hatte den passenden Reifen nicht vorrätig. Er würde dieses Wochenende also nicht fahren können und war das Wetter auch noch so schön!
Am Freitagabend tippte er den langweiligsten und ödesten Reisebericht in den Laptop, der jemals über die deutsche Alpenstraße geschrieben worden war.
Alles was ihm an dem Wochenende in Bayerns Bergen gefallen hatte, konnte bzw. wollte, er nicht mit den Lesern seines Reiseforums teilen. Und alles was er sich ersehnte, erträumte und erwünschte, erst recht nicht. Sebastian und ihre gemeinsame Zeit gingen ihm nicht aus dem Kopf. Nachts träumte er feucht und tags grübelte über jedes Wort und jede Geste, die sie getauscht hatten. Es war alles so perfekt gewesen! Bis zu dem Moment, als er Sebastian seine Karte gegeben hatte. Matthias konnte sich nicht erklären, was das Problem war. So sehr er auch analysierte und mental alles zerlegte und sezierte was geschehen war, er fand keine logische Erklärung für den plötzlichen Sinneswandel.
Er wollte Sebastian so sehr und in ihrer gemeinsamen Nacht, war er sich sicher, dass Sebastian genauso fühlte. Matthias war
immer stolz auf seine Menschenkenntnis gewesen. Bei diesem besonderen Menschen schien sie ihn allerdings total im Stich gelassen zu haben.
Natürlich war sein eigenes Verhalten an dem Sonntag auch extrem ätzend und er konnte es Sebastian nicht verdenken, dass er die Nase voll davon hatte, sich mit Matthias ein Rennen zum Königssee zu liefern.
Samstagnacht betrank er sich mit Bacardi und zwei Litern Cola. Armselig! Wie sagen die Australier dazu: Drinking with the flies! Niemand betrinkt sich allein, mit den Fliegen! Es war einfach nur jämmerlich.
Am Ende konnte er nicht schlafen und schrieb schlussendlich alles auf, um die Herrschaft über seine unkontrollierten Gefühle zurück zu gewinnen: Das ganze verdammte Alpenstraßen Wochenende, mit allen unterdrückten Wünschen, Sehnsüchten und unaussprechlichen Gedanken. Mit dem ersten Eindruck auf dem Autobahnparkplatz als er Sebastian dabei beobachtete, wie er einen Baum bewässert und dann das Prachtstück wieder eingepackte. Mit der freudigen Überraschung als sie sich in Lindau wieder trafen und mit seinen heftigen Gefühlen bei ihrem Kuss in der
Nacht und der Verlorenheit, als Sebastians Rücklicht im Dunkel verschwand.
Der Samstag in den Bergen, die Harmonie beim Fahren, die Glücksgefühle in der Sonne und im warmen Wind. Die Freude die er bei Sebastian gesehen hatte, am Walchensee und im Angesicht der Zugspitze. Er ließ alles aus sich raus. Den ungeheuren Genuss den ihm der kitschig-schöne, romantische Abend am Tegernsee bereitet hatte. Das Herzklopfen bei jeder kleinen Berührung und die schäumende, wilde, unersättliche Lust beim Sex mit Sebastian. Ihre innige Nähe und zärtliche Berührungen, als sie im Bett lagen und redeten.
Es tat ihm so gut, es sich von der Seele zu schreiben.
Alles, bis zur bitteren Neige. Auch und besonders seine eigene Wut, sein Frust und seine Unsicherheit flossen aus seinen Fingern auf den Bildschirm.
Der letzte Satz war wörtliche Rede:
„Wo bist Du! Melde dich bei mir! Bitte!“
Als der Morgen graute, war er leer und konnte endlich schlafen.
Am Sonntag schlief er bis weit in den Nachmittag und überarbeitete dann beide Texte. Er war nicht so betrunken gewesen, dass die Fakten im nüchternen Zustand nicht auch noch absolut treffend beschrieben waren. Manchmal grinste er, bei dem Blick in die eigenen Abgründe. Privat, sehr privat.
Abends lud er nebenbei den Reisebericht in sein Forum und wappnete sich für die Kommentare seiner Leser, die bei weitem, bessere Texte von ihm gewohnt waren. Aber sei es drum. Er hatte den Bericht über die Alpenstraße vollmundig angekündigt und nur deshalb lieferte ihn jetzt auch ab. In Zukunft würde er sich hüten nochmal derartige Ankündigungen zu machen. Erst als er den uninspirierten Bericht verfasst hatte, war ihm aufgefallen, dass das fast so war wie sich selbst einen Aufsatz als Hausaufgabe zu verordnen!
Der Montag war anstrengend und endete erst spät am Abend nach einer Informationsveranstaltung für Eltern und Schüler. Trotzdem wollte Matthias natürlich wissen, ob es irgendwelche Reaktionen auf seinen Reisebericht gab. Einige seiner Leser kannte er schon länger und pflegte regen Kontakt, jedoch ausschließlich online.
Er starrte auf die Alert Liste: Zwanzig Kommentare, fünf interne Mitteilungen und eine Mahnung vom Admin! Auf einen derartig knochentrockenen Text!?
Es dauerte nicht lange bis Matthias checkte, dass er den falschen Bericht ins Forum geladen hatte! Den gefühlsgeladenen, frustrierten, Liebeskummer Text!
Und DER hatte natürlich eine Diskussion hervorgerufen!
Über Schwule als solche. Über schwule Motorradfahrer. Über Black Knight, der offensichtlich schwul war und die Enttäuschung darüber, bei weiblichen Fans. Eindeutige Angebote, sich zu treffen von männlichen Fans. Offen gezeigte Ablehnung und homophobe Kommentare.
Er saß zitternd vor dem Rechner, las die Kommentare und das was der Admin der Seite ihm schrieb; Nicht erwünschte sexuelle Inhalte, ausnahmsweise, weil in Zusammenhang gebracht und Gender politisch interessant, wurde keine Bannung des Textes und des Autors ausgesprochen. Erzeugte Diskussion wäre interessant. In Zukunft Regularien unbedingt zu beachten, etc. pipapo usw. blablabla
.
Die Buchstaben verschwammen vor Matthias‘ Augen und ihm wurde übel. Er versuchte seine Gedanken zu ordnen aber alles schien außer Kontrolle zu geraten. Immer schon war seine größte Angst, die Kontrolle und die Deckung zu verlieren. Er fühlte sich wie in einem Alptraum.
Dann klingelte es an der Tür:
„Du?“
Sebastian stand vor der Tür. Den Sturzhelm in der Hand, den Blick gesenkt und sehr unsicher:
„Du hast geschrieben, ich soll mich melden, oder?“
Matthias ließ ihn eintreten. Es war ein Reflex. Er wusste nicht vor und nicht zurück. Sebastian hatte das alles gelesen! Seine geheimsten Gedanken und Gefühle, all das jämmerliche Geschreibe! Was dachte der jetzt von ihm? Er stammelte:
„Das war ein Fehler. Es tut mir so leid! Ich habe den falschen Bericht in das Forum gestellt.“
Sebastian sah das er kurz davor komplett zusammen zu brechen:
„Nicht du! Ich habe den Fehler gemacht. Ich habe dir nicht zugetraut es ernst zu meinen aber als ich das gelesen habe, konnte ich sehen dass es eins zu eins mit dem übereinstimmte, wie
ich dich erlebt habe.“
Der Satz war lang und er war froh als er ihn heraus hatte.
Matthias starrte ihn an:
„Und jetzt?“
Sebastian nickte zu dem geöffneten Laptop auf dem Tisch und grinste: „Jetzt könntest du den Bericht wieder rauslöschen.“
Später, im Bett, fragte Matthias:
„Warum hast du nicht einfach geschrieben?“
„Weil genau das mein Problem ist.“
„Du kannst nicht schreiben?!“
„Doch, aber du bist Lehrer, oder? Ich weiß nicht ob das mit uns irgendwas werden kann aber ich hab gedacht, dass du ganz schön mutig bist, dass alles öffentlich zu machen, weil ich dir meine Nummer nicht gegeben habe.“
„Ich bin gar nicht mutig. Aber ich bin froh, dass du hier bist.“
ENDE