Drei Monate zuvor hatte Duffy im Alligator an der Bar bei einem Drink gesessen und zu entscheiden versucht, welche von zwei Alarmanlagen er einem Kunden empfehlen sollte: diejenige, die besser funktionierte, bei der er aber einen schlechteren Schnitt machte; oder jene, die weniger gut funktionierte (an dieser Lichtschranke kam jeder Scotchterrier vorbei, ebenso wie jene Burschen mit Abitur, die heute in die Branche einstiegen), aber bei der er einen besseren Schnitt machte. Eigentlich, dachte er, gab es da gar keine Frage: Der Kunde war ihm derart zuwider gewesen – wie der Bursche ihm automatisch ein Bier bestellt hatte, während er selbst einen Sherry nahm (nicht dass Duffy Sherry gemocht hätte), die hochnäsige Art, wie er Duffy geduckt hatte, als es um die wahrscheinlichste Methode ging, wie sich ein Einbrecher Zutritt verschaffen würde. Er würde also Folgendes tun …
»Ich nehm eine frigide Jungfrau.«
Duffy blickte auf. Ein pausbäckiger Mann mit deutlichem Bartschatten schob sich eben auf den benachbarten Barhocker. Er hatte einen käsigen Teint und sah nicht sehr fit aus. Duffy wandte sich wieder seinem Whisky zu. Er würde Folgendes tun: erst mal für das Haus des alten Sacks einen seiner speziell kompliziert aussehenden Schaltpläne zeichnen, dann die Anlage empfehlen, bei der er den besseren Schnitt machte, auf die Rechnung etwas mehr als üblich draufschlagen und das Beste hoffen. Im Grunde war Einbruch bloß Glückssache: Wenn ein geschickter Langfinger mit Handschuhen in der Nacht zugange war, so ließ sich der nicht aufhalten; bei einem Azubi oder einem Hosenscheißer oder einem, der das nur machte, um mal von seiner Alten wegzukommen, da genügte schon ein großer weißer Kasten mit ein paar Drähten dran, und schon verpissten die sich zum nächsten Haus.
»Ich sagte, ich nehm eine frigide Jungfrau, alter Junge.«
Duffy blickte kein zweites Mal hin. Er war nicht in der Stimmung, sich aufgabeln zu lassen; und schon gar nicht in der Stimmung, einen auszugeben. Er hatte am Morgen seinen Bankauszug bekommen. Und so hob er bloß sein Glas in Richtung Barkeeper und sagte, als der herüberkam:
»Ich glaube, der Herr zu meiner Rechten möchte sich einen ausgeben.«
Da hörte er ein Glucksen:
»Frigide Jungfrau und noch mal dasselbe für meinen Freund hier, was immer er da in seiner Pfote hält, ich heiße Leonardo.«
Duffy starrte weiterhin in seinen Whisky. Wenn Pausbäckchen ihm einen Drink spendieren wollte, dann war das Pausbäckchens Sache. Er drehte sich um und schnappte vom Nachbarhocker einen Blick hastiger Erwartung auf.
»Leonardo … Jungfrau … ach, was soll’s. Barkeeper, kippen Sie da einen Wodka rein, ja? Einen Großen.« Dann wandte er sich wieder Duffy zu. »Schade, das wäre für dich eine schmerzlose Runde geworden. Nach der ersten bin ich nicht mehr so billig zu haben.«
»Ich will sie nicht haben«, sagte Duffy.
»Eric Leonard«, sagte der Neuankömmling.
»Duffy«, sagte Duffy.
»Sonst noch was? Sir Duffy.«
»Da gibt’s noch einen Nick.«
»Den gibt es meistens. Mein lieber Nick«, wiederholte Leonard den Namen unnötigerweise und ein bisschen schmeichlerisch. Duffy erkannte sich fast nicht wieder. Bei der Arbeit war er Duffy; für seine engen Freunde war er Duffy; die Einzigen, die ihn Nick nannten, waren Bekannte, die es nicht besser wussten – oder nichts Besseres durften. Also war das für den Augenblick ganz in Ordnung.
»Und Ihr sollt mich Eric nennen.«
»Ich werd’s mir überlegen.« Duffy war immer misstrauisch bei Leuten, die keinen richtigen Familiennamen hatten. Zwei Vornamen: Das gehörte sich nicht; das war nicht … anständig.
Duffy fragte sich, was Leonard wollte. Außer mit ihm ins Bett gehen, natürlich. Was freilich alles andere als eine ausgemachte Sache war. Meistens ging man zwar in den Alligator, um nicht allein nach Hause zu gehen, klar; aber manchmal ging man auch nur der Atmosphäre wegen hin, um beim Trinken Gesellschaft zu haben, und dann machte man sich mit einem »Ein andermal vielleicht« wieder davon. Das war etwas, was Duffy am Alligator gefiel. Es war kein heißer Hahnenstall; es war kein Lokal, wo die Leute Überschallknall auf Fall ihr Coming-out im Concorde-Tempo auslebten; es war auch kein Lokal für Klischee-Typen – das Holzfällerhemd, der kleine Schnauzer, die breite Cordjeans; es war auch kein Lokal für Leder und Ketten und »Augenblick, ich geh nur schnell mal auf die Klappe meine Faust schmieren«. Es war ein ruhiges, ordentliches Lokal für ruhige, ordentliche Leute wie Duffy. Es war sogar, vermutete er, ein bisschen bürgerlich.
Und darum war Eric Duffy etwas ungeschliffen vorgekommen. Die aufdringliche Art, die Anzüglichkeiten – das war doch alles so passé; so passé wie Hinterntätscheln. Du magst ja schwul sein, dachte Duffy bei sich, aber das ist ein Ausgangspunkt, kein Endziel. Duffy war nicht prüde, aber vielleicht war er etwas puritanisch veranlagt. Er hätte gerne gewusst, was Eric für einen Beruf hatte; aber er wollte es auch nicht so dringend wissen, dass er ihn danach gefragt hätte.
Eric wiederum hatte Duffy in die gleiche Kategorie eingeordnet. Er war noch nie im Alligator gewesen und fand das Lokal deprimierend konventionell. Man hätte ebenso gut in einer Singles-Bar im mittleren Manhattan sein können, dachte er. All die blauen Blazer, die gestreiften Hemden und Schlipse, du lieber Himmel! Und mittendrin dieser untersetzte Bursche im Blouson mit einem großen Plastikreißverschluss vorne, einem Rollkragenpullover und einer ausgewachsenen Bürstenfrisur. Als er auf den Barhocker geglitten war, hatte Eric das breite, kräftige Gesicht mit dem etwas klein geratenen, schmalen Mund bemerkt; auch die Hände wirkten sehr stark, mit kantigen Stummelfingern. Als Duffy sich das erste Mal ihm zuwandte, bemerkte Eric den Goldstecker im linken Ohrläppchen. Du kommst mir gerade recht, dachte er, du kommst mir gerade recht, mein kleiner ungeschliffener Freund.
Bloß kam er dann eben nicht. Als Eric seinen Drink, der zu einer Bloody Mary geworden war, ausgetrunken hatte, beugte er sich hinüber und sagte:
»Nun denn, Sir Duffy, wollen wir in den Sattel steigen?« Doch der Bursche stellte nur sein Glas hin, schüttelte den Kopf und sagte: »Nein.«
Und so war Duffy nach Hause gewandert, deprimiert vom Gedanken an seinen Bankauszug und deprimiert von der Tatsache, dass er um ein Haar nicht Nein gesagt hätte.
Eric bereute inzwischen den Drink, den er spendiert hatte. Was Drinks anging, hatte er eine Regel: die Lex Leonard, wie er sie für sich nannte. Jenen, die reicher sind als du, sollst du stets mehr Drinks spendieren als nötig; aber bei denen, die ärmer sind, sollst du stets schmarotzen. So verschaffst du dir auf beiden Seiten Respekt.
Das Merkwürdige war nur, dass es bei diesem Duffy nicht geklappt hatte. Der hatte offenbar kein Bedürfnis nach Schmarotzern. Zweifellos irgendein psychologischer Knacks. Vielleicht, dachte Eric, hätte er dem Burschen mehr persönliche Fragen stellen sollen. Das zog bei denen immer.
Zwei Wochen später schaute Leonard wieder im Alligator rein. Als er Duffy diesmal erblickte, legte er eine etwas andere Platte auf, gab sich etwas gewöhnlicher, ging sogar so weit, ihn nach seinem Beruf zu fragen.
»Ich leite eine Firma.«
»Aha, in welcher Branche?«
»Sicherheitstechnik.«
»Hab ich vielleicht schon mal von der Firma gehört?«
»Schon mal von Duffy Security gehört?«
»Nein.«
»Dann haben Sie wohl noch nie davon gehört.«
Eric war plötzlich etwas schärfer darauf, mit Duffy ins Bett zu gehen. Einen Polizisten hatte er schon mal gebumst, aber einen aus der Sicherheitsbranche noch nie. Er hatte einen vagen, nur halb entwickelten Ehrgeiz, mit einem von jeder Branche und Berufsgattung einmal zu schlafen (mit gewissen Ausnahmen natürlich wie Bankiers und Börsenmakler und Rechtsanwälte; aber schließlich war man ja nicht umsonst ein linker Journalist: Manchmal konnte man nicht verhindern, dass einem die eigenen Prinzipien in die Quere kamen). Einen Sicherheitsexperten zu bumsen, das war etwas Neues. Was er Duffy freilich nicht auf die Nase binden würde.
Duffy wiederum ließ nicht durchblicken, dass er eine bloße Ein-Mann-Firma war; dass sein Büro aus einem Anrufbeantworter bestand; dass sein Lieferwagen sechs Jahre alt war; dass er nicht einmal einen Hund hatte. Nicht dass er jemals einen Hund gebraucht hätte; manche Leute meinten nur eben, dass sie einen gewissen Status verliehen. Aber Eric fragte nicht nach Einzelheiten; seine Neugier war inzwischen mehr oder weniger erschöpft. Stattdessen fragte er:
»Kannst du mich nach Hause bringen?«
Und Duffy erwiderte:
»Also gut.«
Schließlich gingen sie dann in Duffys Wohnung, das Erdgeschoss einer Doppelhaushälfte an der Goldsmith Avenue in Acton. Zuerst erschien Eric die Wohnung sehr ordentlich; dann wurde ihm klar, dass sie nicht so sehr ordentlich war, sondern leer. Was an Einrichtung da war, wirkte aufgeräumt, aber der Gesamteindruck grenzte ans Mönchische.
»Waren die Einbrecher da?«, fragte er, im Glauben, dass ein Sicherheitsexperte eine solche Bemerkung witzig finden könnte. Aber Duffy erwiderte nichts. Stattdessen deutete er auf das Badezimmer und sagte:
»Uhr da rein.«
»Urda?«
»Leg deine Uhr da rein.«
Ach so. Na ja, wenn er es so haben wollte. Eric spazierte ins Badezimmer und sah dort eine viereckige Tupperware-Box mit einem Aufkleber. Auf dem Aufkleber stand Uhren. Eric schälte also seine Armbanduhr ab und ließ sie in die Box fallen; dann, verwirrt, aber irgendwie nachsichtig gestimmt, schnallte er auch noch sein silbernes Namensarmband ab, dessen »EL« von den eingravierten Schnörkeln fast verdeckt wurde, und ließ das auch noch hineinfallen. Vielleicht war es so, wie wenn man seine Wertsachen beim Platzwart deponierte. Er würde Duffy danach fragen müssen.
Hätte er das getan, so hätte ihm Duffy vielleicht von seiner Uhrentickphobie erzählt. Aber Eric fragte nicht danach. Als er das Schlafzimmer erreichte, lag sein Gastgeber bereits im Bett. Eric blickte vage um sich, um zu sehen, wo er seine Kleider hinlegen sollte. Duffys eigene waren nirgends zu sehen. Auch das aufgeräumt. Ach ja, dachte er, das gehörte wohl alles dazu, wenn man das Volk kennenlernen wollte.
Am nächsten Morgen ging Eric mit den üblichen gemischten Gefühlen. Er hatte seine Liste um einen Sicherheitsexperten ergänzt, das war immerhin etwas. Andererseits war es nicht viel anders, Duffy zu bumsen, als jemanden zu bumsen, der kein Sicherheitsexperte war: Wenn man die Augen zumachte, dachte man nicht gleich, ich bin in den Händen eines Mannes, der sich in Geldtransporten, Alarmanlagen und Personalüberprüfungen auskennt. Das kam einem nicht in den Sinn. So machte es für Eric in gewisser Weise sehr viel aus, dass Duffy ein Sicherheitsberater war, und gleichzeitig auch überhaupt nichts. Na ja, dass man halt mal danebenlag, war beim Sex ja nichts Neues, dachte er.
Irgendwie hatte er Duffy ganz gerne gemocht – soweit das bei solchen Gelegenheiten möglich war (und dieses Mögen war oft schwer zu trennen von der Erleichterung, dass alles gut abgelaufen war, und der Hoffnung, dass sich keine bakteriellen Nachwirkungen einstellen würden). Beim Abschied war er sogar so weit gegangen, dass er sagte:
»Auf ein andermal.«
»Nein«, hatte Duffy höflich geantwortet, und Eric ertappte sich beim Gedanken: Ich wusste gar nicht, dass ich so schlecht bin. Aber Duffys Ablehnung hatte mit der vergangenen Nacht nichts zu tun; sie hatte ausschließlich mit Carol zu tun und mit den Ereignissen vor vier Jahren und mit einer langen Vorgeschichte, die er den Einnachtsfliegen gewiss nicht auftischen würde.
Und im Augenblick gab es in Duffys Leben nur Einnachtsfliegen. Einnachtsfliegen beiderlei Geschlechts, übrigens; aber selbst wenn sie als Liebhaber noch so kompetent waren oder sauber oder interessant oder ganz einfach nur nett, durften sie ihre Uhren doch nur einmal in seine Box fallen lassen. Carol, Ex-Kollegin von der Polizeiwache West Central, Ex-Freundin (nein, Freundin eigentlich immer noch, irgendwie) und Ex-Verlobte (nein, auch nicht ganz. Sie hatte ihn gefragt, und er hatte Nein gesagt) – sie war die einzige Ausnahme; und das war die bittere Ironie der Sache: Carol war die einzige Person, bei der Duffy im Bett Erfolg haben wollte – und die einzige Person, bei der er automatisch versagte, schon so oft versagt hatte, dass er es mittlerweile gar nicht mehr versuchte. Bei Carol potent zu sein, hatte Duffy längst entschieden, war das Luftschloss eines Idioten. Da konnte man ebenso gut an den Himmel glauben.
»Ich nehme immer noch eine frigide Jungfrau«, raunte ihm drei Monate später im Alligator eine vertraute Stimme ins Ohr. »Wo seid Ihr gewesen, Sir Duffy?«
Duffy gab dem Kellner ein Zeichen und dolmetschte:
»Tomatensaft, viel Eis.«
»Ach so, altes Haus, wenn du die Runde zahlst …« Eric hielt den Kellner mit einem Zucken seiner Augenbraue zurück. »Versenken Sie doch noch zwei Wodka darin, wenn Sie schon dabei sind.«
»Nein, du zahlst«, sagte Duffy, der sich stets hartnäckig gegen solche Tricks zur Wehr setzte.
»Mein Gott, kein Wunder, dass man dich Geldtransporte überwachen lässt, wie?« Eric ächzte theatralisch. »Egal, ich komme gleich zur Sache.«
»Nein«, sagte Duffy. »Kein zweites Mal, hab ich gesagt, stimmt’s?« Warum meinten die Leute immer, »Nein« hieße »Ja, bald«?
»Moment. Momentchen auch. Job. Willst du einen Job?«
»Vielleicht.«
»Deswegen hab ich dich gesucht.«
»Ich steh im Telefonbuch.«
»Stimmt, aber es macht eben viel mehr Spaß, hier zu sitzen und sich einen Drink spendieren zu lassen, als durchs Telefon mit deiner Sekretärin zu quatschen, nicht wahr?«
Duffy ließ eine der beiden Bemerkungen durchgehen, nahm die andere aber auf.
»Zahlen wirst immer noch du.«
»Ein Freund eines Freundes … hat gewisse Schwierigkeiten.«
»Das überrascht mich nicht.« Dieses bleiche Gesicht und gleichzeitig dieses heitere Getue hatten für Duffy etwas Irritierendes. Sei eins oder das andere, dachte er.
»Immer bösartig, wie?« (Auch das ließ Duffy durchgehen.) »In seinem Unternehmen wird offenbar geklaut.«
»Da gibt’s so ’ne ganz nützliche Abteilung der öffentlichen Dienste, die man für so was eingerichtet hat, weißt du? Nennt sich Polizei.«
»Na ja, er hat da offensichtlich seine Gründe.«
»Und die wären?«
»Es ist ein kleines Unternehmen – gut ein halbes Dutzend Angestellte. Allgemein gutes Betriebsklima, nur ist offenbar ein faules Ei darunter. Wenn er jetzt zur Polizei ginge, kämen die doch mit ihren Quadratlatschen da reingetrampelt, würden alles auf den Kopf stellen und erst mal jeden verdächtigen, stimmt’s?«
»Das könnte der Klauerei ein Ende machen.«
»Und so hat er sich gedacht, er holt einen Privaten rein, lässt ihn ein bisschen rumschnüffeln. Kann doch nichts schaden, oder?«
»Nein. Kann ihn nur Geld kosten. Warum hast du mich vorgeschlagen?«
»Na ja, du leitest doch eine Firma für Sicherheitstechnik, nicht?«
»In der Beziehung kennst du mich aber gar nicht.«
»Nein, aber unsereins muss doch zusammenhalten, stimmt’s?«
Aha, dachte Duffy: Schwule als die Freimaurer von heute – sind wir jetzt so weit gekommen? Würde er bald einen neuen Händedruck lernen müssen? Er war irritiert. Wenn man Solidarität nicht nötig hatte, ärgerte man sich, wenn sie einem aufgedrängt wurde.
»Erzähl weiter.«
»Er heißt Hendrick. Er betreibt eine Speditions- und Lagerfirma vom Flughafen Heathrow aus. In letzter Zeit ist ihm etwas zu viel von seinem Zeug abhandengekommen.«
»Wie würde er mich erklären? Mit einem Moppstiel in der Hand wirke ich nicht sehr überzeugend.«
»Einer seiner Männer hatte neulich einen Autounfall. Der wird eine Weile ausfallen.«
»Wie praktisch. Und was hab ich zu tun?«
»Das wird er dir schon sagen.«
»Ich berechne …«
»Duffy«, fiel ihm Eric ins Wort, »ich bin kein verfickter Arbeitsvermittler. Mach das selbst mit ihm aus. Was du verdienst, ist mir egal. Wenn du den Job willst, schaust du bei ihm vorbei.« Eric war verärgert. Erst stellte sich Duffy so an, als wollte man ihn vergewaltigen; dann wurde er auch noch pampig. Eric kritzelte auf den oberen Rand einer Zeitung. »Das ist sein Londoner Büro. Ruf an, sag, du würdest dich wegen der Papayas melden.«
»Wegen der was?«
»Der Papayas. Die Frucht. Tropisch. Das ist ein Kennwort, Duffy. Wir dachten, es wäre keine gute Idee, wenn du anrufst und sagst, du würdest dich melden, um die Diebstähle aufzuklären.«
»Geschnallt.«
»Das will ich hoffen.« Eric glitt von seinem Barhocker. Er fühlte sich falsch eingeschätzt. Er hatte Duffys »Nein« ganz bestimmt nicht als »Ja, bald« aufgefasst. Sondern bloß als »Vielleicht später mal«.
»Ach, noch zwei Dinge.«
»Ja?«
»Wer ist dein Freund?«
»…?«
»Der Freund, der der Freund ist in ›der Freund eines Freundes‹.«
»Ach, das spielt keine Rolle.«
»Woher weißt du das?«
»Weil er die Firma seines Freundes nicht beklaut hat, darum. Und was ist das Zweite?«
»Oh – vergiss nicht, die Drinks zu bezahlen, wenn du gehst.«
Duffy saß Roy Hendrick gegenüber, in einem Büro von der Größe eines Wartehäuschens, in der Nähe der Euston Road. Seine Sekretärin hatte ein Zimmer vom Umfang eines großen Kühlschranks. Hendrick schien sich nicht sehr behaglich zu fühlen. Vielleicht war ihm das Büro nicht so vertraut – vielleicht hatte er es nur aus Steuergründen oder um seine Kunden mit einer Londoner Filiale seines Unternehmens zu beeindrucken. Vielleicht fühlte sich Hendrick auch aus einem anderen Grund unbehaglich; vielleicht belog er Duffy. Das taten Kunden oft.
Hendrick, ein fleischiger, düsterer Mann mit schmierig blondem Haar und einem schlabbernden Anzug, den ihm jemand vererbt haben mochte, erklärte sein Problem.
»Ich bin kein Engel, Mr Duffy, und ich erwarte auch nicht, dass andere sich wie Engel benehmen. Aber es gibt doch Grenzen.«
»M-hm.«
»Wenn Sie die Möbelpacker bestellen, wenn Sie umziehen, da rechnen Sie ja damit, dass einiges verloren geht, nicht wahr? Ich meine, wenn Sie vernünftig sind, dann verpacken Sie die Sachen, die Ihnen wichtig sind, persönlich und bringen sie selbst hin, und sind auch nicht weiter überrascht, wenn sich die Möbelpacker im Laufe der Arbeit auf Ihre Kosten zu einem kleinen Bonus verhelfen. So läuft das doch, nicht wahr?«
»Wenn Sie meinen.« Die einzigen Möbelträger, mit denen Duffy je zu tun gehabt hatte, waren Einbrecher gewesen. In seiner letzten Wohnung war zweimal eingebrochen worden: Das zweite Mal hatten sie alles mitgenommen, einschließlich seines Häufchens Six-Pence-Münzen und seines elektrischen Wasserkessels; sie hatten sogar seine Topfpflanze mitlaufen lassen. Geblieben waren ihm nur ein paar Aschenbecher, ein Bett und ein Teppich. Dafür hatte er keinen Möbelwagen mehr gebraucht, als er in eine andere Wohnung umzog.
»Nun, im Speditionsgeschäft läuft es ähnlich. Wenn Sie per Luftfracht expedieren, müssen Sie damit rechnen, dass dies und das abhandenkommt. Das Zeug geht durch so viele Hände, muss vom Zoll geöffnet werden – na ja, da gibt es mehr Versuchungen, als Adam je begegneten, wenn Sie verstehen, was ich meine.« (Duffy wirkte auf Hendrick nicht sonderlich bildungsfreudig.) »Und wissen Sie, was man über Heathrow sagt?« Hendrick hielt inne. Aus Duffys Miene ging klar hervor, dass er nicht wusste, was man über Heathrow sagte. »Wer dort arbeitet, muss nie Obst und Gemüse einkaufen. Ich hab mir sagen lassen, dass es dort im Umkreis von mehreren Meilen kaum einen Gemüsehändler gibt. Jeder, der in der Gegend seine Frau dabei ertappt, wie sie versucht, ein Pfund Äpfel oder dergleichen zu kaufen, steckt sie praktisch stracks in die Klapsmühle.«
Hendrick blickte Duffy starr an, um ihn zu einer vagen Verbrüderung gegen das schwache Geschlecht einzuladen. Duffys Miene blieb ausdruckslos. Hendrick blickte kurz auf den Goldstecker in Duffys linkem Ohr. Er hatte Lust, einmal daran zu zupfen, nur damit der Mann endlich etwas von sich gäbe. Schließlich sagte Duffy doch noch etwas, wenn auch sehr zurückhaltend.
»M-hm.«
»Was meinen Sie mit M-hm?«
»Sie haben also Äpfel verloren, ist es das, was Sie mir sagen wollen?«
»Nein. Das heißt, ja, irgendwie schon, aber darum geht es nicht. Ich leite dieses Geschäft seit fünf Jahren. Habe immer einen bestimmten Prozentsatz von Langfingerei akzeptiert. Da gibt’s manchmal so etwas wie eine stillschweigende Abmachung: Ihnen hilft es, ihren Lohn etwas aufzubessern, und ich belaste es der Versicherung und drücke ein Auge zu. Lohnt sich gar nicht, da was zu machen.«
»Aber neuerdings …«
»Aber neuerdings, etwa einmal im Monat oder so, artet es aus: Da wird richtig abgesahnt. So, dass ich es nicht mehr schleifen lassen kann.«
»Beispielsweise?«
»Eine Sendung Taschenrechner. Ein halbes Dutzend Pelze. Zwei Kisten Räucherlachs.«
»Spedieren Sie nur Luxusartikel?«
»Eigentlich nicht. Wir verfrachten ein ziemlich gemischtes Sortiment; von allem etwas. Aber man schickt nichts per Luftfracht, was nicht wertvoll oder verderblich ist oder schnell expediert werden muss, weil die Marktlage es verlangt. Wir kriegen nicht allzu viele Kisten voll Gartenmöbel oder Schweinetrockenfutter, wenn Sie das meinen, nein.«
»Wie wollen Sie mich reinschleusen?«
»Sie können McKays Stelle übernehmen. Der arme alte McKay«, fügte Hendrick hinzu, als wollte er sein Mitgefühl bekräftigen; aber die Wiederholung ließ es aufgesetzt erscheinen (und vielleicht war es ohnehin nie sehr aufrichtig gewesen). »Den hätten wir fast abschreiben können. Seinen Wagen kann er auch abschreiben. Sehr schöner Wagen.« Hendricks letzte Bemerkung zumindest hörte sich aufrichtig an.
»Was hab ich zu tun?«
»Bisschen von allem: Wir sind eine kleine Firma. Da packen alle mit an. Bisschen fahren, bisschen Sachen rumschleppen, bisschen Mrs Boseley helfen.«
»…?«
»Oh, die leitet für mich den Frachtschuppen. Erstklassige Frau, wird Sie auf Trab halten.«
»Trägt gern Pelze, wie?«
Hendrick blickte auf, sein düsteres Gesicht verzog sich träge zu einer schockierten Miene. Bevor es dort anlangte, ließ Duffy ein ungewohntes Lächeln aufblitzen. »Nur ein kleiner Scherz, Mr Hendrick. Fragen muss ich doch, nicht wahr?«
»Sie melden sich bei ihr, sobald Sie anfangen können. Morgen?«
»Übermorgen. Ich berechne fünfundzwanzig am Tag.«
»Ah, so, nun, das ist etwa, was McKay gekriegt hat, das geht also in Ordnung.«
»Nein, das kommt zu McKays Lohn hinzu. Wenn ich zwei Jobs habe, will ich auch zwei Lohntüten.«
Sie feilschten. Wie üblich blieb Duffy anfänglich fest, verlor dann ein wenig das Interesse und ließ schließlich so viel nach, dass er sich hinterher über sich selbst ärgerte. Immerhin bekam er so das Anderthalbfache seines Normaltarifs, und es machte ihm auch nichts aus, ab und zu ein paar Säcke umzulagern. Besonders, wenn das bedeutete, dass er für ein paar Wochen nicht mehr zum Gemüsehändler zu gehen brauchte.