Tags darauf gab es am Nachmittag plötzlich einigen Aufruhr im Betrieb. Duffy in seiner Dummenecke blickte auf, als Mrs Boseley aus ihrem Büro geschossen kam, mit der rechten Hand die Tür aufstoßend und mit der Linken immer noch den Telefonhörer umklammernd.

»Gleeson!«, schrie sie. »GLEESON

Sie ging zurück ins Büro und schloss die Tür. Duffy konnte sehen, dass ihr Telefongespräch während der nächsten paar Minuten ziemlich lebhaft verlief. Dann legte sie auf. Gleeson kam, und sie steckten gut zehn Minuten lang die Köpfe zusammen. Dann griff Mrs Boseley erneut zum Telefon. Gleeson kam aus dem Büro und ging zielbewusst zu Caseys Bereich des Schuppens hinüber. Duffy schloss daraus, dass die Sache in die Gänge kam. Er schlenderte hinüber. Als er ankam, riss Casey gerade die obersten zwei Druckknöpfe an seinem Hemd auf. Er zeigte auf das HIER SCHNEIDEN und machte eine schlitzende Handbewegung.

»Pfadfinderehrenwort«, sagte er und bedachte Gleeson mit einem Wölflingsgruß.

»Such weiter, Scheiße noch mal«, sagte Gleeson.

Duffy hüstelte.

»Entschuldigen Sie, Mr Gleeson. Ist was?«

»Kann ich irgendwie behilflich sein?«

»Verpiss dich, Duffy.«

Er machte kehrt und schlenderte davon.

»Nein, Augenblick. Hilf Casey suchen. Zwei Halbdeppen sind wahrscheinlich immer noch besser als einer.«

»Charmant«, murmelte Duffy, als Gleeson abmarschierte, um bei Mrs Boseley neue Anweisungen zu holen.

»Was suchen wir denn?«

»Karton Zünder.«

»Aha. Verloren gegangen, wie?«

Caseys einzige Erwiderung war ein Fußtritt gegen eine Teekiste. Duffy interpretierte das als »Ja«. Tritt gegen Teekiste heißt »Ja«; Faustschlag gegen Karton heißt »Nein«; Kopfstoß gegen Tiefkühlbehälter heißt »Keine Ahnung«. Daraus bestand vermutlich der hiesige Wortschatz.

»Für wen waren die bestimmt?«

»Mucks.« Das war vermutlich Caseys Abkürzung für Muxton & Walker.

»Wer hat sie aufgeladen?«

Casey grunzte etwas Unbestimmtes, aber die Antwort kannte Duffy ja bereits.

»Wer hat sie freigegeben?«

»Gleeson.«

»Wer hat sie gefahren?«

»Gleeson.«

Immer besser, dachte Duffy. Mit diesem Bonus hatte

Duffy tat immer noch so, als helfe er Casey bei der Suche nach dem verschollenen Karton Zünder, als ein flaschengrüner Jaguar XJ6 in den Schuppen fuhr und am ungünstigsten Ort parkte. Hendrick stieg aus, mit stinksaurer Miene. Nach zehn Minuten im Horst kam er zusammen mit Mrs Boseley und Gleeson hinüber zu dem Bereich, wo Duffy, Casey und mittlerweile auch Tan so taten, als würden sie suchen. Inzwischen taten sie wirklich nur noch so, denn sie hatten Caseys ganzen Bereich zweimal durchgekämmt, und es war völlig klar, dass die Zünder durchgebrannt waren – offenbar heiße Ware.

»Tag, Mr Hendrick«, sagte Duffy, als die drei daherkamen. Immerhin hatte er ja angeblich für ihn schon Gelegenheitsarbeiten verrichtet. »Tut mir leid, dass was schiefgelaufen ist.«

»Verpiss dich, Duffy«, sagte Gleeson, bevor sein Chef den Mund aufmachen konnte, »verpiss du dich einfach in deine Ecke.«

Duffy versuchte, phlegmatisch dreinzublicken, als wäre Gleeson schon immer so mit ihm umgegangen (was ja auch stimmte), in der Hoffnung, dass Hendrick seinem Vorarbeiter eine kleine Lektion in Sachen Personalführung verpassen würde. Es war eine schwache Hoffnung;

Als er wieder in seiner Ecke stand, dachte er darüber nach, was er für eine Kopie der Rechnungen über die ans Dude’s gelieferten Waren gegeben hätte. Im Laufe des Tages hatte er sich überall gut umgesehen und viele Aufkleber an Kisten gelesen und hatte in der Kühlhalle herumgelungert, für den Fall, dass er jene Blumen ausmachen konnte, deren Duft dazu bestimmt war, von Räucherstäbchen überwältigt zu werden; aber alles umsonst.

Um halb sechs stand er vor seinem Spind und zog sich um, als Tan zu ihm trat.

»Mrs Boseley will dich sehen, nicht weggehen«, sagte er.

Aha. Eine königliche Audienz. Er zog sich fertig um und sprang dann die Treppe zu ihrem Büro hoch.

»Oh, nehmen Sie bitte Platz, Duffy. Ich bin gleich so weit.«

Sie beugte sich über irgendwelchen Papierkram und schien eine Kolonne von Zahlen zu addieren. Sie tat es einmal; sie tat es zweimal; dann seufzte sie und holte aus ihrer obersten Schublade einen Taschenrechner hervor. Duffy bemerkte, dass es dieselbe Marke war wie die sechs, die er hinter dem Spülkasten im Herrenklo versteckt hatte, zog aber keine voreiligen Schlüsse daraus. Genauer gesagt, er zog sie sofort und verwarf sie dann wieder. Was immer Mrs Boseley für Dinger drehen mochte, nur um ein bisschen Hilfe beim Rechnen ging es dabei bestimmt nicht.

He, mach schon, jetzt sitze ich schon seit zehn Minuten hier, inzwischen könnte ich längst auf der M 4 mit den Jumbos Katz und Maus spielen. Er blickte in die Halle hinaus. Die Doppeltore waren für die Nacht geschlossen. Alle schienen nach Hause gegangen zu sein. Bis auf ihn und Mrs Boseley. Was verbarg sich wohl hinter dem E? Elizabeth? Elspeth? Eva? Ja, wahrscheinlich Eva – hatte ihren Namen geändert, nach ihrem großen Vorbild Eva Braun. Hatte sich die Haare gefärbt, um so arisch wie möglich auszusehen. Wozu hatte sie ihn herbestellt?, fragte er sich. Sie konnte doch unmöglich … ach nein, das wäre doch zu albern, nicht wahr? Das wäre doch zu abgedroschen. Gut aussehende Geschäftsleiterin verliebt sich in muskulösen jungen Handlanger. Ihre anfängliche Frostigkeit war nur eine armselige, traurige Maske, die verbergen sollte, was für Gefühle in ihr lauerten … Insgeheim verlangte sie nach …

Na, na, Duffy, jetzt reicht’s aber. Und wenn’s so wär, weißt du, was du dann wärst? Erst mal verdammt verlegen. Du wüsstest gar nicht, was anfangen. Der Sorte von Dame hast du doch noch nie gefallen, stimmt’s? Taucht doch in deiner Trophäensammlung nicht eben regelmäßig auf, stimmt’s?

»Alles hinter Schloss und Riegel«, sagte Gleeson. Dieser Ausdruck ließ Duffy zusammenfahren: Er versetzte ihn zurück in seine Anfänge bei der Polizei, als er noch der Meinung war, dass ihn solche Sprüche etwas eindrucksvoller machten. »Mach ’ne Fliege«, knurrte er einem sichtlich flugunfähigen Penner zu, der es sich mit den Überresten einer Flasche süßen Sherrys gemütlich gemacht hatte. »Du kommst hinter Schloss und Riegel«, schrie er einem besonders groben Schlägertypen zu und betete dann nur, dass der nicht erwiderte: »Und du willst mich dahin bringen?«

Duffy hoffte, dass er keine Reaktion auf Gleeson hatte erkennen lassen; hoffte, dass er nur weiterhin Mrs Boseley voller süßer Erwartung anglotzte, als sei sie im Begriff, ihn mit einer Gehaltserhöhung zu belohnen. Als er aber hörte, wie Gleeson die Tür mit dem Schlüssel absperrte, glaubte er, wie jeder andere Normalbürger das Recht zu haben, sich im Stuhl umzudrehen und einen langen, fragenden Blick auf Gleeson zu werfen. Dieser steckte den Schlüssel ein und baute sich hinter Duffys Stuhl auf. Das gefiel Duffy ganz und gar nicht. Es erinnerte ihn an eine Sorte Bullen, die das gerne mit den Leuten machten, die sie verhörten; und es erinnerte ihn auch an das, was bei diesen Gelegenheiten geschehen konnte.

»Ich hoffe, es gibt keine, Mrs Boseley. Klagen, meine ich. Die Arbeit hier macht mir wirklich Freude, wissen Sie? Erst neulich wollte ich mal reinschauen und es Ihnen sagen, aber da hab ich in Ihr Büro geschaut, und Sie waren … Sie waren gerade am Telefon.«

Endlich schien Mrs Boseley seine Anwesenheit zur Kenntnis zu nehmen, wenn auch nicht, soweit er das beurteilen konnte, seine Worte. Sie sah aus, als wollte sie etwas sagen. Duffy wartete pflichtbewusst ab. Sie wollte ihn doch nicht etwa feuern, oder?

»Sie sind ein vielseitig begabter Mann, Mr Duffy.«

Also, das hatte er nun wirklich nicht von ihr erwartet. Wäre Gleeson nur nicht da gewesen, dann hätte Duffy denken können, dass sie ihn tatsächlich anmachen wollte.

»Ja, Ma’am?« Warum wusste er nie, wie er sie anreden sollte?

»Ihre hauptsächliche Begabung liegt meines Erachtens im Mähen von Beton.«

»…?«

»Wie meinen?«

»Sie mähen Beton. Hin und her. Und all die Betonschnippel fliegen in die Betonkiste vorne am Mäher. Wrrrrummmm, wrrrrummm«, machte Mrs Boseley plötzlich, das Geräusch eines Rasenmähers nachahmend. »Oder vielleicht – vielleicht verwenden Sie ja einen elektrischen: Dann haben Sie natürlich vorne keine Betonkiste, stimmt’s? Dann haben Sie doch nur so ’n Rotording, nicht wahr, und all die kleinen Betonschnippel fliegen auf der Seite raus, und Sie lassen sie einfach liegen, damit sie als Dünger wirken. Verwenden Sie etwa den?«

Duffy war völlig verwirrt. Sie war am Durchdrehen. All die Touren mit der Gießkanne an der Rayners Lane hatten sie offenbar zerrüttet. Er krümmte sich auf seinem Stuhl nach hinten und blickte Gleeson fragend an, aber der schien nur Mrs Boseley anzuhimmeln, mit der Verzückung eines Jüngers, der hofft, dass ihm der Prophet beibringen wird, wie auch er die Wasser teilen könne, und das mit links. Als Gleeson mitbekam, dass Duffy sich bewegt hatte, griff er mit fleischiger Hand herunter und drehte Duffys Kopf zurück in Richtung Mrs Boseley.

»Ich fürchte, wir funken nicht auf derselben Wellenlänge, Mrs Boseley«, stammelte er.

»NEIN«, erwiderte er laut. Er hatte die Schnauze voll. Sie blickte enttäuscht drein. Zumindest tat sie so, als würde sie enttäuscht dreinblicken, was überhaupt nicht auf dasselbe hinauslief.

»Oje, und ich hatte mich so darauf verlassen, dass Sie Beton mähen. Sehen Sie, das hatten Sie mir doch beim Einstellungsgespräch versichert.«

Duffy blickte verständnislos drein.

»Ich fragte Sie, was Sie an Qualifikationen mitbringen, und Sie sagten, Sie hätten für Mr Hendrick Gelegenheitsarbeiten verrichtet. Ich fragte, was denn so. Sie sagten, Sie hätten … Sachen rumgetragen. Ich erinnere mich, dass ich das habe gelten lassen, obschon ich eigentlich fragen wollte, ob Ihre Fähigkeiten sich auch darauf erstreckten, Sachen wieder hinzustellen, oder ob wir jemanden einstellen sollten, der immer irgendwelches Zeug auf den Armen hatte, weil er noch nie etwas von Hinstellen gehört hatte. Und dann hab ich Sie gefragt, ob Sie Mr Hendricks Rasen gemäht hätten.« O-oh, dachte Duffy, oder genauer gesagt: OH, SCHEISSE MIT REISSE, dachte er laut in seinem Kopf. Duffy erinnerte sich an das unerklärliche Unbehagen, das ihn beschlichen hatte, als er bei Hendrick zu Besuch gewesen war und durchs Küchenfenster zu den Kindern hinausgeschaut hatte, die auf der Rutschbahn spielten. Wie sie obendrauf standen. Vielleicht hatte er damals gemeint, sein Unbehagen gelte der Vorstellung, die Kinder könnten herunterfallen, aber

»Nun besteht Mr Hendricks Rasen, wie Sie wohl wüssten, wenn Sie jemals in der Nähe von Mr Hendricks Haus gewesen wären, nicht aus dem üblichen Gras. Ein Teil davon besteht aus Mosaikpflaster und ein Teil aus Beton. Ich habe Sie eingestellt, Mr Duffy, in der Annahme, Sie könnten Beton mähen. Ich bin sehr enttäuscht von Ihnen.«

»Ich kann’s ja lernen«, hörte sich Duffy sagen, »ich kann’s bestimmt noch lernen.« Hinter ihm ertönte ein schwaches nasales Kichern, dann flog ein strenger Blick von Mrs Boseley über seine Schulter, und dann wurde er mit der flachen Hand hart auf den Kopf geschlagen. Das tat weh. Es hätte gar nicht wehgetan, wenn er darauf gefasst gewesen wäre. Aber das war ja der Sinn der Sache.

»Ich glaube nicht, dass Sie das für meine Bedürfnisse schnell genug lernen werden; dieses Handwerk ist schwer zu erlernen. Ich glaube kaum, dass Sie es rasch genug beherrschen werden. Wenn ich einen Betonmäher einstelle, Mr Duffy, dann erwarte ich einen gelernten Betonmäher. Ich fürchte, ich werde fortan auf Ihre Dienste verzichten müssen.«

»Oje«, sagte Duffy. Oje, nicht weil er gefeuert wurde – wurde er das überhaupt? –, sondern wegen des ganzen Rests.

»Aber bevor Sie gehen, erzählen Sie uns doch bitte noch aus Ihrem Leben.« Mrs Boseley setzte ein Lächeln auf, das offensichtlich brutal unaufrichtig wirken sollte. Sie war keine schlechte Schauspielerin, das musste

Diesmal knallte ihm Gleeson eine gegen den Hinterkopf. Es tat genauso weh wie beim ersten Mal.

»Ich bin nichts Besonderes«, sagte er.

»Wer sind Sie, Duffy?«

»Ich bin ich.« Das klang schwächlich, hilflos.

»Was sind Sie, was machen Sie?«

»Ich bin ich, ich arbeite, ich arbeite für Sie.« Diesmal legte er mehr Pathos hinein; das schien ganz von allein zu kommen.

»Sie waren noch nie bei Mr Hendrick zu Hause, stimmt’s?«

»Doch.«

Gleeson verpasste ihm wieder eine.

»Sie machen doch etwas anderes, stimmt’s?«

»Nein.«

»Ich hab für ihn gearbeitet. Gelegenheitsarbeiten.«

»Warum haben Sie heute bei den Blumen herumgelungert?«

»Was?«

»Warum haben Sie heute bei den Blumen herumgelungert?«

»Ich habe keine Ahnung, was Sie meinen.«

»Warum haben Sie die Taschenrechner nicht genommen?«

»Wie bitte?«

»WARUM HABEN SIE DIE SCHEISSTASCHENRECHNER NICHT GENOMMEN?«, schrie ihn Mrs Boseley an. »WARUM HABEN SIE DIE SCHEISSTASCHENRECHNER NICHT GENOMMEN?« Das war ihm zuwider; Frauen, die ihn anschrien, waren ihm zuwider. Er dachte: Jetzt wird mich Gleeson wieder schlagen. Tat er aber nicht. Stattdessen tat er etwas anderes. Etwas, was Duffy wünschen ließ, er hätte ihm doch noch eine gescheuert. Etwas, was ihm viel mehr Unbehagen bereitete.

Es war ein kleines Klicken in seinem linken Ohr, das von einem leichten Zug am Ohrläppchen begleitet wurde. Er drehte leicht den Kopf und spürte dort etwas Kaltes auf seiner Haut. Aus dem Augenwinkel sah er Gleeson, der jetzt eher seitlich von ihm stand. Als die zweite kalte Berührung kam, wurde er sich rasch klar darüber, dass Gleeson den Goldstecker in seinem linken Ohr mit einer Zange umklammert hielt.

»Auf!«, sagte Gleeson und zupfte dabei sanft mit der

»Ab«, sagte Gleeson und trat den Stuhl gegen Duffys Kniekehlen. Er setzte sich, eine Stellung, die ihn auch ohne die Problemzone an seinem linken Ohr Gleeson gegenüber stark benachteiligt hätte. »Ab und zu werde ich vielleicht die Hand wechseln müssen«, ließ ihn Gleeson wissen. »Aber wir werden ja keine Dummheiten machen, nicht wahr?«

»Ich mach keine, wenn du keine machst«, sagte Duffy.

»Alsdann«, sagte Mrs Boseley und beäugte das Häufchen von Duffys Habseligkeiten, als hätte sie ein halbes Dutzend gebrauchte Kondome und eine tote Maus zutage gefördert. »Fangen wir noch mal von vorn an.«

Er beschloss also, ein Stück weit den Dummen zu spielen, und sobald Gleeson irgendetwas Schmerzhaftes tat, alles auszuplaudern, was er ihnen geben wollte, und dann daran festzuhalten. Daran festzuhalten würde das Schwierigste sein. Wie groß der Schmerz sein würde, falls es so weit kam, vermochte Duffy überhaupt nicht abzuschätzen. Tatsächlich konnte man seines Wissens ein Ohrläppchen ganz fest kneifen, ohne dass es wehtat. Es war einer jener halb toten Bereiche des menschlichen Körpers. Darum tat es eigentlich gar nicht weh, dass Gleesons Zange seinen Stecker umklammert hielt – tatsächlich hatte sich das kalte Metall sogar seiner Körpertemperatur angeglichen.

Genauer gesagt, körperlich tat es nicht weh. In Duffys Vorstellung schmerzte es enorm. Und so war es besser, als es hätte sein können, und gleichzeitig auch viel schlimmer. Hätte Gleeson ihm auf normale Weise wehgetan – indem er ihn etwa ins Gesicht schlug – und ihm dann versichert, dass es immer schlimmer werden würde, bis Duffy etwas täte oder sagte, dann hätte er gewusst,

»Name?«

»Duffy.«

»Was sind Sie?«

»Ich arbeite für Sie.«

»Wo haben Sie Hendrick kennengelernt?«

»Bei ihm zu Hause.«

»Warum haben Sie bei den Blumen rumgelungert?«

»Hab ich gar niiiaaauuUUUUUUUUUUU

Und das war nur ein kleiner Ruck gewesen, eine plötzliche halbe Drehung von Gleesons Zange. Duffy empfand es nicht als Förderung der Lebensfreude.

»Deinen Geckenstecker hab ich nie verputzen können«, sagte Gleeson. »Aber ich konnte ja nicht wissen, dass der sich mal als praktisch erweisen würde. Ich hab eben nur ein bisschen gedreht, eigentlich nur ein bisschen geruckelt. Bin mal gespannt, was passieren würde, wenn ich ein wenig dran ziehe.«

Duffy dachte: Scheiße, dass es so wehtun würde, hab ich nicht gewusst. Jetzt, wo ich’s weiß, wird die nächste Runde auch nicht leichter. Vielleicht ist es jetzt Zeit, dass ich umfalle. Er spürte, wie Gleeson seine Zange besser in den Griff nahm. Ja, jetzt ist es Zeit, das einzig Richtige ist jetzt umzufallen.

»Name?«

»Duffy.«

Er spürte einen kleinen Ruck an seinem Ohr. Nur ein

»Was sind Sie?«

Er gab keine Antwort, was einen weiteren Ruck mit der Zange zur Folge haben würde, aber nicht jene Art von fiesem, jeglichen Verstand ausschaltendem Zerren, das ihm eine offensichtliche Lüge oder Frechheit einbringen würde. Er wollte weiter nichts als ein kleines Denkzettel-Zerren von der Sorte, die ihm einen Anlass zum Umfallen bescheren würde. Er bekam genau das. Er beschloss umzufallen.

»Ich leite eine Sicherheitsberatung. Das heißt, ich bin ganz allein«, redete er weiter. »Ich bin ein Ein-Mann-Betrieb, ich bin die Firma, ich bin allein.« Dafür kriegte er eine scharfe Drehung der Zange, nicht ganz eine Du-Scheißbulle-Drehung, aber nah dran.

»Wo haben Sie Hendrick kennengelernt?«

»In einem Klub.«

»Warum haben Sie bei den Blumen rumgelungert?«

»Ich hab mir die Flugroutenscheine angesehen.«

Er sah auf den Tisch runter und mied Mrs Boseleys Blick, genau wie umgefallene Schurken die Blicke der Bullen mieden: Sie gestanden sich ihre Schande ein, so lautete das in der Theorie, und der Bulle hörte bloß mit. So konnten sie noch einen Funken Selbstachtung bewahren. Duffys Theorie war ein bisschen anders: Mit gesenktem Haupt ließ es sich besser flunkern.

»Schön, und jetzt wollen wir das noch etwas ausführen. Wo war dieser Klub?«

Zeit für ein paar Singt-wie-ein-Kanarienvogel-Einzelheiten. »Ein nettes Lokal, sehr ruhig, ich hab da was getrunken, da kommt er rein, wir fangen an zu plaudern, da sagt er mir, in seinem Betrieb würde geklaut, ich biete ihm meine Dienste an, er gibt mir den Job. Dann haben wir abgemacht, dass ich mich als jemand ausgeben soll, der für ihn Besorgungen übernimmt, aber offenbar haben wir unsere Story zu wenig gründlich vorbereitet. Ich hatte nicht erwartet, dass Sie mit mir ein richtiges Einstellungsgespräch führen würden.«

»Besorgungen«, sagte Gleeson. »Jede Wette, dass du es ihm gelegentlich besorgt hast. Schwule Sau.« Er nahm die Zange in die linke Hand und haute Duffy mit der Rechten wieder eine runter. Das hatte einen knirschenden Ruck der Zange zur Folge; Duffy meinte, ein Rinnsal von Blut zu spüren, das seitlich an seinem Hals hinunterrieselte.

»He, aufhören, ja? Ich rede ja. Hör auf.« Das war als Appell an Mrs Boseley gemeint, und es schien zu wirken.

»Ja, lassen Sie das, Gleeson. Dafür gab es wirklich keinen Grund.« Sie wandte sich wieder Duffy zu. »Und was hat Hendrick gesagt?«

»Er sagte, es sei zu Diebstählen gekommen. Ziemlich regelmäßig. Etwa einmal im Monat. Sagte, er wolle nicht zur Polizei gehen, weil das den ganzen Frachtschuppen durcheinanderbringen würde.« Duffy kam plötzlich ein Gedanke: Vielleicht hatte er sich von Mrs Boseley überreden lassen, nicht zur Polizei zu gehen? Zu Anfang

»Und was haben Sie rausgekriegt?«

»Also, ich bin da ziemlich ratlos.« Er wollte ihnen nicht den Eindruck machen, sie hätten es mit einem besonders schlauen Sicherheitsexperten zu tun; und jetzt bewegten sie sich auf heiklem Terrain. »Ich meine, ich hab mich ein wenig umgesehen, und mir scheint, die Firma wird sehr effizient geführt.«

»Ersparen Sie uns das«, sagte Mrs Boseley.

Scheiße, zu viel der Lobhudelei.

»Nun ja, ich will damit sagen, ich kann mir nicht vorstellen, wie jemand bei diesem System krumme Dinger drehen könnte.« Damit lag es also an seiner Begriffsstutzigkeit, was ihnen vermutlich besser in den Kram passte. »Also nahm ich an, dass McKay der Schuldige war. Ich nahm an, dass er irgendein System verwendete, das ich nicht spitzkriegen konnte, weil ich damals noch nicht dabei war. Und weiter bin ich nicht gekommen, außer dass ich jetzt denke, dass es eben doch Casey gewesen sein muss.« Obschon sein Gesicht noch immer dem kleinen Häufchen seiner Habseligkeiten auf Mrs Boseleys Schreibunterlage zugewandt war, entging ihm der Blick, der zu Gleeson unterwegs war, nicht. Sie hatten offensichtlich auch gemeint, dass es McKay war; sein gestriges Tauschmanöver hatte sie eindeutig aus der Fassung gebracht.

»Ich glaube nicht, dass Casey ganz so blöd ist, wie er aussieht. Wussten Sie, dass er in zwei Fächern einen Schulabschluss hat? Das hat er mir beim Essen erzählt.

»Warum haben Sie bei den Blumen rumgelungert?«

»Ich bin mir nicht bewusst, dass ich so was gemacht hätte. Ich meine, dass ich dort mehr rumgelungert hätte als sonst wo. Ich hab mich eben da und dort rumgedrückt, hab versucht, das System rauszukriegen, wissen Sie?« Er hatte nicht die geringste Lust, ihnen zu erzählen, dass seiner Meinung nach vielleicht zweierlei krumme Geschäfte liefen, nicht nur eins, was ihm gar nicht behagte. Aber er hatte Hoffnungen. Er hatte Hoffnungen, dass er fast alle Fußangeln umgangen hatte. Der jüngste Diebstahl hatte sie eindeutig beunruhigt, so viel hatte er begriffen. Das hatte sie nervös gemacht. Nun musste er sie beruhigen, ein bisschen hinhalten, und dann war er vielleicht aus dem Schneider. So dachte er zumindest.

»Übrigens, Sie sind entlassen.«

»Was?«

»Sie sind entlassen. Fristlos.«

Duffy sagte zu seiner eigenen Überraschung: »Kündigungsschutzgesetz.« Er hörte Gleeson ein ungläubiges nasales Kichern ausstoßen. »Eine Woche Frist, eine Woche Kündigungsfrist steht mir zu, das ist mein gutes Recht.«

»Ich glaube nicht, dass Sie irgendein Recht haben«, sagte Mrs Boseley. »Vorspiegelung falscher Tatsachen«,

»Eine Woche Kündigungsfrist«, wiederholte Duffy, als zitiere er einen anderen Unterabschnitt. Er hatte nicht die geringste Ahnung, was im Gesetz stand; und sie auch nicht, vermutete er. »Das ist nicht mehr als recht und billig. Eine Woche Frist. Dann kann ich es Casey vielleicht nachweisen. Und dann wären die andern nicht ganz so überrascht. Ich schätze, noch eine Woche hier, dann kann ich es Casey bestimmt nachweisen.« Das war sein bestes Argument. Vermutlich wussten sie oder nahmen zumindest an, dass McKay der Dieb gewesen war; sie hatten ihn abschießen lassen, um zu verhindern, dass er auf Hendrick Freight Aufmerksamkeit lenkte; und jetzt wurden sie nervös beim Gedanken, dass es vielleicht doch nicht McKay gewesen war. Bei einer Gesamtbelegschaft von acht Leuten zwei Mann abzuschießen, wäre ein bisschen viel, selbst für ihre Begriffe. Aber wenn Duffy Casey drankriegte, das könnte ihnen zusagen. »Sie können mich gleich morgen früh entlassen«, sagte er. »Ich werde zu spät kommen. Dann können Sie mir vor allen andern kündigen, mit einer Woche Frist.«

Mrs Boseley überlegte. Duffy dachte, er sei schon aus dem Schneider.

»Und Sie haben Hendrick in einem Schwulenklub kennengelernt?«

»Ja.«

»Sind Sie … schwul, wie Sie das nennen?«

»Ja … manchmal.«

»Und ist Hendrick schwul, wie Sie das ausdrücken?«

»Was soll’n das heißen, manchmal?«, wütete Gleeson hinter ihm. »Entweder du bist ’ne Schwulensau, oder du bist keine Schwulensau. Beides geht nicht.«

Da hätte Duffy sagen sollen: »Oh, ’tschuldigung, Gleeson, du kennst dich in diesen Dingen viel besser aus als ich, ich habe mich geirrt, ich bin eine Schwulensau, da beißt die Maus keinen Faden ab, ich war schon immer eine Schwulensau und werde eine Schwulensau bleiben, in Schwuligkeit Amen.« Stattdessen sagte er, weil er dachte, er sei schon aus dem Schneider, und somit nicht viel dachte:

»Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass alle Männer bis zu einem gewissen Grade bisexuell sind.«

Der halbe Kopf wurde ihm abgerissen. Zuerst das ganze Ohr, dann der halbe Kiefer, samt einer Hand voll Zähne sowie einem Auge und dem Großteil seiner Nase und einem guten Teil seines Hirns. So fühlte es sich zumindest an. In Wirklichkeit hatte Gleeson bloß an der Zange gezerrt, mit dem langen, sauberen Zug eines Gärtners, der einen Rasenmähermotor anwirft. Duffy griff sich mit der linken Hand ans Ohr, außerstande zu schreien, und fühlte, wie ihm das Blut auf die Handfläche tropfte. Und während sein Kopf ganz langsam zu seiner ursprünglichen Anordnung zurückfand, spürte Duffy, wie sich die Zange um sein rechtes Ohrläppchen schloss, das nackte, das einzige, das ihm noch blieb. O mein Gott, dachte er. Gleeson beugte sich über jenes Ohr und flüsterte:

»Ich nicht, du Schwuchtel. Ich nicht, verfickt noch mal.«

Zum Glück hatte Mrs Boseley einen Entschluss gefasst.

»Sie kommen morgen zu spät zur Arbeit, ich kündige Ihnen mit einer Woche Frist, binnen dieser Woche klären Sie die Sache mit Casey, und Sie kommen uns nicht in die Quere. Das reicht, Gleeson, wirklich; ich wünschte, es würde Ihnen nicht so viel Spaß machen.«

Der Druck an Duffys Ohr ließ nach, um dann ganz zu verschwinden. Eigentlich hätte Duffy entweder »Vielen herzlichen Dank« oder »Dir Scheißkerl werd ich’s zeigen« sagen wollen, entschied sich aber klugerweise für den Mittelweg und hielt den Mund. Er stand auf, sammelte seine Sachen von der Schreibunterlage auf und stopfte sie sich in den Blouson. Er hörte, wie hinter ihm die Bürotür aufgeschlossen wurde, sah aber nicht hin und blickte auch die beiden nicht mehr an. Das Taschentuch gegen sein Ohr gepresst, verdrückte er sich durch die Tür, durchquerte den Schuppen, zog die Seitentür auf und ging hinaus in den Abend. Er hatte gedacht, dass

 

Der Assistenzarzt am Uxbridge Hospital, der ihm das Ohr nähte, roch leicht nach Lavendelwasser.

»Na ja, die beste Stelle zum Nähen ist es nicht, aber auch nicht die schlimmste. Was die Schlimmste ist, brauche ich Ihnen wohl nicht zu sagen.«

Duffy wollte weiter nichts, als dass der vorwärtsmachte. Er hatte bereits anderthalb Stunden in der Unfallabteilung warten müssen, gekränkt, dass seine Verletzung für so unwichtig angesehen wurde und dass jede beliebige Hausfrau, die ein halbes Fernsehgerät im Bauch stecken hatte, sich sofort vordrängen durfte.

»Au«, sagte er laut. Er hatte seine Tagesration Tapferkeit aufgebraucht, und jetzt war ihm alles egal.

»Ja, das kann ich mir vorstellen«, sagte der Assistenzarzt. »Wissen Sie, das ist wirklich komisch, dass Sie damit hierherkommen. Ein Ohr hab ich, glaub ich, noch nie machen müssen.« Vielen Dank auch, halt bloß deine Scheißklappe und mach vorwärts. »Und meine erste Nase hab ich auch erst vor ein paar Wochen gemacht.«

Ich will nichts davon hören, dachte Duffy; erzähl mir lieber von einem hübschen, sauberen Flugzeugabsturz, um mich abzulenken. »Alle 246000 Passagiere an Bord eines Tretmobils von Air Kakerlak kamen heute Nachmittag ums Leben, als …«

»Ich hab’s eben abgekriegt.« Duffy hatte bereits dem Krankenhausarzt bei der Aufnahme allerlei Lügen aufgetischt, damit der nicht dachte, die Verletzung habe kriminelle Ursachen, und sich verpflichtet fühlte, die Polizei zu verständigen. Irgendetwas über einen Ohrring, der sich in einem Zaun verfangen hatte, als er daran vorbeilief. Nein, er hatte den Ohrring nicht dabei, damit ihn der Arzt untersuchen konnte. Im Übrigen war ihm sein Stecker ja auch wirklich weggekommen.

»Sie brauchen es mir nicht zu sagen, wenn Sie nicht wollen.« Nein, natürlich nicht. Duffy war müde. Andererseits, wen scherte das schon.

»Ich trage einen Stecker drin. Ein paar Leute, die mich nicht mögen, haben ihn rausgerissen«, sagte er.

»O Gott«, sagte der Assistenzarzt und stocherte weiter mit seiner Nadel herum, die sich so dick wie ein Ruder anfühlte. »Nun, ich finde, unsereins sollten zusammenhalten«, fügte er hinzu und lehnte sich ein bisschen enger an Duffys Schulter. Der Geruch von Lavendelwasser meldete sich wieder. Duffy lächelte leise vor sich hin.

»Haben Sie mit dem andern auch was angestellt?«, fragte der Assistenzarzt. »Da entwickelt sich ein blauer Fleck.«

 

Duffy war müde, aber nicht traurig-müde, also ließ er das nicht gelten. Sein Ohr pochte. Der Assistenzarzt hatte die untere Hälfte behutsam in Watte und Gaze gewickelt und mit Pflaster fixiert. Duffy warf einen Blick in den Spiegel und kam sich vor wie van Gogh.

Er fuhr zu seiner Wohnung in Acton, und zwei Minuten später zog er schon wieder los. Er hatte nur seinen Schlüssel und sein Notizbuch gebraucht. Dann machte er sich wieder auf den Weg nach Heathrow. Normalerweise verdiente er etwas an den Benzinspesen, aber bei diesem Job hatte er da seine Zweifel: zu viel Stadtverkehr, zu viel Anfahren-Anhalten und dann volle Pulle die Autobahn runter. Er stand morgens gewöhnlich zu spät auf, als dass stetige, benzinsparende fünfundsiebzig drin gewesen wären. Morgen würde er allerdings trödeln können. Morgen könnte er so spät kommen, wie er wollte. Er könnte sogar frech sein zu Mrs Boseley, wenn er wollte. Wenn er schon gefeuert wurde, dann wenigstens mit Schmackes …

Er erreichte den Schuppen und verschaffte sich mit dem Schlüssel so leise wie möglich Zutritt, nur für den Fall, dass Gleeson dabei war, ein paar weiteren widerspenstigen Angestellten einen Heimwerkerkurs zu verpassen. Es war alles still. Er kastrierte die Alarmanlage

Er fand den Rechnungsordner an derselben Stelle wie bei seiner letzten Suche. Darunter war die Mappe mit den avisierten Sendungen. Er verbrachte einige Zeit damit, sich Dinge zu notieren. Dann schlenderte er durch die Halle und trat ab und zu gegen eine in Sackleinwand eingeschlagene Kiste, entsprechend den Willett’schen Prinzipien. Aber es meldete sich immer nur Pappe, nie Metall. Er suchte verschiedene Sendungen heraus und knöpfte sich die Frachtinformationen vor. Scheiße, dachte er, ich schlafe so ungern auf der rechten Seite.