Kapitel VII

Nankān, Königreich Orillon, an der Grenze zu Bairi Yar, Herbst

Ich danke euch, dass ich mit euch reisen durfte.« Mal zog Quent den Radsarg, mal schob er ihn vor sich her. Seine Habseligkeiten, die er in einem Sack obenauf geschnürt hatte, waren nach seiner Flucht aus Merirosvo auf geschenkte Kleidung und einen Topf mit Eisenkette zusammengeschrumpft. Haneria, die rothaarige Bootsfrau, hatte ihm die Sachen überlassen, als sie ihn in Güldenhafen, dem vorgelagerten Umschlagplatz der Stadt Güldenschein, von Bord gelassen hatte.

»Gewiss! Nur gemeinsam kann man sich gegen Wegelagerer verteidigen, auch wenn du nicht aussiehst wie ein kräftiger Bursche«, gab Ovinia zurück, welche die Gruppe aus zehn Leuten anführte, die entlang des Seeufers auf der breiten Straße wanderte. Sie war eine grobschlächtige Frau mit rundem Gesicht und Pockennarben, aber ihre grünen Augen zeigten Freundlichkeit. Ihr Körper war umgeben von einem Kleidungsdurcheinander, das sie gegen die Herbstkühle schützte, auf dem Kopf saß eine Mütze, unter der die braunsilbernen Haare steckten. Ovinia legte die Rechte auf den Sarg. »Weißt du, deine Totenkiste, die ist die beste Abschreckung.«

»Ist es denn mit Gesindel so schlimm in Orillon?« Quent hatte seine Reisepläne gezwungenermaßen über den Haufen geworfen. Weil Haneria nach dem Löschen der Ladung in die Piratensiedlung zurückfahren würde, kam eine Weiterreise auf dem Schiff mit dem Electorum-Antrieb für ihn nicht mehr infrage. Es war ihm in Me–rirosvo zu gefährlich, um von dort eine neue Überfahrt Richtung Osten zu suchen. »Ich dachte, es leben hier genug wohlhabende Adlige, die man plündern kann?«

»Nein. Auf dieser Straße ist das Gesindel eher selten. Und du hast recht: Sie greifen die fetten Kutschen und Gespanne der Adligen an.« Ovinia pochte dreimal auf den Sarg. »Manchmal wollen die feinen Herrschaften sich aber einen Spaß gönnen und machen Jagd. Auf uns. Die Räuber sind eher Verbündete als unsere Gegner.«

»Oh.« Auf Hanerias Anraten hin machte Quent sich nach Bairi Yar auf, dem Damm, der Salz- und Süßwassersee trennte – und Orillon mit Izozath auf der einen sowie mit Elyaion auf der anderen Seite verband. »Das dürfen sie?«

»Wem das Land gehört, der bestimmt.« Ovinia hob ihren Wanderstab und zeigte auf die Straße. »Früher stand alle fünfhundert bis tausend Schritt eine Zollstation. Jeder reiche Idiot wollte vor Gier noch reicher werden. Das haben sie aufgegeben. Dafür jagen sie Reisende nach ihrer Laune wie Hasen und berufen sich auf ihren Landbesitz, den sie verteidigen.«

»Wir werden uns wehren.« Quent tat mutig, aber er vertraute heimlich auf Thýguda.

Ein kalter Wind blies den schlammigen Weg entlang, der lediglich an den Rändern halbwegs nutzbar war. Zahllose Stiefel, Hufe und Räder hatten ihn zusammen mit Wasser in grauen, stinkenden Morast verwandelt. Buntes Laub löste sich von den Ästen und bedeckte den Schlamm, ohne das Aufweichen der Erde zu unterbinden.

Ovinia sah nicht überzeugt aus von Quents Tapferkeit. »Am besten, es kreuzt keiner von den Bastarden auf.« Dann machte sie ihn auf den langen, dunklen Strich aufmerksam, der sich nicht mehr allzu weit von ihnen entfernt durch den Dunst senkrecht aus dem See stemmte und den Fluten Einhalt gebot. »Da! Das ist der Damm. Heute Abend sind wir dort.«

Quent wechselte die Position und schob den Sarg mit dem mumifizierten Calostro. Dabei starrte er auf die deutlich erkennbare Barriere und rückte die Gugel auf den kurzen braunen Haaren nach hinten, um besser sehen zu können.

Hundertfünfzig Feldmeilen lang und zwanzig breit war dieses schmalste und kleinste Reich von Nankān, dem zugleich die bedeutsamste Rolle zukam. Ohne die Barriere würden die Gewässer verschmelzen, das Salz würde das Süßwasser verunreinigen, mit fürchterlichen Folgen für die Natur und die Menschen.

»Zum ersten Mal durch Bairi Yar?«, wollte Ovinia wissen.

»Ja.«

»Was kannst du den Wächtern anbieten?«

»Einen Eisentopf und die Halterungskette«, sagte er ehrlich und bekam dafür mitfühlendes Gelächter von den Reisenden. »Wieso? Was verlangen sie?«

»Siehst du die Mauer, die den Zugang auf den Damm versperrt?«

»Ja.«

»Sie ist gespickt mit Schleudern und sonstigen mechanischen Fallen, damit sie keiner erklimmt. Uneinnehmbar«, erklärte Ovinia. »Am Tor ist angeschlagen, wie hoch die Abgaben sind, die man zu entrichten hat. Wer bezahlen kann, wird durch den Eingang gelassen und gemeinsam mit anderen von einem der maskierten Wächter auf die andere Seite geführt.«

»Oje«, entfuhr es Quent, den der Mut verlassen wollte. »Wie soll ich …«

»Warte es doch ab. Manchmal sind es unglaubliche Summen, die sie verlangen, manchmal auch gar nichts. Oder einen bestimmten Gegenstand«, beruhigte ihn ein junger Mann, der vor ihm lief. »Geduld. Das muss man nicht verstehen. Ich denke, die Wächter wollen es auch Mittellosen wie dir ermöglichen, die Passage zu nutzen.«

»Das wäre fantastisch!« Quent schöpfte sogleich Hoffnung und rollte den Sarg durch eine Pfütze. Spritzer des Schmutzwassers landeten auf dem Saum des geschenkten Mantels und seiner braunen Robe. »Was meinst du mit Gegenstände?«

»Metallstücke, Papier, Bürsten, Holzplanken, Ferkel, Hundewelpen«, zählte Ovinia auf und lachte. »Das ist der ausgefallene Sinn für Scherze der Dammwächter. Sie erinnern uns daran, dass das Leben Überraschungen auf Lager hat und damit stets zu rechnen ist.« Sie kehrte an die Spitze der Gruppe zurück. »Nur Mut. Das wird schon werden, Hungerturm.«

»Das wird es.« Quent bildete das aufragende Schlusslicht des Trupps, der sich auf den Damm und die Mauer zubewegte. Sie muss über vierzig Schritt hoch sein. Je näher sie kamen, desto mehr Einzelheiten machte er im sterbenden Licht der Dämmerung aus.

Das Bollwerk war keineswegs fugenlos oder glatt. Vereinzelt hingen verweste Überreste und Gebeine daran, mal an Stricken aufgehängt, mal halb von Nischen und Öffnungen verschlungen. Es war eine Mahnung, keinesfalls ein Übersteigen zu versuchen und die Wächter um ihren Obolus zu betrügen.

Dann erblickte Quent das Lager von Wartenden vor der Mauer. Er zählte mehr als zweihundert große und kleine Zelte, dazu kamen etliche Bretterbuden und hastig errichtete Hütten, in denen Obdach oder eine Mahlzeit angeboten wurden. Gewiefte Händler machten gutes Geld mit jenen, die den Damm überqueren wollten.

Feuer brannten mit bläulichem Rauch, das Holz war nass. Der Regen der letzten Tage hatte nichts und niemanden verschont, die Straße hatte sich in wadentiefen Matsch verwandelt. Der Gestank erinnerte an Gülle.

Ovinia löste die Wandergruppe mit dem Erreichen der Ausläufer des Lagers auf. Der Zweck der vorübergehenden Gemeinschaft war erfüllt. »Geht mit Deiwos dem Abenteuerlichen«, segnete sie die Menschen, die ihr Münzen in die Hand drückten. »Achtet auf euch. Ich kann’s ja nicht mehr tun.«

Es ist eine kleine Stadt. Quent lachte, als er einen Krämer sah, der die abstrusesten Gegenstände zum Kauf anbot – bis ihm einfiel, dass mitunter genau so was gefordert wurde. Wie Hundewelpen. Die Feder eines Seeschlangenvogels, las er an einem Kästchen im Vorbeigehen. Weißwolfzähne. Das Blut aus dem Schritt einer Jungfrau.

»Warte!« Ovinia gesellte sich zu ihm. »Dir wollte ich noch viel Glück wünschen, junger Hungerhaken.« Heimlich drückte sie ihm zwei Silbermünzen in die Hand. »Hier. Damit du mir nicht ganz vom Fleisch fällst oder dich anbieten musst. Für welche Dienste auch immer.«

Quent war gerührt. »Ich wünsche dir Thýgudas Segen, so du ihn möchtest.«

»Oh, bist du ein Priester?«

»Noch nicht. Aber ich werde es sein.« Er legte eine Hand auf den von der Reise verdreckten Sarg. »Sobald ich den letzten Wunsch meines Meisters erfüllt habe.«

»Tüchtiger Junge.« Sie umarmte ihn und drückte ihn an ihren großen Busen. Sie roch nach Schweiß und Herbst, und er erwiderte ihre Umarmung. Mit ihren Bärenkräften könnte sie ihn in der Mitte durchbrechen. »Warmherzig und freundlich, wenn auch etwas tollpatschig. Das legt sich noch. Aber du musst wirklich mehr essen.« Ovinia ließ ihn los und blickte sich um. »Lass dir noch eines gesagt sein, was keinem von uns behagt: Das Tor ist schon seit einem Mond verschlossen, sagte mir ein Händler. Einen Aushang gibt es nicht. Die Dammwächter sind zurzeit nicht gewillt, eine Passage zu erlauben.«

»Oh.« Nach der Hochstimmung traf Quent die Kunde umso härter.

»Die Leute sind gereizt. Die ersten Krämer wollten schon abreisen und wurden prompt ihrer Waren beraubt. Es gab Handgemenge zwischen den Wartenden.« Ovinia wies auf die aufragende Standarte zu ihrer Linken. »Bleib zur Nacht in der Nähe dieser Fahne. Dort lagert ein Edelmann aus Güldenschein mit einem Haufen Leibgardisten. Dort bist du halbwegs sicher.« Sie schlug gegen den Sarg, der unter der breiten Hand erbebte. »Zusammen mit deinem Toten.«

»Und du?«

»Ich werde mich bei Freunden einnisten. Aber sie mögen keine Fremden, sonst hätte ich dich mitgenommen.«

»Danke!« Dieses Mal umarmte Quent sie zuerst. Er mochte die stämmige Frau. »Danke für alles.«

»Wir sehen uns drüben.« Ovinia winkte zum Abschied und verschwand im Wald aus gespannten Tuchwänden und dem Dickicht aus Seilen und Stricken.

Thýguda, verlasse mich nicht. Quent hatte alle Mühe, seinen Sarg durch den Schlick zu ziehen. Seine Füße und das Rad versanken und machten es zu einer kraftraubenden Prozedur, in die Nähe der Standarte zu kommen.

Der Adlige, dessen Zeichen eine aufgehende Münze über einem Feld war, hatte sich einen Hügel auserkoren, damit ihn und sein Gefolge bei Starkregen eine Überschwemmung nicht erreichte. Etliche kleine Zelte zogen sich um die Erhebung, erinnerten an ein Dorf, das sich zu den Füßen einer Burg duckte.

Quent arbeitete sich an den Unterkünften der einfachen Leute drei Schritt den Hügel hinauf und hatte von dort einen besseren Überblick. Beim Anblick der Zelte und Buden, beim Einatmen des Rauchs und des Gestanks, den der Matsch und die Ausscheidungen der Menschen verströmten, wusste er sofort: Ich will hier nicht ausharren. Der Herbst würde mit jedem Tag ungemütlicher werden. Aus Regen würde Schnee, und bei Frost würde er im Freien erfrieren, sofern sich die Dammwächter nicht dazu durchrangen, neue Vorgaben zu machen, unter denen man Bairi Yar von West nach Ost durchqueren durfte.

Quent setzte sich auf den Sarg, ließ die Beine baumeln und die Szenerie auf sich wirken. Was tue ich, Thýguda?

Er bemerkte einen Mann mit einer umgehängten Tafel samt Bauchladen und zwei Schwerbewaffneten, die ihn flankierten. Er schlenderte zwischen den Zelten umher und rief laut, um auf sich aufmerksam zu machen. Menschen kamen angelaufen und drückten ihm Geld in die Hand, wofür sie eine Quittung erhielten.

An der Mauer versammelten sich derweil mehrere Leute, sie dehnten und streckten sich.

Sie versuchen, die Mauer zu übersteigen. Quent wünschte sich ein Fernrohr, um besser beobachten zu können, und streifte die Gugel herab, um besser zu hören. Die Verrückten! Was versprechen sie sich davon?

»… am weitesten hinauf. Wer wagt es? Wer wird verlieren oder gar sterben?« Der Wind wehte die Worte des Bauchladenhändlers herüber. »Macht eure Wetten: Horibert der Wagemutige, Elena die Gewandte oder Arkis der Flinke? Die Quoten entnehmt ihr meinem Aushang. Los, los! Setzt mutig und werdet reich!«

Quent erkannte seinen Irrtum. Die Wartenden vertrieben sich lediglich die Zeit mit einem gefährlichen Wettbewerb, um Münzen zu machen.

Ihm fiel bei seinem Rundumblick über das Zeltdorf auf, dass es keine Warteschlange am großen Einlasstor gab. Niemand rechnete damit, dass sich die Wächter zeigten.

Mutig sein, echoten die Worte des Wetteintreibers in Quents Kopf. Warum nicht?

Er rutschte vom Sarg und schob ihn die Anhöhe hinab, zerrte ihn hinter sich durch das Meer aus zähem Schlamm, in dem unzählige Finger nach seinen Stiefeln und dem Rad zu greifen schienen, um ihm das Vorankommen zu erschweren.

Keuchend und schwitzend gelangte Quent auf den festen Boden vor dem Portal. Seitlich hing eine unbeschriftete Tafel, auf der wohl üblicherweise die Forderungen der Dammwächter notiert wurden. Er blickte nach rechts und links. Niemand zu sehen. Allein stand er vor dem riesigen Doppelflügeltor, durch das ein Drache gepasst hätte.

Gäbe es jetzt die ersehnten Vorgaben von den Wächtern, wäre er der Erste. Er sah auf den Kessel und die Kette. Mehr habe ich wirklich nicht.

Zwei Steinwürfe entfernt stürzte unter dem Aufschrei der Schaulustigen ein Mann von der Mauer und landete in dem bereitgeschobenen Strohhaufen. Es folgten die abgetrennten Beine. Einer der Athleten war Opfer der eingebauten Fallen des Bollwerks geworden.

»Horibert der Wagemutige ist raus«, waberte es leise durch den Pulk zu ihm herüber. »Als Nächste: Elena die Gewandte. Wie weit wird sie steigen? Wann springt sie ab, und wann wehrt sich die Wand gegen sie?«

Unter dem Beifall der Masse erklomm die brünette Frau in Hemd und Hose die Mauer.

Quent stellte den Sarg mit Calostros Überresten ab und trat an das Tor. Beide Hände legte er an das beschlagene, verwitterte Holz, das Spuren von Eroberungs- und Durchbruchsversuchen zeigte. Die Eisenbänder und Stahlplatten hatten in der Vergangenheit standgehalten.

Mutig sein. Quent spannte die Muskeln, die durch die Reise mit der Totenkiste deutlich mehr geworden waren, stemmte die Sohlen in den nassen Boden und schob, so fest er vermochte. Mutig sein!

Der schwere Flügel gab nach, knarrte dunkel und majestätisch wie ein Ungetüm, das sich ihm unterwarf.

Quent lachte. Sein Mut wurde belohnt! Die Dammwächter hatten entschieden, den Weg freizugeben. Ohne eine einzige Vorgabe – abgesehen davon, dass es Mut bedurft hatte.

Er hörte auf zu schieben, als sich ein Spalt von zwei Schritt aufgetan hatte. Was erwartet mich? Zögerlich blickte er um das mannsdicke Tor.

Dahinter standen weder bewaffnete Dammwächter, noch erhob sich ein hinderndes Gitter.

Das Bollwerk gab den Durchgang auf die verwaiste Dammkrone frei, als hätte es auf ihn gewartet. Schnurgerade verliefen granitfarbene Steinplatten nebeneinanderher und erschufen eine karge Ebene, über die Nebelschwaden trieben. Die Luft schmeckte salzig, ohne Gestank nach Fäule und Exkrementen. Bairi Yar verlor sich im Dämmergrau, schien unendlich weit zu reichen und ihn abschrecken zu wollen.

Dann soll es sein. Quent kehrte zum Sargkarren zurück.

Keiner der Wartenden hatte sein Tun bemerkt. An der Mauer verfolgte die Menge, wie weit die junge Frau kam, und der Rest des Lagers traf Vorbereitungen für die kommende Nacht.

Quent überlegte, ob er Ovinia suchen sollte, um sie mitzunehmen.

Doch wenn das mannsdicke Tor sich wieder schloss und verriegelte?

Das Wagnis wollte er nicht eingehen, und so rollte er den Sarg durch das Portal, ohne es hinter sich zuzudrücken. Damit gab er den Wartenden Gelegenheit, das Wunder selbst zu entdecken. Aus den Augenwinkeln meinte er, einen menschlichen Umriss auf dem Boden liegen zu sehen, tat es jedoch als Schatten ab.

Quent atmete auf. Geschafft! Das Rad lief leicht wie selten in den letzten Tagen über die ebene Fläche, die durch den Dunst endlos schien. Auf nach Elayion.

Er bewegte sich genau in der Mitte des Dammes. Somit waren es zwölf Feldmeilen nach rechts und links und hundertfünfzig bis auf die gegenüberliegende Seite. Auf dem Untergrund aus glatten Steinplatten, ohne Schlamm und Unebenheiten, schaffte er bestimmt vierzig Meilen am Tag, sofern das Wetter sich nicht verschlechterte. Sein Rest Proviant reichte für die Etappe aus, danach musste er in Elayion die erste seiner zwei geschenkten Silbermünzen in Nahrung investieren.

»Bist du verrückt?«, erklang unvermittelt ein lauter Ruf hinter ihm. »Komm zurück!«

Quent setzte die Totenkiste ab und wandte sich um. »Aber es war offen.«

Ein Mann, dick eingepackt gegen die Kühle und mit einem albernen Hut auf dem Kopf, winkte ihm zu, er möge umkehren. In seiner Hand brannte eine Pfeife und gab schwache Rauchsignale wie zur Unterstützung der Worte. »Auf der Tafel steht nichts geschrieben.«

»Dann ist es doch kostenlos.«

»Nein! Es muss darauf stehen, was zu leisten ist«, erklärte der Mann laut und paffte hektisch. »Erst wenn ›nichts‹ zu lesen ist, kostet es nichts.«

Quent grinste. Er ist jedenfalls nicht mutig. »Es stand nichts drauf.«

»Aber … aber nicht ausgeschrieben«, rief er aufgeregt und zog mehrmals am Mundstück, weißblaue Schwaden schossen über die Lippen. »Los! Zurück!«

»Ist das nicht meine Angelegenheit? Was geht’s dich an?« Quent ließ sich seinen Erfolg von dem Zauderer nicht kaputt machen. Ich gehe nicht zurück.

»Wenn du die Dammwächter verärgerst, lassen sie uns womöglich nicht rüber.«

Quent packte die Griffe. »Wie lange wartest du schon?«

»Seit … seit das Tor geschlossen wurde.«

»So bleibe auf deiner Seite und warte weiter.« Er hob den Sarg an und drehte sich einmal, um ihn hinter sich herzuziehen. »Thýguda ist mit mir. Und dir wünsche ich eine gute Nacht im Schlamm und im Gestank.«

»Du … hirnloser Sohn einer Stute!«, schimpfte er und warf die Pfeife nach ihm. Die Glut leuchtete und zog eine rote Bahn, bevor sie im Flug erlosch. »Das ist rücksichtslos! Hörst du? Rücksichtslos! Du wirst deine Strafe von den Wächtern erhalten!«

»Ich werde ihnen meine Deutung erklären, wenn sie es anders sehen.« Quent stapfte in den Dunst und atmete die Salzluft tief ein. Sie roch frisch und reizte die Lunge, machte die Nase frei.

Der Salzwassersee zu seiner Linken besaß eine unterirdische Verbindung zu Arna Mhauta, dem tosenden wilden Meer der Leeren Inseln, hatte Calostro behauptet. Dadurch gäbe es Ebbe und Flut, was für einen See ungewöhnlich war. Der Unterschied der Gezeiten betrage dreißig Schritt, hatte sein Meister verkündet.

Quent lief über die Dammkrone und bedauerte, dass es wegen des Nebels nichts zu sehen gab. Er bildete sich ein, das Donnern des Salzsees zu vernehmen, und zu gerne hätte er einen Blick darauf geworfen.

Die einzigen Geräusche waren das Scharren seiner Sohlen und das anhaltende Quietschen des Rads, das Quent bislang nie aufgefallen war. Die Radnabe war durch den nassen Schlamm stets geschmiert gewesen, aber die Steinplatten waren frei von Dreck. Moose und Flechten hatten sich gebildet, doch sie halfen nicht gegen das penetrante Quietschen. Verräterischer konnte er sich kaum fortbewegen.

Ob es ein Fehler war? Quent warf einen kurzen Blick über die Schulter. Oder eine Falle?

Das sperrangelweit aufgestoßene Tor lag mehr als eine halbe Meile entfernt. Etwa zwanzig Menschen wagten sich behutsam vorwärts und folgten ihm. Sie blieben in kleinen Gruppen, manche hielten Waffen in den Händen, andere Opfergaben.

Am Durchgang und vor dem Portal drängten sich die weniger Mutigen und beobachteten, was mit jenen geschah, die ohne die Begleitung eines Wächters den Damm betraten.

Mein Mut war ansteckend. Quent grinste. Wie die Wetten wohl auf mich stehen?

Dann tat sich eine Lücke zwischen den Schaulustigen auf. Gepanzerte Reiter drängten sich rücksichtslos durch die Menge, und Quent erkannte die geführte Standarte. Der Adlige vom Hügel und sein Gefolge ließen sich die Gelegenheit nicht entgehen.

Das passte Quent nicht, ohne dass er wusste, warum. Ich hätte das Tor doch schließen sollen. Er lehnte sich nach vorn und ging schneller. Das Rad schrie anhaltend in die Stille und warnte jedes Lebewesen. Sie lassen mich als Kundschafter vorangehen. Feiglinge!

Umkehren kam nicht infrage.

Nach zwei Meilen tauchten zu seiner Rechten verlassene, halb zusammengefallene Gebäude auf. Die Dammwächter hatten sie aufgegeben.

Quent verzichtete darauf, sie zu untersuchen. Er wollte vorwärtskommen. In gleichbleibendem Abstand folgten ihm die wenigen Mutigen; sie scharten sich inzwischen um die Fahne des Adligen.

Das Portal stand immer noch offen. Fackeln und Feuer waren entzündet worden, und die Menge hatte sich auf die Schnelle sogar Aussichtsgerüste gebaut, um die Geschehnisse auf dem Damm zu beobachten.

Quent sah vor seinem geistigen Auge den Wetteintreiber und wie er den Leuten das Geld aus der Tasche zog. Wenn sie auf seinen Tod gesetzt hatten, würde er sie enttäuschen müssen. Mit größter Genugtuung.

Ein kollektiver Aufschrei aus zahlreichen Kehlen brachte Quent dazu, erneut einen Blick über seine Schulter zu werfen.

Eine Handvoll Verwegener sprang von den Tribünen und Gerüsten. Sie hetzten auf den Damm, während die weniger Mutigen hinter dem beschlagenen, gewaltigen Flügel der Portaltür verschwand. Der Zugang zu Bairi Yar schloss sich.

Quent begann zu rennen, ohne dass er es zu begründen vermochte. Das schlechte Gefühl, das er seit dem Erscheinen des Adligen hatte, verstärkte sich. Das Rad schrie und schrillte, als fürchtete es um sein Leben. Er wollte weg vom Tor. Schnell.

***

Nankān, Königreich Orillon, Hauptstadt Güldenschein, Herbst

Danèstra blickte durch den Spalt im Vorhang auf die Straße, wo sich die Menschen vor der Tür reihten und geduldig warteten. Sie flocht sich die Silberhaare neu, der erste Versuch hatte ihr nicht zugesagt. »Schon wieder welche, die Unterschriften haben wollen.« Die Leute hatten stapelweise Bücher, Zeichnungen und sogar Gemälde dabei, um sie von der Klinge des Schicksals signieren zu lassen, teils für sich, teils im Auftrag ihrer Herrschaften.

»Ihr wolltet es so, Großfürstin.« Vytain saß am großen Tisch vor den Einzelteilen seiner zerlegten Electorum-Waffen: die verlängerbare Büchse, zwei Pistolas mit Magazinen und eine großkalibrige Drehlauf-Pistola mit zehn Kammern. Die kleineren Electorum-Schussvorrichtungen waren zum Anbringen an Unterarmen und Schulterrüstungen gedacht. Ein immenses, königliches Vermögen breitete sich auf der Platte aus. Vytain trug zum Schutz vor Restentladungen Handschuhe und einen Umhang aus besonderem Stoff, der sich nicht mit der Energie vollsog. Das rote und das blaue Auge blieben auf seine Finger gerichtet, die Metallstücke reinigten und prüften.

»Nein. Ich verlangte nicht nach Aufmerksamkeit.« Danèstra meinte in der Reflexion der Scheibe neue Falten im gealterten Gesicht zu entdecken, die ihr die Mission in kurzer Zeit beschert hatte. Sie streichelte Thiríos Kopf, der neben ihr saß. Das weiche Fell zu spüren beruhigte sie. »Dieser verdammte Tintenfain! Er brockte mir das ein.«

Danèstra hatte mit ihrer Truppe Quartier in der besten Herberge von Güldenschein bezogen, weil alles andere nicht standesgemäß und schon gar nicht erklärbar gewesen wäre. Ihr Status und ihr Ruf waren bei den reichsten Menschen von Nankān bekannt. Da sie ihr Wappen grundsätzlich nicht verbarg, wusste die ganze Stadt, wer zu Besuch gekommen war. Kalenia galt offiziell als Mündel mit einer entstellenden, nicht ansteckenden Krankheit, deretwegen sie ihr Gesicht hinter einem Schleier versteckte. Keiner ahnte, aus welchem wahren Grund die Truppe um Danèstra Güldenschein besuchte, und das musste unter allen Umständen so bleiben.

Skerbull war in der Stadt unterwegs und kaufte Spezialitäten ein, wie er kryptisch verkündet hatte. Er ließ sich keinerlei Trauer um seinen Freund anmerken, machte aus seiner Wut über den Verrat jedoch keinen Hehl. Ilreen saß wieder irgendwo auf dem Dach des Hauses im Schatten der Kamine und sicherte die Umgebung. Die Einwohner würden annehmen, sie hätten einen Geist gesehen, sofern sie die fahle Frau überhaupt bemerkten, die sich trefflich aufs Verbergen verstand.

Die perfekte Attentäterin. Danèstra streichelte gedankenverloren Thiríos Rücken. Sie machte sich die geistige Notiz, Ilreen auf das Artefakt anzusprechen, mit dem sie nachts die Lichtsignale aus der Dunkelheit an die Kutsche gab. Es schien ihr Kurzschwert zu sein, das mit einem magischen Bann belegt war. Wir haben immer noch keinen Zauberer. Dabei bräuchten wir dringend einen.

Kalenia spitzte durch ein anderes Fenster auf die Straße. »Woher haben die Leute diese Bilder? Kann man die an Ständen kaufen?«

»Auch von Tintenfain«, knurrte Danèstra. »Er hat nicht nur Schreiberlinge engagiert, sondern eine Malwerkstatt gegründet. Er verschickt die Illustrationen aus den Büchern in seine Läden und an seine lizenzierten Händler in ganz Nankān.«

»Verstehe. Und Ihr bekommt davon einen Anteil.«

»Nein.« Danèstra schüttelte leicht den Kopf und spürte den schweren Zopf im Nacken. Er hatte sich erneut gelöst, nun begann sie das Flechten zum fünften Mal. Als sie die Nächsten draußen sah, die sich am Ende der Schlange einfanden, seufzte sie. »Er macht gutes Geld. Mit meinem Namen.«

»Das lasst Ihr Euch aus einem bestimmten Grund gefallen?«, erkundigte sich Vytain. Die Battarias hatte er mit dünnen Drähten versehen, die zu einem bodenvasengroßen Tank führten, in dem sich Zitteraale drängten. Sie gaben ihre Energie in regelmäßigen Abständen ab und luden damit die kleinen Speicher, welche die Electorum-Waffen antrieben. Am Morgen hatte er sie mit frischen Fleischstückchen gefüttert, und seitdem spendeten sie neue Energie.

»Tintenfain entwischt mir immer. Sonst hätte ich ihm längst die Hände gebrochen.« Danèstra ließ den Vorhang vor das Glas zurückgleiten und betrachtete sich im Spiegel. Rasch war die Flechtfrisur in Ordnung gebracht. Sie korrigierte den Sitz des hohen Kragens und rieb mit einem Tuch über den Harnisch mit ihren Insignien, um die Pracht zu verstärken. Etwas Puder nahm den Glanz vom Gesicht, die blauen Augen leuchteten. »Ich gehe runter und erledige das. Sonst verschwinden sie nie. Die Prozession würde uns beim freien Bewegen einschränken.«

»Macht nur. Hören wir danach, was unsere Mission ist?« Vytain blieb wie stets ruhig und besonnen. Er setzte die Battarias in die Waffen ein und legte dann Überwurf und Handschuhe ab. »Ein wenig ahnen können wir es, seit dem Tod von Tauror Grauhorn. Aber mich würden Einzelheiten interessieren. Um besser planen zu können.«

»Ihr seid nicht der Anführer«, fuhr ihn Kalenia überraschend unfreundlich an.

»Das ist richtig. Und Ihr seid das Mündel.« Vytain zeigte mit einem Laufstück zu Danèstra. »Ihr Mündel. Oder habe ich das falsch verstanden?«

»Habt ihr nicht. Aber …« Die junge Schwangere sah Hilfe suchend zur Kriegerin.

»Ihr habt recht, Vytain. Ich rufe die Truppe zusammen, sobald Skerbull von seinen Besorgungen zurück ist.« Danèstra bedeutete Kalenia mit einer freundlich-mütterlichen Geste, nichts weiter zu sagen. »Es muss sein, mein Kind.«

Kalenia setzte sich, legte eine Hand auf den dicken Bauch und griff nach dem Glas mit Tee. Sie schmollte.

»Ich danke Euch.« Vytain baute die Schusswaffen zusammen und verstaute sie in den Transportbehältnissen, bis auf die verkürzte Büchse. »Soll ich mir Eure Pistola auch anschauen, Großfürstin? Es scheint ein sehr altes Modell zu sein. Die zweischüssigen werden schon lange nicht mehr gebaut.«

»Später, gerne. Ich weiß, dass die Waffe alt ist, und das passt sehr gut zu mir. Sie hat den Vorteil von Reichweite und Durchschlagskraft.«

Danèstra ging nach einem letzten prüfenden Blick in den Spiegel zur Tür. So konnte sie vor ihre Anhänger treten. »Thirío, bleib.«

Ihr Hund gab einen Laut des Unmuts von sich und legte sich hin, bettete den Kopf auf die Vorderpfoten.

»Ich weiß, du hast auch eine Anhängerschaft. Doch du weißt, dass dich alle anderen nur drücken wollen.« Thirío knurrte leise. »Dachte ich es mir doch.«

Danèstra verließ den Trakt der Herberge, den sie angemietet hatte, und begab sich die Stufen hinab in die Stube, aus der die Unterredungen von zahllosen Menschen drangen.

Sie überlegte, wie oft sie schon in Orillon gewesen war, das bis vor der Übernahme auf den anmutigen Namen Liebland gehört hatte. Güldenschein hieß einst Freisinn, da der Herrscher großen Wert auf die Freiheit und die Gleichheit der Bewohner gelegt hatte.

Dann war die Wildnis vorgerückt und hatte Yarkins Bevölkerung in Scharen getötet und vor sich hergetrieben. Ein Zusammenschluss von Adligen der untergegangenen Reiche, Baronien und Grafschaften hatte sich gebildet und mithilfe eines zusammengekauften Heeres aus Veteranen die Macht in Liebland übernommen. Seitdem war Orillon ihr eigenes Refugium, in das ausschließlich gut Betuchte aufgenommen wurden. Gewöhnliche Menschen oder gar Flüchtlinge aus dem Irrsal wehrten sie mit Gewalt ab. Allein die Einreise kostete ein Vermögen.

Wer auf Dauer Bürger werden wollte, musste sich einkaufen, was gelegentlich dazu führte, dass niedere Grafen die Diener für Höherstehende spielten. Danèstra hingegen war mehrfach vom Rat der Adligen ein Anwesen angetragen worden, unentgeltlich. Sie wollten sich mit der Klinge des Schicksals in ihren Reihen zieren.

Das wird nie geschehen. Ihre Aufgabe in Kaltensee bedeutete ihr mehr, als die Unterhalterin für Baroninnen, Grafen, Herzoginnen und Fürsten zu spielen, um sich im Gegenzug anzuhören, wie schade es sei, dass die Ahnen zusammen mit den Reichen untergegangen seien. Sollen sie sich doch gegenseitig etwas vorjammern.

Die Regierung funktionierte denkbar einfach. Der Rat der Adligen, der Danèstra hatte einwerben wollen, entschied nach dem Prinzip des größten Reichtums. Man beratschlagte gemeinsam, aber bestimmen durfte derjenige, welcher das meiste Geld auf den Tisch legte, um seine Meinung zu erkaufen. Dabei war es erlaubt, sich Münzen und Vermögen zu leihen. Das Geld floss in die Gemeinschaftskasse, aus der unter anderem das Heer und die Söldner bezahlt wurden.

Die große Streitmacht aus Veteranen sorgte für ausreichend Schutz des elitären Orillon. Das Nachbarland Izozath und Liebland hatte bis zum Sturz des Königs eine sehr gute Freundschaft verbunden, doch der Bund der Blaublüter hatte bei der Einnahme von Liebland etliche Lagerstätten von Izozath erobert und war damit in den Besitz zahlreicher Electorum-Waffen gekommen. Trotzdem hatte Orillon ein Problem. Keiner wusste, wie man die Waffen nach der Entladung der Battarias wieder lud.

Somit wurden die unermesslich wertvollen Pistolas, Büchsen und Geschütze zu Wegwerfware. Sämtliche Gesuche an die Izozath, eine Unterweisung zu geben oder Battarias zu liefern, wurden abgelehnt. Daher kam der Tag, an dem Orillon sich etwas einfallen lassen musste, um sich das Irrsal und die Flüchtenden vom Leib zu halten, stets näher.

Ich werde darauf achten, dass sie mir Vytain nicht verhaften, damit er ihnen als Ingenius dient.

Danèstra hatte den letzten Treppenabsatz erreicht.

Der Wirt, in Hose, Hemd und teurem Gehrock, beschwichtigte die Leute, so gut es ihm möglich war, und versuchte, sie mit warmen Worten zurück ins Freie zu drängen. Sie blockierten den ganzen unteren Bereich des noblen Gasthauses. An ein Tagesgeschäft mit Speisen und Getränken war nicht zu denken. Und damit gab es keinerlei Einnahmen.

»Da ist sie!«, schallte der erleichterte Ruf. »Die Klinge des Schicksals! Leibhaftig!«

Applaus brandete auf, ihr Name wurde gerufen.

Danèstra genoss den Zuspruch und gab sich Mühe, es nicht zu sehr zu zeigen. Natürlich sonnte sie sich in ihren Erfolgen und pflegte den Nimbus, den sie aufgebaut hatte. Das änderte aber nichts daran, dass sie Tintenfain dafür hasste, ihre Taten zu seinem finanziellen Vorteil auszuschlachten. Daran trugen ihre Bewunderer freilich keine Schuld. Sie hatten ihre ganze Freundlichkeit verdient, schon allein deswegen, um die Königinnen und Könige und die übrigen Staatslenker auf Nankān zu ärgern. Sie hatte Horneus’ Worte nicht vergessen, die stellvertretend für jene der Mächtigen standen.

»Großfürstin!« Der grau melierte Wirt mit dem sauber gestutzten Bart drängte sich durch die Masse und vollführte Armbewegungen, die an einen Schwimmer erinnerten. »Tut mir den Gefallen«, raunte er, »und unterschreibt die Souvenirs der Leute, und dann komplimentiert sie raus. Auf Euch werden sie hören.« Er blickte besorgt. »Die ruinieren mir den Boden. Und einen Schrank haben sie auch schon umgeworfen. Mit dem guten Geschirr.«

»Gewiss, mein Lieber. Das wird sich regeln lassen.« Danèstra hob beschwichtigend die Linke. Die Besucher, die ausschließlich wegen ihr gekommen waren, verstummten augenblicklich. »Meine verehrten, geschätzten Freundinnen und Freunde«, begann sie die knappe Ansprache. »Es freut mich, einmal wieder nach Güldenschein zu kommen. Nehmt Rücksicht auf die Einrichtung des guten Mannes hier« – sie zeigte auf den Wirt, der erleichtert blickte und den Sorgenschweiß mit dem Taschentuch von Stirn und Oberlippe abtupfte – »und stellt euch geordnet auf.« Sie ging langsam die letzten Stufen hinab. »Ich gewähre jedem eine Signatur. Ins Buch oder auf ein Bild, und wenn es den ganzen Tag dauern möge: Keiner geht ohne eine Unterschrift nach Hause.«

Erneut klatschen die Versammelten.

Danèstra kam zum nächsten Punkt, der ihr wichtig war. »Solltet ihr Geschenke für mich mitgebracht haben, stellt sie bitte dort drüben ab. Ich freue mich über jedes einzelne, werde aber nichts davon für mich behalten, sondern sie an jene spenden, die sie nötiger haben als ich.« Die Leute machten beeindruckte Gesichter. »Und sollte sich jemand unter euch befinden, der als Diener gekommen ist, um den Befehl seiner Herrschaft zu erfüllen, und eine Gabe für mich hat: Behaltet das Geschenk selbst.«

Jetzt wurde laut gelacht.

»Fangen wir an. Und nicht drängeln, meine lieben Freundinnen und Freunde!« Danèstra begab sich an einen Tisch, während die Wartenden artig eine gewundene Schlange bildeten, ohne dass noch mehr zu Bruch ging.

»Danke, Großfürstin.« Der Wirt brachte Tintenfass und Feder sowie Streusand und Löschpapier, dazu Siegelwachs und einen Brenner. »Ich besorge Euch etwas zu trinken. Meinen besten Wein? Oder das nach alter Rezeptur gebraute Feinbier?«

»Wasser, wenn es dir nicht zu viele Umstände macht.«

»Natürlich nicht!« Der Wirt verbeugte sich und legte eine Hand gegen sein Wams. »Immer eine Ehre, Großfürstin.« Er verschwand durch das Gewühl, das sich nach und nach in eine Ordnung wandelte.

»Fangen wir an. Wie heißt du, junger Mann?« Danèstra schrieb ihren Namen auf die hingehaltenen Bücher, Seiten, Blätter, auf Bilder und Gemälde, nutzte jedes Mal ihr persönliches Insigne. Einladungen zum gemeinsamen Essen lehnte sie mit aller Freundlichkeit ab, bedankte sich für Geschenke und bedachte jeden mit einem Lächeln. Sie mochte es, Anerkennung für das Geleistete zu erhalten.

Weniger gefielen ihr die vorgelegten erotischen Darstellungen von ihr, auch wenn die meisten Zeichner ihren juvenilen Körperbau gut getroffen hatten. »Oh, das stimmt aber nicht.« Sie machte sich einen Scherz, mehr Falten einzuzeichnen, was die Umstehenden mit heiterem Lachen quittierten. »Das passt eher.«

Nur einmal wurde Danèstra laut, als ein offensichtlich übereifriger Anhänger ihr vorschlug, eine Nacht mit ihm zu verbringen. Er bot ihr all sein Vermögen, seine Anwesen und sein Leben dafür an. Sie kannte solche Offerten, sowohl von Männern als auch von Frauen, was immer sie sich davon erhofften. »Wie kommt Ihr auf den Gedanken, die Gunst einer freien Frau kaufen zu können?«, sagte sie vernehmbar. »Hättet Ihr mich gefragt, ob mir einfach danach wäre, hätte ich freundlich abgelehnt. Aber dass Ihr allen Ernstes glaubt, ich würde mich durch Vermögen und derlei dazu verleiten lassen? Das ist ein starkes Stück. Nun geht Eurer Wege und wagt es nicht, mir noch mal unter die Augen zu treten!«

Der junge Mann zog mit rotem Kopf ab, bekam Beschimpfungen aus der Warteschlange.

Nach einer gefühlten Ewigkeit hatte Danèstra die Signierwünsche der Leute erfüllt, viel gesprochen und berichtet, ihr Schwert und die Electorum-Pistola erklärt. Sie zog sich ins obere Stockwerk zurück, wohin sie auch das zubereitete Essen für sich und ihr Gefolge, wie sie die Truppe dem Wirt gegenüber nannte, servieren ließ.

Bei ihrem Eintreten fand sie sowohl Ilreen als auch Skerbull vor. Wir können über die Mission sprechen. Soweit es mein eigenes Wissen angeht. Die Namen der Dämonendiener behielt Kalenia vermutlich weiterhin für sich. Das werden sie ihr nicht ausreden.

Vytain hatte die Electorum-Waffen zusammengesetzt und verstaut. Eine Pistola trug er rechts, eine weitere hinten am Gürtel, wie Danèstra wusste. Er saß in seinem langen, dunkelroten Gewand lesend im Sessel und erinnerte sie an eine mechanische Puppe. Kalenia schlief auf einer übergroßen Liege, neben der Thirío Wache hielt.

Ilreen beobachtete die Straße durch das Fenster wie ein Geist, der sich in der Tageszeit geirrt hatte. Ihre Lederrüstung hatte sie gegen ein enges hellgraues Ledergewand mit schwarzer Schnürung getauscht. »Sie sind gegangen«, sagte sie zur Begrüßung. »Keine Bittsteller mehr, Großfürstin.« An ihrer Seite hing das Kurzschwert, das ein magisches Geheimnis barg.

»Es war auch harte Arbeit«, erwiderte Danèstra mit einem Grinsen.

»Ihr kommt genau rechtzeitig!« Skerbull hatte vor sich eine Vielzahl von geräucherten Fleischstücken ausgebreitet, die er verkostete. Er hatte seine kuhfleckfarbene Rüstung an und trug die langen schwarzen Haare in einer Frisur, die durchaus als absonderlich zu bezeichnen war. »Auch was?«

»Als Vorspeise. Warum nicht?« Danèstra versuchte den dunklen Schinken. Die Beschaffenheit, das Aroma, der Hauch von Gewürzen zerging auf der Zunge. »Das ist unglaublich lecker.«

Das Mahl wurde unterdessen von der Dienerschaft serviert und auf dem Tisch aufgebaut, das Geschirr akkurat bereitgelegt. Es sah aus wie eine festliche Tafel zu einer besonderen Gelegenheit. Sogar an Blumengestecke und verstreute Blüten wurde von den Bediensteten des Gasthauses gedacht. Dann wünschten die Diener Guten Appetit und verließen nach Verbeugungen das Zimmer.

»Die haben im Metzgerviertel eine ausgezeichnete Auswahl an Rinderbrust.« Skerbull wickelte das Fleisch ein, das er auf dem Markt erstanden hatte. »Ich werde herausfinden, wie sie das räuchern und zubereiten. Es ist unfassbar gut!«

»Setzen wir uns.« Danèstra nahm als Erste Platz. »Stärken wir uns, und dabei erkläre ich, was uns nach Güldenschein getrieben hat.«

»Um Wilto von Rauhwasser zu töten«, sagte Vytain und klappte das Buch zu, das sich zu Danèstras Erleichterung nicht um sie drehte. Es war in der Schrift der Izozath verfasst. »Wie wir zuvor Tauror umbrachten, der zu Verschwörern gehört, die mit Dämonen im Bunde sind. Das ist kein Geheimnis mehr.«

Nacheinander fanden sie sich am Tisch ein und nahmen sich von den Speisen.

Danèstra stützte die Ellbogen auf. »Ihr reist mit mir, weil wir einen Auftrag vom Schicksal erhalten haben.« Sie sah einen nach dem anderen an. »Unsere Mission wird Nankān vor dem Ende bewahren und Yarkin von der Wildnis befreien.«

Das Trio schaute sie erwartungsvoll an.

Danèstra las Überraschung, Freude und Unglauben in den ungleichen Gesichtern. Kalenia nickte ihr andeutungsweise zu, um zu zeigen, dass sie einverstanden war, wenn die Kriegerin mehr berichtete. Sie wollte es nicht selbst tun müssen.

»Mein Mündel ist unser Schlüssel dazu.« In aller Knappheit erklärte Danèstra, wer die junge Schwangere war, wobei sie die Geschichte nutzte, die Kalenia Horneus erzählt hatte. »Sie überlebte das grausame Ritual, das ihr Freunde und Familie nahm. Sie kehrte unter Entbehrungen nach Nankān zurück und hätte beinahe ihr Kind verloren, das einzige Andenken an ihren Liebsten. Aber Kalenia weiß, wo wir die Dämonenanbeter finden, die uns das Elend einbrockten«, schloss sie. »Deren Tod beendet den Pakt und kappt die Verbindung zum Bösen. Damit ist das Abkommen nichtig. Der veränderte Wald wird seine finsteren Kräfte verlieren, und wir können uns das Land zurückholen.«

»Ich verstehe. Tauror war einer von ihnen. Wilto ist der zweite«, sprach Vytain bedächtig. »Und wer noch?«

»Wir reisen von einem zum nächsten«, gab Danèstra zurück und schnitt ihr Gemüse klein. Sie hatte nach den vielen Unterhaltungen mit ihren Anhängern Hunger bekommen. Vor Thirío stand eine Schale mit frischem, blutigem Fleisch, über das er sich hermachte.

Vytain wählte Nudeln, Soße und Grieswurzeln. »Ihr wollt nicht sagen, wo sich die Männer befinden, Großfürstin?«

»Ich kann es nicht.« Danèstra blickte zu Kalenia und berührte sie am Unterarm. »Das weiß sie allein, und sie wird es uns nach Rauhwassers Tod eröffnen.«

»Auch Ihr wisst es nicht?« Ilreen sah verständnislos aus. »Aber … was ist, wenn Kalenia etwas zustößt? Wir sind für die Zukunft unserer Heimat verantwortlich und haben keinerlei Absicherung?« Mit ihrer natürlichen Hand zerteilte sie das butterzarte Gulaschfleisch, derweil die klobige Prothesenfaust unter dem Tisch auf ihrem Schoß ruhte.

»Aus dem Grund geben wir auf sie acht«, erwiderte Danèstra freundlich. »Damit Ihr wisst, wie wenig Glauben wir für die Geschichte fanden: Ich bat die Königreiche und Länder um Beistand für meine und Kalenias Aufgabe, die Verschwörer zu töten. Ihr« – sie zeigte auf jeden einzeln – »seid das Aufgebot, das man mir zugestand. Um Nankān zu retten.« Sie klang nicht resigniert, um zu vermitteln, dass sie am Erfolg festhielt. »Die Umstände sind nicht die besten, aber wir werden das Beste daraus machen.«

»Ungeheuerlich!« Skerbulls Ring schwang golden blitzend. »Niemand sonst sandte Euch Truppen? Niemand wollte die Verschwörer festsetzen?« Er schlug auf den Tisch. »Potztausend! Wir werden nicht scheitern. Deiwos ist mein Zeuge: Nankān wird gerettet! Und danach lassen wir die Mächtigen vor Euch kriechen!«

Vytain machte eine grübelnde Miene. »Das bedeutet doch: Die junge Dame vertraut uns nicht.« Sein rotes und sein blaues Auge leuchteten auf. »Sie denkt, einer von uns könnte die restlichen Verschwörer warnen.«

»Ich traue niemandem«, erwiderte Kalenia mit fester Stimme und schnitt einen Erdapfel in Hälften. »Einer von Euch könnte schon längst zu Wilto gegangen sein« – sie blickte zu Skerbull –, »um ihn zu warnen. Dennoch bringe ich euch allen ein gewisses Maß an Vertrauen entgegen, da Ihr Danèstra folgt und somit Teil des Schicksalsbundes wurdet.«

»Rauhwasser ist nicht in Güldenschein«, verkündete Ilreen zur allgemeinen Überraschung. »Was schaut ihr verdutzt? Ich nutze meine Zeit.« Sie aß ausschließlich das Gemüse von den Platten. An der Holzhand gab es einen Spalt, in dem die Gabel festklemmte. »Ich wusste, wer der Nächste auf der Liste sein würde. Daher habe ich mich in den Gassen und auf den Plätzen umgehört.«

»Ich sehe dich schleichen und lauschen. Sie haben dich für einen Geist gehalten und freiwillig geplaudert«, warf Skerbull mit einem breiten Grinsen ein und brach sich vom Brot ab, um es in die Soße zu tunken.

»In etwa.« Ilreen lächelte ihn abweisend an. Sie mochte offenbar keine Anspielungen auf ihr spukhaftes Äußeres.

»Vorzüglich!« Danèstra machte eine auffordernde Geste. »Wir hören.«

»Es weiß zurzeit niemand, wo Rauhwasser steckt. Um seine Abwesenheit wird ein großes Geheimnis gemacht. Aber mit ein wenig Überzeugung und Hartnäckigkeit konnte ich erfahren, dass er auswärts weilt. In einem seiner Bestiarien, an der Grenze zum Irrsal«, führte Ilreen aus. »So nennt er die Einrichtungen, wo er die wilden Tiere und Kreaturen aufbewahrt, züchtet und zur Schau stellt.«

»Er hat eigene Bestiarien?« Vytain machte ein bedauerndes Gesicht. »Sehr schade. Hätten wir das früher gewusst. Der perfekte Ort, um ihn mit einem Schuss aus meiner Büchse auszuschalten.«

Ilreen nahm Erbsenstampf auf die Gabel. »Er kommt in einem halben Mond zum großen Herbsteröffnungswettkampf nach Güldenschein zurück, wie mir einer seiner Diener mitteilte. Mit brandneuen, nie zuvor gesehenen Tieren, die sie aus der Wildnis gefangen hätten.«

»Was ist damit gemeint?«

»Dass der verfluchte Dämonenfreund natürlich einfach an diese Kreaturen kommt«, sagte Skerbull erbost. »Sie laufen freiwillig zu ihm, aber hier kann er sich als Held aufspielen.«

»Da ist etwas Wahres dran.« Danèstra streichelte Thirío, der mit Fressen fertig war und neben ihr saß; seine Ohren spielten, als versuchte er, jedes Wort einzufangen. »Was ist dieser Herbsteröffnungswettkampf?«

»Die Adligen haben im Westen der Stadt eine große Marktfläche errichtet, mit Vergnügungen aller Art: Riesenrad, Schiffschaukeln, Holzrollbahnen und derlei. Dazu gehört auch ein Areal, auf dem sie Ungeheuer aus dem Irrsal und der Grünödnis ausstellen«, erklärte Ilreen. »Zweimal im Jahr werden die Kreaturen aufeinandergehetzt. Um auf den Ausgang der Begegnungen zu wetten. Und aus Spaß für die Zuschauer.«

»Sehr fleißig wart Ihr, Ilreen«, sagte Vytain respektvoll. »Ich komme mir dagegen faul vor.«

»Ich bin Späherin und Kundschafterin. Dies ist meine Aufgabe in der Gemeinschaft des Schicksals.« Sie lächelte ihm deutlich freundlicher zu als zuvor Skerbull. »Ihr werdet auch noch zum Einsatz kommen.«

»Ich rechnete fast damit, dass sie sagt: zum Schuss«, grummelte der Taucoraner und grinste anzüglich. »Habe ich das laut gesagt?« Er machte eine entschuldigende Geste. »Ihr wärt ein hübsches Pärchen. Bleich und Bleich gesellt sich gerne.« Skerbull lachte schallend über seinen eigenen Scherz.

Ilreen verdrehte die Augen, Vytain seufzte, was Kommentar genug war.

»Ich muss Euch noch etwas zu Eurer Waffe fragen, Ilreen.« Danèstra legte das Besteck auf den Teller. Sie war satt. »Ist Euer Kurzschwert ein Artefakt? Weil Ihr Lichtsignale damit geben könnt.«

Die Kundschafterin zögerte. »Ja. Es ist mit magischer Energie geladen und auf mich abgestimmt.«

»Ihr seid aber keine Zauberin?«

»Nein«, sagte sie rasch. »Es war ein Geschenk. Von einem sehr guten Freund.« Ilreen zog ihr Schwert und legte es auf den Tisch, damit alle es sahen. »Die Runen auf dem Griff verbinden es mit mir, sobald ich es ziehe und in der Hand halte. Berühre ich eine bestimmte, setze ich die Kraft frei. Mit verschiedenen Effekten.«

»Verstehe.« Danèstra schaute beeindruckt auf das Artefakt. »Ihr kennt jemanden, einen verlässlichen Hexer, den wir anheuern könnten, um uns gegen die Dämonendiener zu helfen. Falls Stahl und Geschosse nicht ausreichen.«

Ilreen steckte das Schwert ein. »Nein. Persönlich nicht.«

»Ich dachte, Euer Freund wäre ein Zauberer?« Danèstra überlegte, ob es eine Andeutung sein sollte. Hat sie Verbindungen zu einer Schattenakademie?

Die Kundschafterin wand sich um eine Antwort.

Mit der Zauberei war es auf Nankān so eine Sache. Magisch Begabte hatte es öfter unter jenen Menschen gegeben, die zu den Altreichen gehörten; dafür war die Magie der Zugezogenen, die vor dem Wald fliehen mussten, wesentlich mächtiger.

Akademien und Schulen für eine offizielle Ausbildung existierten schon ewig; die Reiche wollten wissen, wer sich mit Flüchen, Bannzauber und Hexerei beschäftigte. Im Untergrund gab es jedoch Schattenakademien für die heimliche Ausbildung, was verboten war. In erster Linie kamen Absolventen zum Einsatz, wenn es um das Heilen oder die Verteidigung von Leib und Leben sowie Hab und Gut ging. Ein Magier verdiente jede Menge Geld.

Bis vor hundertfünfzig Gemeinjahren.

Danèstra hätte heute unter vielen Zauberern auswählen können, wenn die meisten magisch Begabten nicht Dekade für Dekade zur Abwehr der Grünödnis ausgesandt worden wären. Irgendwann entsandte die offizielle Kammer sogar die Ausgebildeten der Schattenakademien.

Kaum einer kehrte zurück.

Die Gefährlichkeit sprach sich herum, und daher gab es immer weniger Magierinnen und Magier, die diese Aufgabe übernehmen wollten. Man stellte das Können nicht mehr zur Schau, um nicht gezwungen zu werden. Zudem gab es seit einer Generation kaum Neugeborene, die magische Begabung in sich trugen.

Weil das Böse dafür sorgt. Die Verschwörer stecken dahinter.

»Ilreen, kennt Ihr einen Absolventen aus einer Schattenakademie?«, fragte Danèstra. »Ich verrate ihn nicht an die Magische Kammer. Wir brauchen ihn für unseren Trupp.«

»Nein. Leider.« Ihre Antwort klang ehrlich. »Ich weiß, mit einem Zauberer in unseren Reihen wären wir besser dran. Aber mein Freund ist …« Ilreen atmete schwer aus. »Er gehörte einer Schattenakademie an, ja. Ein Scaber tötete ihn. Die Magie konnte ihn nicht vor dem Monstrum retten.« Sie trank einen Schluck Wasser.

Für einen Augenblick senkte sich Schweigen auf den Raum, durch das nur Besteckklappern drang.

Danèstra warf der geisterbleichen Späherin einen mütterlich-mitfühlenden Blick zu. Ilreen gelang ein verzagtes Lächeln, ohne dass es ihre hellen Augen erreichte.

»Nun denn. Deiwos will uns prüfen. Bleiben wir bei dem, was wir vermögen und was als Nächstes ansteht. In einem halben Mond«, wiederholte Danèstra die Frist, die ihnen für die Vorbereitungen blieb. Auf einem Jahrmarkt. Mit sehr vielen Unschuldigen, Leibgardisten und Bestien. »Wir werden schnell sein müssen, damit Rauhwasser seine Fertigkeiten nicht gegen uns einsetzt.« Sie gab Thirío einen Bissen vom übrig gebliebenen Gulasch. »Es sagte niemand, dass es leicht wird, die Verschwörer zu töten.«

***