Kapitel 9: Du hast mich verlassen.
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ährend die kleine Yumi in digitaler Sprache fachsimpelt, stehe ich am Fenster und sehe Jey mit einem Ball die Villa verlassen. Er dribbelt den Ball vor sich her und schaut immer wieder über die Schulter zu seinem Fenster rauf.
Jenny, kannst du dir vorstellen, dass das unser Leben sein könnte? Der kleine Stinker, der in unseren Garten hinterm Haus, nicht weit von hier, im Garten mit einem Ball spielt, vielleicht sogar zusammen mit Amy, während ich den Grill anmache?
Ich kann es mir kaum vorstellen, aber der Gedanke ist so viel schöner, als das Wissen, über so viel mehr Macht zu verfügen. Nie im
Leben hätte ich gedacht, zu den Personen zu gehören, die sich so eine Familie, so einen Alltag und so ein Leben wünschen. Aber mit dir möchte ich genau das. Ich sehe mich schon mit den Kindern Fußball spielen. Ich sehe sogar die Schaukel in unserem Garten, auf der du neben Amy sitzt und dabei mein Kind in den Armen hältst. Höre dich sogar in meinen Gedanken so amüsiert und ehrlich lachen, wie du es selten tust.
Adam holt mich aus dieser Fantasie heraus, als er hereinkommt, und ich wende mich vom Fenster ab. Er erzählt mir, dass Jeff gerade gekommen ist und erneut versucht hat, dich zu zwingen, mitzukommen. Zu früh, Jenny. Ich wollte die ganze Zeit, dass du wieder zurück nach Chicago gehst. Aber jetzt gerade ist es der falsche Zeitpunkt.
Jeff bedeutet dir viel, dass weiß ich, meine Schöne. Nur darfst du jetzt nicht gehen. Würdest du auch nicht. Weil du nun eine neue Familie hast, mit mir, Jey und Mila. Selbst die kleine Amy wird noch dazugehören. Ich weiß auch, dass du dich vielleicht über Jeffs Besuch freust, aber nun enttäuscht bist. Also lasse ich Adam stehen, der mir noch mehr erzählen will, und gehe zu dir. Als ich dich im Flur sehe, wie du Mila in den Arm nimmst und ihr etwas ins Ohr flüsterst, bleibe ich kurz stehen, weil es ein ungewohntes Bild ist. Dann nimmst du mich wahr, lässt sie los und kommst zu mir. Dabei ignorierst du Trick, der gleich neben Mila steht. Du siehst mich mit deinen großen, leuchtenden Augen an. Trauer und Enttäuschung toben in deinen fast gelben Iriden. Zu gerne möchte ich dich fragen, wie es dir geht, ich weiß aber, dass du es nicht magst, also warte ich ab.
»Liebst du mich?«, fragst du unverhofft und erwischst mich eiskalt. Wie kommst du auf diese Frage? Während ich überlege, was ich dir darauf antworten soll, schaust du runter zu dem Ring an deinem Finger, der mehr bedeutet, als du sicher ahnen kannst. Dann siehst du mich wieder an und erwartest wirklich eine Antwort darauf.
»Ich hasse dich.«
»Dean, das ist nicht das Gleiche.«
Jenny, was willst du von mir hören? Und warum ist es dir jetzt so wichtig? Liegt es daran, dass Jeff da war?
Genau das ist es. Jeff. Deswegen will ich dich in eine Umarmung ziehen, doch du wehrst mich ab und fragst erneut: »Liebst du mich, Dean? Ich muss es wissen.«
Warum nur?
»Ist dir das so wichtig?«
»Ja!«
»Jenny, ich bin süchtig nach dir und will keinen Tag mehr ohne dich sein. Reicht dir meine Besessenheit nicht?« Ich lege die Hand an deine Wange und flüstere: »Warum müssen es diese Worte sein?«
»Weil du bislang nur emotionale Abhängigkeit beschrieben hast. Und das hat nichts mit Liebe zu tun.«
Ja, Jenny, genau das ist es. Wir sind voneinander abhängig, aber warum muss es etwas Schlechtes sein, wenn es sich gut anfühlt? Wieso sollte es anders sein, wenn es uns beide glücklich macht? Ist es verwerflich, wenn man genauso empfindet?
»Jenny, Liebe ist nur ein Wort.« Ich streiche mit den Daumen über deine Unterlippe, während ich das verräterische Glitzern in deinen
Augen erkenne.
»Reicht es dir, wenn ich dir sage, dass wir mehr als ein Team sind? Dass das, was zwischen uns ist, mehr als ein einfaches Wort ist?« Ich küsse dich, während ich dich an mich drücke.
Was ist nur in dich gefahren, dass du so emotional wirst? Jeff muss uns wieder schlecht gemacht haben, dass du das zwischen uns wieder in Frage stellst. Es ist Blödsinn, Jenny. Denn du weißt, was wir haben, und du willst es genauso sehr. Nein, du brauchst es, weil es eine Abhängigkeit ist. Nicht nur emotional und körperlich. Diese gegenseitige Sucht ist so viel mehr.
Du ziehst dich wieder zurück und nickst. Als würdest du es genauso sehen. Aber irgendetwas in deinen Augen, in deiner Körpersprache gefällt mir nicht. Du gehst an mir vorbei und selbst Mila sieht traurig aus, als ich sie ansehe. Was hat dieser Staatsanwalt nur gemacht?
Bevor ich aber wieder zurück zu Yumi gehe, wende ich mich an Trick. Ich weiß, dass er nun für dich arbeitet, aber da du in meinem Team mitspielst, arbeitet er genauso für mich, meine Schöne.
»Trick, geh und pass auf sie auf. Jeff muss ihr zugesetzt haben.«
Er nickt. Wahrscheinlich, weil er es genauso sieht.
»Weißt du, was er gesagt hat?«
»Er wollte, dass sie mitkommt und sie hat es abgelehnt.«
»Das war’s? Dann ist er gegangen?«
»Es sah so aus, als hätte er ihr noch etwas ins Ohr geflüstert, als er sie zum Abschied umarmt hat.«
Du wirst mir noch sagen, wie sehr er dich mit seinen letzten Worten verletzt hat. Also gehe ich wieder zu Yumi.
Ich sitze ihr nun seit geraumer Zeit gegenüber an dem kleinen Tisch, während sie vor meinem Laptop hockt und wild darauf herumtippt.
»D, du bist dir sicher, dass ich ihn drin lassen soll?«, fragt sie.
»Ja, vielleicht können wir das ausnutzen und ihm so eine Falle stellen.«
»Wie du meinst. An was hast du gedacht?«
Um meine Gedanken besser sortieren zu können, weil du mir so unter die Haut gegangen bist, stehe ich auf und gehe zum Fenster.
»Vielleicht …« Ich stocke, als ich den verlassenen Ball auf der Wiese entdecke und mich ein schreckliches Gefühl beschleicht. Denn Jey lässt nie den Ball draußen. Er bringt ihn immer mit rein. Mein Blick wandert auf der Suche nach unserem kleinen Stinker über die Wiese, zur Hecke und zur Einfahrt bis zum Tor. Nichts.
»Vielleicht, was?«
»Nichts.« Ich verlasse mit schnellen Schritten und mit einer erdrückenden Sorge das Zimmer. Ich laufe fast den Flur entlang zu seinem Zimmer, wo Trick steht.
»Sie ist da drin«, merkt er an, »Jey ist draußen und spielt Ball.«
»Nein, tut er nicht!«, brülle ich fast, schiebe ihn auf Seite und betrete das Zimmer.
Das leere Zimmer.
»Sie ist gerade erst reingegangen«, wundert sich Trick hinter mir und ich sehe das offene Fenster. Fast renne ich dorthin und schaue heraus. Du bist nicht da. Ich beuge mich vor, um zu sehen, ob du wirklich aus dem Fenster deines Zuhauses abgehauen sein könntest, und erkenne, dass du mehr als nur die Möglichkeit hattest. Fuck!
Aber warum solltest du das tun? Was geht hier vor?
»Colt?« Als ich mich zu Trick umdrehe, zeigt er auf einen Zettel auf Jeys Bett. Ich nehme ihn und lese: ›Wir sind kein Team.‹
Gefühlte hundertmal lese ich den Satz und begreife nicht, was du dir dabei gedacht hast. Ich verstehe es wirklich nicht, Jenny. Denkst du, so einfach ist es? Anscheinend.
Ich brauche viel zu lange, um zu verstehen. Dann überschwemmen mich die Emotionen und ich spüre rasende Wut durch meine Adern jagen. Ich zerknülle den Zettel, während äußerlich nur die pulsierende Vene an meiner Schläfe von meinem Zorn zeugt. Ich drehe mich um und ramme meine geballte Faust in den Schrank. Weil du elendiges Miststück tatsächlich versuchst, vor mir zu fliehen, und schlage ein weiteres Mal zu. Weil du mich schon wieder verarschen willst, fliegt das zersplitterte Holz durch den Raum.
»Colt, er hat ihr etwas ins Ohr geflüstert!«
»Ja, Trick!«, drehe ich mich brüllend zu ihm um. »Dass sie mitkommen soll und die miese Schlampe hat sich für ihn entschieden!«
Ich kann meine eigenen Worte kaum glauben, presse den Kiefer schmerzhaft zusammen und kann nicht mehr an mich halten. Die zerstörerische Wut in mir ist nicht mehr zu stoppen und ich zerschlage alle Möbel in diesem Raum.
»D! Schluss damit! Hör auf!«, ruft Adam, der zusammen mit meinen anderen Freunden nun auch hier steht. Mitten in meiner nicht aufhaltbaren Wut.
»Bitte!«, höre ich nun Mila und ich verharre und sehe sie an. Mit einem Schritt bin ich bei ihr und brülle ihr ins Gesicht: »Was hat sie
zu dir gesagt?«
Sie zuckt zusammen, als hätte ich ihr mit jedem Wort ins Gesicht geschlagen. Riley musste sich auch noch genau zwischen uns stellen und mich wegdrücken. Doch ich bewege mich nicht von der Stelle, Jenny. Mir ist das scheißegal.
Du bist abgehauen!
»Was hat sie zu dir gesagt?«, wiederhole ich meine Worte noch lauter.
»Dass es ihr leidtut.«
»Was tut ihr leid?«
»Dass sie gehen muss.«
FUCK!
Voller Zorn schlage ich an Riley und Mila vorbei in die Wand. Was Greg alarmiert. In Sekunden hast du Jenny, die miese Schlampe, es geschafft, dass ich mich mit meinem besten Freund prügle.
Greg will zwar lediglich dafür sorgen, dass meine Wut nicht mehr zerstört, aber in dem Augenblick, als er meine Hand ergreifen will, schlage ich zu. So wie er. Gegenseitig schlagen wir aufeinander ein, weichen uns aus und am Ende sind wir ein rollender Ball, in dem Fäuste fliegen. Adam und Riley mischen sich dann auch noch ein und stürzen sich auf mich.
Milas Schreien interessiert uns alle nicht. Und schließlich liegen alle meine Freunde auf meinem Rücken und fixieren mich, sodass ich mich nicht mehr bewegen kann. Atemlos stelle ich erneut fest, dass du weg bist.
DU BIST ABGEHAUEN!
»D, beruhig dich jetzt einfach. Ihr Bruder hat ihr etwas ins Ohr
geflüstert«, versucht Adam, mich zu beruhigen.
Ich sehe aber nur deine traurigen, enttäuschten Augen vor mir.
»Sie hat mich gefragt, ob ich sie liebe«, sage ich schließlich.
»Und was hast du geantwortet?«, fragt Riley.
»Dass ich emotional von ihr abhängig bin.«
Da bekomme ich einen Schlag auf den Hinterkopf, der sich nach Greg anfühlt.
»Das ist keine Liebe«, muss Adam unnötigerweise noch sagen, was mich erneut hochfahren lässt.
»Das weiß ich auch!«
»Warum sagst du dann so einen Scheiß?«, fragt Greg.
Ja, warum, Jenny? Weil es die Wahrheit ist und ich die ganze Zeit davon ausging, dass wir über diese Worte hinausgewachsen sind.
Wir hatten doch unsere eigenen Wörter. Unsere eigenen Beschreibungen.
Unser Ding.
»Geht runter von mir!«, verlange ich schließlich laut, denn ich weiß, was ich zu tun habe, Jenny. Ich muss dich zurückholen. Dich und meinen kleinen Stinker.
Meine Freunde gehen runter und ich rapple mich auf.
»Du wirst sie suchen«, Rileys Worte sind eine Aussage, keine Frage, und ich nicke, während ich meine Kleidung richte.
»Außerdem brauche ich sie nicht zu suchen, ich weiß, wo sie ist.« Das brauche ich nie wieder, Jenny.
Ich will das Zimmer verlassen und plötzlich steht Yumi mit meinem Laptop im Türrahmen.
»Ich hoffe, sie kehrt nicht in ihre Wohnung zurück.«
Ich runzle die Stirn, weil ich genau davon ausgehe. Da dreht Yumi den Bildschirm um, sodass ich erkenne, dass sie die Überwachungskamera deiner Wohnung geöffnet hat.
»Sie wird nicht allein sein.« Dann zoomt sie heran. Ich sehe genauer hin und erkenne ihn, Jenny.
Dein Ex sitzt auf deinem Sofa und vier weitere Männer stehen an der Wand und warten auf dich.
Fuck!
Was hat dieser Staatsanwaltsschwanz gemacht?