D
ie Nacht brach herein und die Villa sowie auch mein Zimmer wurden stiller. Mein Verstand aber nicht. Die Schmerzen waren zwar vorhanden, plagten mich aber nicht so sehr, wie die Gedanken und die Erinnerungen. Die Stunden vergingen und die vielen Fragen wurden immer lauter.
Für einen Augenblick versuchte ich, mich zu entspannen, doch der heiße Mistkerl tauchte in meinem Kopf auf. Bevor mich die viel zu schönen Erinnerungen in Trauer erstickten, schwenkte ich um auf alle Taten, die mich verletzt hatten. Jede noch so kleine Begebenheit, jeder Verrat, einfach alles, sah ich vor meinen geschlossenen Augen. Erst die aufkommende Wut besserte mein Befinden. Nur hielt es nicht so lange an, wie ich es mir erhofft hatte. Denn genauso sah ich, wie er versucht hatte, mich von sich zu überzeugen. Wie er mir all das gab, was ich so dringend brauchte. Schon spürte ich seine Lippen
auf meinen, seine kraftstrotzende Nähe und erahnte sogar seinen typischen Mistkerl-Duft. Die Träume wurden zu einer geballten Qual, als ich seine Präsenz zu spüren glaubte und mich daran erinnerte, wie es sich anfühlte, wenn er Besitz von mir ergriff. Diese geladene Hitze, die mich verbrannte und wie er mich gewaltvoll nahm.
Erschrocken von der Heftigkeit meiner Vorstellungskraft richtete ich mich auf und spürte den tobenden Plus durch meine Adern rauschen. Schlagartig wurde mir klar, dass ich es nie wieder spüren konnte, nur in meinen schlaflosen Träumen. Denn für ihn war ich nicht mehr die begehrenswerte Frau, sondern nur noch ein Häufchen Elend.
Dabei wollte ich nur für einen kleinen Moment vergessen, was aus mir geworden war, eine streichelnde Hand auf der Haut spüren und mich in unbeschreiblicher Leidenschaft verstecken. Nur für einen kurzen Augenblick wollte ich mich als Mensch fühlen und mich in Arme fallen lassen, die mich trotz allem als Frau wahrnahmen.
Aber nicht allein zu sein würde mir auch schon reichen. Einfache Zweisamkeit würde mir für den Moment genügen. Es war reiner Schwachsinn.
Das alles schüttelte ich ab, schmiss mich in die Kissen zurück und starrte zur Decke. Meine neue Standard-Beschäftigung.
Schließlich gewann die Ruhelosigkeit. Ich schnappte mir die Krücken und bemühte mich, aus dem Zimmer zu gelangen. Langsam kam ich voran und schritt den Flur entlang, ohne Ziel.
Erst vor Adams Zimmertür hielt ich an und klopfte, ohne zu wissen, was ich wollte. Als es zu spät war, begriff ich, dass es keine gute Idee war. Man sagte doch, dass nach zwei Uhr nachts nichts
Erfreuliches mehr passieren konnte. Schnell drehte ich mich wieder um, wollte flüchten. Allerdings kam ich nur einige Schritte, bis die Tür aufging und ein »Kit?« fragend über den Flur flog.
Wie erstarrt blieb ich stehen und schlug mich innerlich für meine Dummheit.
»Ist etwas passiert?«
»Nein. Schon gut.«
»Komm rein.«
Über die Schulter hinweg sah ich zu Adam, wie er nur mit einer Jogginghose bekleidet im Flur stand, mich anlächelte und seine blauen Augen zu mir rüber leuchteten. Er sah noch nicht einmal so aus, als hätte ich ihn aus dem Schlaf gerissen. Noch immer zögerte ich und traute mich auch nicht, etwas zu sagen. Da kam er auf mich zu, stellte sich vor mich und lächelte noch breiter, sodass seine Grübchen zum Vorschein kamen.
Oh, Shit!
»Na komm.« Er ging voran und dummerweise folgte ich ihm. »Du hast es also aus dem Zimmer geschafft. Allein.«
Ich schwieg, während ich den Raum betrat. Er schloss die Tür und ließ mich nicht aus den Augen. »Was ist los, Kit?«
»Nichts.«
»Ohne Grund klopfst du sicher nicht mitten in der Nacht an meine Tür.«
Ich verfluchte mich dafür, mein Handeln nicht überdacht zu haben. Es war so ein fucking Fehler, hierherzukommen.
»Kit?«, fragend zog er meinen Namen in die Länge.
»Ich konnte nicht schlafen und …« Ich brach ab, weil ich ihm nicht
sagen wollte, wie einsam und kaputt ich mich fühlte. Ich es hasste, zu wissen, dass ich nicht mehr die Frau war, die Dean haben wollte, und es kotzte mich an, nicht mehr die Alte zu sein. So einfach konnte ich ihm nicht erklären, dass die Schmerzen, die ich erlitt, noch lange nicht so schlimm waren, wie die Tatsache, dass Dean nicht da war.
Ich litt und würde es niemals laut aussprechen.
»Wie kann ich dir helfen?«
»Darf ich hier schlafen?«
Er wunderte sich über meine Worte, genauso wie ich. »Hast du vergessen, was das letzte Mal passiert ist, als du bei mir geschlafen hast?«
Für einen Moment holte ich mir die Erinnerung vor Augen. Adam hatte mich in sein Bett getragen, was ich nicht mitbekommen hatte.
Morgens hatte ich seinen Körper an meinem gespürt und gedacht, es wäre Dean, und mich an ihm gerieben. Bevor etwas passieren konnte, war ich aufgewacht und hatte herumgeschimpft, bis Dean hereingeplatzt war. Jap, ich hatte es nicht vergessen.
»Ja, ich erinnere mich. Es ist nichts passiert.«
Zunächst sah er mich schief an. Dann lächelte er und zeigte auf sein Bett.
»Leg dich hin, Stiletto.«
Doch als ich vor dem Bett stand, war ich mir nicht mehr sicher. Natürlich fühlte ich mich verlassen und wie ein geprügelter Hund.
Nur war ich auf einmal so verunsichert. Als hätte Adam mein Zögern bemerkt, baute er eine Kissenwand in der Mitte der Matratze auf.
»Ich will nicht, dass du auf dumme Gedanken kommst.«
Kopfschüttelnd fand ich die Idee dennoch gut und näherte mich langsam der Bettkante, legte die Krücken an die Seite und schlüpfte unter die Bettdecke.
»Gute Nacht.«
»Danke«, flüsterte ich und hoffte, er wusste, was ich meinte.
»Dafür sind Freunde da.«
Bullshit. Denn wir waren keine. Das erkannte aber anscheinend nur ich.
* * *
Als ich durch die Helligkeit des Raumes aufwachte, freute ich mich im ersten Moment. Denn ich wurde nicht durch Schmerzen geweckt. Im zweiten Augenblick fühlte ich seine warme Haut an meiner, roch seinen unglaublich maskulinen Geruch und spürte, wie er mich mit seinen Armen fest an sich drückte.
Die Kissen waren verschwunden. Während sein Bein zwischen meinen Schenkeln lag und meins auf seiner Taille.
Den schrillen Alarmglocken in mir zum Trotz öffnete ich die Augen und sah unmittelbar auf seine harte Brust. Ungewollt, als würde mein Körper ohne Zustimmung handeln, strichen meine Finger über seine Muskeln nach oben. Und es fühlte sich so gut an.
»Tu das nicht.« Adams Stimme war rau, hart und zu sexy für diesen Morgen. Unter meiner Haut begann es zu kribbeln und ich reagierte darauf, indem ich sein Schlüsselbein nachfuhr.
»Du solltest aufhören.« Seine Stimme kroch mir zwischen die Beine und die Hand glitt wie von selbst über seine Schulter zu seinem Oberarm. Nur sein Verstand wollte mich vor diesem Fehler bewahren. Seine Hand an meinem unteren Rücken hingegen drückte mich noch fester an sich, sodass sich seine Erektion an meinen Bauch drängte.
Und Shit, es war ein Fehler.
Ein verdammt großer!
Dennoch gab ich dem inneren Verlangen nach und hauchte einen einzelnen Kuss auf seine Brust, bevor ich hineinbiss.
Leicht knurrend legte er seine Stirn auf meinen Scheitel und flüsterte kaum hörbar: »Nicht.« Dabei spannten sich seine Muskeln an, als müsste er sich mit aller Gewalt zurückhalten. Seine Finger pressten sich in mein Fleisch und ich machte weiter, obwohl die Stimme in mir schrie, dass ich besser wegrennen sollte. Nur wollte ich es nicht. Zu lange war es her, dass ich eine so schöne Wärme gespürt hatte.
Adams andere Hand wanderte unter meinem Nacken hindurch und zog meinen Kopf durch einen kräftigen Ruck an meinem Haar zurück, sodass ich ihm direkt in die Augen schaute.
Nase an Nase knurrte er dunkel:
»Hör damit auf.«
»Und wenn ich nicht kann?«
Ruckartig beförderte er mich auf den Rücken und beugte sich zwischen meinen Schenkeln liegend über mich. Während er mir noch immer den Kopf im Nacken fixierte, knabberte er sich an meinem Hals hinauf.
»Dann kann ich für nichts mehr garantieren.« Zur Untermalung presste er sein Glied an meine Mitte.
Stöhnend hob ich ihm die Brust entgegen, ließ die Hitze durch mich hindurchgleiten. Nur der Stoff zwischen uns bewahrte uns davor, zu weit zu gehen.
Aber ich wollte mehr. Viel mehr.
Denn geistig war ich schon längst wieder im Vito, als er seine Lippen an meine Klit gepresst hatte, saugte und mit der Zunge in meine Spalte glitt.
Stöhnend bewegte ich das Becken, sodass er die Hand unter meinen Hintern schob und mich noch mehr an ihn drückte. Dann legte er seine Lippen auf meine, drang mit der Zunge in meinen Mund ein und verschlang mich mit einer Sehnsucht, die mich überwältigte. Haltsuchend krallte ich die Nägel in seinen Rücken, wimmerte, als er in meine Unterlippe biss, und stöhnte, während er sein Becken bewegte.
Mit jedem Kuss, mit jeder Bewegung, ließ er mich sein Begehren, das Verlangen und die Lust spüren. Seine Erektion an meiner empfindlichen Mitte zeigte mir, wie sehr er mich wollte. Dass er sich genau das wünschte.
Ich fühlte mich begehrenswert, kraftvoll und mächtig in seinen Armen. Adam gab mir nicht das Gefühl, kaputt zu sein oder unbrauchbar. Inmitten seiner Begierde fühlte ich mich nicht wie ein hilfloses Mädchen, sondern wie eine attraktive Frau, mit der man schlafen wollte. In jenem Augenblick spürte ich die alte Freiheit, die Macht und die Bestätigung.
Und ich wollte das. Ich wollte ihn.
Doch im selben Moment traf mich eine andere Erinnerung.
Dean.
»Nein!«, brüllte ich verschreckt. Die Hitze tauschte den Platz mit der Kälte und meine Erregung verflog genauso schnell wie die Erinnerung an die Szene im Vito. Ich wollte nicht Adam, sondern Dean. Nur wünschte ich mir, dass er mich so ansah, wie der Mann, der über mir aufragte und nicht auf den Widerspruch reagierte. Stattdessen aber meine Arme, die ihn wegstießen, ergriff und über meinem Kopf mit einer Hand in die Matratze drückte. Er hörte nicht auf, mich zu küssen, und ich wand mich unter ihm, warf den Kopf hin und her, um ihm zu entkommen.
»Adam, hör auf!« Ich wurde lauter und wütender. Er ignorierte mich noch immer und seine Hand wanderte zu meiner Mitte unter die Shorts.
»Verdammt, hör auf!«
Ich nahm meine ganze Kraft zusammen, entriss ihm meine Hände und schlug ihn weg, bevor er in mich eindringen konnte. Immer wieder traf meine Faust seine Brust, bis er von mir abließ.
Kaum war er von mir gerollt, stöhnte er auf.
»Ich habe gesagt, du sollst es lassen.«
So gut es ging, sprang ich auf und fischte nach den Krücken, während ich: »Du spinnst doch!«, brüllte.
»Du hast damit angefangen!«
»Weil ich völlig irre bin! Scheiße, Dean war seit Tagen nicht mehr hier!«
»Du vermisst ihn und willst mich ficken, damit es dir besser geht?« Seine Stimme donnerte böse und laut durch den Raum. Mir war das
aber scheißegal. Ich war auch wütend. Nicht auf ihn, sondern auf mich. Dennoch brüllte ich zurück.
»Ja und du nutzt es aus. Du bist ein toller Freund!«
»Du bist doch wirklich irre, Kit!«
»Und du bist ein Fickmensch!«
»Was?«
So schnell ich konnte, durchquerte ich den Raum zur Tür. Ich floh vor meiner eigenen Dummheit. Doch Adam stand vor mir an der Tür und hielt sie zu, noch bevor ich die Klinke erreichte.
»Was hast du gesagt?«, knurrte er.
»Dass du ein Fickmensch bist. Du hast es ausgenutzt, nicht aufgehört, und jetzt geh weg!«
»Du hast auch nicht aufgehört!«
»Nur mit dem Unterschied, dass du es auch wolltest! Geh von der Tür weg!«, brüllte ich und er trat zurück. Immerhin öffnete er noch die Tür für mich, sodass ich so schnell, wie ich konnte, verschwand. Hinter mir knallte sie wütend wieder zu und ich atmete tief durch.
Noch immer spürte ich seine Sehnsucht auf meinen Lippen und das vielversprechende Zucken meiner Mitte, nur die Macht verlor ich mit jedem weiteren Schritt, den ich den Gang hinunter machte. Leider fühlte ich mich zudem auch noch schlecht. Alles in mir schrie schuldbewusst.
Die Tatsache, dass Dean davon erfahren und jetzt erst recht nicht zurückkommen würde, legte sich so schwer auf meine Glieder, dass ich mich kaum auf den Krücken halten konnte, während ich dennoch eilig voranschritt.
Ich war eine verdammte Idiotin.
Tränen sammelten sich in meinen Augenwinkeln und erinnerten mich daran, dass ich eine Heulsuse geworden war. Rasch schluckte ich mein Gewimmer runter und verdrängte jedes einzelne Gefühl, dass mich nun zu überrollen drohte.
»Nicht so schnell, Stiletto!« Greg war es, der meine Bewegungen zum Stocken brachte. »Sag mir, dass du nicht gerade aus Adams Zimmer gekommen bist!«
Schweigend hielt ich inne und er kam näher.
»Sag mir, dass du vergangene Nacht nicht bei ihm geschlafen hast!«
Noch immer reagierte ich nicht und als er neben mir stand, sah er mich mit zusammengekniffen Augen an, während ich seinem Blick auswich.
»Kit?«
»Es ist nichts passiert«, flüsterte ich in mich hinein und wollte den Weg fortsetzen, da ergriff er meinen Oberarm und zog mich so ruckartig zurück, dass ich fast gestürzt wäre.
Doch er fing mich auf, hielt mich nun an beiden Armen in einen schmerzhaften Griff, während die Krücken zu Boden fielen.
»Was tust du da?« In seinen grünen Iriden tobte eine unergründliche Wut, der ich besser nicht auf den Zahn fühlen sollte, und obwohl ich mich gegen ihn zur Wehr setzen wollte, fand ich keine Kraft. Eigentlich hätte ich ihm sagen können, dass es ihn nichts anging und Dean es gewesen war, der mich verlassen hatte. Nur brachte ich kein Wort heraus. Er hielt mich mit seinem Blick und seinen Armen gefangen und erkannte die schreckliche Wahrheit, dass Dean mich spätestens dann abknallen würde, wenn er davon
erfuhr.
»Sag ihm nichts«, brachte ich heiser heraus und ließ den Kopf hängen.
»Zu spät.«
Da riss ich den Kopf hoch, suchte in seinen Augen die Wahrheit und erkannte sie. Tränen verschleierten meine Sicht.
»Kit. D hat mir gerade am Telefon gesagt, dass er seine Ziele aus den Augen verliert, da hast du ›Nein‹ gebrüllt. Ihr wart so laut, dass wir beide jedes Wort verstanden haben.«
»Ich darf mich doch wohl mit Adam streiten.«
»Klar. Aber um sechs Uhr morgens in seinem Zimmer? Und der Inhalt eurer Auseinandersetzung war eindeutig.«
Shit! Wie konnte ich nur so dumm sein? Wieso suchte ich ausgerechnet bei Adam Bestätigung?
Greg begann, mich zu schütteln.
»Wieso tust du das?«
Doch ich ließ nur den Kopf hängen und meine Tränen laufen. Denn ich wusste selbst nicht, warum ich das tat. Warum ich es mir so wichtig war, mich nicht wie der Krüppel zu fühlen, der ich nun mal jetzt war, und mich nur für einige Augenblicke im Verlangen eines anderen zu vergessen. Dabei war es der größte Fehler, es ausgerechnet bei Adam zu suchen. Denn damit würde ich Dean für immer verlieren.
»Was hat er gesagt?«, hauchte ich und Greg hörte auf, mich wie einen Shake zu rütteln, und sah mich perplex an.
»Was soll er bitte sagen?«
»Keine Ahnung.« Ich deutete ein Schulterzucken an. »Vielleicht,
dass er mich von nun an verachtet?«
»Er hat nichts gesagt, Kit. Wir haben euch gehört und als die Tür zugeknallt wurde, hat er aufgelegt.«
»Er hat einfach aufgelegt?«
»Ja, Kit, und ich weiß noch immer nicht, ob der Plan jetzt umgesetzt wird oder nicht. Wobei ich eher auf eine Planänderung tippe.« Er schüttelte den Kopf und zwang mich, nach hinten zu hüpfen, bis er mich an die Wand gelehnt losließ, um nach den Krücken zu greifen.
»Lass mich raten? Wieder ein Plan, in dem ich die Hauptrolle für euren kranken Scheiß spiele?«
Er hielt mir meine Gehhilfen hin und lächelte.
»Krank trifft zu hundert Prozent zu. Aber wenn es dich beruhigt, ich bezweifele, dass er es nach der Aktion mit Adam durchzieht. Er hatte ohnehin Zweifel.«
»Warum besänftigt mich das nicht?« Sondern löste nur noch mehr Schmerz in mir aus? Mir wurde klar, dass ich selbst für einen Scheißplan nicht mehr taugte.
Es war wohl endgültig vorbei.
Greg schwieg und wich von mir zurück, damit ich mich entfernen konnte, was ich auch tat.
Aber noch nie hatte sich der Weg so schwer angefühlt. Als hätten seine Worte mir jeden Knochen gebrochen. Leise schluchzte ich vor mich hin, während ich zum Zimmer stolperte. Auf halbem Weg packte mich Greg an den Hüften, drehte mich zu sich herum und nahm mir die Krücken ab, um mich dann schwungvoll mit einem Arm über seine Schulter zu werfen.
»Was tust du da?«, schimpfte ich.
»Scheiße, Kit, ich bin niemand, mit dem man sich über Gefühle und so etwas unterhalten kann. Genauso wenig wie du.«
Womit er nicht ganz unrecht hatte. Erst seit ich Dean kannte, heulte ich ständig wie eine Gefühlsbitch.
»Also mache ich das einzig Richtige in so einem Moment.«
»Und das wäre?«, fragte ich überrascht, während Greg im Schnellschritt durch die Flur ging und die Treppe hinabstieg.
»Mit dir auf unsere Art reden.« Damit konnte ich nichts anfangen, bis ich erkannte, wo er mich hinbrachte, was mich wirklich fassungslos machte. Denn er stellte mich mitten im Fitnessraum ab.
»Sag mal, kann es sein, dass du dir das Hirn rausgeprügelt hast?«
»Was denn, Kit? Diese Sprache sprechen wir beide.« Er gab mir die Krücken wieder und da stand ich. Mitten in dem Raum, in dem ich sonst meinen Frust bekämpfte. Seit mir der Unterschenkel fehlte, hatte ich ihn nicht mehr betreten und wollte es auch nicht.
»Und diese Sprache ist besser als dieser tödliche Irrsinn, den du mit Adam abziehst.« Kurz zögernd sah er mich an. »Jetzt verstehe ich, was Saltos meinte.«
»Keine Ahnung, was du meinst.«
»Dass du fließend geilisch sprichst.«
»Ach, du bist scheiße!«, schimpfte ich und wollte den Raum wieder verlassen, weil ich mit ihm nichts mehr anfangen konnte.
»Nein, Kit, du bleibst hier und redest mit mir. Ist doch nicht normal, was in dir vorgeht.«
Ich und ›normal‹? Ha! Das würde nie passieren.
Mit den Krücken an meinen Armen packte er mich und stellte mich
vor den Boxsack.
»Hallo? Spinnst du? Wie soll ich da draufschlagen, wenn ich ohne die Dinger nicht einmal aufrecht stehen kann?«
»Du kannst doch auch sonst auf einem Bein hüpfen!«
»Dafür braucht man aber zwei, um das Gleichgewicht halten zu können, du Arsch!«, brüllte ich frustriert.
»Versuch es. Du brauchst nur eine Krücke, schmeiß die andere weg!« Er stellte sich hinter den Sack und hielt ihn fest. »Mach schon!«
Noch zermürbter als zuvor warf ich die rechte Krücke quer durch den Raum.
»Siehst du, Kit, wenn du das schaffst, kannst du auch boxen.«
»Arsch!«, knurrte ich genervt und schlug leicht gegen den Sandsack, was Greg zum Reden veranlasste.
»Nicht nur für dich ist das Ganze schwierig. D weiß auch nicht, was er noch machen soll.«
Ich erwiderte nichts. Mit weiteren, stetig härteren Schlägen lauschte ich Gregs Worten.
»Er zweifelt nicht nur an seinen Zielen und Plänen, an sich selbst auch.
Ihn nervt es, dass du so abdrehst und dich noch mehr verschließt als sonst schon. Keiner von uns kann nur annähernd das nachempfinden, was du durchmachst und wie schwer das für dich ist. Aber kannst du uns nicht eine Chance geben, es dir leichter zu machen? Ist es so furchtbar, Ds Hilfe anzunehmen? Oder zumindest zu der kaltblütigen Irren zu werden, die du einmal warst? Die mit den dummen Sprüchen und dem frechen Grinsen auf den Lippen? Die
Frau, die D ständig herausfordert?«
»Die bin ich nicht mehr!«
»Doch, denn das war nie von einem Bein abhängig. Du bist im Moment eher ein Zombie als die Kit, vor der alle Angst haben.«
Darauf sagte ich nichts, denn ich wüsste nicht was. Diese Person war ich einmal gewesen. Es gab nichts mehr, vor dem man sich fürchten musste. Ich war unvollkommen. Ein Krüppel, der sich kaum auf einem Bein halten konnte.
»Fang doch mal damit an, selbstständig aus deinem Zimmer zu kommen.« Da hielt ich inne und sah an dem Sack vorbei zum muskelbepackten Greg hoch. Nur, um dann bedeutungsschwer die Braue zu heben.
»Ich meine damit, ohne direkt in Adams Zimmer zu stolpern und in seinem Bett zu landen!«
»Es ist nichts passiert!«
»Mag sein, aber wenn nicht, dann sicher fast!« Wie recht er doch hatte. Nur war er der Vorletzte, dem ich das erzählen würde. Der Letzte war auf jeden Fall Dean.
»Ich dachte, du liebst D? Also warum tust du das?«
»Ich hasse ihn.«
»Was bei euch das Gleiche ist und meine Frage nicht beantwortet.«
»Was scheißegal ist, weil er nicht zurückkommt.«
Da er nichts erwiderte, ließ ich den Kopf ans Leder fallen und atmete in mich hinein. Das ging an Greg nicht vorbei. Er nahm meine Hand, zog mich mit auf die Bank, setzte sich gleich neben mich und meinte: »Ich hab’s nicht so mit diesem Gequatsche, aber ich habe eine breite Schulter, an der man sich gut anlehnen kann.« Sein
Angebot nahm ich an und lehnte den Kopf an ihn.
»Er wird wirklich nicht zurückkommen, oder?«
»Ich weiß es nicht. Das erfahre ich spätestens dann, wenn er uns braucht und wir abreisen müssen.«
»Warum seid ihr überhaupt noch hier?« Ich verdrängte sogleich die aufkommende Trauer darüber, dass ich Dean verloren hatte.
»Du hast mir doch Trick eingebrockt. Ich bin wegen Bonny hier und dank ihm wird es nicht leichter.«
Die Tatsache, dass sich Trick durch mein Zutun für Blondie interessierte, entlockte mir ein zartes Schmunzeln.
»Der sich im Übrigen auch mit Mila zu gut versteht. Die zwei stecken ständig die Köpfe zusammen und tuscheln. Wenn ich Pech habe, hilft deine verdorbene Schwester Trick auch noch. Dauernd lässt sie mich vor Bonny alt aussehen.«
»Sag nicht, dass Mila im Trailer bei ihr abhängt.«
»Sie hängt in allen Ecken rum, nur nicht in ihrem Zimmer. Ich habe sie da noch nie gesehen. Unverhofft taucht sie auf dem Rücksitz auf. Mit ihr stimmt doch etwas nicht. Sie ist überall und nirgendwo.«
Da musste ich kurz lachen, weil sie so anders war und Greg sich aufregte.
Schnell lenkte ich das Gespräch auf Riley und meine eigentliche Frage. »Und was ist mit Riley? Warum ist er noch hier? Und bitte verklickere mir jetzt nicht, dass es an Mila liegt.«
»Ich habe nicht vor, dich anzulügen. Ich könnte jetzt schweigen oder dir erzählen, dass Riley auf sie steht und ihr nachjagt. Wie du willst.«
»Oh, bitte, ich brauche keine Details. Ich habe auch so verstanden,
dass Riley sich sein eigenes Grab schaufelt, wenn er sie nicht in Ruhe lässt.«
»Oh, Kit, er liegt schon drin und jedes noch so süße Zwinkern von deiner Schwester ist eine Schippe voller Lehm. Sie begräbt ihn lebendig.«
»Wie zutreffend.« Ich musste ein weiteres Mal schmunzeln. Schon immer ahnte ich, dass Greg und ich uns besser verstanden, als ich es zuließ. Denn seine dunkle Aura war mir vom ersten Tag an aufgefallen.
»Und Adam?«
»Darauf brauchst du keine Antwort, Stiletto. Das kannst du dir denken.«
Na toll, wenn ich richtig verstanden hatte, blieb Adam wegen mir und aus demselben Grund blieb Dean verschwunden. Das war dann wohl mein Grab.
Wir schwiegen und ich genoss Gregs tröstende Schulter, was ich niemals zugeben würde. Seine Nähe fühlte sich anders an. So vertraut und ganz eigen. Es war nicht wie bei Jeff, der mich wie ein Anker auf der Erde hielt. Oder wie Saltos, der mir das Gefühl gab, sehen zu können, obwohl ich meine Augen schloss. Oder wie bei Otis, der für mich tötete und starb. Und es war auch nicht so wie beim Boss, auf dessen Unterstützung ich immer zählen konnte, und Malcolm, der mich wie ein Vater nervig umsorgte.
Gregs Nähe war die eines Bruders. Wie so ein richtiger großer Bruder, der mit mir nichts anfangen, aber mir ein Stück Sicherheit vermitteln wollte. Der weise und blöd zugleich war. Dabei nahm ich nie Trost an. Es war aber seine spürbare Nähe, die mir half.
»Ich habe das noch nie gemacht«, flüsterte ich mehr zu mir selbst.
»Was genau?«
»Na, das hier, Blödmann.«
»Trost annehmen? An einer Schulter anlehnen? Was genau?«
»Ach, vergiss es.«
»Niemals, Kit! Du alte, Trost annehmende Jungfrau!« Dann lachte er auch noch.
»Wow, dein Humor ist genauso dämlich wie dein Lachen.« Damit richtete ich mich wieder auf.
»Darf ich dir eine Frage stellen?«
»Wenn du so fragst, nein.«
»Pech für dich. Wolltest du mich damals in der Bar wirklich mit dem Stuhl erschlagen?«
»Klar! Du arbeitest für Colt. Das erfuhr ich zu der Zeit von Saltos.«
»Colt ist Dean! Damals wie heute!«
»Oh Mann, Greg! Das wusste ich doch nicht! Das war der Grund, warum ich nicht gesagt habe, wer ich bin. Ich wollte Dean nicht in Gefahr bringen.«
»Du wolltest ihn schützen?«
»Als ich nicht wusste, dass er es war, vor dem ich Angst haben sollte? Ja, da wollte ich ihn mit allem, was ich hatte, beschützen.«
»Nicht schlecht.«
»Im Nachhinein schon. Nach allem, was passiert ist, hätte ich euch eigentlich schon am ersten Abend in der Bar erschießen sollen.«
»Vielleicht. Aber jetzt ist Gregs Sprechstunde zu Ende. Deine Leute kommen gleich.«
»Was für Leute?«
»Nancy, der Arzt, dein Aufbauteam und so.« Da rollte ich die Augen, denn darauf hatte ich noch weniger Lust. Er stand auf und gab mir die andere Krücke. Gemeinsam mit ihm verließ ich schweigend den Raum und wir trennten uns kurz vor der Treppe. Zwar wollte er mir noch hochhelfen, aber ich musste es selbst schaffen. Alleine. Und er nickte und ging in Richtung Küche.
Und genau da stand ich nun und starrte Treppe hinauf.
Waren es schon immer so viele Stufen?
Ich feilte noch an der Strategie, wie ich das bewerkstelligen sollte, als wäre es der Mount Everest, da klingelte es an der Tür.
Ah! Mist!
Damit keiner sah, wie ich an ein paar – vielen – Stufen verzweifelte, trat ich zurück und lehnte mich an den Beistelltisch, während eine Nutte herbeieilte. Und schon kam ich erst recht ins Schwitzen. Denn der dicke Cop aus meinem früheren Revier betrat das Foyer.
Na toll! Damit auch ja alle mitbekamen, wie sehr ich am Ende war!
Als Herzchen mich dämlich rumstehen sah, kam er umgehend auf mich zu.
»Hey, Kit. Wie geht es dir?« Er klang so verdammt mitfühlend, dass mir schwindelig wurde. Innerlich geilte er sich sicher an dem miserablen Anblick auf und tat die frohe Botschaft kund, dass ich nun schwach war, sodass sich demnächst alle hier tummeln würden, um meinen Tod einzufordern. Deswegen gab ich ihm keine Antwort und zog nur eine Braue hoch, während er weiter quatschte.
»Genau zu dir wollte ich auch.« Da hatten wir es doch. Er musste sich wahrscheinlich die Bestätigung holen. Aber da musste ich ihn enttäuschen. Ich würde ihn nämlich vorher erledigen.
»Hier bin ich.« Ich lehnte eine Krücke an den Tisch und hielt mich bereit.
»Es tut mir leid, was passiert ist. Calvin hat mich über alles informiert und ich weiß, wie es dazu gekommen ist.« Ok, das waren nicht die Worte, die ich erwartet hatte.
»Und weiter?«, gab ich gespielt genervt wieder.
»Davon ist in der Stadt. Vielmehr war er es.«
Unmöglich! Er vertat sich.
»Malcolms Davon? Mein Davon?«
»Ja, Kit. Er sollte im Auftrag von Colt Leute gegen dich aufbringen.«
Das konnte nicht sein. Das würde Davon niemals tun und selbst für Colt war es … Nein … Für ihn wäre es profan, weil ich schon wusste, dass er meine Leute auf seine Seite ziehen wollte. Zumal Herzchen recht hatte, als er behauptet hatte, dass Söldner meine Männer aufgesucht hatten. Aber wir hatten eine Hierarchie und sie kamen nicht an die Richtigen von uns heran. Davon kannte die Leute, die für Calvin und für mich arbeiteten und wenn nicht, ahnte er, wer im inneren Kreis tätig war. Er kannte uns zu lange und zu gut. Aber würde Davon das tun? Never! Ich war seine kleine Kitty, der Grund für die vielen Plüschtiere in Malcolms Haus, und er würde mir niemals schaden. Never! Außerdem war er schon ein Jahr weg. Warum sollte er zurückkommen, um mich ans Messer zu liefern? Er würde für mich sterben.
»Kit?« Erst als Herzchen meine Aufmerksamkeit einforderte, wurde mir bewusst, dass ich innerlich bebte.
»Woher hast du diesen Scheiß?«
»Von deinen Leuten.« Damit machte er sich nur lächerlich und bestätigte meine Gedanken, sodass ich ihn breit anlächelte.
»Kit, ich habe ihn gesehen. Bei allen habe ich nachgehakt. Keiner wollte mit mir sprechen. Erst als das mit dir passiert ist.« Er sah zum Bein. Ähm … zum fehlenden Bein und schüttelte leicht den Kopf. »Du warst lange nicht im Revier. Hast dich Monate lang nicht blicken lassen. Deine Männer haben Angst, dass du sie alle erledigst, oder dass du erst gar nicht die Möglichkeit hast, aus der Villa zu kommen. Sie sind da sehr unterschiedlich. Ich habe es heute Morgen erfahren, weil Saltos und Otis den Männern erzählt haben, dass du nicht mehr arbeitest.«
»Das habe ich schon viel früher entschieden, Herzchen. Ich habe nämlich eine neue Verantwortung übernommen.«
»Du meinst Jeremy und Amy?«
What the fuck? Woher weiß er das?
»Wovon redest du?«
»Ich weiß von den Kindern, Kit. Ich habe die Papiere gesehen.«
»Scheiße!«, brüllte ich. »Ich wiederhole mich nicht!«
»Die Papiere. Kit.«
»Wovon. Zum. Teufel. Sprichst. Du?« Tat ich es dann doch und wurde richtig laut.
»Ach, Kit, du weißt schon. Die Adoptionspapiere.«
Das war dieser abgefuckte Moment, als die Worte im Schleichtempo zu mir durchdrangen und sich meine Unwissenheit in eine mörderische Wut verwandelte. Mit der freien Hand angelte ich die versteckte Knarre heraus und hielt sie auf den Cop gerichtet. Ungeladen. Das wusste er aber nicht.
»Ganz ruhig, Kit.«
»Ich sage dir jetzt, was du tun wirst, und ich überlege mir, ob ich mich beruhigen möchte«, knurrte ich und er nickte zur Bestätigung,
»Also, du erzählst mir jetzt alles, was du weißt. Und wehe, ich muss mich wiederholen, dann wirst du bluten. Du fängst bei den Papieren an.«
»Dein Mann hat die Papiere zur Adoption bei Sophia eingereicht. Ich wusste noch nicht einmal, dass du verheiratet bist. Wenn ich die Urkunde nicht gesehen hätte, würde ich darüber lachen, Kit.«
Da waren wir schon zwei. Nur hatte ich die Urkunde noch nicht gesehen und verkniff mir somit das Lachen. Ah! Dean!
»Sie hat bereits alles bearbeitet und die Kopie hierhergeschickt. Die Sozialarbeiterin hat schon einen Termin mit deinem Mann vereinbart fürs Gericht und zur Ortsbegehung, um zu sehen …«
»Ja, ja. Wie Jeremy wohnt und so.«
»Ja und Amy. Aber es wurde nicht die Villa angegeben.«
Ah, dieser heiße Mistkerl hatte sicher die Adresse vom Haus gemeldet. Was war nur in den letzten Monaten passiert? Wo war ich da gewesen? Ach ja, im Bett. Oder ich war mit Nancy den Flur entlang spaziert. AH!
Den dicken Cop vor mir duldete ich nicht länger in meiner Nähe und legte die Knarre weg.
»Verschwinde, Herzchen.« Das tat er auch in Windeseile. Ich schnappte mir die Krücke und stolperte in Richtung Büro.
Calvin war nicht dort, als ich ankam, und ich setzte mich mit schweißbedeckter Haut, weil der Weg so anstrengend gewesen war, auf seinen Stuhl. Nachdem ich erst einmal Luft geholt hatte,
durchwühlte ich, auf der Suche nach den besagten Papieren, seinen Schreibtisch. Und fand schließlich mehr, als ich vermutet hatte. Nicht nur den Antrag auf Adoption von Jeremy und Amy, was schon merkwürdig genug war. Denn auf denen war angegeben, dass Dean und Kitty Johnson die zwei Kinder adoptieren wollten. Der Brüller war, dass auf Amys Urkunde mein richtiger Name stand. Irre.
Kitty Johnson? WTF? Nicht sein verfluchter Ernst!
Schlimmer noch, denn ich fand eine beschissene Heiratsurkunde und meinen gefälschten Pass.
Kitty Johnson. Warum? Was war aus Jenny geworden?
Dann fiel es mir ein. Er nannte mich nur aus geschäftlichen Gründen Kit. Scheiß fucking geschäftliche Gründe! Ich wurde zu seinem scheiß Geschäft!
Ich schmiss alles wieder in die Schublade und sah aufs Telefon. So gerne würde ich diesen Scheißkerl anrufen. Ihm erklären, was für ein Mistkerl er war, dass er, ohne etwas mit mir zu besprechen, all das getan hatte. Ihn anschreien, dass er mich alleine ließ und ich selbst herausfinden musste, dass wir nicht nur den kleinen Engel adoptierten, sondern auch, ohne mein fucking Wissen, die kleine Amy zu uns nahmen. Ohne meine Kenntnis! Was dachte er sich nur? Hatte er nur für eine Sekunde überlegt, wie ich mich dabei fühlen könnte? Erst recht, wenn er mich überging? Ich nahm ab und wählte die Zwei – ein Hoch auf die Erfindung der Kurzwahl.
»Ja, Boss.«
»Ich bin’s, Saltos. Bist du in der Villa?«
»Ja und du bist in Calvins Büro.«
»Clever. Komm zu mir, ich brauche deine Hilfe.«
»Gib mir zwei Minuten.«
Ich legte auf und kramte alles wieder zurück in die Schublade. Das war mir zu hoch. Zu viel.
Es dauerte natürlich nur zwei Minuten, bis Saltos da war. Ich bat ihn umgehend, mich hochzubringen. Zwar wollte ich es selbst schaffen, aber die neuen Informationen lasteten schwer auf mir. Es war nicht die Tatsache, dass er Jey und Amy gemeinsam mit mir adoptieren wollte. Das war eher das Licht in der Finsternis. Aber, dass er eine Ehe vortäuschte, war hart. Und noch schlimmer, dass er es ohne mein Wissen tat. Die Spitze war die Story mit Davon. Das konnte ich noch nicht so ganz fassen. Da Davon wirklich ein enger Vertrauter war. Er war immer an Malcolms Seite und es war undenkbar, dass er die Menschen gegen mich aufbrachte. Mir gar den Tod wünschte.
Aber etwas in mir zweifelte nicht an Herzchens Worten. Und das verwirrte mich so intensiv, dass Saltos mich hochtragen musste, weil ich zu einem einzigen, großen Puddingklumpen wurde. Zu meinem Übel bestätigte Saltos diese schwer erträgliche Geschichte, als er mich aufs Bett ablegte.
»Wie kam er an Davon?«, fragte ich ihn und er schüttelte verneinend den Kopf und zuckte unwissend die Schultern.
»Du weißt am besten, wie er arbeitet.«
»Woher bitte?«
»Na, du hast ihn doch sicher gefragt …«
»Wir reden nicht übers Geschäft«, klärte ich ihn auf und könnte mich zugleich hängen, weil ich es nie wirklich versucht hatte. Es war unfassbar, dass Davon mir so in den Rücken fiel. Das war
Hochverrat.
»Was hast du jetzt vor, Girl?«
Nichts. Was auch? Ich war ein Nichts, schwach und hilflos.
»Wen interessiert‘s?«
»Keine Ich-töte-alle-Blutrauschwut?« Dabei klang er auch noch, als würde er sich über mich lustig machen. Völlig desinteressiert hob ich eine Braue.
»Komm schon, sag mir, was in dir vorgeht.«
Verwirrung. Das war’s. Ich war einfach total verwirrt.
Vielleicht wollte ich Ausrasten vor Wut, Trauer und Hass. Fakt ist, dass Deans Interesse an Jey und Amy den Zorn schmälerte. Nur die Sprachlosigkeit und die Verwirrung blieben zurück.
»Nichts. Es mir scheißegal.«
»Oh, Girl.«
»Was denn? Hast du vergessen, dass ich eine emotionslose Bitch bin?«
»Emotionslos? Du? Das sagt du ständig, aber weißt du was? Es läuft auf dieser Erde keine Frau herum, die so emotionsgeladen ist wie du. Deine Gefühlsausbrüche wechseln zwischen schnulzig und brutal gefährlich. Wenn jemand Emotionen zeigt, dann du. Dabei wechselt sich die Stimmung extrem schnell … Oh, Kit.«
»Emotionsgeladen? Gefühlsausbrüche? Sag mal, kennst du mich überhaupt?«
»Besser als du dir vorstellen kannst, Girl. Ich erkläre es dir auf benzinisch.« Er fuhr sich durchs Gesicht und ich wurde ungeduldig.
»Dann mal los, Saltos, vielleicht verstehe ich es ja.« Dabei wurde ich pissig. Er konnte mich doch nicht als Gefühlsbitch hinstellen!
»Du und deine verrückten Emotionen seid wie ein Benzinkanister. Jedes Wort, jede Handlung und jede noch so kleine Reaktion ist, als würde man ein Streichholz anzünden und in diese Richtung schmeißen. Mal geht die Flamme in der Luft aus und nichts passiert und ein anderes Mal trifft sie das Benzin … BOOM … es geht hoch. Du gehst hoch. Wie in einer gigantischen Explosion. Aber zugleich kann man das Benzin in den Camaro füllen und über die Interstate brettern. Das, Kit, bist du. Du bist alles andere als gefühlskalt. Nur deine Reaktionen sind nicht plausibel und eher bizarr. Daher auch für die meisten nicht nachvollziehbar.«
Wow.
Sprachlos sah ich ihn an und musste mir selbst erst darüber im Klaren werden, ob er damit richtig lag.
»Früher reichten Autos aus, um dich runterzuschalten. Ein Gespräch übers Getriebe, eine Fahrt mit dem Camaro oder einfach nur der Geruch von Benzin. Jetzt ist es Colt, der dich auf Touren bringt und bremst. Er wurde zu deiner Dynamik, Girl.«
»Ich korrigiere, zu meiner Sucht. Autos sind und bleiben meine Leidenschaft.«
»Ja, vielleicht. Aber auf sein Verhalten reagierst du rasender und intensiver als bei einem Viertel-Meilen-Rennen. Das schnelle hoch- und runterschalten. Die niederschmetternden Tiefs und die ekstatischen Hochs. In Sekunden. Colt löst all das in dir aus. Und ehrlich, Girl, ich weiß nicht, ob es geil oder erschreckend ist. Aber es ist, bei vollem Tank, außergewöhnlich. Insbesondere für dich.« Damit hatte er womöglich recht. Sagte ich ihm aber nicht und hob nur eine Braue. Als wüsste er, dass ich mich und mein Gefühlsgewirr
in Frage stellte, lächelte er kopfschüttelnd und ließ mich mit der Unordnung in meinem Kopf allein.